Es lebe der Schulbus!

Ich bin bekennender Fan von Schulbussen. Und frage mich, warum wir solche in Deutschland nicht haben. Das System ist für alle genial.

Für die Kinder: Sie kommen sicher in der Schule an und auch sicher wieder zurück. Im besten Fall treffen sie ihre Freunde auf der Fahrt.

Für die Eltern: Kein Herumgegurke mit den Öffentlichen, keine SUV-Staus vor der Schule, keine Fahrradtouren mit dem Kind zur Schule. Stattdessen: Kind zur nächsten Schulbushaltestelle bringen (in unserem Fall 250m), zum Abschied mit der Kaffeetasse in der Hand winken und das Kind in 6 Stunden an derselben Stelle wieder abholen. Wenn ich zu spät komme, wartet der Bus sogar. Jedenfalls beim Abholen. Sogar die Nachmittagsbetreuung kann auf diese Weise organisiert werden. Denn der Schulbus transportiert Kinder auf Anfrage auch zu ihrem Kunstkurs usw.

Für die Stadt: Das sogenannte „Busing“ verhindert Schulghettos in ärmeren Gegenden. Kinder gehen nicht automatisch in die nächstgelegene Grundschule, sondern werden einer der Schulen im Distrikt zugelost. Geschwister kommen aber auf dieselbe Schule.

Theoretisch klingt das perfekt. Praktisch scheint es in Berkeley auch zu funktionieren.

Als das Busing in den 1970ern in San Francisco eingeführt wurde, reagierte die weiße, wohlhabendere Bevölkerung auf zweierlei Art:

  1. Umzug.
  2. Anmeldung der Kinder an Privatschulen.

In San Francisco sind die Folgen bis heute spürbar. 20% der Bevölkerung gehören einer Minderheit (nicht weiß) an. An den öffentlichen Schulen haben 80% der Schüler einen nicht-weißen Hintergrund.

Ich bleibe dabei: Die Idee ist trotzdem super!!! Tonis Busfahrer unterstützt sie sogar beim Englisch lernen. Jeden Tag führen sie dieselbe Konversation.

Fahrer: „Toni, make sure you have everything.“

Toni: dreht sich um und guckt

Fahrer: „Toni, do you have everything?“

Toni: „Yes.“

Fahrer: „Bye.“

Toni (seit heute): „Bye. Have a good day.“

Fahrer: „You too, see you tomorrow.“

Hallo Nachbarn!

„Da sitzt ein Kind auf unserem Zaun!“ Philipp deutet aus dem Fenster in unseren Garten. Wir winken. Das Kind guckt. Unsere Kinder gucken. Öffnen die Gartentür und flitzen auf Socken raus. Ein Kind! Ein kletterndes Kind! Und keine aufgeregten Eltern in Sicht! Ein Wunder!

Paolo ist 5 und unser Gartennachbar. Seine Mama ist so entspannt, dass ich sie erstmal fragte, ob sie aus Berkeley sei? Wirklich? Ganz in echt jetzt? WOW!

Toni und Theo nahmen die Herausforderung an und im Nu kletterten die drei wie kleine Äffchen über Zäune und Bäume. Toni wagte sich sogar in den Nachbargarten, fiel hin und verletzte sich just an einem Kaktus. (Die Vegetation hier ist gefährlicher, weil unbekannt für uns.) Zwei Finger bluteten, ich stand in meinem Garten, sie brüllte im anderen. Über den Zaun wollte ich nicht klettern. Also fragte ich die immer noch (!) völlig gelassene Mutter nach ihrer Adresse und lief los, um Toni abzuholen. Als ich ankam, war das Schlimmste überstanden, Tonis Hand schon desinfiziert.

Wir tauschten Telefonnummern aus und freuen uns auf Playdates! Ohne den eigenen Garten verlassen zu müssen. Eventuell werden die Väter gebeten, kleine Tritte zu installieren, um das Rüberklettern zu erleichtern.

Teilen verboten, streng verboten!

„Nutfree“ steht am Schultor. Eine nussfreie Schule besucht Toni also. Völlig neue Perspektiven.

Frühstück gibt es in den öffentlichen Grundschulen von Berkeley kostenlos für alle Kinder. Täglich Milch und Obst, dazu wahlweise Müsli oder Brot, manchmal Joghurt. So kann sichergestellt werden, dass wenigstens jedes Kind einen Becher Milch und etwas Vitamine bekommt. Und ein Frühstück.

Mittag wird in der Schule angeboten. Ist leider zu teuer für uns. Wir haben $1,50 im Monat „zu viel“, um ein kostenloses Essen zu erhalten. Also nimmt Toni, wie die meisten ihrer Klassenkameraden, belegte Brot, Obst und Gemüse mit. Und zum Nachtisch zwei Oreo-Kekse. Damit ist ihr der Neid der anderen Kinder sicher. Denn Süßigkeiten werden seitens der Schule ungern gesehen. Wusste ich bisher nicht und tue jetzt einfach mal so, als ob ich nichts davon weiß.

Naiv fragte ich Toni: „Hast du denn mit deinen Freunden geteilt?“

Toni: „Mama, man darf nicht teilen. Wer das macht, wird bestraft.“

Klar, es geht um Allergien, versteh ich schon. Ist aber trotzdem irgendwie eine absurde Lehre: Wer teilt, den bestraft das Leben. Zum Glück hören und erleben die Kinder in der Kirche das Gegenteil.

Kindeswohl?

Ich habe Angst. Wenn sich Toni allein mit ihrem Puppenwagen 100m vom Haus entfernt. Wenn Theo allein auf dem Fußweg steht und den Handwerkern im Nachbargarten zuguckt. Ich habe Angst um meine Kinder. Ich habe Angst vor meinen Mitbürgern. Dass jemand die Polizei oder das Jugendamt ruft. Weil er denkt, die Kinder würden vernachlässigt.

In Kalifornien gibt es zum Glück kein Gesetz, was eine definitive Altersgrenze festsetzt. Hier ist es eher Ermessenssache. In anderen Bundesstaaten ist das strikter.

Gestern wollten Toni und ihre Freundin allein einmal um den Block laufen (4x links abbiegen = 200m = 5 Minuten im Quatschemädelstempo). Vorsichtshalber gab ich ihnen einen Zettel mit unserer Adresse mit. Falls sie jemand anspricht. Alles ging gut. Die beiden kamen zurück, machten eine kurze Pause und gingen wieder los.

Da klopfte es an der Tür. Mein Herz begann zu rasen. Es war die Mutter. Dann das 2. Herzrasen: Was, wenn ihre Mutter schon so amerikanisiert ist, dass sie mein Verhalten unmöglich findet? Vielleicht darf Tonis Freundin dann nie wieder zu Besuch kommen? Ich beichtete ihr also vorsichtig die Situation. Sie grinste nur und sagte: „Meine Kinder dürfen das. Sie haben Namensanhänger dabei auf denen steht: „Wir wohnen in XY und dürfen allein umherlaufen.“ Bisher sei damit alles gut gegangen. Auch wenn es keine Sicherheit sei, dass nicht doch irgendwer die Polizei ruft wegen Verdacht der Verwahrlosung. Jetzt werden Anhänger gebastelt.

Theo kommt ins Grübeln

In 8 Tagen ist Valentinstag. Den Vorbereitungen nach ein genauso wichtiges Fest wie Weihnachten und Ostern. Lehrer und Kindergärtner verschicken im Vorfeld Namenslisten. Damit jedes Kind an jedes Kind eine Valentinskarte schickt. (Ist es eigentlich noch was besonderes dann?) Alsofragte ich Theo und Toni, ob sie besondere Freunde für besondere Karten haben?

Toni: „Ich hab schon 5 Freunde. Aber ich weiß nicht von allen den Namen. Wir spielen immer zusammen.“

Tonis Aufgabe heute in der Schule: „Can you write down your name please?“

Theo: „Ich finde alle Kinder blöd.“

Theos Aufgabe bis Freitag: Ein Kind finden, das vielleicht nett sein könnte.

Gestern fiel Theo aber noch etwas viel Wichtigeres ein: „Wenn ich Geburtstag habe, brauche ich ja Freunde zum Feiern!“ Zweieinhalb Monate bleiben ihm noch, um das Problem zu lösen. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass er seine Barrikadehaltung doch noch durchbricht. Allein schon, um zu seiner Geburtstagsfeier nicht allein mit Toni die Pinata zerschlagen zu müssen.

Theo oder Die totale Verweigerung

Theos Überlebensstrategie zur Zeit ist: Totstellen; Stummstellen, Taubstellen, Sturstellen. Kurz, er versucht einfach zu ignorieren wo er lebt.

Heute sagte er zu mir: „Mama, ich wohne nicht in Amerika.“

Ich: Doch, wir wohnen jetzt hier.

Theo: „Nein, ich wohne in Hamburg. Hier bin ich nur kurz zu Besuch.“

Das erklärt einiges. Denn Theo geht zwar seit 4 Wochen hier in den Kindergarten. Behauptet aber, nichts zu verstehen. Nicht einmal seinen eigenen Namen. Er findet alle anderen blöd. Letzte Woche sagte er: „Mama, ich möchte ein Riese sein. Dann kann ich den Kindergarten zertrampeln.“ Warum? „Weil da alle doof sind und englisch sprechen.“ Was möchtest du für einen Kindergarten? „Einen, in dem man deutsch spricht. In Hamburg.“ Jeden Morgen diskutiert er und fleht, bittet, bettelt darum, nicht in die Kita zu müssen.

Theo: „Alle anderen sind blöd. Und ich tue so, als ob ich auch blöd wäre.“

Mein Mutterherz möchte in solchen Momenten schier zerspringen. Ich frage mich, was ich meinem kleinen Jungen antue, ob er Schaden nimmt. Da tut es gut, Erfahrungsberichte anderer Eltern zu hören.

Eine norwegische Bekannte mit 2 Kindern (3 und 5) erzählte, dass ihre Samstage monatelang aus schreienden, durchdrehenden Kindern bestanden. Weil die beiden ihren Frust von der Woche rauslassen mussten.

Ein anderer berichtete von seinem Sohn, der, bis er in die Vorschule kam, kein Wort Englisch sprach. Nach einigen Wochen erklärte er: „Die Schule soll tot sein!“

Das hilft zwar Theo im Moment nicht, beruhigt aber mein Gewissen ein bisschen. Hoffentlich können wir in einigen Monaten gemeinsam über diese erste schwere Zeit lachen. Auf Englisch und auf Deutsch.

I love kids – Ratschläge von anderen Müttern

Helikoptereltern bekommen hier nochmal eine ganz neue Bedeutung. Unsere deutschen Exemplare sind nichts gegen die amerikanischen Eltern. Denn hier passt man nicht nur auf die eigenen Kinder auf, sondern auch auf fremde.

Ich hole Toni immer mit dem Rad vom Schulbus ab. Sie setzt sich dann auf den Gepäckträger, ich schiebe und wir quatschen im Sonnenschein. Gestern sprang eine Mutter aus ihrem Auto und hielt mich an.

„Ich liebe Kinder! Sie sind das Beste!“ (SMILE SMILE)

Ich: Ja, das stimmt.

„Früher habe ich meine Tochter auch mal auf den Gepäckträger gesetzt. Und dann hat sie sich ihren Fuß ganz schlimm eingequetscht. Das war furchtbar.“
(SMILE SMILE)

Ich: Ja. Wir passen auf. (SMILE SMILE)

„Und meine Freundin hat eine Tochter, Jil heißt sie, die hat sich sogar mal beide Füße eingequetscht. Da muss man so aufpassen. Wirklich. Also, weil Kinder ja das Beste sind, was man haben kann.“ (SMILE SMILE)

Ich: Ja, danke für den Hinweis. Wir sind ganz vorsichtig. (SMILE SMILE) Einen schönen Tag noch.

Kurz hatte ich überlegt, ihr zu erzählen, dass sich Theo schon mal seinen Fuß in den Speichen hatte und der Fuß nur nicht gebrochen ist, weil er geschlossene Sandalen trug. Aber ich wollte die arme Frau nicht schocken.

Hausaufgaben nerven!

Seit knapp 2 Wochen geht Toni nun schon in die Schule. Jeden Morgen wird sie vom Schulbus abgeholt und jeden Nachmittag wieder zurückgebracht. Eine wunderbare Erfindung. Warum gibt’s das eigentlich nicht in Deutschland?

Täglich kommt Toni mit ein paar lustigen neuen Wortversuchen nach Hause.

„Mama, wir hatten heute planschen.“ Dabei macht sie wilde Boxbwegungen. Ich: „Ah, punching!“

„Papa, Pferd heißt auf Englisch Horst.“

Und sie singt ständig „We shaw oercome…“ Martin Luther King zur Ehre.

„Ich habe heute wieder was abgeschrieben. Keine Ahnung, was.“

„Mama, ich rede einfach immer irgendwas, wenn ich gefragt werde. Heute mussten alle lachen. Ich wurde was gefragt und hab gesagt „I need to go the bathroom“. Zum Glück nimmt Toni das Ganze mit Humor.

Letzte Woche nahm sie ihren kleinen Kuschelhasi mit in die Schule, „damit ich jemanden zum Unterhalten habe“.

Aber dass es 1x pro Woche Hausaufgaben gibt, nervt Toni extrem. An sich sind es undramatische Aufgaben. Doch wenn man kein Englisch spricht und das Alphabet noch nicht kann, ist Lesen lernen wirklich schwer. Toni schlägt sich tapfer und verzweifelt nur alle 3-5 Minuten… Sie muss ja alles andersherum lernen: erst schreiben und lesen, dann verstehen und schließlich irgendwann in naher Zukunft reden.

„Hurra, ich bin ein Schulkind! In Oxford!“

Es hat geklappt. Toni hatte heute ihren 1. Schultag. Ganz unspektakulär an einem Mittwoch, ohne Schultüte. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es die zur 1. Klasse im August gibt.

Die Schule hat einen sehr guten Ruf, einen vielversprechenden Namen (Oxford), einen Kletterspielplatz, kleine Klassen mit 23 Kindern und bis zu 4 Lehrern, je nach Fach. Und vor allem hat die Sekretärin mitgedacht und Toni extra in die Klasse geschickt, in der es ein anderes deutschsprachiges Mädchen gibt. Für die sprachliche Starthilfe.

Tonis Empfang war wirklich goldig. Die ganze Klasse rief im Chor: „Hello Toni, welcome in our class!“ Ein kleiner Junge lief gleich zu Toni und bat die Lehrerin: „Darf sie bei mir am Tisch sitzen?“ Und noch in der Reihe auf dem Schulhof begannen die Kinder, sich Toni unaufgefordert vorzustellen.

Der Stundenplan lässt mich all meine „Jetzt-beginnt-der-Ernst-des-Lebens“-Sorgen vergessen. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen gibt es Tanzen, Gärtnern, Musik, Kunst, Sport und Bibliotheksbesuch. Klingt nach viel Spaß! Nur die Schulanfangszeit (8.00) ist für uns alle eigentlich vor dem Aufstehen. Der Wecker klingelt jetzt 6.30 Uhr, 7.25 müssen wir das Haus verlassen. Gruselig! Und für die nächsten 14 Jahre kein Ende in Sicht.

Ab morgen wird Schulbus gefahren. So richtig rechteckig und gelb. Amerikanischer geht’s nicht.

Schulpflicht JA, aber…

Seit 10 Tagen wohnen wir in Berkeley. Theo geht in den Kindergarten, Toni in den Kinderchor, ich hab einen tollen Unichor gefunden, Philipp arbeitet. Nur das Schulproblem haben wir immer noch nicht gelöst. Trotz Schulpflicht.

Um ein Kind in der Schule anzumelden zu können, braucht man:

einen Mietvertrag

einen Arbeitsvertrag

einen Internet-, Strom-, Gasvertrag oder eine Versicherung oder ein amerikanisches Bankkonto auf dem, ACHTUNG, die Adresse draufsteht.

Also schlossen wir einen Internetvertrag ab – leider ohne Adresse, Pech gehabt. Warten.

Für eine Versicherung brauchte man die Sozialnummer, die man aber erst mit Arbeitsvertrag beantragen kann. Also warten.

Ein amerikanisches Konto kann man ohne Sozialnummer nur online eröffnen, Papiere werden zugeschickt. Also warten.

Nach einer Woche konnten wir Toni endlich in der Schulbehörde anmelden. Dann wieder warten auf die Schulzuteilung. Und die Info, dass man laut kalifornischem Gesetz einen Nachweis über die Schultauglichkeit von Kinder- und Zahnarzt braucht. Gut, denkt sich der naive Deutsche, kein Problem, U-Heft ist ja vollständig, Impfungen sind komplett. 

Also Anruf beim Zahnarzt. Er soll auf dem Formular 2 Fragen beantworten: Hat das Kind Karies? Hat das Kind sichtbar verfaulte Zähne? (Könnte ich auch ankreuzen.) Ja, sagt der nette Mann in Berkeley: Die Untersuchung koste 90$, davor müsse er eine Zahnreinigung für 150$ machen und auf jeden Fall 2 Röntgenbilder für 200$. Wir schlucken und rufen in der Schulbehörde an. Ob das auch unser deutscher Zahnarzt ausfüllen könne? (Da waren wir natürlich brav vor Abflug noch.) Ja, das ginge. Seitdem warten wir auf das ausgefüllte Formular per Mail.

Noch komplizierter wird’s beim Kinderarzt. Das Formular verlangt: Bluttest auf Anämie, Bluttest auf Blei (Was, um Himmels Willen ist hier im Wasser?), eine Ernährungsuntersuchung, einen Tuberkulosetest… das kann uns natürlich unser deutscher Kinderarzt nicht ausfüllen. Aber die Untersuchungen hier sind teuer, unsere amerikanische Krankenversicherung ist noch in Bearbeitung, die deutsche zahlt nur medizinisch notwendige Behandlungen… 

Was bleibt uns? Wir werden die Angaben offiziell verweigern (das geht anscheinend) und gucken, was passiert nächste Woche. Wenn der Martin-Luther-King-Feiertag rum ist.

Wetten, wann Toni mal eine Schule von innen sieht, werden ab sofort per Mail angenommen. Der Gewinner darf die Schultüte schicken!