Arizona: Route 66, Eselstaedte und eine kleine Wueste

Weiter ging’s die historische Route 66 entlang. Ein enger, geschwungener Highway. An jeder Kurve ueberlegte ich, was die Familie von „Grapes of Wreath“ hier erlebt hatte. Als wir ueber einen Berg fuhren, war ich mir sicher, dass hier die Oma gestorben ist. Wir holten uns Dunkin’s Donuts und ploetzlich war es dunkel.

Egal, wir wollten durch eine Geisterstadt samt Eseln fahren. Die hatte uns unser naechster Gastgeber empfohlen. Es war eine witzige Geisterstadt. Halb verlassen mit Eseln, halb bewohnt und touristisch bewirtschaftet. Gruselig und witzig zugleich.

Schliesslich erreichten wir unser Nachtquartier. Der Gastgeber stellte sich als echter Missionar heraus. Ich witterte das gleich und liess Philipp das Gespraech fuehren. So dauerte es nur 30 Minuten… Er gab und Infos mit, wann Jesus genau geboren wurde (September im Jahre 4.v. Chr.) und riet uns zu obskuren Medikamenten gegen Corona. So sei er 100% geschuetzt, er trage seine Maske nur aus Ruecksicht auf uns… Das Haus grundreinige er nach jedem Besucher (allein 2h dauere das fuer die Couch). In der Kueche waren amerikanische Basics wie Peanutbutter und Instantkaffee und zuckrige Cornflakes fuer uns.

Und im Wohnzimmer standen ein Doppelstockbett und ein Laufband. Die Kinder waren begeistert. Theo rannte wie bloed einige Kilometer. Dann versuchte Toni aufs laufende Band zu springen, fiel, schrie wie am Spiess. Theo schaffte es, das Band anzuhalten, doch Toni hatte schon 2 heftige Schuerfwunden an den Knien. Und bruellte! Ich verarztete sie, hiefte sie zu mir ins Bett. Und versuchte irgendwann zu schlafen.

Bis der Feueralarm anfing, zu piepen. Ich brauchte einige Zeit, um das zu realisieren. Dann noch mehr Zeit, um gegen ihn zu hauen. Ohne Erfolg. Irgendwann weckte ich Philipp und er montierte ihn ab. Da war ich schon voellig entnervt und muede.

Auf meinen freundlichen Hinweis am Morgen, meinte der Vermuter nur: „Ah, kein Problem, ja, da muss ich die Batterie wechseln.“ Ich murmelte, dass es aber durchaus ein Problem fuer mich gewesen sei. Er laechelte es nachsichtig weg.

Wir waren wieder mal maximal unvorbereitet. Deshalb stellten wir manchmal recht kurzfristig fest, dass wir noch etwas sehen mussten. Zum Beispiel die Mojave Sandduenen. Riesige, weite, hohe Duenen, die so nah wirkten und doch eine gute Stunde Wanderung im tiefen Sand bedeuteten. Und dann standen wir direkt vor einer Wand aus Sand. Alle anderen liefen natuerlich den Kamm. Philipp und die Kinder fanden, „das letzte Stueckchen laufen wir jetzt direkt hoch“. Ich hab schon lange nicht mehr so geflucht. Nach 1/3 lag ich keuchend im Sand waehrend Theo solidarisch wieder runtergekrabbelt kam zu mir. Nach 2/3 war ich mir sicher, hier, heute, in diesem Sand an Erschoepfung zu sterben. Nach 3/4 verfluchte ich alle Anwesenden. Und schliesslich zog ich mich keuchend hoch.

Theo fand das alles so aufregend, dass er, oben angekommen, gleich nochmal runterrannte – und dann wieder hoch. Dieser Irre. (Spaeter erfuhren wir, dass seinen Patentante genau denselben Fehler gemacht hatte mit ihrem Mann :))

Die Aussicht war fantastisch. Und ausserdem hatte ein junges Paerchen ihre Surfbretter mitgebracht zum Sand rutschen. Sie liehen sie den Kindern mal aus. Das Glueck war perfekt. Und die Rueckwanderung laaaang. Mit mueden Beinen und einigermassen ausgehungert (wir hatten ja eher fuer ne Stunde geplant also fuer 2,5). Warum soll es unseren Kindern anders ergehen als mir damals…

Ihre Majestaet, der Grand Canyon

Durch endlose Weiten fuhren wir durch Arizona. Fast wie im Western, nur schneller. Ansonsten Felsen, Steppe, weit und breit nichts. Das Meiste gehoert heute wieder Ureinwohnern. Minisiedlungen kleben im Schatten der Felsen, das Benzin ist billig. An den Strassenraendern ueberall Verkaufsstaende fuer Indianerschmuck.

Da die Staemme besonders hart von Covid betroffen sind, war alles geschlossen. Und durch die Reservate der Navaho Nation durfte man auch nicht fahren, sodass wir einen grossen Bogen machen mussten.

Viele Orte haben dort bis heute weder fliessend Wasser noch Strom. Ein bisschen wie in Rumaenien 2007. Hygieneregeln einzuhalten, ist deshalb schwierig. Schutzausruestung wurde nur schleppend geliefert. Ein grosses Elend mitten im reichen Land.

Dann unser erster Stau. Kurz vor dem Eingang zum Nationalpark. Es wuerde also voll sein. Wir parkten und versuchten uns, zu orientieren. Das Besucherzentrum war zu, dafuer grasten Elche ruhig am Strassenrand.

Und wieder traf uns die Sicht ueberraschend. Diese Canyons sind wirklich verrueckt. Erst sieht alles aus wie mecklenburgischer Wald samt Heidelandschaft. Und dann geht’s ploetzlich in die Tiefe. Hier schwindelte es mich. Meine Haende wurden schweissig und ich bestand darauf, dass die Kinder die planierten Weg nicht verliessen. Auch nicht fuers Foto. Denn wer hier faellt, faellt ins Bodenlose.

Staunend wanderten wir im Sonnenuntergang einige Kilometer. Die Farben! Das Licht! Man wollte sich daran besaufen! Oder es malen!

Wir trafen einen Mann aus Alabama, der mit seinem kleinen Jeep und Hund gerade nach Oregon umzog zu seinem Sohn. Nachdem sein anderer Sohn im letzten Jahr verstorben war, wollte er keine Zeit mehr verlieren. „Er ist alles, was ich noch habe.“, sagte er. Dafuer gibt er gern sein Leben, sein Haus, seine Freundschaften auf im Sueden. Die lange Reise wollte er wenigstens nutzen. Denn er war noch nie zuvor in diesem Teil des Landes gewesen. Und so fuhr er gemaechlich seiner Zukunft entgegen.

An dem Abend war unsere Unterkunft ein altes Haus mit Kamin und so viel Platz, dass wir jeder allein haetten schlafen koennen. Dazu eine traumhafte Badewanne. Leider war das Wasser so pueschwarm. Wir genossen die wohlige Waerme des Ofens, Theo war Feuermeister und stolz wie Bolle.

Am naechsten Tag nahmen wir uns den ersten Abschnitt des Abstieges vor. 2 km bergrunter, 2 km wieder rauf. Ziemlich oede, ehrlich gesagt. Nicht sonderlich spannend, super anstrengend und ueberfuellt. Die Kinder jammerten ununterbrochen. Von ihrer Bryce-Energie war nichts mehr zu spueren.

Aber: Wir waren da, wir haben ihn uns einen bisschen erlaufen. Und irgendwann wandern wir da mal die spannenden, ungesicherten Wege. Wenn jeder fuer sich selbst verantwortlich ist. Sonst macht das mein Herz nicht mit.

In Gottes Heiligtum: Bryce Nationalpark

Im Rueckblick frage ich mich ja wie es sein kann, dass ich noch nie bewusst vom Bryce Canyon gehoert hatte. Als wir ihn gegen 10.00 erreichten, fuehlten wir uns kurz verhonepipelt. Ein Wald im kuehl-nassen Novemberwetter, na toll. Dann fuhren wir auf den ausgezeichneten Parkplatz am Rande des Canyons und uns stockte kurz der Atem. Vor uns lag ein Maerchenland. Wie aus dem Nichts aufgetaucht.

Skurile Sandsteinfelssaeulen in allen Formen. Schloesser und Tuerme ragten auf, bewacht von Koenigen und Burgfraueleins, von Loewen und Drachen. Hinter jeder Ecke lugte eine neue Welt, eine neue Geschichte. Wir liefen wie getrieben, rissen die Augen auf um alles abzuspeichern. Wir rannten und jubelten und sangen vor Glueck.

Beim Picknick besuchten uns Blauspechte und Erdhoernchen in der Hoffnung auf einen Leckerbissen. Aber natuerlich nicht mit uns. Denn die Kinder sind nun gut informierte Junior-Ranger mit mehreren Abzeichen und geleisteten Schwueren, die Natur zu bewahren und zu schuetzen.

Unser Hotelzimmer war noch groesser und luxurioeser als das vorherige. Dafuer war der Pool geschlossen. Wir zappten durch die Fernsehprogramme und blieben bei einem leicht obskuren Maerchenfilm haengen ueber die Entfuehrung und nochmalige Entfuehrung einer Prinzessin. Erst durch Raeuber, dann durch ihren Liebsten, dann durch ihren Verlobten. Riesige Ratten kamen vor und ein Folterknecht mit 6 Fingern.

Am naechsten Morgen erwartete uns ein herrliches, amerikanisches Fruehstuecksbuffet. Zum Glueck war der Saal schon voll und so wurde uns ein freier Konferenzsaal zugewiesen, ganz fuer uns allein. Da konnten wir trotz Corona unsere Pfannkuchen samt Ruehrei und French Toast und Muffins und schrecklich suessem Kakao geniessen.

Beseelt vom ersten Tag, beschlossen wir uns am 2. Tag an eine knapp 8km lange Wanderung mit ueber 600 Hoehenmetern zu wagen. Wir stapften durch Schnee und schlitterten eisige, schmale Wege runter. Wir liefen durch natuerliche Tunnel und bewunderten „Hooloos“, Felsenfenster. Und die ganze Zeit ueber wollte ich schreien vor Glueck. Gott hat sich definitiv selbst die schoensten Kirchen erschaffen und Bryce ist die Kathedrale unter ihnen. Das wussten schon die Ureinwohner und hatten dort ihre heiligen Orte.

Theo redete die gesamte Wanderung ueber von dem Film und dem 6-fingrigen Mann. Ein Paerchen kam uns entgegen und kommentierte dies. Wir kamen kurz ins Gespraech und so lernten wir, dass wir einen amerikanischen Klassiker gesehen hatten: The Prince’s Bride.

Einzige Herausforderung dieser Etappe: Mit Untergang der Sonne war es kalt. Und trotzdem mussten wir natuerlich draussen kochen. Naja, man kann ja auch mal schnell essen 🙂

Urlaub im gelobten Land: Las Vegas und Zion Nationalpark

Im Morgenlicht fuhren wir auf eine Stadt zu. Und ploetzlich rief Philipp: „Das ist Las Vegas!“ Und da packte es mich. Wir eroerterten kurz die Lage. 20 Minuten Puffer hatten wir. Also, auf in die Stadt und wenigstens einmal die wichtigste Partymeile entlangfahren. Vorbei am Springbrunnen, an Hotels (die ich nicht wiedererkannte, aber Philipp aus Filmen), am Eifelturm, am Piratenschiff, an blinkenden, glitzernden Lichtern. Die Kinder waren begeistert. Ich hatte Muehe, alles zu sehen beim Fahren. Nachts ist das bestimmt gaaaanz toll (wie die Reeperbahn auch). Tagsueber hat’s ja immer etwas Melancholisches.

Dann noch schnell Lebensmittel aufstocken beim Walmart (inklusive fuerchterlich suessem Buttermilchkuchen, sah nach Pudding aus, war im Angebot – und dann leider nicht geniessbar…) und auf zum Zion. Ins heilige Land der Mormonen.

Mit einem Shuttlebus fuhren wir in den Park. Jede 2. Sitzreihe war gesperrt wegen Covid, alls Fenster waren geoeffnet und es galt natuerlich Maskenpflicht. Unserem Sicherheitsbeduerfnis war damit Genuege getan. Bis der gespraechige Busfahrer auf einen riesigen Felsen verwies auf einer Strassenseite. Der sei im Fruehjahr abgebrochen und hintergerasselt. Gut, dass da gerade keiner stand.

Am 1. Tag wollten wir die „Enge“ erwandern. Oder den ersten kinderfreundlichen Teil davon. Es war ein Herbsttag wie er im Buche steht. Sonnenstrahlen liessen gelbes Laub erstrahlen, die Haenge glitzerten vom Tau, im Fluss spiegelte sich das Licht. Ein betonierter Wanderweg fuehrte am Fluss entlang. Und trotzdem kamen uns Menschen in kompletter Regenmontur entgegen mit Wanderstoecken und ausgeliehenen Wanderstiefeln. Wir machten uns froehlich lustig ueber die verrueckten Amis, die immer erst die Ausruestung kaufen und dann spazieren gehen. Bis wir zum Beginn der Enge kamen. Da, wo der Betonweg im Fluss muendet und nur noch die Harten gegen die Stroemung in die Schlucht hineinlaufen. Die Kinder und ich steckten unsere nackten Fuesse einmal ins Wasser und beschlossen nach 2 Schritten, dass das nun nicht noetig sei und man dafuer wohl doch die Ausruestung brauche…

Muede kamen wir zum Parkplatz zurueck und suchten einen Kochplatz mit Blick auf Felsen. Dazu Steaks aus der Pfanne und Nudeln und Salat (direkt nach dem Einkaufen halt), das Leben war herrlich.

Und es wurde noch besser. Denn dank Corona hatten wir ein Hotel mit Sternen samt grossem Pool und Hottub. Beide ebenfalls dank Corona herrlich leer. Ich traf einen Ex-Militaer (3 Irakeinsaetze) und heutigen Pentagon-Polizisten, der Trump gar nicht mochte und Sorge vor Krawallen wegen der Amtsuebergabe hatte. Er behauptete, sein bestes Steak in Muenchen gegessen zu haben. Naja, ganz ehrlich, das hab ich ihm nicht geglaubt. Amerikanisches Steak ist schon der Hammer! Was wir ihm glaubten war die Empfehlung, in den Bryce Nationalpark zu fahren. Wir googelten kurz und buchten kurzerhand um. Eine Nacht weniger im Zion, dafuer eine Nacht im Bryce. Frueh aufstehen konnten wir ja nun auch. Also kein Problem noch eine Station mehr einzuplanen.

Fruehstueck gab’s am naechsten Tag in der beruehmten braunen Tuete. Das Muesli der Kinder bestand aus suessen Cornflakes mit Einhoernern aus purem Zucker. Das war selbst fuer Theo zu viel (und der verzuckert sich seine Haferflocken immer fuerchterlich).

Am zweiten Tag erwanderten wir kleine Wasserloecher auf idyllischen Wegen. Theo zerbrach bei der ersten Pause Tonis Wanderstock. Damit war die Stimmung hinueber und wir teilten uns die Kinder auf. So ging’s… Das Licht war traumhaft. Nur ueber die herabhaengenden Felsvorspruenge versuchte ich nicht nachzudenken.

Die halsbrecherische „Engellandung“ sparten wir uns. Es ist quasi ein Klettersteig ohne Sicherung. Ich wuerde da maximal hochkommen und muesste dann wahrscheinlich entweder unter Hypnose runtergeleitet werden oder von der Bergrettung geborgen werden.

Urlaub: Das Tal des Todes

Der Weg ins Tal des Todes war lang und kurvig. Dafuer wurde Benzin ploetzlich billig. Statt der $3,50 die wir in Berkeley fuer eine Gallon zahlen (ok, immernoch ein Spottpreis fuer deutsche Verhaeltnisse, ich weiss), blechten wir nun nur noch $2,50. So macht Reisen doch Spass. Der Weg fuehrte uns durch Haeuseransammlungen, die den Namen Stadt kaum verdient haben. Vorbei an traurig im Wind wehenden Trumpschildern und riesigen Trumpbannern an Bauernhoefen und Traktoren. Masken wurden kaum noch getragen, wir blieben also im Auto. Immer karger wurde die Vegetation. Erst Buesche, dann Gras, dann Sand und Gestein mit trocknem Gestruepp. Wir waren fast da.

Mein erster Eindruck: Eine karge Mondlandschaft. Mit steilen Haengen, die die Luftwaffe zu Uebungszwecken nutzt. Letztes Jahr ist dabei ein Pilot ums Leben gekommen. Auf dem ersten Parkplatz standen Jeeps, SUVs, riesige Wohnwagen, Pick-ups – und wir. In unserem kleinen, ziemlich niedrig gelegenen Autochen. Theo war das eher peinlich, ich war stolz auf uns. Ha, wer braucht schon grosse Autos!

Ok, einige Ziele mussten wir auslassen. Denn mehr als 1km Sandpiste trauten wir uns nicht zu. Bzw wir wollten nicht 1h zu einem Wasserfall schleichen und dann wieder zurueck.

Unser erster Stopp: Die Sandduenen! Barfuss rannten wir Huegel hoch und runter. Rollten uns lang ausgestreckt mit den Armen ueber dem Kopf die Duenen runter. Wie frueher, als Kinder. Ich schloss dabei profimaessig Augen und Mund. Die Kinder mussten das erst aus sandiger Erfahrung lernen. Mit warmem Sand zwischen den Zehen genossen wir einen traumhaften Sonnenuntergang.

Und dann war es finster. Und kalt. Im Dunkeln suchten wir unseren Zeltplatz. Fanden ein Plaetzchen zwischen 2 Wohnwagen auf dem Schotterboden. Heringe reinschlagen war ziemlich unmoeglich. Also hieften wir grosse Steine auf die Zeltecken, kochten unsere Nudeln und bestaunten den Sternenhimmel. Selbst die Milchstrasse zog sich milchig uebers Firmament. Kennten wir uns doch nur mit Sternenbildern aus. (Den grossen Wagen hab ich gerade noch gefunden…)

Am naechsten Morgen entdeckten wir einen Sandsteinfelsen. Toni krabbelte gleich mal hoch, mir blieb fast das Herz stehen. Philipp und Theo kraxelten hinterher.

Nach einem kleinen Abstecher ins Besucherzentrum, um das obligatorische Junior-Ranger-Buch fuer die Kinder zu holen, besuchten wir den Teufel. Er war gerade verreist, also begutachteten wir seinen Golfplatz menschenseelenallein. Wir stiegen ueber von Salz verkrustete Erde, leckten den Boden (salzig), drehten Pirouetten auf Salzschollen und brachen beim vorsichtigen Gehen ein. Und weit und breit niemand.

Dann auf zum tiefsten Punkt, 83m unterm Meeresspiegel. Da waren all die Menschen. Klar, denn es gibt ein Schild zum Fotografieren. Und schneeweissen Salzboden. Weiter, durch Schluchten fahren, Felsen in Regenbogenfarben bestaunen, Achterbahnstrassen entlangduesen, ueber Schneckentempofahrer fluchen, eine Schlucht durchwandern. Und dann, auf zum Mond. Death Valley war mal ein Meer mit unterirdischen Vulkanen und Vulkanen drumherum. Entsprechend zerklueftet ist die Oberflaeche. Ausserirdisch.

Noch ein kleiner Abstecher zur Palmenoase samt Info ueber den Boraxabbau mit von 20 Eseln gezogenen Zuegen. Fun Fact: Die Abbaufirma hat sich dafuer eingesetzt, dass Death Valley zum Nationalpark wurde, nachdem die Minen versiegten. So konnte die Firma wenigstens ihr Hotel weiterhin betreiben.

Die 2. Nacht verbrachten wir auf einem herrlich sandigen Zeltplatz. Diesmal mit Feuerholz und Marshmallows. Wieder versagten die Heringe. Steine gab es leider auch nicht. Also flatterte uns das Zelt nachts beim schoensten Wuestenwind um die Ohren. Zuerst dachte ich noch: Hach, klingt wie Ostseewellen, herrlich. Dann nervte es nur noch.

Um 3 Uhr morgens klingelte mein Wecker. Philipp und ich packten im Schein der Kopflampen Schlafsaecke und Isomatten ins Auto, verfrachteten die Kinder in ihre Sitze (die natuerlich dann nicht mehr weiterschliefen) und fuhren kurz vor 4 vom Platz. Denn unser naechstes Ziel, der Zion Nationalpark, verkauft Eintrittskarten mit Zeitfenstern. Unseres war von 11 bis 12 Uhr. 5h Fahrt hatten wir vor uns plus 1h Puffer minus 1h fuer die Zeitverschiebung…

Wir fuehlten uns besonders und heldenhaft. Bis uns nach wenigen Kilometern die ersten Autos entgegenkamen. Frueh aufstehen ist halt nur fuer uns was Besonderes.

Gegen 7 ueberquerten wir die Grenze nacht Utah. Wir merkten es an den Benzinpreisen. $1.95! Nix wie tanken, Kaffee holen und Donuts. Und dann ab durch die ersten Schluchten der Sonne entgegen. Auto fahren kann wirklich schoen sein!

Urlaub: Der Roadtrip beginnt

4.000 km, 6 Nationalparks in 4 Bundesstaaten, das war das Ziel. Sollen wir wirklich fahren? Wird es nicht zu anstrengend? Vielleicht doch lieber zu Hause bleiben und schlafen und ausruhen? Philipp und ich waren sooo muede vor dem Urlaub und kurz davor, die Tour abzusagen. Gott sei Dank taten wir das nicht. Sondern stiegen Sonntag Abend Mitte November ins Auto.

Ein Roadtrip ist die vermutlich amerikanischste Art zu reisen. Und die Corona sicherste. Und die guenstigste. Also perfekt. Wir packten unseren kleinen Hyundai Elantra bis zur Oberkante mit Zelt, Schlafsaecken, Extradecken, Isomatten, Kleidung und Essen und los ging es.

Ok, stimmt nicht ganz. Wir haben geschummelt. Denn dieses Mal hatte jedes Kind seinen eigenen Bildschirm (von Freunden) zum Film gucken. Also lieh Philipp 30 Filme aus und die Kinder wollten das Auto am liebsten gar nicht mehr verlassen. Bis irgendwann ein Kurzschluss das System lahm legte und wir auf unsere 40 Hoerbuch-CDs zurueckgreifen mussten. Ging auch 🙂

Das erste Zwischenziel war ein Motel in den Bergen. Einfach, weil es die richtige Entfernung zu uns hatte. Ohne Kinder waeren wir schnell auf die Skier gehuepft. So freuten sich die Kinder nur am Schnee in der Frueh.

Motels sind uramerikanisch. Ich kenne sie vor allem aus Filmen, in denen irgendwer irgendwann kotzt. Dank Theo bekamen wir die volle Erfahrung, denn er spuckte natuerlich im Auto. Natuerlich in die Ritze zwischen Sitz und Tuer und auf seine Fliessdecke. Es stank fuerchterlich. Im Motel versuchte ich, Decke und Klamotten in der Badewanne auszuwaschen. Ich fuehlte mich auch erfolgreich. Bis Theo am naechsten Tag die Decke an die Nase hielt. Sie stank immernoch. Wir tueteten sie hermetisch ein.

Amerikaner lieben es warm in ihren Raeumen. Zu jeder Tages und Nachtzeit. Weshalb die Decken nicht der Rede wert sind. Duenne Laken unter duennen Tagesbezuegen. Wir hatten also die Wahl zwischen pustender Heizung oder Frieren und teilten die Nacht haelftig auf. Erst Frieren, dann in Heizungsluft waelzen.

Am naechsten Morgen verwandelten wir das Zimmer geschwind ins mobile Klassenzimmer. Beide Kinder nahmen an ihren Zoommeetings teil. Auch ein Vorteil von Onlineschule. Wenigstens einer. Und danach fuhren wir weiter. Gen Death Valley. Auf Deutsch auch dramatisch klingend Tal des Todes. Durch Kleinstaedte, die durchaus bessere Zeiten gesehen haben.

7. November

Freitag sind wir spaet ins Bett gegangen und dennoch schrecke ich 7.15 Uhr hoch. Vielleicht ist es endlich soweit? Ein schneller Blick aufs Telefon. 253, unveraendert. Das kann doch nicht wahr sein. Ich doese noch etwas, lese Facebook, loesche die NY Times newsletter – es ist doch zum Maeuse melken…

8.30 Uhr: Wir trudeln alle in der Kueche ein, setzen Wasser auf. Ich ueberrrede Toni, ihr grosses Eierkuchen und Spiegelei Fruehstueck Sonntag einzunehmen. Denn heute ist Reittag. Wie an den meisten Samstagen fahren wir zusammen mit unserer Familienbubble auf eine Ranch 30 Minuten entfernt von Berkeley. Peter gibt den Kindern dort Reitstunden. Es ist jedes Mal ein Miniurlaub ohne Telefonnetz. Dafuer mit vielen gebuertigen Mexikanern, tanzenden, auf Hochglanz polierten Pferden, Pfauen, 2 riesigen, kinderlieben Hunden, einem faul herumliegenden Schwein. Mit Eseln, Zebra, Bullen und abgestellten Treckern, auf denen Pauli und Theo ihre Autofantasien ausleben. Ein kleines Paradies.

8.55 Uhr: Ich habe eine Textnachricht. Von meiner Nachbarin im Gruppenchat unserer Strasse. Nur ein Bild: MSNBC deklariert Biden zum Gewinner der Wahl. Ich will juchzen, aber checke vorsichtshalber erstmal die anderen Zeitungen. CNN, NY Times, ABC News, ja, alle sind sich einig. Dann stimmt es! Wir tanzen und schreien herum. Ich texte: Ich oeffne den Champagner und bin in 3 Minuten vor der Tuer.

9.00 Uhr: Wir treffen uns auf der Strasse. 3 Frauen, 3 Kinder. Es gibt Sekt und Kindersekt in Glaesern. Wir sind so erleichtert, dass wir erstmal gar nicht richtig ausrasten koennen. Langsam sickert es ein. Trump muss gehen. Die Angst vor weiteren 4 Jahren Wahnsinn darf weichen.

9.05 Uhr: Eine andere Nachbarin kommt mit ihrem kleinen Sohn dazu. Wir stossen an, sagen immer wieder: Ich bin so erleichtert!!!! Mehr faellt uns erstmal nicht ein.

9.10 Uhr: Wir schicken Toni los, Nachbarn rausklingeln. Die Pappnasen schlafen wahrscheinlich noch. Nach und nach stecken sie ihre Koepfe durch die Tuer (der schoenste Schlafanzug war ein quergestreifter Zweiteiler eines Papas) und rennen dann raus. Unsere Erleichterung schlaegt in Freude und Jubel um.

9.20 Uhr: Allen Gassigehern und Joggern rufen wir zu und verteilen Sekt. Anne schaltet Musik an, einige tanzen. Unsere aelteren Nachbarn stehen auf ihrer Veranda und winken gluecklich.

9.30 Uhr: Lautes Geschaepper. Studenten rennen und tanzen unsere angrenzende Strasse entlang und schlagen mit Holzkellen auf Toepfe. Autos hupen. Wer jetzt noch schlaeft, hat sich am Abend vorher mit Schlafmitteln beruhigen muessen.

9.40 Uhr: Ein aelteres Ehepaar kommt vorbei, haelt an, steosst mit uns an. Sie wuenschen sich „Heho, the witch is dead“. Wird glatt erfuellt.

9.50 Uhr: Ich frage Toni, ob wir noch reiten gehen wollen. Sie bejaht und wir muessen also mal fruehstuecken. Nicht, bevor wir mit den Nachbarn ausgemacht haben, am Abend Bidens und Kamalas Reden auf unserer Garagentuer gemeinsam zu gucken.

10.20 Uhr: Wir fahren los. Jedes Mal, wenn wir einen Spaziergaenger sehen, hupe ich: dadadadaaaaaaaadada. Wir haben kein Schild und trotzdem weiss jeder, was gemeint ist. Toni haengt sich aus dem Fenster und jubelt dazu. Eine Stadt im Freudentaumel.

10.30 Uhr: Auf der Autobahn. Wir reden darueber, dass sich heute nicht alle Menschen ueber das Wahlergebnis freuen. Dass fast die Haelfte der Waehler fuer Trump gestimmt hat und nun entsprechend traurig ist. Dass es gut sein kann, dass auf der Ranch nicht alle zufrieden sind heute. Dass es voellig in Ordnung ist, sich trotzdem zu freuen. Aber, dass wir Trump nicht beschimpfen und auch sonst keine Schadenfreude zeigen. (Ein Wort, das es auch Englisch nicht gibt.)

10.50 Uhr: Ankunft, Toni darf gleich reiten, es ist herrlich, wie immer.

12.00 Uhr: Alfredo, der Chef begruesst uns. Wir reden ein bisschen und kommen dann auf die Wahl zu sprechen. Und dann fuehren wir den Tanz auf, den man hier macht, wenn nicht klar ist, wofuer der andere ist. Wir einigen uns, dass es vor allem gut ist, nun eine Entscheidung zu haben, wie anstrengend das Warten war. Dann erzaehlt Alfredo, dass viele Suedamerikaner fuer Trump seien. „Er ist natuerlich dumm, aber einige seiner Ideen waren gut. Vor allem die Steuersenkungen.“ Ich frage nach, will mehr darueber wissen. Doch da lenkt Alfredo ein. „Das Beste an dem Ergebnis ist Kamala.“ (Ich nicke in wilder Zustimmung.) „So viele Menschen koennen sich mit ihr identifizieren. Sie koennte wirklich was veraendern.“

16.00: Eine Freundin postet ein Bild von ihrer Pilgertour zum Haus, in dem Kamala Harris hier in Berkeley aufgewachsen ist. Die Idee hatten anscheinend viele. „Wir sind Vize-Praesident“. Liebevoll wir hier von „Tante Kamala“ gesprochen.

16.30 Uhr: Wir treffen uns draussen mit Nachbarn zum Aufbau unseres Freilichtkinos. Einer bringt den Projektor, jemand anderes einen Klapptisch, ich das Verlaengerungskabel und Stuehle.

17.04 Uhr: Puenktlich geht die Sonne unter, so langsam koennen wir die Bilder auf der „Leinwand“ erkennen. Die 5 Kinder legen sich auf den Boden, die Erwachsenen sitzen und stehen mit Wein in der Hand. Es herrscht eine Vorfreude wie zu Weihnachten.

17.30 Uhr: Endlich, Kamala betritt die Buehne. Sie spricht und mir rollen Traenen die Wange herunter. Vor allem, weil Toni neben mir sitzt und immer wieder sagt: „Wow, die ist gut. Die kann so toll reden. Und es stimmt alles. Keine Luegen.“ Und ich denke, wie ironisch es ist, dass 2020 eine Frau so weit kommt in der amerikanischen Politik. In dem Jahr, in dem die Beschaeftigungsrate von Frauen in den USA auf den Stand der fruehen 1980er gefallen ist. Weil Frauen zuerst gekuendigt werden. Weil Frauen selbstverstaendlich wegen der Kinder zu Hause bleiben, wenn alle Schulen geschlossen sind.

17.50 Uhr: Biden joggt auf die Buehne. Er sieht erstaunlich fit aus nach vermutlich zahlreichen schlaflosen Wochen. Und es tut so gut, eine versoehnliche, besonnene und in sich logische Rede zu hoeren. Es ist Balsam fuer meine Seele.

18.00: Zur Feier der Tages hat Peter Fleisch- und Apfelstrudel gebacken. Wir schmausen gemeinsam. Was fuer ein Glueck, dass wir unsere Bubble haben!

19.30 Uhr: Ab nach Hause, ab ins Bett. Ploetzlich bin ich hundemuede. Es ist eine ueber Wochen angestaute Erschoepfung, die sich Bahn bricht.

21.00: Ich schlafe noch vor den Kinder ein und selig bis 7.30 Uhr am naechsten Morgen. Denn 8.00 muss ich nach Fremont zu meiner Gemeinde fahren zum open-air Gottesdienst. Der Spuk ist zwar noch nicht vorbei. Aber das Ende ist in Sicht.

Nach dem Gottesdienst erzaehlen mir viele Gemeindeglieder, wie gut sie letzte Nacht geschlafen haetten. Wie energetisiert sie ploetzlich seien. Die unproduktivste Woche des Jahres 2020 hat ein Ende! Let’s roll.

5. November

8 Uhr: KEINE Veraenderung. Oh Mann, wofuer schlaf ich denn 8 Stunden? Ein neuer Tag des Wartens beginnt.

9.10 Uhr: Gegen die Unruhe hab ich gestern mit Morgensport angefangen. 20 Minuten im Garten waehrend die Kinder Zoom meeting haben. Heute tut mir alles weh, ich kann weder laufen noch sitzen. Aber wenigstens lenkt mich das von der seelischen Belastung durch diese Wahl ab. Amerikaner essen vor Stress ganz viel, lese ich online. Und trinken zu viel. Ja. Da mach ich lieber Sport und humpel hernach rum.

10.30 Uhr: Bibelstunde mit der Gemeinde per Zoom. Wir geben uns Muehe, nicht ueber die Wahl zu reden. Schaffen es fast. So mancher hat nebenbei die Nachrichten laufen.

12.00 Uhr: In Minischritten gehen die Zahlen fuer Biden in Georgia und Pennsylvania hoch. Ich mach mir Sorgen um Nevada, Da wohnen zu viele Cowboys. Nette Leute und Hardcore Trumpwaehler.

13.00 Uhr: Ich texte meinen Nachbarn, dass der Champagner kalt gestellt ist. Sobald Biden gewinnt, sollen sie mit ihren Glaesern in unsere Einfahrt kommen. Tanzen ist erwuenscht.

18.00 Uhr: In Georgia ist nun Gleichstand!!

19.00 Uhr: Finanzkommittee tagt, wir stellen den Haushalt fuers neue Jahr auf. Ich weiss, dass mind. 1 ein echter Trumpfan ist. Entsprechend bete ich am Ende neutral fuer Geduld und das Beste fuer die Nation. Da haben wir vermutlich unterschiedliche Ideen, wie das aussehen wird.

22.30 Uhr: Heute kommt nichts Neues mehr. Ich bewundere die CNN Kommentatoren, die 24h am Tag auswerten. Gute Nacht.

4. November

7.25 Uhr: Ich hatte meinen Wecker auf 8.30 Uhr gestellt. Um Rausch und Frust auszuschlafen. 7.25 Uhr schreckte ich hoch. Stand auf, holte mein Telefon und sah die Nachrichten. Vorsichtige Hoffnung gepaart mit grosser Angst. Und die Erkenntnis, dass die Demokraten den Senat nicht mehrheitlich gewinnen. Also wieder Schach Matt Situation, selbst wenn Biden gewinnt.

8.00 Uhr: Die Kinder wachen auf. Fragen nach dem Wahlergebnis. Theo sagt: Mama, wenn Trump gewinnt, gehen wir nach Deutschland, ja? Toni aergert sich, dass sie nicht waehlen darf. Wir fruehstuecken, die Kinder gehen in ihre Zoom meetings. Und ich mache endlich, was ich mir seit Monaten vorgenommen habe: Ich geh raus in den Garten, tippe auf Youtube „workout ohne Geraete 20 Minuten“ ein und mache Sport. Nach 15 Minuten bin ich halb tot, nach 20 kann ich kaum noch stehen. Ein sicheres Zeichen, dass das hier unbedingt notwendig ist, am besten jeden Morgen. Oder wenigstens Montag bis Freitag.

Kurz bevor wir losfahren wollen ins Camp, faellt mir ein, dass ich den Kindern kein Lunch gepackt hab. Krise bei beiden. Sie duerfen sich jeweils 3 Muesliriegel einpacken. Damit sind sie beruhigt. Schnell noch Brote geschmiert (Toni selbstgebackenes Roggensauerteigbrot mit Salami, Theo „amerikanisches Brot“ = Toast mit Nutella), Bananan, Wasser, Masken, LOS!

10.20 Uhr: Kinder viel zu spaet abgegeben. Und nun schalte ich das Radio ein. Hoere, dass Trump um 9% an Zustimmung bei Latinowaehlern gewonnen hat. WAAAAS? Mit seiner ganzen Hassrede gegen Immigranten und Mexikaner und, oh Mann. Zu Hause angekommen, bleibe ich im Auto sitzen und lese. Abwechselnd CNN, NY Times, Facebook, ABS News. Ich fuehle mich manisch, getrieben, halte die Unwissenheit nicht aus. Traenen steigen mir in die Augen vor Wut, dass dies ueberhaupt ein knappes Rennen ist. Und nicht eine drastische Niederlage fuer Trump.

11.45 Uhr Biden gewinnt Wisconsin. Ich atme tief durch. Steige aus dem Auto. Kopf hoch. Die Chancen stehen gut. Biden braucht nur noch Nevada und Michigan und Arizona. Fuer die magischen 270 Stimmen.

12 Uhr: Ich versuche, mich auf Weihnachten zu konzentrieren. Auf die Planungen fuer die Adventszeit. Irgendwas schoenes. Dann koch ich Spaghetti, hilft alles nix.

12.45 Uhr: Philipp und ich essen in herrlichster Sonne im Garten. Ploetzlich hoeren wir Hupen in der ganzen Stadt. Haben wir was verpasst? Ich springe auf, checke CNN. Komischerweise seh ich da immer als erstes die Warnung, dass Grosstiere vom Aussterben bedroht sind. Hat das was mit der Wahl zu tun? Nee, nichts verpasst. Dann die Nachricht: Michigan faellt zu Biden. 253 Stimmen hat er damit. Noch 17 braucht er. Und dann spricht Biden. Wie ein Praesident, besonnen, zur Einheit aufrufend, so ganz normal. Es ist traumhaft. Nur noch Nevada und Arizona muessen nun fuer Biden gestimmt haben. Dann ist es geschafft. Ob mit oder ohne Pennsylvania. Ein Thriller ist nichts dagegen.

13.50 Uhr: Ein Freund schreibt mir, wir haetten nun die Phase der russischen Roulette begonnen. Trump will in den Swingstates, die er verloren hat, die Stimmauszaehlungen juristisch anfechten. Das irre Spiel geht weiter. Ich frage mich, wie Amerikaner diesen Nervenkitzel alle 4 Jahre seelisch und moralisch durchhalten. Es ist der politisch schlimmste Ausnahmezustand meines Lebens. Und ich verstehe erstmals wirklich, warum so viele Menschen so erschoepft sind vom Dialog mit der jeweils anderen Seite. Das Land ist so tief gespalten. So tief, dass Trump nach 4 katastrophalen Jahren mehr Zustimmung hat als zuvor (in absoluten Zahlen, weil dieses Jahr mehr Menschen gewaehlt haben).

14.30 Uhr: Ich schreibe Predigt fuer Sonntag, versuche es jedenfalls. Dies ist der emotional anstrengendste Tag sein langem.

16.30 Uhr: Beim Predigt schreiben hab ich nur alle 5 Minuten die Updates gecheckt. Ab, Kinder holen.

18 Uhr: Abendessen, wir entspannen uns kurz. Die Kinder muessen Hausaufgaben machen.

19.30 Uhr: Happy Hour meiner Gemeinde per Zoom. Thema ist Sport und Umzug. Alle geben sich Muehe, nicht ueber die Wahl zu reden. Bis wir es dann doch tun. Uns unsere Stresslevel und Schlaflosigkeit eingestehen. Eine hat sich extra heute frei genommen, um die Auszaehlungen verfolgen zu koennen. Bei allen steht der Sekt kalt. Wir sind uns einig, zur Not wird der morgens um 8 Uhr getrunken. Wann immer die erloesende Nachricht kommt. Der Krimi geht schon viel zu lange. Klar, vorher hatten uns alle gewarnt, dass es Tage dauern wuerde. Aber da wusste ich noch nicht, wie sehr das meinen Alltag bestimmen wuerde. Ich fuehl mich quasi arbeits- und denkunfaehig. Nicht schoen.

21.30 Uhr: Ich starre auf die Zahlen, unveraendert 253 zu 213. Was braucht Nevada bitte so lange. So wenige Stimmzettel koennen doch nicht so lange dauern. Philipps Theorie: Die haben zu wenig Wahlhelfer, weil da eh kaum jemand wohnt. Georgia wird langsam so eng, dass Biden ne Chance hat. Arizona scheint stabil zu sein. ZAEHLT SCHNELLER! UND GENAU! ICH KANN NICHT MEHR!

22 Uhr: Ich geh ins Bett und les noch mein neues Buch: Red State Christians. Understanding the Christians who voted for Trump. Fuer die Zukunft, wenn wir wieder miteinander reden, hoffentlich.

3. November 2020

7.45 Uhr: Endlich. Endlich ist dieser Tag da. Auf den ganz Berkeley seit 4 Jahren wartet. Und ich bin muede. Vom Umfragen lesen der letzten Wochen. Von der Politik der letzten Jahre. Von den Debatten der letzten Monate. Vom Unsinn hoeren und lesen. Von der Untergangsstimmung. Von der echten Sorge. Von der Angst um meine Freunde, die nicht ins idyllische Bild vieler Republikaner passen.

8 Uhr: Aufstehen. Kinder wecken. Fruechstueck machen. Kinder vor Zoom setzen, durch Facebook scrollen. Meine Freunde sind fertig und besorgt. Manche haben sich extra frei genommen, um den ganzen Tag in der Natur zu verbringen. Um nicht durchzudrehen. Die meisten haben schon vor Wochen gewaehlt.

9.50 Uhr Kinder ins Waldcamp fahren. Auf der Rueckfahrt Radio hoeren. Ein Reporter empfiehlt, heute Abend nicht zu viel Zeit mit ersten Zahlen zu verbringen. Sie werden kaum was aussagen. Morgen frueh koenne man ja mal in Ruhe die Nachrichten checken. Gute Idee, denke ich.

10.30 Uhr Beim Einbiegen in meine Strasse sehe ich eine Nachbarin. Ich halte kurz an, kurbele das Fenster runter. „Wie geht es dir?“, frage ich. „Ich bin so unruhig. Gerade hab ich meinen Sohn in die Krippe gebracht und danach musste ich erstmal eine Stunde spazieren und Weinen, meine Aengste loswerden.“, berichtet sie. Sie erzaehlt, sie habe viel Polizei gesehen auf ihrem Weg. Im ganzen Land ist die Polizei in Bereitschaft. Wir waehnen uns hier sicher im Falle von Ausschreitungen. Die finden normalerweise (krass, dass ich das so sagen kann, aber nach dem Sommer haben wir etwas Erfahrung damit) in San Francisco und Oakland statt.

Wir tauschen unsere alkoholischen Plaene fuer die naechsten Tage aus (Wein in Mengen, sie Rum, ich Whiskey) und ich bringe ihr ein Stueck selbstgebackenen Kuerbis-Cheesecake vorbei. Man braucht schliesslich Auswahl beim Panikessen in den naechsten Tagen.

11 Uhr: Bibelstunde mit meinen Kollegen. Das Evangelium ist die Geschichte der weisen und toerichten Jungfrauen. Na super, unpassender kann ein Text echt nicht sein. Spaltung und Gericht und Weltuntergangsstimmung pur. Das brauchen wir nun wirklich nicht noch im Gottesdienst zu hoeren. Das haben wir schon im Alltag rauf und runter. Ich werde diese Woche noch mit dem Text hadern und ihm die Gute Nachricht abringen. Vielleicht doch genau das, was ich jetzt brauche.

12 Uhr: Ich versuche, Gebete fuer Sonntag zu schreiben. Mein Kopf ist leer. Wie soll ich denn heute wissen, wie morgen oder uebermorgen dieses Land aussieht? Oder die Welt? Freunde schreiben mir aus Deutschland, fragen, wie hier die Lage ist. Ich denke, sonnig, herrlich, eigentlich. Total verrueckt, andererseits.

12.20 Uhr: Ich telefoniere mit meinem Organisten, wir besprechen die Musik fuer Sonntag. Auch er ist gestresst. Derweil arbeiten mehrere Pastoren und der Bischof meiner hiesigen Landeskirche gerade als Wahlhelfer. Ich wollte das auch, aber ohne Green Card geht das leider nicht.

13.15 Uhr: Freunde schreiben, fragen, ob wir heute Abend zusammen fernschauen. Ich lehne erst ab. Will meinem Vorsatz treu bleiben. Sie ueberzeugen mich, dass ich mir diese amerikanische Erfahrung nicht entgehen lassen darf. Inklusive Cocktails. Ich gebe nach. Ab 20 Uhr also Wahnsinn.

14 Uhr: Ich lese 15 Kommentare zu den Jungfrauen und bin noch immer wuetend auf diesen Text. Aber es hilft, Gedanken zu ordnen. Ich hab einfach den besten Beruf der Welt!

15.30 Uhr: Ein Gemeindeglied ruft mich an, sie koordiniert das Maskennaehen unserer Gemeinde. Bisher wurden knapp 4000 Masken verschenkt. Sie ist die Erste heute, die die Wahl nicht erwaehnt. Bis wir dann doch drauf zu sprechen kommen, weil eine andere sehr aktive Dame unserer Kirche Wahlhelferin ist.

16.30 Uhr: Ich fahre los, die Kinder abholen und schalte extra auf Musik um, bitte keine Nachrichten!

17.30 Uhr: Mein Gottesdienst-Team trifft sich ueber Zoom. Als ich einschalte, hoere ich den Fernseher laufen. Bitte, ausschalten! Sie schaltet ihn leise. Ich kann mich sonst nicht konzentrieren. Der Adrenalinspiegel steigt merklich. Was, wenn? Und was, wenn nicht? Werden radikale Trumpanhaenger Terror verbreiten? O Mann…

19 Uhr: Abendessen mit den Kindern.

20.45 Uhr: Kinder liegen im Bett, nun aber nichts wie rueber zu unseren Freunden. Der TV-Wahnsinn kann beginnen. Auf dem Weg lesen wir erste Nachrichten. Ich kriege Panik. Mein Adrenalinspiegel steigt. Mein Herz pocht hektisch. Trump scheint zu fuehren. Das kann doch nicht wahr sein.

20.50 Uhr: Wir sind bei Peter und Nicole angekommen. Pflaumenschnaps oder Whiskey oder Rum? Pflaumenschnaps. Richtig guter. Das hilft gegen das Herzrasen. Wir gucken NBC und ABC abwechselnd. Beide gelten als relativ mittige Sender. Zwischendurch checken wir NY Times und CNN. NY Times ist immer etwas hoffnungsvoller fuer Biden. Das brauchen wir, auch wenn es nicht sicher ist. Egal. Man haengt sich an jeden Strohhalm. Nach dem 1. Glas Schnaps will ich nur noch heulen. Also trink ich ein 2. Jetzt geht es besser. Peter lacht nur noch hysterisch. Nicole ist genauso panisch wie ich. Was, wenn? Seit Monaten reden wir Liberalen davon, dass wir die Spaltung ueberbruecken und Wunden heilen muessen. Mit Biden als Praesident. Kann ich Spaltung ueberbruecken mit Trump als Praesident? Kann ich mir gerade nicht vorstellen. Schock ueber die knappen Rennen, selbst in Staaten, die Biden gewinnt. Ca. 50% der Amerikaner haben fuer Trump gestimmt, soviel ist klar. Hoffentlich nur 48-49%. Und dennoch, fast die Haelfte der Bevoelkerung. Ich kann es nicht fassen. Obwohl ich es eigentlich haette wissen muessen.

Biden spricht. Er sieht muede aus, bleibt ruhig und besonnen und hoffnungsvoll. Alles, was wir gerade brauchen.

Jetzt kommt Trump. Er wirkt wie auf Beruhigungsmitteln. Nennt Statistiken rauf und runter. Ich kann kaum folgen. Behauptet, es sehe fantastisch aus fuer ihn. Obgleich er zu dem Zeitpunkt 8 Wahlmaenner hinter Biden liegt. Aber er wirkt entspannt. Wir wollen schon wegschalten. Er scheint gut gebrieft worden zu sein, sich im Zaum zu halten. Und dann passiert es doch. Er behauptet, die Wahl sei korrupt. Fordert, dass das Auszaehlen der Stimmzettel beendet werde sollte um Mitternacht. Und dann ernennt er sich selbst zum Sieger der Wahl. Egal, wie sie ausgeht. Alles geht so schnell, dass wir erst nicht sicher sind, ob er es wirklich gesagt hat. Hat er. Wirklich. Und Millionen Amerikaner schauen zu. Wer wird als Erstes gewalttaetig auf den Strassen?

23.30 Uhr: Wir verabschieden uns alle und gehen schlafen. Ich bin ploetzlich so muede. Biden fuehrt, schnell einschlafen, bevor sich das aendert. God bless America! Aber ein bisschen ploetzlich!