Eindruecke aus dem brennenden Land

Heute rief mich Mama an und fragte „Na, wie geht es euch?“ Ich musste erstmal ne halbe Minute lang ueberlegen. Auf welcher Ebene sollte ich antworten?

Eigentlich geht es uns gut, alles beim Alten. Alle sind zu Hause, die Kinder hassen ihre Zoom meetings, Lernen ist ein Krampf, Philipp und ich arbeiten zu abenteuerlichen Zeiten, aber hey, das Wetter ist gut, der Garten warm und wir koennen an den Strand und in den Wald.

Die Ausgehbeschraenkungen herrschen nun seit ueber 80 Tagen, keine Lockerungen in Sicht. Es ist immer noch offiziell illegal, sich mit Menschen ausserhalb des eigenen Haushaltes zu treffen. Spielplaetze sind weiter geschlossen, Kitas bieten nur Notbetreuungen. Maskenpflicht herrscht, klar.

Die Coronafaelle steigen weiter an trotz allem. Es ist zum Weinen. Nichts bessert sich. Die Hoffnung schwindet langsam. Aber an all das hatten wir uns fast schon gewoehnt.

Seit letzter Woche gibt’s taeglich neue Hiobsbotschaften. Das Land protestiert. Zu Recht. In den vergangenen 3 Monaten wurden mindestens 4 Schwarze von der Polizei getoetet bei Festnahmen. Statistisch stirbt 1 von 1000 schwarzen Maennern an Polizeigewalt in den USA. Seit 2017 BlackLivesMatter begann, hat sich systemisch wenig veraendert. Alle sprechen von Chancengleichheit und davon, keine Hautfarbe zu sehen. Aber dann werden eben doch die schwarzen Journalisten/ Demonstranten/ Fotografen festgenommen.

In allen mittelgroesseren Staedten wird taeglich demonstriert und leider auch randaliert. In den ersten Tagen wurde dem viel Verstaendnis entgegengebracht, weil alle die Wut verstehen. Inzwischen kippt die Stimmung. Interessanterweise sind es fast immer Weisse, die gewalttaetig werden. Nun steht das gesamte Land unter Ausgehsperre von 20 Uhr bis 5 Uhr. So etwas gab es das letzte Mal in den 1960ern. Wir erleben hier gerade die heftigsten Unruhen seit der Civil Rights Bewegung. Und einen Praesidenten, der Oel ins Feuer schuettet, die Opfer benutzt fuer seine Zwecke und gerade eben anegkuendigt hat, die Armee zu mobilisieren gegen gewaltvolle Demonstranten. Viele finden das gut.

Die Gewalt wird von wenigen Radikalen veruebt, z.T. von Rechtsradikalen, die die Situation ausnutzen, um das Land ins Chaos zu stuerzen (und den Demonstranten daran die Schuld zu geben). Es ist ekelhaft und beangstigend. Und so viele Menschen rufen nach einem starken Fuehrer. Trump hat das gehoert und sich heute als „Law and Order“ Praesident praesentiert. Das Schlimmste: Es koennte sein, dass diese Proteste zu seiner Wiederwahl fuehren.

War ich demonstrieren? Bisher nicht, aus purer Angst. In Oakland wo die groessten Proteste in unserer Naehe stattfinden, wurde ein Polizist erschossen. Laeden brennen, viele haben vorsichtshalber nun auch tagsueber geschlossen. Als Auslaender koennen wir ausserdem sehr schnell des Landes verwiesen werden im Falle einer Verhaftung. Und verhaftet wird hier wie verrueckt.

Hm, was noch?

Achso, den Schulen wurden 10% ihres Budgets gestrichen fuer naechstes Schuljahr und die oeffentlichen Schulen bleiben also fuer naechste Schuljahr weiterhin online – also zu. Es ist eine soziale und Bildungskatastrophe, die sich anbahnt. Und die Eltern reagieren gut amerikanisch: jeder sucht nach individuellen Loesungen fuer seine Kinder. Die Reicheren melden ihre Kinder auf Privatschulen an. Andere starten homeschooling mit Lehrern und kleinen Gruppen. Wieder andere wollen selbst unterrichten oder kleine Gruppen mit Freunden formen. Alles schoen und gut. Aber keine Loesung fuer alle.

Berkeley hat fantastische oeffentliche Schulen fuer alle. Gerade setzten sie sie aufs Spiel. Denn die Familien werden ihre Kinder nicht in 1-2 Jahren zurueckschicken von den Privatschulen. Und damit werden viele leistungsstarke Schueler langfristig dieses oeffentliche Schulsystem verlassen.

Ich habe heute mal eine Email an unsere Elternvertretung geschrieben, keine Reaktion. Bin gespannt, wann der Erste reagiert. Oder ob sie es einfach laufenlassen unter dem Deckmantel der Sicherheit vor dem Coronavirus.

Also, wie geht es uns? Keine Ahnung. Wir sind sicher, wie sind gesund, wir haben Sommerwetter, das Wasser ist badewarm. Ansonsten fuehle ich mich ehrlich gesagt emotional vollkommen ueberfordert. Ein Freund von mir meinte gestern zu mir: Verlass das Land solange es noch geht. Er wohnt an der kanadischen Grenze und hat angeboten, uns zur Not auch rueberzupaddeln, wenn es irgendwann sein muesste. Natuerlich war das alles scherzhaft gemeint, Vielleicht auch nicht.

Falls ihr betet, betet fuer dieses Land. Falls nicht, schickt gute Gedanken. DANKE!