Beten nein, Segnen ja

Mein Seelsorgebesuch bei M. war aus einem weiteren Grund besonders. Ihre Tochter hatte mir erzählt, wie gern M. früher in den Gottesdienst gegangen war. Als gute Pastorin dachte ich mir: Also bete ich mit mir und segne sie am Ende samt Öl.

Irgendwann im Verlauf des Gesprächs dachte ich, „So, jetzt biete ich mal ein Gebet an. Ganz vorsichtig.“ Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, schüttelte sie heftig den Kopf und sagte in bestem Denglisch: „Nein, Beten messed alles up.“ Es folgte eine wirre Geschichte, die ich nur halb verstand. Es ging um Pater und Jungs und Missbrauch. Klassenkameraden ihres Sohns hatten das in San Francisco erlebt.

Klare Ansage. Die konnte ich natürlich nicht ignorieren. Diese Frau nahm Beten ernst. So ernst, dass es ihr Angst machte. Gleichzeitig wusste ich, wie sehr sich die Tochter etwas „kirchliches“ wünschte, sie ist katholisch.

Kurz bevor ich gehen wollte, unternahm ich meinen zweiten Versuch, etwas „amtliches“ zu tun. Ich reichte ihr das Salböl, ließ sie daran riechen, fragte, ob ich sie segnen dürfe. Und plötzlich wurde sie ganz still. Ihr Blick heftete sich erwartungsvoll auf mich, ihre Hände ruhten, die Beine entspannten sich. Meine Hände lagen auf ihrem Kopf, spürten die Wärme und die Haare. Wir sahen uns an. Und plötzlich war es da, das Geschenk des Segens. In einem Moment des Vertrauens und Friedens.

Als ich wieder aufsah, hatte die Tochter Tränen in den Augen. „Das war etwas ganz Besonderes. Ich kann es nicht beschreiben.“ Ich nickte nur.

Auf der Rückfahrt brachte sie es herrlich pragmatisch auf den Punkt. „Wenn ich etwas besonders Tolles verkauft habe, dann fühle ich mich richtig gut und wertgeschätzt. Ich hoffe, dir geht es gerade so.“ Schönes Bild. Ich, die Maklerin, „verkaufe“ Gottesbegegnungen – kostenlos, nicht umsonst.

Wenn die Demenz das Englisch auffrisst

Als Seelsorgerin besuche ich natürlich auch Gemeindeglieder und Freunde der Gemeinde (also die, die keinen Beitrag zahlen). Eine Frau bat mich, ihre Mutter zu besuchen. Sie sei dement, es ginge stetig bergab, sie wisse nicht, wie lange sie noch ansprechbar sei.

Also nahm ich den Zug, wurde dann von ihr abgeholt mit dem Auto und kam nach einer guten Stunde in ein Altenheim. Komplett dekoriert im Stile der 1950er. Also zu Zeiten der Jugend der jetzigen Bewohner. Viel Tünneff, aber schnuckelig.

Im Fernsehzimmer auf der Demenzstation lief eine Verkaufsshow, die Bewohner löffelten Eissoße oder wurden gefüttert. M. saß apathisch in ihrem Rollstuhl, reagierte nicht auf ihre Tochter oder mich. Also baten wir einen Pfleger, sie ins Zimmer zu fahren, damit wir ungestört wären.

Es würde ein Gespräch zu Dritt sein. Eigentlich ein No-Go in der Seelsorge. Aber ich brachte es nicht übers Herz, die Tochter rauszuschicken. Zugleich kämpfte ich gegen die Versuchung, mehr über M. zu reden als mit ihr. Und nach und nach geschah das Wunder. M. führte ein Gespräch mit mir. Auf deutsch. In erstaunlich klaren Worten, teilweise Sätzen oder gar Geschichten. Ich sang ihr mit verschnupfter Stimme „Geh aus mein Herz“ vor und sie bat mich, weiterzusingen. Sie hielt mich für ihre Schwester, umfasste meinen Arm und entspannte sich.

Ihre Tochter kämpfte derweil mit ihren Emotionen. So unfassbar war, was sie erlebte. Ihre Mutter sprach wieder, nannte sie mit Namen, reagierte. Ich könnte es meinen magischen Seelsorgefähigkeiten zuschreiben. Vermutlich war es einfach die deutsche Sprache. M. redete ausschließlich von Dingen, die 50 Jahre zurücklagen. Also in einer Zeit, in der sie kaum Englisch sprach. Sie hat ihr Englisch einfach vergessen. Ihre Tochter aber versteht zwar Deutsch, kann es aber nicht sprechen. Und so fehlt den beiden eine gemeinsame Sprache.

Ihr kümmert euch um Deutsch, wir um Englisch

Wie wohl jede Familie, die im Ausland lebt, stellt sich für uns die Frage: Wie fördern wir unsere Kinder bestmöglich? Sodass sie weiterhin Deutsch sprechen und schnell Englisch lernen? Wie immer bei Fragen der Kindererziehung sind die Meinungen bunt.

Immer wieder fragen mich Menschen: „Welche Sprache sprecht ihr denn zu Hause?“ Manche mit kritischem Unterton und entsprechend erstaunten, weit aufgerissenen Augen, wenn ich antworte „Deutsch“. „Gar kein Englisch?“ Ich: „Nein. Außer, wenn sie konkret fragen oder wenn sie fehlerhafte Worte oder Sätze mitbringen. Die korrigiere ich dann.“ Aufatmen beim Gegenüber. „Aber würde es ihnen nicht helfen, wenn ihr mit ihnen Englisch sprächet?“ Verständnisvolles Lächeln meinerseits: „Vielleicht am Anfang. Langfristig ist es mindestens genauso wichtig, dass sie gutes Deutsch sprechen.“

Andere Immigranten oder Amerikaner in 2. Generation hingegen sprechen mich auf dem Spielplatz oft lobend an. Wie gut es sei, dass wir unsere Sprache pflegten und wie wichtig. Viele haben erlebt, wie die Sprache ihrer Heimat, ihrer Eltern und Großeltern verloren gegangen ist.

Trotzdem bin ich immer mal wieder verunsichert, was gut und richtig ist (sonst wäre ich ja keine Mutter). Also fragte ich in der Kita nach, wie Theos Englisch sich entwickle. Die Antwort: „Super.“ Entschuldigend fügte ich hinzu, dass wir zu Hause kein Englisch sprächen. Nur Filme grundsätzlich auf Englisch schauen. Daraufhin die Lehrerin: „So ist es perfekt. Ihr kümmert euch um Theos Deutsch, wir uns um sein Englisch.“

Die Theorie dahinter ist einleuchtend. Kinder müssen sprechen lernen, ihren Wortschatz erweitern, ihre Ausdrucksmöglichkeiten erkunden. Egal in welcher Sprache. Ein Kind, dass in einer Sprache komplizierteste Sätze formuliert, Reime bildet und Synonyme kennt, wird auch in allen anderen Sprachen seines Lebens den Wunsch haben, sich ebenso eloquent ausdrücken zu können.

Dass zu Hause Englisch gesprochen wird, erwarten hier weder Schule noch Kita. Dass Kinder auch in der Schule in ihrer Muttersprache miteinander sprechen wird unterstützt. Ein Migrationshintergrund wird grundsätzlich als Geschenk und Chance angesehen. Nicht als Nachteil. Das geht soweit, dass amerikanische Eltern ihre Kinder auf spanische Schulen schicken. Damit sie auch möglichst früh eine Fremdsprache erlernen. Wie die Mehrheit ihrer Freunde hier in Berkeley.

Letzte Woche fragte Toni mich: „Mama, ich spreche so gern Englisch. Kann nicht einer von euch mit mir zu Hause Englisch sprechen?“ Ich atmete kurz durch und sagte dann im besten Brustton der Überzeugung: „Nein. Wir sprechen zu Hause Deutsch.“

Exploratorium: STEM für alle!

Einige Male im Jahr öffnet das Exploratorium in San Francisco seine Türen für „zahl soviel du kannst“. Die Tage sind bei mir im Kalender markiert, denn sonst kostet ein Ticket $30. Das ist dieses Museum auch wert (wenn man das Geld hat). Eine riesige Halle voller Experimente. Wie TechniQuest in Cardiff, Wales. Bei mir hat die kindliche Prägung zwar zur Technikbegeisterung, aber leider nicht zu mehr Technikverständnis geführt. Vielleicht ist das ja bei T&T dank genetischer Vorbelastung anders?

Bewegte Bilder wie anno dazumal.

Irgendwie muss ich an den freien Museumstagen immer arbeiten. Und so bekam ich auch diesmal nur einen minimalen Einblick. Denn als ich kam, drehte Theo schon am Rad und Philipp war fix und alle.

Austoben gegen das Durchdrehen!

Also sah ich nur ein paar schockierende Highlights und erweiterte mein „Ich weiß was, was du nicht weißt“-Repertoire. Ein paar Auszüge:

In einem Terrarium lagen 5 tote Ratten in unterschiedlichen Verwesungsstadien (1 Woche bis 6 Wochen), die von Würmern aufgefuttert wurden. Bilder fürs Leben.

Reiner Kompost stinkt nicht und entwickelt eine Hitze, die man zum Heizen nutzen könnte.

Ich höre Töne erst ab 45 Hz und auch nur bis knapp 14.000. Wahrscheinlich bin ich irgendwann taub.

Man kann mit den Zähnen hören. Mit zugehaltenen Ohren. Weil Knochen Geräusche übertragen. Ziemlich irre.

Nebelschwaden fühlen sich an wie weiches Nichts.

Im September ist irgendwann an einem Donnerstag der nächste freie Mueseumstag. Da geh ich dann nur mit Erwachsenen ins Exploratorium! Oder allein. Hauptsache, ohne Kinder.

Hoch leben die Mütter

In Amerika ist alles ein bisschen größer. Entsprechend ließ ich mich einige Tage lang als Mutter feiern. Auch mal schön.

In Schule und Kita sollten die Kinder Karten schreiben und basteln. Also krickelte Theo erstaunlich ordentlich „Happy Mother’s Day“ und „I love you“ und „Theo“ auf seine Karte. Und diktierte zusätzlich „because you make cookies for me“. Ich fühlte mich geschmeichelt, meine Backkünste waren schon lang nicht mehr bewundert worden. Bis die Wahrheit zuschlug: Er meinte die Schokokekse der vergangenen Woche. Übriggeblieben in der Kirche. Erworben beim Großmarkt Costco. Fazit: Liebe ist eben doch käuflich.

Am Freitag lud die Kita alle Mütter und Großmütter zum „Mother’s Tea“ ein. Es gab Früchtetee aus Porzellantassen, Madeleines (Theo aß seine und meine), Blaubeeren, Erdbeeren und natürlich Cracker’n Cheese. Sonst wäre es ja keine amerikanische Teezeit. Jedes Kind hatte seiner Mutter Blumen gebastelt. Außer Theo. Seine Erzieherin erklärte mir: „Ich hab wirklich alles probiert, aber er wollte partout nichts basteln.“ Daraufhin ich: „Ich hab auch alles probiert, aber er wollte dir auch keine Karte basteln.“ Wir nickten verständnisvoll. An meinem Tisch standen stattdessen die von Theo am Morgen für seine Erzieherin gepflückten Blümchen vom Wegesrand. Schlauer Junge. Ein Strauß, zwei glückliche Frauen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Neben uns saß die Familie von Theos Freundin Kaylee-Jane. Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Kaylee und ihre Schwester in pompösen Tüllkleidern mit Fascinatern auf dem Kopf. Die Mama im Etuikleid, die Großmutter im pinken Traum samt Hütchen. Es herrschten Zucht und Ordnung. „Bei einer Teaparty muss man sich benehmen“, erklärte die ältere Dame. Ihrer Tochter waren so viele Manieren sichtlich unangenehm. Irgendwie verständlich inmitten einer Horde von Kitakindern. Die Familie ist im Herbst aus Texas hergezogen samt Oma. Für drei Jahre. Solange unterrichtet der Vater an der Uni angehende Offiziere. Texanische Militärangestellte also. Konservativer geht nimmer. Wie Kinder doch ihre Freunde ganz nach dem Geschmack der Eltern auswählen… Falls sie ihre Abendessenseinladung wahr machen, muss Theo krank sein oder sonstwie verhindert oder irgendwie ruhig gestellt.

Am Muttertag selbst übertrafen sich hier alle selbst. Um 8.00 bekam ich frischgebackene Pfannkuchen serviert, bevor ich 8.15 das Haus verließ (normalerweise esse ich Sonntags immer allein mein Brötchen, maximal von einer schläfrigen Toni Gesellschaft erhaltend). In der Kirche gab es Rosen für alle Damen (und für die Pastorin gleich 3, ist definitiv der beste Job der Welt). Der beste Ehemann der Welt buk mir eine Erdbeertorte, Toni malte Bilder (und sorgte dafür, dass Theo sich ausmalend beteiligte) und bastelte Papierblumen.

Nun muss ich nur fix die Weinflasche leeren, um eine angemessene Vase zu haben. Was tut man nicht alles.

Am 3. Sonntag im Juni ist Vatertag…

Deutsche in Amerika: lustig ist das Vereinsleben

Gerade bekam ich per WhatsApp eine Einladung zum Maifest der Naturfreunde in Oakland. Auf dem Programm stehen Tanz um den Maibaum, Schuhplattlern, Jodelwettbewerb und Schnitzeljagd. Alles bei Brezen, Bier und Würstchen. Mehr Klischee geht nicht. Mehr bairische Heimatverbundenheit auch nicht. Gut, dass ich Tonis und mein Dirndl eingepackt hab. (Toni trägt ihres eh ständig, sie liebt es so.)

Deutsche Vereine gibt’s hier seit es hier Deutsche gibt. Also seit dem Goldrausch ab 1848. Um 1900 waren 25% der Bevölkerung hier Deutsche. In San Francisco bildeten sie entsprechend große, sozial und politisch einflussreiche Vereinigungen. Ihre wichtigste Aufgabe: die gegenseitige Unterstützung im Notfall. Außerdem: Pflege von Tradition, Kultur und Sprache.

Dank der zwei großen Einwanderungswellen nach dem 1. und 2. Weltkrieg haben die Vereine immer noch viele deutsche Mitglieder. Die meisten Aktiven sind 80 und älter, also genauso wie in unserer Gemeinde.

Ihre Kinder haben teilweise die Leitung der Vereine übernommen. Sie sind heute um die 50-jährige Amerikaner. Deutsch verstehen sie teilweise noch, sprechen es kaum. Kulturell sind sie Amerikaner durch und durch. Sie kleiden und schminken sich entsprechend. Sie können stundenlang über Essen und Restaurants reden. Sie sind perfekt im Smalltalk. Nur eins verrät ihre elterliche Herkunft: Sie essen mit Messer und Gabel. Gleichzeitig. Amerikaner schneiden erst alles klein, legen das Messer weg, nehmen die Gabel in die rechte Hand und essen.

Beim festlichen Banquet des Schwabenvereins spielte eine urige 2-Mann-Band amerikanische Standards der 1950er. Also aus der Jugendzeit der meisten Mitglieder. Man schwofte herrlich im Paartanz, auch Philipp und ich versuchten uns. Da ich die Kurzandacht vor dem Essen hielt, waren wir geladene Gäste.

Sonst ist der Zugang zu den Vereinen teilweise exklusiv. Im Schwabenverein kann nur Mitglied sein, wer männlich ist UND einen schwäbischen Vater vorzuweisen hat. (Quasi wie bei den Muslimen. Den Vergleich fanden sie jedoch nicht so witzig…) Die Damen und Töchter haben ihren eigenen Verein. Söhne schwäbischer Mütter haben Pech.

Was ist hier Deutsch? Nicht das Essen. Nicht die Musik. Teilweise die Sprache. Vor allem wohl das Gefühl, zusammenzugehören, eine bestimmte Immigrationsgeschichte zu teilen: das Sich-Hoch-Arbeiten, die harten Kämpfe mit der englischen Sprache, der Umgang mit den Vorurteilen gegen Deutsche im Amerika der 1950er und 60er, das Gefühl „Ich habe es geschafft“. Dazu die Erinnerung an die Erinnerung an Kindheit/ Jugend/ erste erwachsene Jahre in Deutschland vor der Ausreise.

Das gleiche Bild beim Stammtisch der altehrwürdigen deutschen Unternehmer. Einmal im Monat treffen sie sich (im gleichen baskischen Restaurant wie der Schwabenverein). Man tauscht sich aus, der Präsident hält eine kurze Rede, der kürzlich Verstorbenen wird gedacht. Dann kommt das Highlight des Essens: Der „Kulturmops“ hält einen Vortrag, gespickt mit schmutzigen Witzen. Die „kalifornische Staatszeitung“ wird herumgereicht. Ein Wochenblatt, das leider oftmals so spät geliefert wird, dass alle Neuigkeiten veraltet sind. Aber in der Märzausgabe war ein Foto von Philipp und mir drin vom Schwabenvereintanz. Gutes Blatt!!!!

Den Alten bieten die Vereine Heimat und Großfamilienersatz. Die Jüngeren lieben die Folklore. Den meisten in den letzten 20 Jahren eingewanderten Deutschen hingegen bleiben die Vereine suspekt. Und so geht es den Vereinen wie unserer Kirche: Der Nachwuchs fehlt. Aber die Stimmung ist super! Ich freu mich schon aufs Sommerfest des Schwabenvereins!

Yoga im Garten, Kerzen auf der Treppe

Berkeley ist die Stadt der nachbarschaftlichen Vernetzung. Ob per „Nextdoor“ oder „Olio“-App oder auf der Facebookseite „Buy Nothing“, man hat das Gefühl, die Menschen breiteten ein großes Netz untereinander aus. Jedenfalls, solange man Internetzugang hat. Verschenkt oder verliehen wird alles Mögliche.

Vorletzte Woche z.B. schenkte mir jemand per App nagelneue Bluetooth-Kopfhörer. Sowas hatte ich noch nie. Weder mit noch ohne Bluetooth. Jetzt kann ich beim Zugfahren endlich Podcasts und Hörbücher hören, dank meiner Bibliothekskarte sogar kostenlos. (Nein, ich kann nicht einfach lesen in der Zeit. Ich muss nämlich zugleich mich und mein Rad festhalten.) Ein anderes Mal bekam ich eine Tüte mit Kerzen und Tee.

Manchmal treffe ich die Geberinnen, meist steht eine Tüte mit meinem Namen auf der Veranda oder im Vorgarten. Und da in Berkeley der Trend zum Ausmisten geht, verteilen die Leute Schätze ohne Ende. Für Theos Gabentisch brauchten wir lediglich ein Dinoskelettbastelset und ein Fahrrad (gebraucht) zu kaufen. Alles andere fand ich per App oder beim Vorbeifahren auf der Straße.

Letzte Woche wiederum erlebte ich meine erste Yogastunde (Mal abgesehen vom Schwangerschaftsyoga mit Wibi kurz vor Theos Geburt, bei dem ich nach wenigen Minuten Wibis Rückenmassage allen weiteren Übungen vorzog.) Bei Vogelgezwitscher lagen, standen, dehnten wir uns im Garten von Sher. Sie sei keine ausgebildete Lehrerin, aber praktiziere sowieso regelmäßig Yoga. Da bot sie einfach ihren Nachbarn an, mitzumachen. Die ganze Stunde war wie der Entspannungsteil nach getaner Arbeit beim Workout im Fitnessstudio in Hamburg. (Und das war der eigentliche Grund für meine Teilnahme).

Beim Yoga kann ich gleich mit dem Angenehmen beginnen. Die Gedanken kreisen lassen. Das Nachdenken sein lassen. Spüren. Beten. Sehen, wie fürchterlich steif ich bin. Und dann merken, dass mir das im Grunde genommen total egal ist. Beim nächsten Mal bin ich wieder dabei.

Studentenchöre: Grund, in Berkeley zu leben

Nichts gegen meinen wirklich guten Unichor in München. Er ist wirklich gut. Aber die studentischen Kammerchöre hier sind fantastisch. Fast schon ein Grund, hier zu studieren.

8 Laien-Formationen proben 1-2x die Woche. Unter ihnen eine A-capella-Gruppe a la Comedian Harmonist. Dazu das Damen-Pendant. Eine Rennaissancegruppe. Eine Musicalgruppe (da wäre ich definitiv drin gewesen). Eine Jazzformation. Am letzten Probenmontag meines Uni-Alumni-Chores gaben die Studis ein exklusives Minikonzert für uns. Wir stellten das Essen. Jede Gruppe sang ein Highlight aus ihrem Programm. Danach wurden die Graduates geehrte und Preise verteilt.

Auszeichnungen gibt es hier ja vielfach. Ein Foto der „Kassiererin des Monats“ hängt gleich am Eingang des Supermarkts. „Mitarbeiter des Jahres“ zu werden ist ein echtes Ziel.

Am Ende des Abends sangen wir für die Studis. Nach der gehörten Perfektion leider eher peinlich. Unser Chor hat zwar eine anspruchsvolle Aufnahmeprüfung, aber wer einmal drin ist, kann bleiben bis er stirbt.

Leider nähert sich das Semester seinem Ende entgegen. Lediglich einen Musicalabend erwische ich noch. Zwischen Juni und September werden die meisten Studis die Stadt verlassen (ein bisschen wie in Cluj im Sommer), es gibt so gut wie keine Uniangebote. Aber im kommenden Herbst werde ich die (kostenlosen) Konzerte der Studis besuchen. Weil sie wunderbar sind.

Theo, Held der Phrasen

Jeder lernt Sprachen auf seine eigene Weise. Das gilt anscheinend schon für Kinder.

Toni scheint eher der visuelle Typ zu sein. Am schnellsten lernt sie, was sie einmal geschrieben hat. Schreiben ist inzwischen zu ihrem Lieblingsfach in der Schule avanciert. In den Spielstunden schreibt sie freiwillig Texte ab. Auf diese Weise lernt sie peu a peu Schreiben, Lesen und Englisch. Jeden Tag 2-4, zum Teil selbst konstruierte, Sätze.

Was Toni nur hört, kommt teilweise in lustigen Variationen zu Hause an. „Mama, good leg!“, ruft sie und streichelt ihr Bein. Ich bin irritiert, erkläre, dass es „Good luck“ heißt. Wir diskutieren eine Weile, Toni bleibt stur und einigen uns schließlich darauf, dass beides geht. Eben in unterschiedlichen Situationen.

Theo hingegen ist eine wandelnde Phrasenbox. Er baut im Gegensatz zu seiner Schwester kaum eigenständig Sätze bisher. Aber er wirft mit Sätzen um sich, wann immer es geht. „I can fix that.“, sagt er ruhig während ich koche. Ich schaue ihn fragend an. „Weißt du, was das bedeutet?“ – Kopfschütteln. „Come on everybody, let’s go.“ „What are you doing/ making?“ „Line up.“ „It’s my turn.“ „Here we go.“ „Stay here.“ „You can do it. Way to go.“ Sein Kindergartenalltag spiegelt sich in der Sprache.

Nur einmal hat er uns explizit nach Vokabeln gefragt. „Mama, was heißt kneifen auf Englisch?“ – „Pinch“. „Und hauen und treten und beißen und schlagen und schubsen und spucken?“ – „Theo, wofür brauchst du all diese Worte?“ – „Na, ich muss doch genau sagen können, was passiert ist, wenn mich jemand ärgert.“ Stimmt.

Ostern bei den Episkopalen

Orthodoxe Liturgie und lutherische Theologie = die episkopale Kirche. Wäre ich hier aufgewachsen, das wäre wohl die Konfession meiner Wahl gewesen.

Zur Osternacht besuchte ich einen Gottesdienst in der St. Marks Kirche in Berkeley. Freunde von mir singen dort im Chor, also würde ich nicht ganz allein sein. Natürlich kam ich etwas zu spät – und fand die Kirche leer vor. Mist, falsche Kirche, dachte ich. Oder eine nicht upgedatete Website. Da sprach mich eine Dame an. Der Gottesdienst beginne im Innenhof. Und dort standen sie alle, mit Kerzen in den Händen und einem Lied auf den Lippen. Ich ließ mich fallen in die Atmosphäre und folgte der Menge in die Kirche. Ein Blick ins Programmheft ließ mich kurz erschaudern. 16 voll bedruckte Seiten und ich hatte noch kein Abendbrot gegessen.

Die Schönheit der Musik und Texte, dazu der Duft nach Weihrauch und Kerzen ließen mich Raum und Zeit vergessen. Es war wie im orthodoxen Gottesdienst, nur ohne Rückenschmerzen, weil mit bequemen Kirchenbänken. Und mit ordinierten Frauen im Altarraum. Gekleidet in goldene Brokatgewänder. Selbst das Evangelium wurde gesungen. Traumhaft.

Dann wurde eine erwachsene Frau getauft. 3 Seiten Namen von Heiligen im Programm. Gesungen von einem wunderbaren Bariton. Dabei prozessierte die gesamte Gruppe samt Kreuz durch die Kirche. Bis sie just beim letzten Namen beim Taufbecken ankam. Die ersten 20 Namen lang überlegte ich, was ich theologisch davon halten sollte. Die nächsten 20 Namen lang las ich mir alle durch, aus reinem Interesse. Weitere 20 Namen lang beobachtete ich alles ganz genau. Bis ich schließlich einstimmte in den Ruf „Bete für uns“.

Bei der Taufe wird ein Mensch an Gott gebunden und damit Teil einer Gemeinschaft von lebenden, verstorbenen und zukünftigen Christen. Er hat Anteil am Heiligen und wird damit selbst heilig. Nicht perfekt, nicht besser als andere, sondern heilig. Das betone ich bei jeder Taufe. Hier wurde es sinnbildlich vor Augen geführt. Die aufgezählten Heiligen sind für mich keine abgeschlossene Liste der „besten“ Christen. Sie stehen stellvertretend für alle Heiligen dieser Welt. Für alle, die mit Christus in der Taufe gestorben und auferstanden sind.

Und dann kam das Beste! Die Auferstehungsfreude in Form eines meiner orthodoxen Lieblingslieder. Ich kannte es bisher nur auf Rumänisch: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“ Mein persönlicher Osterschlager.

Hier saß ich, hungrig und müde nach über 2 Stunden Gottesdienst. Als plötzlich das Lied auf Englisch erklang. Aus allen Ecken bewegte sich der Chor gen Altar und sang in zigfachen Wiederholungen von Christi Sieg. Zwei Reihen vor mir begann eine Frau rythmisch zu stampfen. Dann der Mann hinter ihr, dann noch wer, schließlich sang und stampfte die ganze Kirche: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“