Virtuelles Lernen – Ein Hoch auf die Schulen in Berkeley

Seit nunmehr 5 Wochen werden die Kinder regelmaessig, gezielt und durchdacht virtuell unterrichtet und mit Lernstoff versorgt. Und ich muss sagen, es ist fantastisch. Mal abgesehen davon, dass die Kinder wenig Lust aufs Lernen haben.

Theo hat 3x, Toni 4x pro Woche Zoommeetings mit der Lehrerin und der Klasse. In 45 Minuten schaffen die Lehrerinnen es tatsaechlich, den Kindern effektiv was beizubringen. Toni hat letzte Woche die Uhr gelernt, dazu den Laut „ph“. Sie hatte 30 Minuten Gaertnern mit Tipps fuers Beete anlegen, Insekten beobachten und Wuermer erforschen und 30 Minuten Musikunterricht samt lautem Singen, Rythmus klatschen… Theo hat alles ueber Regenwuermer gelernt, ein neues Buch gelesen und wichtige Worte wie „my“ und „hard“ schreiben gelernt.

Das klingt nicht nach viel? Nach 7 Wochen home-schooling ziehe ich den Hut vor diesen Lehrerinnen: Sie bringen den Kindern in 45 Minuten mehr bei als ich in 3 Tagen.

Richtig genial ist auch der Wochen-bzw. Tagesplan der Kinder. Dieser ist fuer den gesamten Schuldistrikt zentral gestaltet je Jahrgang. Alle Grundschullehrer arbeiten also zusammen. Heraus kommt ein Feinschmeckermenue, von dem wir uns a la carte aussuchen koennen. Taeglich gibt es eine wundervoll vorgelesene Geschichte samt Analysefragen, Sportvorschlaege wie Superhero-Yoga samt Video oder Taenze oder Fitnessplaene fuer die ganze Familie. Toni hat mich heute gezwungen, dass volle Programm durchzuarbeiten und mich lauthals angefeuert. „Mama, du kannst das, super gearbeitet. Richtig gut. Toll. Morgen wird es noch besser.“ Man merkt den amerikanischen Motivationsbombeneinfluss.

Jede Woche gibt es ein einstuendiges Kunstlernvideo mit so guter Anleitung, dass Toni mit 7 ein echtes Selbstportrait gemalt hat. Als naechstes ist das hier dran (https://drive.google.com/file/d/1ZgK3y3tBXiHOOT1uoznzNUWkMESMaiRq/view). Wer will, kann Floete lernen mit Lehrvideos. Oder Noten lesen lernen.

Die soziale Lernaufgabe der Woche lautete: In der Natur gibt es so viele tolle Farben. Denk diese Woche in deinem Tagebuch ueber Farben nach. Welche Farbe wuerdest du waehlen, um Traurigkeit zu illustrieren? Welche fuer Froehlichkeit? Fuer Frust? Fuer Aufregung? Loest eine Farbe noch andere Gefuehle bei dir aus? WOW! Ich musste fuer sowas erst ins Predigerseminar gehen. Toni und Theo lernen das mit 6 und 7!

Natuerlich darf auch Wissenschaft nicht zu kurz kommen in Berkeley. Diese Woche sollten sie ein Lichtschwert bauen (https://www.wikihow.com/Make-a-Light-Saber-Using-Everyday-Items), schliesslich ist Star Wars Woche (May the fourth be with you!) Es gibt ein ausfuerliches Matheproblem pro Woche und einige Webseiten, auf denen die Kinder Mathe und Lesen ueben koennen und die Lehrer ihre Ergebnisse dann sehen, bzw. das Lesen hoeren und kommentieren.

Jeden Freitag verschickt die Direktorin unserer Schule ein Video an die Kinder und eins an die Eltern mit ganz viel Liebe und konkreten Angeboten wie: Wenn es ihrem Kind schlecht geht, sagt mir Bescheid und ich ruf an oder komm vorbei mit viel Abstand oder schreib einen Brief. Es gibt woechentliche Lehrer-Eltern-Zoom meetings in den Klassen und ein woechentliches Counselingangebot fuer Eltern.

Und ja, alle Kinder haben Computer und Internet dank einer riesigen Investition in Leihgeraete und kostenloser Internetpakete fuer beduerftige Familien.

Unser einziges Problem ist, dass wir kaum hinterherkommen. Aber der Sommer wird ja noch lang genug bei 10 Wochen Ferien ohne Sommercamps und Urlaubsreisen…

Einkaufen zu Coronazeiten

Das Einkaufen hat sich drastisch veraendert in den letzten 7 Wochen, wie halt ueberall auf der Welt. Es begann mit Abstand halten ohne Masken vor 7 Wochen. Dann trugen wir Masken. Dann begannen alle Laeden damit, die Zahl der Kunden zu regulieren, es bilden sich also lange Schlagen vor den Laeden. Der 2m Abstand ist auf dem Boden gut sichtbar gesprayt. Dann wurden alle Einkaufswagen nach jedem Kunden desinfiziert und inzwischen verteilen viele Laeden sogar Einmalhandschuhe wahlweise in Groesse S, M oder L. In der Handtasche und im Auto hab ich dann noch selbsthergestelltes Desinfektionsmittel fuer Danach. Ich hoffe, das reicht, um gesund zu bleiben!!

Und ich denke mir: O Mann, wie naiv war ich eigentlich noch vor wenigen Wochen? Der Virus war schon damals derselbe, aber wir haben uns erst allmaehlich angefangen, zu schuetzen. Irgendwie verrueckt, wie lange die Anpassung gedauert hat. Und gleichzeitig erstaunlich, wie natuerlich es fuer die Kinder inzwischen ist, zur Seite zu springen beim Anblick anderer Menschen.

Mal kurz schnell was einkaufen, das war gestern. Heute geh ich alle 14 Tage in meine 2 Laeden, jeder Einkauf dauert 1,5-2 Stunden mit Wartezeit und ziemlich egal zu welcher Uhrzeit. An der Kasse fragte die Kassiererin mich: Kaufen Sie fuer ne laengere Zeit ein? Ich nickte. Und haette hinzufuegen sollen: Und fuer 3 erstaunlich hungrige Menschen (plus mich).

Isolation macht hungrig. Oder die Kinder wachsen gerade. Oder beides. Und ich stelle fest, dass ich interesssante Panikkaeufe taetige. Seit Wochen vergeht kein Einkauf, ohne dass ich Eis mitnehme. Da muss mein Unterbewusstsein ganz stark am Werk sein. Denn ich esse es gar nicht so oft, waehrend unser Gefrierfach vollgestopft ist mit Erdbeer-, Vanille, Karamell-, Cookie-, Limonen-, Irgendwasamerikanisches- und seit heute Pistazzieneis plus die obligatorischen Bio-Saft-Wassereise, ohne die kein Kind in Berkeley leben kann.

Mein anderes Seelenfutter ist Joghurt in allen Formen. Einfacher Joghurt, Griechischer Joghurt, Trinkjoghurt und auch mal ein Kefir, unser Kuehlschrank ist wirklich gut damit gefuellt. Und wieder: Ich esse das zwar gern, aber gar nicht mal so regelmaessig, wie meine Einkaeufe suggerieren. Aber es beruhigt mich, dass ich es essen kann. Wenn es mir schlecht geht. Psychisch zum Beispiel. Weil wir seit 8 Wochen kaum Menschen sehen und wenn, dann mit mindestens 2m Abstand. Weil ich dafuer meine 3 Lieblingsmenschen 24/7 sehe. Was macht eigentlich 24x7x7x11? Definitiv zu viele Stunden, bei aller Liebe. (Bis Ende Mai gehen unsere Ausgehbeschraenkungen hier… Das waren dann 11 Wochen…)

Ansonsten kauf ich definitiv mehr Bier und Wein fuers Herze. Und Mehl. Haben sogar dunkles Roggenmehl gefunden, leider nur in der 25kg Packung, aber nun gibt es leckeres, dunkles Brot bei uns. Wenngleich immer noch weit entfernt von Schwarzbrot. Da braeuchten wir wohl Malz zum Faerben.

Baeckermeister Philipp

Ich habe gerade „Unterschiede im Roggenmehl für Sauerteigbrot“ gegoogelt. Denn natürlich haben auch wir angefangen, unser eigenes Brot zu backen. Wie quasi jeder, den ich in meiner Nachbarschaft kenne.
Das erklärt, warum a) Menschen ihre frisch zubereiteten Brote stolz auf Facebook präsentieren. Warum b) jeder jetzt einen Sauerteigstarter mit einem Namen zu Hause zu haben scheint. Unserer heißt Voldemort. Gute Wahl, weil er immer stärker und hungriger wird. Er hat auch die Fähigkeit, aufzuerstehen, wenn ich vergesse, ihn zu füttern. Die Benennung des Sauerteigs ist anscheinend ein Zeichen für eine tiefe (unbewusste) Beziehung. Wenn man ihn dann auch noch jeden Tag zur gleichen Zeit wie einen Hund oder eine Katze füttert, werde diese innige Bindung gestärkt. Ich mache beides. Es erklärt auch, warum c) ich in letzter Zeit in keinem Lebensmittelgeschäft Mehl gesehen habe.

Also googelte ich noch einmal: „Warum backen jetzt so viele Leute?“ Stellte sich heraus, dass diese Frage in den letzten 4 Wochen auch hatten und im Grunde jede Zeitung dieses Thema behandelt hat. Hier sind meine Lieblingserklärungen.

„Wir sind jetzt alle so isoliert, aber die Arbeit mit Sauerteig ist eine inhärent kollaborative Praxis“, erklärt Emily Hoven in der Washington Post. Sie hat ihre Dissertation über Sauerteig geschrieben. „Sie haben die Hefe und alle Bakterien, die das Brot mit Ihnen gemeinsam machen.“ Hinweis: Diese Bakterien sind auch schuld, wenn das Brot nicht so ausfällt, wie man es will. Es gibt also immer einen Sündenbock, perfekt!

Kochen und Backen sind weit verbreitete Methoden, um mit Angstzuständen umzugehen. Schon seit Jahrtausenden. Einen Sauerteig achtsam zu verprügeln sei super befriedigend; Mein Mann erzählt es mir immer wieder mit klebrigen Händen voller Teig. Er ist der talentierte Bäcker in unserem Haushalt. Ich genieße einfach den Geruch und Geschmack der frisch zubereiteten Brote. Mein Mann versichert mir, dass das Backen sofort Stress abbaut. Und es ist billiger und gesünder als andere Bewältigungsmechanismen. Wie Online-Shopping oder Drinks vor 17 Uhr (jeden Tag). Außerdem bereut man das Ergebnis nicht! Als Philipp den Teig sorgsam faltet, sieht es so aus, als würde er meditieren. Ein beschäftigter, konzentrierter Körper lässt unseren Geist „entspannen, sich neu gruppieren und neu konzentrieren“. Total logisch. Und Philipp ist der lebendige Beweis.

InKrisenzeiten begehren die Menschen den kreatuerlichen Komfort. Es gibt nicht viel, was so einfach, so beruhigend und so lecker ist wie frisches Brot. (Obwohl Pfannkuchen und French Toast auch nicht zu verachten sind.) Was immer dazu führt, dass ich zuviel davon auf einmal esse. Natuerlich mit Butter und wahlweise Honig oder Marmelade. „Der heilige Gral des Getreides gibt unseren Affenhirnen eine leicht verdauliche Ablenkung.“ Ist das nicht poetisch?

Und für die wirklichen Wissenschaftler unter euch (wie Physiker, Chemiker und andere kluge Leute) ist hier eine Erklärung für den erhöhten Kohlenhydratehunger in letzter Zeit: „Das Essen von Kohlenhydraten wie Brot stimuliert Insulin, was die Aufnahme des essentiellen Aminossaeure Tryptophan durch das Gehirn erhöht.“, sagt Harvey Anderson, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität von Toronto. „Tryptophan im Gehirn erhöht die Produktion von Serotonin, einem Neurotransmitter, der in stressigen Zeiten Ruhe und Schlaf fördert. Also, genieße dein frisches Brot, iss bloss einfach nicht das ganze Brot auf einmal. “ (Ah! Gut, dass mir das endlich mal jemand sagt nach all dem Ueberfressungsleiden.)

Zu guter Letzt ist hier meine persönliche Erklärung für das goettliche Backen meines Mannes. Es ist eine direkte Gebetserhoerung. Weil ich jedes Mal, wenn ich meine Hände wasche, das Vaterunser bete. „Gib uns heute unser tägliches Brot“, los geht’s. Und Jesus wusste definitiv, was wir in Zeiten emotionaler und finanzieller Knappheit brauchen: Etwas zu tun, etwas zu essen und sofortige Befriedigung inmitten einer nebligen Zukunft. Also gebot er uns, das einfachste und doch effektivste Seelenfutter zu essen und zu trinken, um uns an ihn zu erinnern. Brot und Wein. Guten Appetit und Prost!

Kinderglueck

Sollten sich unsere Kinder spaeter an eine Kindheit voller Freiheiten und unendlichem Spiel erinnern, dann dank Covid-19. Klar, in Deutschland haben sie auch gespielt ohne Ende, aber natuerlich mit Kitastruktur. Und ausserdem, wer erinnert sich schon langfristig aktiv an seine ersten 5-6 Lebensjahre?

Aber nun herrschen Bullerbue-Sommerferien-Verhaeltnisse: Ausschlafen bis 9.00. Fruehstueck mit Pfannkuchen wann immer uns der Sinn danach steht. Den Vormittag ueberstehen sie ab 9.30 Uhr einigermassen widerwillig mit Schuleinheiten. Ab 11.30 Uhr schweben sie im Spielehimmel zwischen ihren 2 Baeumen, dem voellig zugemoelten (sie sagen bespielten) Wohnzimmer, der Einfahrt, der Garage, dem Garten und rennen um den Block.

Aufmerksame Nachbarn schicken uns ab und an Standortmeldungen mit dem Hinweis „Nur damit ihr Bescheid wisst“, ansonsten haben die beiden jetzt Walkie Talkies, das hilft bei der Kommunikation auf bis zu 3 km Entfernung (mehr als 600m bewegen sie sich allerdings nicht weg bisher).

Anfangs war meine grosse Sorge, dass sie nicht genuegend Spielsachen haetten fuer wochenlanges Zuhausesein. Freunde liehen uns 4 Kisten Playmobil daraufhin. Stellt sich heraus: Die beiden spielen vorzugsweise mit Pappkartons, Erde, Stoeckern, Seilen und Steinen. Ausserdem baut sich Theo aus ALLEM Gewehre und Pistolen. Eine Kugelbahn? Yeah, das perfekte Gewehr. Der Fuss seiner Pinata, die perfekte Pistole. Eine Luftpumpe, das perfekte, na, ihr wisst schon. So geht das den ganzen Tag.

Gut, manchmal spielt Toni auch mit mir ein Gesellschaftsspiel, dankenswerter Weise. Weil ich nun mal nicht so auf Seilklettern und schiessen stehe. Also duellieren wir uns nun bei Qwirkle und Schloss Schlotterstein und Guess Who. Endlich ist es soweit und jemand spielt wieder mit mir. Wie schoen. Wozu haelt man sich schliesslich Kinder.