Geburtstagsparade und Kindertraurigkeiten

Eine Freundin wurde gestern 6! Eigentlich war eine grosse Feier geplant mit Huepfburg und Unmengen an Kuchen. Stattdessen hatten Bekannte eine kleine Parade organisiert. Die Idee: Die Geburtstagsfamilie steht am Wegrand und Freunde laufen oder radeln winkend und singend vorbei. Coole Idee. Im Fernsehen oder Internet funktioniert das auch immer perfekt.

Wir hatten eher eine Stehparade. Weil einfach alle viel zu froh waren, einander zu sehen. Also hingen wir an der Haltestelle des Schulbusses ab (den die Kinder nie wieder nutzen werden, weil ihre Schule ab Herbst zu uns in die Naehe zieht) und sangen und redeten. Erst alle brav mit Masken von Grossmama. Dann irgendwann ohne, aber natuerlich mit eingehaltenem Abstand. Selbst die Kinder koennen den inzwischen mit perfektem Augenmass. Sobald sich jemand bewegte, sprangen alle nach weg. 6 feet wird die neue Masseinheit!

Das Wichtigste am Geburtstag war auch organisiert: Wir stellten Geschenke ab, haendigten den Geburtstagseltern eine Tupperdose und bekamen eine Stunde spaeter leckere, selbstgebackene Torte mit echtem Marzipanschmuck. Dass der Papa Oesterreicher ist, schmeckte man.

Auf dem Hin- und Rueckweg zur Stehrade, kamen wir an einer von Tonis besten Freundinnen vorbei. Vor 4 Wochen hatten wir uns schon mal zufaellig getroffen und die Maedchen hatten jauchzend mit 3 m Abstand Radschlagen geuebt. Dieses Mal winkten sie einander nur zu, ohne stehenzubleiben.

Also fragte ich Toni, ob sie nicht kurz stehen bleiben wolle? Kopfschuetteln. Ich als Seelsorgerin liess natuerlich nicht locker, bis Toni erklaerte: Es macht mich einfach zu traurig, meine Freunde nur aus der Entfernung zu sehen oder mit ihnen zu telefonieren, wo ich doch richtig mit ihnen spielen will! Ja, so ist es wohl. Hoffentlich koennen die Kinder den Schalter wieder umlegen, wenn zwischenmenschliche Naehe nicht mehr gleichbedeutend mit Gefahr ist.

Und es hat Zoom gemacht

Wie sagte letztens eine Kollegin so schoen: Luther hatte den Buchdruck, wir haben Zoom. Und es stimmt. Ohne Zoom saehe mein Leben gerade voellig anders aus. Alles laeuft ueber Zoom. Meine Treffen mit Kollegen, mein Seelsorgekurs, mein Bibelkreis, meine Lutherlesegruppe und natuerlich die Gottesdienste.

Innerhalb weniger Wochen haben wir uns an das virtuelle Treffen gewoehnt. Gemeindeglieder erzaehlen mir von Zoom Happy Hour und Kaffeetreffen per Zoom am Samstagvormittag.

Die Kinder hatten fast taeglich Zoom Meetings. Bis irgendwelche Gymasisten Unfug veranstalteten und auch noch ein nackter Mensch in ein Klassentreffen hineinzoomte. Daraufhin wurden sofort alle Treffen abgesagt und einigeTage spaeter auf Googel Meet weitergefuehrt. Das Problem: Google Meet ist nicht so gut geeignet fuer grosse Gruppen, weil man maximal 5 Leute gleichzeitig sehen kann. Und da fuer die Kinder das Interessanteste sowieso das Ansehen der Mitschueler ist, sind sie demensprechend genervt und warten auf die Rueckkehr zu Zoom. Ende April sollte das soweit sein. Wenn Zoom seine Sicherheit erhoeht hat.

Es hat Zoom gemacht in unserem Alltag. Doch die anfaengliche Begeisterung ist verflogen und die Kinder sind ausgezoomt. Sie wollen nicht mehr vor dem Bildschirm sitzen (ausser natuerlich zum Film schauen :)), sie sind genervt und behaupten, gelangweilt zu sein. Ich kann’s verstehen. Nach knapp 5 Stunden Zoom meetings am Stueck am Donnerstag, bin ich immer vollkommen knuelle. Irgendwo hab ich gelesen, dass das daran liegt, dass wir via Zoom zu viel wahrnehmen: Den Raum des Gespraechspartners, eventuell andere Menschen im Hintergrund und immer viele Menschen auf einmal. Dazu noch die Verlockung, schnell nebenbei die Mails oder Facebook zu checken… Es ist zwar sehr produktiv, die Treffen werden immer kuerzer, aber viel Zwischenmenschliches bleibt auf der Strecke.

Und trotzdem bin ich so dankbar fuer die Technik, die es mir ermeoglicht, in Kontakt zu bleiben mit meiner Gemeinde. Unsere Gottesdienste sind zwar noch weit entfernt davon, perfekt abzulaufen (irgendwas passiert immer, mal ist ein Sprecher noch stummgeschaltet, mal ist ein witziges Hintergrundgespraech nicht stummgeschaltet, mal springt die PowerPoint, mal fehlt der Sound beim YouTube Lied), aber sie sind interaktiv und gut besucht. Und schliesslich gilt auch hier: Es ist ja keine Show, sondern Gottesdienst.

Irgendwann wuerde ich trotzdem gern wieder alle in echt sehen. So Gott will und wir leben.

Theos 6. Geburtstag in Covid-Zeiten

Ich hatte mir echt Sorgen gemacht, dass dieser Tag hart werden wuerde. Immerhin ist es ein Geburtstag ohne grosse Party mit Freunden.

Als wir Theo anfingen, darauf sachte vorzubereiten, meinte er nur: Muss ich dann die Torte nur mit euch 3 teilen? Suuuper. Und die Pinata ist fuer Toni und mich? Yippieh! Er sah nur die Vorteile, also alles gut. Vor einigen Tagen begann er dann doch zu fragen, wann denn seine richtige Party stattfinden wuerde. „Wenn wir wieder andere Menschen treffen duerfen“‚, antworteten wir ehrlich. Vielleicht im Herbst?

2 Tage vorher gingen die Kinder und ich einkaufen. Ich liess mich natuerlich fuer allen Quatsch breitschlagen. Cola, Chips, Suesskram, egal. Theo hat ja hoffentlich nur einmal unter solchen Umstaenden Geburtstag.

Am Abend vorher stellte ich fest, dass wir kein Geschenkpapier hatten. Und die Laeden, in denen ich das normalerweise kaufe, sind geschlossen. Also kramte ich in meiner Ueberlebenskiste und packte alle Geschenke in Kissenbezuege. Endlich mal kein sinnloser Papiermuell. Auch schoen. Theo war es vollkommen gleich, hauptsache Geschenke.

Was er an seinem grossen Tag essen wolle? Grosse (deutsche) Pfannkuchen und Speigeleier zum Fruehstueck, dazu Cola und Chips. Mittags Huehnerbeine und Kartoffeln. Danach Eis und eine vierstoeckige Erdbeertorte von Papa. Abends Filmparty mit Popcorn. Cola natuerlich zu allen Mahlzeiten. Theos Kinderlandtraum.

Natuerlich durfte auch eine Pinata nicht fehlen. Tagelang hatte Philipp am speziellen Wunsch „zweikoepfiger Drache“ gebastelt. Die Kinder zerlegten sie innerhalb von 20 Minuten. So wenig Geschrei hatten wir noch nie bei einer Pinata, das Teilen war viel einfacher durch 2.

Sein liebstes Geschenk fand Theo letztlich selbst auf der Strasse. Eine rostige Sense! Da konnten Baukloetze und Plueschloewe und Buecher und CDs kaum mithalten 🙂

Kein echter Corona-Geburtstag ohne virtuelle Feier. Theos Lehrerin hatte die Klasse eingeladen zum Google Meeting, 15 Kinder sangen, es klang fuerchterbar (wir hoeren hier rauf und runter Zippel, das Schlossgespenst). Dann hielt die Lehrerin eine brennende Kerze in die Kamera, zaehlte bis drei und alle pusteten sie aus. Klingt voellig irre. Aber es war ruehrend und wirklich wertschaetzend.

Und sonst? Am Abend vorher rauchte unser Handmixer ploetzlich nur noch. Also schnell die Nachbarin angerufen und einen Mixer ausgeliehen. Sahnetorte gerettet.

Ueberhaupt, die lieben Nachbarn: Eine Nachbarin brachte selbstgebackene Schokokekse vorbei und ein Bild fuer Theo, eine andere schrieb mit Kreide in unsere Einfahrt „Happy birthday“. Alle anliegenden Nachbarn sagen fuer Theo und Freunde stellten Geschenke vor die Tuer. Es war wirklich ein besonderer Tag in einer besonderen Zeit.

Drachentoeter Theo

Zufluchtsort Strand

Zum Glueck haben wir seit 6 Wochen ein Auto. Ein klitzekleines Gefuehl von Freiheit fuer mich. 3-4 Mal pro Woche packe ich nachmittags die Kinder und duese zum Strand 20 Minuten von uns. Es ist nur der Strand an der Bay, aber das ist mir egal. Der Wind weht mir um die Nase, Sand zwischen den Fuessen, kaum andere Menschen und leich brackiger Seegeruch. Mehr brauche ich nicht, um vollkommen entspannen zu koennen. Ich glaube, ohne diesen Zufluchtsort waere ich schon durchgedreht. Wie einen die Kindheit und Jugend doch praegt.

Ich bin 100% extrovertiert, das beweist diese Erfahrung eindeutig. Da ist wirklich nicht ein Ministueckchen introvertiert in mir versteckt. Nicht mal ganz tief. Das heisst, Ausgehbeschraenkungen und Zwangsabstand von anderen Menschen ist der absolute Horror fuer mich.

Ausser am Strand. Da ist es mir egal. Da will ich meine Ruhe. So bin ich es von klein auf gewoehnt, immer auf der Suche nach dem leeren Strandabschnitt. Da ist die FKK-Erziehung dann doch mal hiflreich. Wenigstens am Strand fehlen mir Menschen nicht. (Ok, ich telefoniere schon ab und an, aber das Netz ist leider so schlecht…)

Und so verbringen wir Stunden in unserer kleinen Oase, rennen, raufen, lesen, traeumen. Die Kinder baden fuer eine mutige Minute und proelen sich danach alles an, was sie finden. Gegen 18.00 kommt taeglich ein Schlagzeuger auf den Parkplatz und musiziert. Letzte Woche sind die Gaensekueken geschluept und begruessen uns nun flauschig, putzig. Das Leben geht in mancherlei Hinsicht dann doch weiter. Wenigstens fuer die Gaense. Irgendwie beruhigend.

Karwoche und Ostern

Die Karwoche war diesmal wirklich eine stille Woche. Wir feierten einen wunderschoenen Abendmahlsgottesdienst via Zoom am Gruendonnerstag an unserem Kuechentisch. Zwei andere Gemeinden aus Fremont schalteten sich dazu.

Natuerlich musste Theo kurz vor Gottesdienstbeginn und vor laufender Kamera sein Saftglas umwerfen, aus Versehen. Kaputtes Glas, Scherben und Saft ueberall. Der Tisch klebte wie Hubatz.

Mama und Jannschi hattten kurze Duos eingespielt fuer meine Gottesdienste und Toni und Theo sassen andaechtig da, als die beiden auf unserem Bildschirm erschienen. Wenn schon alles online laeuft, geht das auch weltweit.

Wochenlang hatte ich mich mit der Frage beschaeftigt, ob und wie Abendmahl online gefeiert werden kann. Am Ende war es ganz einfach: Wir sprachen die Einsetzungsworte alle zusammen und „gingen“ dann in kleine Gruppen von ca. 5 Leuten. Jeder bekam individuell die Worte zugesprochen, wir assen und tranken, was wir zu Hause hatten. Saft, Wein und Brot. Es fuehlte sich 100% echt an, weil es 100% echt war. Alles war bereit: Die Elemente, die Worte, der Glaube, die Gemeinschaft.

Es war der erste Online-Gottesdienst, an dem beiden Kinder freiwillig teilgenommen haben. Denn sie lieben Abendmahl, dafuer hoeren sie sich auch meine Predigt an. Die Lieder moegen sie eh. Seit Gruendonnerstag groelen sie „GO down, Moses“, als waere es Kriegsgeschrei. Ist es ja irgendwie auch. Befreiungsgeschrei.

Karfreitag verschickte ich Hausandachten an alle. 3 Zoom-Gottesdienste in 1 Woche waren dann doch zu viel des Guten. Jeder Gottesdienst muss ja einzeln geprobt werden mit allen Beteiligten und Karfreitag ist ein stinknormaler Arbeitstag hier.

Stattdessen las ich mit den Kindern die Passionsgeschichte nach Johannes. Mittendrin stellte Toni fest: „Also sind die Juden die Boesen, weil sie Jesus kreuzigen wollten?“ Naja, wir hatten dann ein laengeres Gespraech ueber Macht und Religion und Boese und Gut. Aber es bewies mal wieder, wie wichtig es ist, nicht einfach nur die Bibel zu lesen, sondern auch Theologie zu treiben und Texte mit historischem Bewusstsein zu lesen. In jedem Alter. Danach fuhren wir an den Strand.

Als ich Ostersamstag meine Osterpredigt schrieb, war ich noch immer in Karfreitagstimmung. Ich hatte das Gefuehl, dass ich dieses Jahr einfach keine Auferstehungsfreude verspueren koennte, so eingeschlossen in unseren Haeusern. Staendig musste ich an den Osterspaziergang denken, an die Menschenmengen, die herausdringen dem hohlen finstern Tor. Und jeder sonnst sich so gern und feiert die Auferstehung des Herrn.
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus Strassen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Und wir, wir sitzen in unseren Haeusern und Gaerten und meiden Menschen. Das soll Ostern sein? Wenigstens scheint meistens die Sonne, danke, Kalifornien!

Und dann war Ostersonntag und ich wachte von allein um 7 Uhr auf. Obwohl ich erst 1 Uhr ins Bett gegangen war. Das ist mir seit Ewigkeiten nicht passiert und schon garn nicht, seit die Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Ich erwachte und fuehlte mich von Kopf bis Fuss auf Ostern eingestellt. (Ausserdem fiel mir ein, dass „die Zahnfee“ Theo sein Buch nicht ins Bett gelegt hatte fuer den 2. Milchzahn. Also huschte ich auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer, tauschte Zahn gegen Buch und war hellwach.)

Mein erster Gedanke: Der Herr ist auferstanden. Ich holte mir Kreide von Toni und lief vors Haus. Dort schrieb ich in bunten Buchstaben auf den Fussweg: Christ is risen! Wieder in der Kueche, steckte ich die Osternesthefezoepfe in den Ofen und kochte Kaffee und weiche Fruehstueckseier. Ja, es war Ostern. Und da ja gerade alles online laeuft, konnte ich mir Tines Ostergottesdienst aus Heilbronn anhoeren und aus vollem Herzen mitsingen mit Theo auf dem Schoss. Schoener haette ich es mir in dem Moment nicht vorstellen koennen.

Die Osterfreude kam unangekuendigt. Ich musste nichts dafuer tun. Sie war einfach da. Wie es eben mit der Gnade Gottes so ist. Das predige ich staendig. Aber als ich so hautnah erlebte, ueberraschte es mich doch. Dass Christus nicht auferstanden ist, weil wir mit unseren Ostervorbereitungen fertig sind. Sondern, dass Christus einfach so auferstanden ist entgegen aller Erwartungen.

Fuer den Gottesdienst probten wir einen kleinen Sprechchor.

Ich: Christ is risen.

Toni: He is risen indeed.

Theo: Halleluja!

Die Kinder bruellten es wie einen Befreiungsschrei! Also wie es gemeint ist. Denn: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!

5 Wochen Ausnahmezustand – und kein Ende in Sicht

Seit 5 Wochen ist unsere Wohnung unser Ein und Alles: Zuhause, Schule, Spielplatz, Buero, Kirchenraum, Studio.

Die Kinder sind dazu uebergegangen, die Wohnung in Etappen zu bewohnen. Eine Nacht haben sie versucht, im Badezimmer zu zelten. Aber das war ihnen dann doch zu ungemuetlich. Gleich schlafen wir drei die 2. Nacht im Wohnzimmer. Theo und ich auf der Couch, waehrend Toni in ihrem Zeltschloss mit Kartonanbau liegt. Sehr gemuetlich, wie sie findet.

Und nein, das ist nicht Ergebnis einer Familienkrise. Es ist der Versuch von Philipp und mir, in Schichten zu arbeiten und zu schlafen. Ein neuer Plan, um irgendwie unserer Arbeit und den Kindern gerecht zu werden.

Die Idee: Philipp arbeitet von 5 bis 10 Uhr morgens (relativ ungestoert, da die Kinder eh erst gegen 8.30 aufwachen). Dann arbeite ich von 10-15 Uhr, dann wieder Philipp von 15-18 Uhr. Und ich schreibe nachts (zu meiner Denkhochzeit) bis Mitternacht noch Andachten und so. Theoretisch klingt es super, praktisch sehen wir uns nur noch zum Abendessen zu 4. Mal sehen, wie es laeuft.

Das Projekt Homeschooling haben wir faktisch abgebrochen. Jetzt machen wir „unschooling“ (das Modell gibt’s wirklich!). Die Kinder spielen einfach den ganzen Tag und lassen uns wissen, wenn sie was lernen wollen. Kommt bisher eher selten vor. Zum Glueck liest Toni eh gern und viel und Theo hat den Ehrgeiz, Level D beim Lesen zu erreichen. Und das war’s dann auch schon. Logisch denken subsummiere ich unter Gesellschaftsspielen. Toni schreibt immer mal was. Philipp erklaert ihnen ab und an was Mathematisches. Ansonsten schnippeln sie mit mir Salat, helfen mehr im Haushalt (ok, von Null ist eine Steigerung auch leicht),

Warum haben wir aufgegeben? Einfach, weil der Stress enorm war. Die Kinder haben sich ziemlich eingeigelt in den letzten Wochen. Sie wollen nicht mehr mit ihren Freunden telefonieren, nicht mehr an Gymnastik oder Yoga per Zoom teilnehmen. Ich habe das Gefuehl, dass sie alles vermeiden, um daran erinnert zu werden, was ihnen fehlt. Deshalb tun sie einfach so, als ob es ausser uns 4 niemanden gebe. Ausnahmen sind Menschen in Deutschland. Die sehen wir ja eh nur virtuell, da hat sich nichts geaendert.

Sie reagieren aehnlich wie damals, als wir hier angekommen sind. Sind sehr anhaenglich und kuschelig.

Trotz allem habe ich das Gefuehl, dass beide fuers Leben lernen (jedenfalls rationalisiere ich auf diese Weise unser Versagen). Sie sind herrlich fantasievoll im Spielen, klettern stundenlang auf ihren 2 Baeumen in unserem Garten herum. Sie beschweren sich zwar immer noch ueber Langeweile von Zeit zu Zeit, aber es wird merklich weniger. Toni „spaziert“ auf dem Zaum umher und gelangt auf die Weise zu Nachbargaerten. Dort unterhaelt sie sich dann froehlich mit Nachbarn oder bellt mit deren Hunden um die Wette. Manchmal laeuft sie einfach eine Runde um den Block auf der Suche nach Gespraechspartnern und findet eigentlich immer jemanden, der aus 2m Entfernung mit ihr plauscht.

Das Anstrengenste ist wirklich, dass kein Ende in Sicht ist. Vielleicht koennen die Kinder Enge August wieder in die Schule? Waere schoen, sind aber auch noch 5 Monate bis dahin. Vielleicht duerfen wir dann auch wieder Gottesdienste in unseren Kirchen feiern? Waere schoen. Ja, diese Extremsituation schweisst zusammen. Aber wenn mir nochmal irgendwer vorschwaermt, wie gut das uns als Familie jetzt tun muss, dann kann ich fuer nichts garantieren. Wir lieben uns, keine Frage. Aber 24/7 aufeinander zu hocken ist ne Zumutung! Muss man nicht romantisieren.

Was fuer ein riesengrosser Mist

Heute muss ich klagen. Aus tiefstem Herzen.

Obwohl draussen die Sonne scheint und wir unser Mittagessen zu viert im Garten einnehmen koennen.

Obwohl Philipp und ich beide weiter arbeiten duerfen und uns deshalb keine finanziellen Sorgen machen muessen.

Obwohl wir beide flexibel von Zuhause arbeiten koennen.

Obwohl meine Gemeinde ganz fantastisch ist und kreativ mit der Krisensituation umgeht.

Obwohl wir 3 Computer haben, sodass die Kinder ueber einen mit ihrer Lehrerin oder Freunden sprechen koennen, Hoerbuecher hoeren oder Lernvideos schauen.

Obwohl wir ausschlafen und in unserem Rythmus leben.

Obwohl wir 4 uns haben.

Obwohl bisher keine Freunde oder Verwandte infiziert sind (meines Wissens).

Obwohl Millionen andere Eltern in derselben Situation leben. Und viele unter viel schlechteren Umstaenden.

Obwohl es so vielen Menschen viel, viel schlechter geht.

ES IST ANSTRENGEND. Saumaessig anstrengend. So anstrengend, dass ich nicht an ueberuebermorgen denken darf, sonst bekomm ich Panik. Die Nachricht, dass hier die Schulen dieses Schuljahr nicht mehr oeffnen und wir also bis Ende August eventuell keine Kinderbetreuung haben, mindestens jedoch bis Mitte Juni, loeste bei mir zeitversetzt einen Heulkrampf aus. Es war das erste Mal seit Beginn der Ausgehbeschraenkungen vor 2,5 Wochen, dass ich geweint habe. Warum?

  1. Aus Selbstmitleid: Weil ich meinen Alltag verloren habe, mein Leben, das ich mir hier in Berkeley aufgebaut habe. Natuerlich kann man telefonieren, aber das ist nicht dasselbe. Und ausserdem sind die meisten meiner Freundinnen in aehnlichen Familiensituationen und kaempfen gerade nur ums strategische und emotionale Ueberleben. Da hat niemand mehr Kraft, abends noch zu reden. Meinen Kalender habe ich „angepasst“, sprich alle Veranstaltungen bis Mitte Mai geloescht. Theaterbesuche, Buchclub, Abende mit Freundinnen, Chor, Konzerte. Ja, ich fuehrte hier ein herrliches Leben. Deshalb vermisse ich es jetzt schmerzlich.
  2. Aus Sorge um die Kinder: Diese Erfahrung kann traumatisch sein fuer sie. Sie sind genauso aus ihrem Alltag gerissen. Wir ersetzten ihnen nicht die Lehrer und Freunde. Als wir Theos Freund zum Geburtstag besuchten mit gebuehrend Abstand vor der Haustuer, war es kaum auszuhalten, wie die beiden Jungs zueinander gezogen wurden. Sie wollten sich umarmem und raufen und umarmen und festhalten und wir mussten sie mit Gewalt voneinander fernhalten.
  3. Aus dem Gefuehl, niemandem gerecht zu werden. Wir versuchen, wenigstens unsere Arbeit zu erledigen. Die Kinder sollen leise sein, wenn wir Telefonkonferenzen haben, lernen, wenn wir Zeit haben, allein spielen, damit wir arbeiten koennen. Sie spueren die Anspannung und sind taeglich anhaenglicher. Zum Glueck funktioniert ihr Alarmsystem noch. Unseres muessen wir erst wieder aktivieren. Und uns eingestehen, dass wir nicht alles 100% sein koennen in diesen Monaten: Pastorin, Forscher, Eltern, Eheleute, Lehrer, Freunde.
  4. Aus dem Gefuehl heraus, hier festzusitzen. Die meisten Fluege nach Europa sind gestrichen. Und wer es aus den USA zurueckschafft, kommt dann ja hier nicht wieder rein. Bis die Reisebeschraenkungen fuer Europaeer nicht aufgehoben sind, koennen wir keine Fluege nach Deutschland buchen.

Ja, das sind „Luxusprobleme“. Und sie sind echt und machen mir zu schaffen. Ich klage. Ich trauere um mein altes Leben. Ich will es zurueck haben. Denn das hatte ich mir ausgesucht und aufgebaut. Das hier nicht. Was fuer ein riesengrosser Mist!