Pizzaparty für alle

„Jeden 2. und 4. Freitag im Monat laden wir alle unsere Nachbarn, Freunde und Bekannte zur Pizzaparty ein ab 17.00.“, schrieb eine Frau in einer Facebookgruppe. Und: „Wenn ihr auch eingeladen werden wollt, sagt Bescheid.“ Das ließ ich mir nicht 2x sagen.

Da war sie: unsere Partyeinladung von Menschen, die wir nicht kannten. An einem 2. Freitag radelten die Kinder und ich also einige Straßen weiter, klingelten an der Tür – und wurden wie alte Freunde begrüßt. „Kommt rein, guckt euch nicht um, ich hab nicht aufgeräumt.“

Die Gastgeberin konnte nicht wissen, dass schon dieser Satz mein Wohlgefühl weckte. Hier wird nichts versteckt, nichts extra hergerichtet. Eine 5-köpfige Familie lebt hier samt Hunden. Da ist das Chaos vorprogrammiert. Und niemanden stört es.

„Tut mir leid, dass wir zu spät sind.“, sage ich um 17.30. T. lacht. „Ihr seid die Ersten. Macht’s euch gemütlich.“ Die Kinder verschwinden sofort in die 2 Kinderzimmer und T erzählt. Davon, dass sie schon immer diesen Wunsch hatte, regelmäßig viele Menschen einzuladen. Dass Pizza sich perfekt eigne. Jeder kann Belag mitbringen oder Desert oder Wein oder einfach sich selbst. Sie kaufen einfach riesige Mengen Käsetiefkühlpizza beim Großmarkt und füllen das Gefrierfach ihrer Nachbarn und ihr eigenes damit.

So wird der Abend zum „Slow-Food“-Erlebnis. Eine Pizza nach der anderen wird belegt und gebacken. Nach wenigen Minuten fühle ich mich dazugehörig. Wir reden über Jobs und Kinder, das Leben und Kirche. Denn viele der Anwesenden gehen in die episkopale Kirche. So viele Christen auf einem Haufen in Berkeley hatte ich noch nie. Die erste Stunde futtern die Kinder alles weg. Als sie endlich abegfrühstückt sind, dürfen wir Erwachsenen ran.

Und ich denke mir: So könnte Kirche sein. Jeden 2. und 4. Freitag im Monat gibt’s Pizza im Pfarrhaus. Kommt auf meine Wunsch- und To-Do-Liste. Wir freuen uns schon auf den 4. Freitag im Monat!

Strand mit warmem Wasser

Nach dem Seeerlebnis war klar, da gehen wir nicht wieder hin. Also erkundeten wir den nächsten Strand, Alameda-Beach an der Bay. Baden mit Blick auf den Oaklander Container-Hafen macht Hamburg-Heimatgefühl. Und San Francisco samt Bay-Bridge sieht man auch.

An heißen Tagen fühle ich mich hier wie nach Griechenland oder Italien versetzt. Fröhliche, laute, bunte, viele Menschen tummeln sich am Strand und im Wasser. Einer spielt Gitarre (wir sind immer noch in der Bayarea), andere stellen Boxen auf. Es gibt Burger und Eis und Chips und Biogemüse. Kinder tragen UV-Kleidung oder gehen in Shorts und T-Shirt ins Wasser. Die Eltern ebenfalls. Das scheint hier so ein Ding zu sein, in Klamotten zu baden.

Bei Ebbe kann man hunderte Meter ins Wasser waten, die Kinder fühlen sich frei, weil sie „weit raus schwimmen“ dürfen. Das Wasser hat Mallorca-Badewannentemperatur, selbst Theo wagt sich rein.

Wir Ostseekinder wurden natürlich schön von der Flut überrascht. Mussten 3x die Handtücher zurückziehen und am Ende waren die schon wieder umgezogenen Kinder trotzdem pitschenass. Weil sie versuchten, die Flut mit selbstgebauten Sanddämmen an der Rückkehr zu hindern. Mensch gegen Natur = 0:1.

Einige Tage später kehrten wir zurück an einem Wochentag. Diesmal weit und breit kaum Menschen zu sehen. Dafür Möwen und Wind, soweit das Auge reicht. Ich fühlte mich wie zu Hause. Legte mich flach auf den Boden, ließ den Wind über mich hinwegwehen. Die Kinder durften rennen und buddeln und planschen. Und selbst ihr Geschrei hörte ich nicht.

Ich glaube, das wird mein persönlicher Rückzugsort (samt Kindern). 25 Minuten von uns mit dem Auto entfernt. Hach, es lebt sich gut hier.

Wunder geschehen

Wir haben kein Auto. Im Alltag ist das kein Problem. Wir radeln durch Berkeley und wenn ich doch mal einen Großeinkauf machen muss oder zu viele Kinder auf einmal transportieren, dann haben wir Freunde, die uns ihr Auto leihen. Sie bringen es mir sogar in der Früh und holen es abends wieder ab, wenn es aufgeladen werden muss. Schon das ist unglaublich.

Im Sommer kommen meine Mama und Schwester uns besuchen und zu 6 wollen wir den Yosemitepark erkunden. Ein riesiges Zelt habe ich schon besorgt, Isomatten können wir uns ausleihen. Blieb nur das Autoproblem. Denn außerhalb der Städte ist der öffentliche Nahverkehr ziemlich dürftig.

Ein Blick in die Autovermietungen: kleines Auto kostet $600 für 2 Wochen, großes $1200. Schluck. Das geht natürlich nicht. Aber die letzten Monate hier haben mich Geduld und Ruhe gelehrt. Keine Panik, eine Lösung wird sich finden.

Sie kam in Gestalt einer Bekannten. Wir trafen uns beim Sport, unsere Töchter sind fast gleich alt. Maija ist finnische Komponistin und macht hier ihren PhD mit 3 Kindern und Mann. (Zu ihr ein andermal mehr.) Sie lud mich zu ihrem Konzert ein, ich ging hin. Danach hörten wir lange nichts mehr voneinander, einfach zu viel zu tun.

Dann eine SMS von ihr: Wir fahren über den Sommer nach Finnland, wollen wir uns vorher nochmal treffen? Klar! Nach nicht einmal 5 Minuten fragte sie mich: „Habt ihr inzwischen ein Auto?“ – „Nein.“ – „Wollt ihr über den Sommer unseres haben?“ – Mir fielen fast die Augen aus. „Es hat 6 Sitze und ich wäre froh, wenn es nicht bei uns vor der Haustür stehen würde. Nicht, dass das jemand beobachtet und es klaut.“ Da war es , mein Wunder. Eine riesige, automatische Familienkutsche für 10 Wochen (mit der ich erstmal einparken üben muss). Wir müssen nur die Versicherung zahlen.

Das heißt: Wir haben ein Auto und ein Zelt. Wir können Urlaub machen, wo wir wollen. Hurra!

Alltagsengel

Unsere Wohnung kam zwar möbliert. Aber einige Kleinigkeiten fehlten mir noch zum Glück. Zum Beispiel ein Schreibtisch. Denn den vorhandenen bekam natürlich unser Schulkind (für Hausaufgaben, die sie sowieso am Küchentisch macht, ist ja klar).

Auf dem Weg, um eine geschenkte Fossil-Handtasche abzuholen, entdeckten Toni und ich einen passenden Tisch. Aus zerschundenem, irgendwie geliebt aussehendem Holz mit 3 Schubladen. Perfekt. Wir hielten und inspizierten ihn. „Sieht gut aus. Wir kommen nachher mit dem Auto zurück und holen ihn.“, beschlossen wir.

Auf der gegenüberliegenden Seite beobachtete uns eine Frau. Sie war gerade mit ihrem großen Pick-up heim gekommen. „Braucht ihr Hilfe?“, fragte sie uns. Ich guckte überrascht und verstand die Frage nicht ganz. „Hm, also wir mögen den Tisch. Aber wir können ihn jetzt natürlich nicht mitnehmen. Wir kommen einfach nachher wieder.“, erklärte ich.

„Braucht ihr Hilfe?“, wiederholte sie.

„Ähm, ja, also würden sie mir den Tisch fahren?“, fragte ich ungläubig. „Es ist auch wirklich nicht weit, vielleicht ne halbe Meile.“

„Ja, klar, ich dreh nur kurz den Wagen.“ Gesagt, getan. Sie wendete, wir luden den Tisch mit ihrer Sackkarre ins Auto und dann fuhr sie ihn mir hinterher bis vor die Haustür.

Das ist Berkeley! Wo eine fremde Frau einer anderen fremden Frau einen am Straßenrand gefundenen Tisch nach Hause fährt. Einfach so. Weil sie es kann. Engel gibt’s eben doch.

Hochsicherheit am Badesee

Mitte Juni und endlich Sommer! Temperaturen über 30 Grad am Wochenende. Ab an den See. Lake Anza wurde uns empfohlen. Ein kleiner See im Naturschutzgebiet Tilden hoch über Berkeley. Er koste zwar Eintritt, dafür gebe es Sand und Schatten, Klos und Rettungsschwimmer.

Mit dem geliehenen E-Auto von Freunden quälten wir uns die steilste Straße Berkeleys hoch. Gefühlt rollten wir rückwärts. Abwärts ist die Strecke übrigens auch nicht harmloser. Es ist wie beim Skifahren auf der schwarzen Piste. Da sieht man die halsbrecherische Tiefe auch erst, wenn man schon auf dem Weg nach unten ist.

Gegen Mittag war das Freibad noch angenehm leer. Also raus aus den Klamotten, rein in die Badesachen. Theo mit Schwimmgürtel und Schwimmflügeln ausgestattet. Tonis Flügel vorsichtshalber mit ans Wasser genommen gegen erlahmende Arme. Und ab in den See.

Bis zur ersten Absperrung nach ca. 5 m = Hüfthöhe bei Theo! Bis hier dürfen alle Kinder und Eltern. Die nächsten 5m sind für Kinder von Eltern, die den Schwimmtest bestanden haben. Also marschierte ich zum ca. 18-jährigen Rettungsschwimmer und meldete mich zum Schwimmtest. „Du musst 15m kraulen, Kopf unter Wasser mit seitlicher Atmung.“ Oha, kann ich das noch? Hab ich mal gelernt in meiner Jugend, aber ewig nicht gemacht. Aber Blamage ist nicht drin. Ich drückte Toni meine Brille in die Hand und nahm die Herausforderung an. Hab sie auch gemeistert. Gut, ich schwamm schräg und zu weit, hab ja nichts gesehen ohne Brille, aber dass Abzeichen in Form eines Armbandes bekam ich überreicht. Puh.

Hurra, ich kann schwimmen!

Ich vermute, 60% der Deutschen würden diesen Test nicht bestehen. Aber hier in den USA lernt man als erstes Kraulen, nicht Brustschwimmen. Und Regel ist Regel.

Nun durfte Toni ihre Schwimmübungen unter meiner Aufsicht und den Augen von 6 (!) Rettungsschwimmern in hüft- bis halstiefem Wasser fortsetzen. 2 standen auf den Wachttürmen, 2 wateten im Wasser herum, 1 paddelte im 3 Bereich auf einem Board und 1 lief zwischen allen hin und her. Sie waren fast schon eine Planschbehinderung.

Auf der anderen Seite des Sees badeten einige ganz Wagemutige. Außerhalb des abgesperrten Bereichs. Also Megafone rausgeholt und reingebrüllt: „Es ist strengstens verboten… Verlassen Sie sofort das Gewässer.“ Und das Wunder: Die Leute gehorchten.

Alle 90 Minuten wurden alle Kinder unter 16 Jahren aus dem Wasser gescheucht. „15 Minuten Pause: Findet eure Familien, trinkt was, esst was, schmiert euch mit Sonnencreme ein und geht aufs Klo.“, lautete die detaillierte Anweisung. Blöd, wenn man gerade erst ins Wasser gegangen war. Austricksen ging nicht, denn: „Die 15 Minuten beginnen erst, wenn das letzte Kind das Wasser verlassen hat.“

Bei aller individuellen Freiheit, die Amerikaner so schätzen, ist ihre Hörigkeit gegenüber Autoritäten immer wieder erstaunlich. Regeln müssen eingehalten werden. Egal, wie absurd sie sind.

Nach einigen Stunden traf Theo seinen Kindergartenfreund Ashton. Nach wenigen Minuten waren sie im schönsten Wasserpistolenkampf. „Bis zur ersten Absperrung darfst du gehen“, rief ich ihm zu und blieb mit Toni, die sich gerade aufwärmen musste, am Ufer stehen. Einige Minuten später kam ein aufgebrachter Rettungsschwimmer auf mich zu. Ich müsse mich in der Nähe meines Kindes aufhalten! Am besten direkt neben ihm.

Nun stiefelte ich dem davon sichtlich genervten Theo hinterher durchs Wasser, wurde ständig „aus Versehen“ nass gespritzt und drehte mich alle paar Sekunden nach Toni um, die nun „unbeobachtet“ spielte. So entspannt hatte ich mir meinen Samstag vorgestellt. Während Theo seine Pistole lud, stand ich 2 Schritte hinter ihm, ein Rettungsschwimmer 4 Schritte neben ihm. Sicherer geht es nicht. Bis ein weiterer Rettungsschwimmer auftauchte. Mit Tunnelblick ging er auf Theo zu, ignorierte mein Winken und fragte „Wo ist deine Mama?“ Ich wedelte hysterisch mit den Armen. Er sah mich. Allgemeine Erleichterung.

Selbst unsere Schwimmflügel wurden mokiert. Ob ich meinem Kind nicht sicherere Schwimmhilfen geben wolle? Aus Styropor? Die hier könnten platzen und dann würden die Arme der Kinder hoch gerissen (wieso eigentlich nicht runter?) und sie würden jämmerlich ertrinken (im knietiefen Wasser). Wir könnten die sicheren Hilfen kostenlos ausleihen. Ein Blick zu Toni, sie nickte, ok, dann machen wir das. Schwimmflügel ausziehen, Styropor-Flügel-Westen-Kombination anziehen. Zu klein. Na, wir haben guten Willen bewiesen.

Toni fand alles witzig und machte sich eine Spaß draus. Sie „schwamm“ zur ersten Absperrung und zappelte dann wie wild herum. Philipp fand es unterhaltsam, der Rettungsschwimmer nicht.

Fazit: Da fahren wir nicht wieder hin. Oder erst nach 18.00. Dann hat die Seenotrettung Feierabend. Und der Eintritt ist frei.

Ich denke nicht, dass du ein Rassist bist…

Bei der letzten Elternbeiratssitzung des Schuljahres ging es heiß her. Als offizielle Parliamentarian muss ich auf die Einhaltung der Regeln pochen, die Uhr im Blick behalten und für Fairness sorgen. Gute Übung für kommenden mind. 350 Kirchenvorstandssitzungen in meinem Leben.

Stein des Anstoßes war die Frage des Ortes für das „Back-to-school-picknick“ Ende August. Die letzten Jahre fand es stets im San Pablo Park statt. Ein großer Park samt Spielplatz im Süden Berkeleys. Also dort, wo Menschen wie wir wohnen, die sich keine Villa in den Hügeln leisten können. Mittelschicht, Arbeiter, Arme, mehr Schwarze als Weiße. Unsere Schule ist im Villenviertel. Die Kinder kommen aber per Schulbus aus ganz Berkeley.

Im San Pablo Park zu feiern ist also mehr als eine Party. Es ist ein politisches Zeichen: Wir (Reichen, Weißen) kommen zu euch (Armen, Schwarzen). Für Fairness und Gerechtigkeit.

Der Park steht auch für Gewalt am hellerlichten Tage. In den vergangenen Jahren gab es dort Schießereien, Hüpfburgen wurden getroffen, Eltern drückten ihre Kinder auf den Boden. In den Fenstern angrenzender Häuser landeten Kugeln.

Seitdem gibt es nicht wenige Familien, die diesen Park meiden. Unter ihnen Freunde von uns. Also setzte ich mich im Elternbeirat dafür ein, das Picknick in einem anderen Park zu veranstalten. Für Inklusion.

Unser afro-amerikanischer Präsident Daryl nahm diesen Vorstoß sehr emotional auf. Ich dachte mir nichts weiter dabei, kenne ihn bisher kaum. „Vielleicht ist das einfach seine Art?“ Nach hitziger Debatte stellten wir fest: Im San Pablo Park ist an dem Tag schon eine Großveranstaltung der Stadt, wir müssen uns einen anderen suchen. Thema erledigt.

Nach der Sitzung kam Daryl nochmal auf mich zu: „Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich nicht denken, dass du ein Rassist bist.“ Ich guckte ihn verwirrt an: „Wieso sollte ich denn ein Rassist sein?“ Und dann begann ein 15-minütiges Gespräch, an dessen Ende wir beide viel gelernt hatten.

Er: „Du willst nicht in dem Park feiern, weil du Angst hast vor Menschen wie mir.“

Ich: „Hä?“

Er: „Vor schwarzen Menschen.“

Ich: „Oh, ich hatte gar nicht daran gedacht, dass die schwarz sind. Ich hab nur an ihre Waffen gedacht.“

Er: „Weil du sie nicht als Menschen siehst.“

Ich: „Doch, klar seh ich sie als Menschen.“

Er: „Nein, dann würdest du auch sehen, dass sie schwarz sind. Oder siehst du keine Farbe? (ACHTUNG schwerer Vorwurf der Colorblindness!!)“

Ich: „Ich sehe natürlich die Hautfarbe. Aber ich lebe noch nicht so lange in Berkeley. Seit Januar gab es da keine Schießerei. Deshalb hab ich keine Berichte gelesen oder Fotos von Verdächtigen gesehen. Und mir gar keine Gedanken darüber gemacht, ob das Schwarze oder Weiße waren.“

Er: „Aber du weißt doch, statistisch sind es fast immer Schwarze, die schießen.“

Ich: „Ja, das weiß ich. Aber das heißt doch nicht, dass es immer so ist.“

Er: „Nein. Trotzdem, die Leute haben Angst vor Menschen wie mir.“

Ich: „Meine Freunde wohnen dort, sie haben schwarze Freunde. Sie haben einfach nur Angst vor der Gewalt.“

Er: „Vor der Gewalt von Leuten wie mir. Und das zählt nicht. Sie haben schwarze Freunde, die so sind wie sie. Gebildet.“

Ich: „Gebildet wie du, ja. Und sie haben Angst vor der Gewalt von Idioten mit Waffen. Egal, welche Hautfarbe sie haben.“

Er: „Leider sind das meistens Schwarze in den USA.“

Ich: „Ja.“

Er: „Verstehst du, warum mich das Thema emotional so betrifft?“

Ich: „Ja. Verstehst du, warum ich hier für Inklusion bin, statt für ein politisches Zeichen?“

Er: „Nein. Wer nicht in den Park kommen will, schließt sich selbst aus.“

Danach haben wir einander noch 5 Minuten lang versichert, wie wichtig es ist, offen zu reden. Selbst, wenn man am Ende nicht einer Meinung ist. Aber wenigstens wissen wir nun beide, dass ich keine Rassistin bin. Immerhinque.

Ally-Award

Einmal im Monat werden Schüler beim „Community-meeting“ für Hilfsbereitschaft ausgezeichnet. Die Lehrer verleihen sie und rufen die Kinder einzeln auf. Vor der gesamten Schule. Das Foto der monatlichen Gewinner hängt vor dem Büro der Direktorin. Gut sichtbar für alle.

Ausgezeichnet für ihre Hilfsbereitschaft!

Im Juni war es soweit. Toni bekam einen Award. Dafür, dass sie gut auf andere achtet, gut beobachtet und freundlich ist. Ihre Lehrerin hatte uns einige Tage zuvor Bescheid gegeben. Also radelte ich morgens zur Schule. Ohne Toni einzuweihen, es sollte eine Überraschung sein. Allerdings bestand ich in der Früh darauf, dass sie sich ihre Haare kämmte.

Jedes Treffen beginnt mit der Wiederholung der Schulregeln: Sei freundlich. Sei hilfsbereit. Usw. Und natürlich die Erinnerung daran: Wir hören mit den Ohren, mit den Augen, mit dem Verstand und mit dem Herzen.

Und dann war es soweit. Strahlend stand Toni vor der Schule, ließ sich beklatschen und fotografieren. „Wofür eigentlich?“, fragte sie mich danach. „Ich hab doch nichts besonderes gemacht.“ Gefreut hat sie sich trotzdem.

Wohin verschwindet nur der Abendmahlswein?

Ich liebe Abendmahl feiern. Denn es kombiniert (fast) alles, was ich mag: Gemeinschaft von Menschen mit Menschen und mit Gott. Die Zusage von Vergebung und Gnade, ohne, dass ich was tun muss. Musik. Guten, schweren Wein (bei uns Portwein). In manchen Gemeinden leckeres Brot, bei uns die üblichen, pappigen Oblaten. Irgendwas muss ja verbesserungswürdig bleiben. Stärkung und Segen.

Jeden 2. und 4. Sonntag im Monat feiern wir in der St. Matthäuskirche Gottesdienst mit Abendmahl. Leider nicht mit Trinken aus dem Kelch (da nehm ich immer einen großen Schluck). ondern nur mit „Intunctio“ oder „Dippen“ der Oblate in den Wein- oder Saftkelch. Ich weiß schon, wirkt genauso, ist aber nur der halbe Spaß. Und wenn alle durch sind, ist der Kelch natürlich immer noch voll. Zu schade zum Wegkippen.

Am Ende des Gottesdienstes verabschiede ich immer die Gemeinde – und stehe damit in maximaler Entfernung zum restlichen Wein. Bis alle aus der Kirche raus sind, ist der Wein weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Wo ist er hin?

Ich fragte meine Kollegin. Sie wusste es nicht. „Frieda räumt immer auf.“ Meine Vermutung: Die sparsamen Deutschen kippen den Wein einfach wieder zurück in die Flasche. Ich hätte mich nicht mehr irren können.

Letzte Woche stürmte ich nach der Verabschiedungszeremonie in die Küche zu Frieda. „Wo ist der Wein?“ Frieda guckt mich entgeistert an. Die Frage hatte ihr noch nie jemand gestellt. „Ich hab ihn nicht getrunken.“, antwortet sie fast schuldbewusst. „Philomena teilt den immer mit anderen.“ Ich muss lachen. „Super, nächstes Mal wartet ihr auf mich! Ich möchte auch mittrinken.“ Allgemeines Aufatmen bei den Damen. Sie versprechen es mir.

Nächste Woche ist es soweit. Dann feiern wir die After-Party zu viert in der Küche. Etwas muss man ja fürs Herze tun.

Der große Auszug

Das akademische Jahr 2018/19 ist zu Ende. Die Prüfungen sind geschrieben. Die Graduations gefeiert. Die Fotos mit Umhang und Hüten geschossen.

Nun beginnt der große Auszug der gut 42.000 Studenten aus Berkeley für den Sommer. Das sind 1/3 der Bevölkerung. Wer über die Uni ein Zimmer bekommen hat, muss sofort nach Semesterende raus. Also stapeln sich im Univiertel die Besitztümer der Studis auf der Straße: Matratzen und Couches, Schreibtische und Stühle, vereinzelte Regale und Putzutensilien, Dosenessen und Fertignudelgerichte.

Flüssignahrung und Regal am Straßenrand.

Während einige Glückliche ihre Habseligkeiten auf elterliche Trucks laden können, müssen andere aller zurücklassen, was nicht in den Koffer im Flieger passt. Also ging ich auf Schatzsuche und fand: Drucker und Mikrowellen (die ich stehenließ), eine Heißluft-Popcornmaschine (da konnte ich nicht widerstehen), wunderbare Tassen (Highlight mit Rabbinerwitz: Wie trank Moses seinen Kaffee? HeBrewish… he brew = er braute) und eine knallrote Retrostehlampe (passend zu meinem roten Nachttisch).

Gegenüber von Theos Kita stehen jetzt 10 Container. Darin können Studis ihre Möbel über den Sommer lagern gegen eine Gebühr. Aber die meisten Neuankömmlinge werden sich im Herbst all das wieder (neu) kaufen müssen, was jetzt auf der Straße landet. Wirklich ärgerlich.

Memorial Day: Home of the free because of the brave!

Am letzten Montag im Mai ist Memorial Day in den USA, ein nationaler Feiertag. Supermärkte haben natürlich trotzdem geöffnet. An diesem Tag wird der gefallenen US-Soldaten gedacht. Mit Feiern, Reden, Kranzniederlegungen und Schweigeminute um 15.00.

Während die meisten den Tag für Ausflüge und Grillen nutzen, fuhren Toni und ich morgens in die nächstgelegene Stadt auf den Friedhof. Mein kleiner Chor, der sonst bei den Einbürgerungsfeiern singt, war für die Memorialzeremonie in Oakland „gebucht“. Freiwillig und kostenlos.

Empfangen wurden wir von Flaggen über Flaggen. Die sieht man hier sonst nie. „Blue-Star“-Mütter verteilten kostenlos Donuts und Kaffee, Rosen in den Nationalfarben (ja, auch blaue!) und Flaggen. Toni war also erstmal beschäftigt. Sie dachte sogar an Theo und brachte ihm von allem was mit.

Blue-Star-Mütter haben Kinder, die zur Zeit für die USA im Einsatz sind. Silver-Star-Mütter haben verwundete, heimgekehrte Kinder. Gold-Star-Mütter sind verwaist. Ihre Kinder sind im Krieg gefallen. Die Farbwahl erscheint mir etwas skurril. Suggeriert sie doch, dass Tod = Gold am besten ist.

Amerikanische Kultur: Flaggen, Hot Dogs, Donuts.

Die einstündige Zeremonie bestand vor allem aus patriotischen und emotionalen Reden und Musik. Eröffnet und beschlossen wurde sie von einem Pastor. Er hätte klischeehafter und peinlicher nicht sein können. Ein alter, weißer, blonder Mann, der ständig den Sprechern zum Dank seine Hand auf die Schulter legte oder sie freundschaftlich auf die Wange schlug. Patriarchalischer geht’s kaum. Seine „Predigt“ war eine einzige Glorifizierung des Heldentodes. Solche Ansprachen kannte ich bisher nur aus meinen Recherchen zu Kriegspredigten 1914-1918. Nie sprach er vom „Tod“ oder „Sterben“, immer vom „Opfer“. Wobei das größte Opfer die Hingabe des eigenen Lebens ist.

Nicht etwa von Jesus (wie ich naive Christin immer dachte), sondern von jedem einzelnen Soldaten. Und sosehr ich in jedem Menschen Christus sehen möchte, kann ich nicht glauben, dass jeder dieser vielen unsinnigen Tode zur Ehre Gottes und zur Versöhnung der Welt geschieht. Dafür ist doch Jesus gestorben. Um dem Opfern ein für allemal ein Ende zu bereiten. Davon war hier nichts zu hören. Keine Rede von Frieden oder Liebe. Nur Vaterland, Ehre, Opfer, Pflicht. Selbst der Segen war ein „Vergesst die Helden nicht, die alles gegeben haben, das sind wir ihnen schuldig im Namen Jesu. Amen.“ Das Ganze gebrüllt mit seiner „Kirchenstimme“. Dass er ein Mikro vor der Nase hatte, hat er einfach mal ignoriert.

Hab ihn gegoogelt. Hauptberuflich ist er freier Hochzeits- und Bestattungs-Pastor. Hat schon über 1000 Hochzeiten gehalten und ist beliebt für seinen „persönlichen, heiligen und leichtfüßigen Stil“. Ah ja.

Offiziere erzählten aus ihrem Leben und ihren Kämpfen. Von verlorenen Kameraden. Davon, wie der gemeinsame Kampf aus einer Gruppe normaler Bürger Helden mache. „Nicht alle Soldaten sind besonders. Manche erreichen vorher nicht viel und danach auch nicht. Aber in dem Moment, in dem sie für ihr Land kämpfen, sind sie Helden.“ Gut, dass Toni das noch nicht alles versteht. Ist Rekrutierungsrhetorik vom Feinsten.

Von dem Wunsch und Stolz, ihrem Land zu dienen. Um der Freiheit willen. Denn, „wenn wir auf unserem eigenen Boden angegriffen werden, müssen wir uns wehren. Damals nach Pearl Harbor. Und nach 9/11.“ Da war sie wieder, die unreflektierte Generalisierung.

Pearl Harbor: Danach wurden flächendeckend japanische Amerikaner interniert. 9/11: Seitdem sitzt der Hass auf den Islam hier tief. Es wird kaum differenziert zwischen Extremisten und Muslimen. Je größer die Wut, desto eher gehen Menschen in den Krieg. Für das Gute, die Gerechtigkeit, den Frieden. Und säen oft mehr Krieg und Hass und Terror.

Interessant: 4 von 5 Rednern an dem Tag kamen aus „Militärfamilien“ und sind mit Militärangehörigen verheiratet.

Die Musikauswahl war witzig. Wir sangen die Nationalhymne und nationale Schlager wie „My Country tis of thee“, „This is my country“ und „This Land is your land, this land is my land.“ Bei letzterem überraschte mich Toni damit, dass sie laut und deutlich mitsang. In der Schule lernen sie es. Allerdings mit allen Strophen. Auch den politischen, in denen es gegen Privateigentum und Hunger geht. Die werden sonst nie gesungen. Eine Dudelsackband dudelte „Amazing Grace“. Übergewichtige „Sons of the American Legion“ ballerten laute Schüsse aus Schrotflinten ab. Zur Ehre der Gefallenen. Deshalb marschierten auch die ca. 9-15-jährigen Pfandfinder auf samt Flagge und saßen eine Stunde gelangweilt vor der Tribüne.

Ich bin gespannt auf den Veterans-Day im November, wenn die zum Teil völlig verarmten Kriegsveteranen geehrt werden.