Naturalization: Einbürgerung als Neugeburt

Einmal im Monat werden in Oakland 800-1000 Menschen zu amerikanischen Staatsbürgern ernannt. Die Feier nennt sich Naturalization und findet im wunderschönen, prunkvollen Paramount-Theater statt.

„Natural“ Bürger sind eingeborene Staatsbürger. Durch die Naturalization werden Menschen quasi von Amerika adoptiert und zu Eingeborenen. Witzige Vorstellung irgendwie. Und etwas übergriffig. Die amerikanische Staatsbürgerschaft ist demnach mehr als ein Blatt Papier. Sie schafft eine neue Identität, eine zweite Haut.

Eine kleine Gruppe freiwilliger Sänger gestaltet die Feiern musikalisch und schmettert zum Beginn patriotische Lieder: herrlich schmalzig in Schusterterzen. Beim letzten Lied winken wir fleißig mit unseren Miniflaggen. Die amerikanischen Neubürger in spe klatschen fröhlich mit.

Die 13 Damen und Herren des Chores sind alle über 60, alle liberale Demokraten. Sie lieben ihr Land und verabscheuen die Politik von Trump. Eine Freundin sagte zu mir: „Dass ich hier singe, ist meine Art, gegen Trump zu protestieren. Ich heiße diese Menschen in unserem Land willkommen. Und Trump kann nichts dagegen tun. Das ist meine Mission.“

Die Lieder handeln von der Weite und Schöne des Landes, von der Freiheit und Freude, Amerika zur Heimat für alle zu machen. „Kommt her, die ihr mühselig und beladen seid“, heißt es in biblischen Anklängen. Amerika ist das gelobte Land, dass den Heimatlosen zur Heimat wird. Beim Singen des Textes muss ich an die Zeltstädte der Obdachlosen denken, an denen wir wenige Minuten zuvor vorbeigefahren sind. Das gelobte Land ist weit weg. Vielleicht besingen wir es deshalb umso inbrünstiger.

Im Mai singe ich wieder mit.

Theo und der Fotograf

Heute war der Fotograf im Kindergarten bei Theo. Schon 2 Wochen zuvor bekamen wir einen Hochglanzzettel zum Ankreuzen unseres Lieblingsbildhintergrundes. Außerdem gab es eine Seite voller Kleidungs- und Styletipps. Für Jungen gilt anscheinend grundsätzlich die 3H-Regel: Hose, Hemd, Hut.

Theo hat sich heute standhaft und erfolgreich geweigert, fotografiert zu werden. Warum?

„Mama, würdest du dich zwischen hässliche Plastikblumen setzen und ein Kochkostüm tragen – und dann fotografiert dich auch noch jemand?“

Recht hat er wohl.

Theos lustiges Kitaleben

Letzte Woche war „Woche des Kindes“ bei Theo in der Kita. Eigentlich ging es ums Spenden eintreiben. Verpackt war das in eine Mottowoche.

Montag: Pyjamatag: Theo: „Nee, sowas mach ich nicht.“

Dienstag: Kuscheltiertag: Löwi war – wie immer – mit im Kindergarten.

Mittwoch: Zieh-an-was-du-magst-Tag. Theo ging im Piratenkostüm.

Donnerstag: Festkleidungstag: Theo erschien in Hemd und Hose, Fliege und Sakko. „Ich war der Schönste!“

Theo ganz schick!

Freitag: Verkleidungstag: Theo ging ganz normal. Denn er wusste, dass es in der Kita Faschingskleidung gab, wenn man unverkleidet kam. Also durfte er den ganzen Tag als Drache herumlaufen.

Theos Kitagruppe geht einmal die Woche zum Sport. Theo geht allerdings nicht mehr mit. Warum? „Ach, da muss man immer erst im Kreis sitzen und dann machen, was der Lehrer sagt. Und dann darf man erst irgendwann Spaß haben.“ Was ist denn Spaß für dich? „Spielen und machen, was ich will.“ Ah ja, ich freu mich schon auf Theos Dasein als Schulkind ab August.

Fundraisen lernen!

Öffentliche Schulen und Kitas sind in Amerika anscheinend chronisch unterfinanziert. Deshalb müssen sie Gelder eintreiben, zumeist von den Eltern der Schüler. Damit das nicht so weh tut, gibt es lustige Fundraiser.

Rechts oben Theos Bild.

Letzte Woche wurden bei Theo in der Kita die Kunstwerke der Kinder bei einer „leisen Auktion“ versteigert. Theos feuerspeiender Drache (von dem er vermutlich nur den Körper grün und lila angemalt hat oder aber plötzlich über Nacht malen gelernt hat) erzielte stolze $35 und ziert nun die Wohnung seines Freundes Wes. Fazit der Woche: 20 von 23 Bildern wurden verkauft. Reinerlös $1015! Wahnsinn.

Toni muss hingegen gerade Lose verkaufen zu $2 das Stück. Ziel der Schule sind 35 verkaufte Tickets pro Schüler. Wir sind bei 12 bisher dank freundlicher Nachbarn. Als Hauptpreis winkt ein Mini-Ipad. Hoffentlich gewinnt es keines unserer Kinder, sonst gibt’s nur Streit. Die Sieger werden beim Schultanz nächste Woche gezogen.

Letzten Freitag mixte Tonis Schulleiterin mit anderen Eltern Cocktails in einer Bar in Berkeley. Das Trinkgeld kam der Schule zugute. Etwa $40.000 pro Schuljahr muss die Schule aufbringen, um alle Programme finanzieren zu können. Und das bei gut 300 Schülern und rund 220 Familien.

Das macht es nicht einfacher, Familien aller Einkommens- und Bildungsschichten miteinander zu verbinden zu einer Schulgemeinschaft. Denn letztlich geht es immer um Geld. Und wer das nicht hat, fühlt sich schnell weniger wert. Auch wenn die Schule immer wieder betont, dass dem nicht so sei. Das Gefühl bleibt.

Netzwerken ist alles

„Networking the American way“ hieß der Kurs, den ich gestern besuchte. Offiziell ging es um den Arbeitsmarkt und seine Mechanismen in den USA. Faktisch war es eine Lehrstunde über amerikanische Kommunikation.

In den USA werden gut 80% der Jobs über „Netzwerke“ oder „Beziehungen“ vergeben. Die meisten Stellen werden gar nicht offiziell ausgeschrieben, sondern über Headhunter und Empfehlungen vergeben.

Ein Beispiel unserer 55-jährigen Lehrerin Kate: Die Nichte (hat sie noch nie getroffen) ihrer Schulfreundin (von vor 40 Jahren) sucht einen Praktikumsplatz. Kate hat sich auf einer Party ca. 5 Minuten mit einer Frau unterhalten, die in der entsprechenden Branche arbeitet. Sie verbindet sich mit ihr auf LinkedIn und schreibt ihr einige Tage später über die Nichte der Freundin. Die Frau lässt sich den Lebenslauf zusenden und schickt ihn an denjenigen in ihrer Firma, der für Praktika zuständig ist. Die Nichte bekommt einen Platz.

Auf meine Nachfrage, was denn eine Empfehlung wert sei, wenn der Empfehlende die Empfohlene gar nicht kennt, stutzte die Lehrerin. „Man vertraut einander einfach.“

Konkret um Hilfe zu bitten, ist hier Teil der Gesellschaft. Wichtig ist der Gegenwert. Ich helfe dir, du hilfst mir, wenn ich dich bitte. Nichts wird vergessen.

Das erinnert mich an Erzählungen von unseren irakischen Freunden oder an meine eigenen Erfahrungen aus Rumänien. Ohne Beziehungen läuft gar nichts! Was haben Rumänien, Irak und USA gemeinsam? Kein staatlich gesichertes soziales Netz. Also muss es individuell geknüpft werden. Jeder ist sein eigener Headhunter, seine eigene Arbeitsagentur. Und weil das nicht funktioniert, verbindet man sich mit hunderten anderen Suchenden oder bald wieder Suchenden oder Eltern von Suchenden zu einer Mini-Arbeitsagentur. Je größer, desto besser und erfolgreicher.

Das erklärt auch die mich manchmal verwirrenden Smalltalks hier. Für Amerikaner sind 3 Dinge wichtig: Wer bin ich? Was kann/ biete ich? Was suche/ brauche ich? Diese drei Fragen sollte man innerhalb von 30-60 Sekunden auf gelassene, interessante Weise beantworten können. Immer und überall. Denn jeder Gesprächspartner ist ein potentieller Kontakt ist ein potentieller Schlüssel zum nächsten Job/ Auto/ Babysitter… Man will einander helfen, weil man nur so Hilfe erwarten kann.

Sprich, ich habe die Frage „Was machst du denn so in Berkeley?“ bisher immer falsch beantwortet. Nämlich persönlich, über Familie und Kinder gesprochen. In Zukunft wird der Teil kürzer ausfalllen und ich werde stärker artikulieren, was ich suche.

Ergebnisse des Abends:

  1. Ich brauche ein LinkedIn-Profil.
  2. Ich brauche Visitenkarten.
  3. Ich muss mir darüber klar werden, was ich im nächsten Jahr arbeiten möchte und das möglichst in jedem Gespräch kurz erwähnen.
  4. Menschen um Rat und Hilfe bei der Jobsuche zu bitten, ist hier gang und gäbe; nicht unhöflich.
  5. Netzwerk bedeutet nicht, dass man einander wirklich kennt oder sich wenigstens schon mal begegnet ist. Netzwerk heißt, ich kenne den Weg durchs weit verzweigte Geäst von mir bis zur dänischen Königin/ dem CEO der Firma, für die ich arbeiten möchte usw.!

Berkeley: Wo die Welt zu Hause ist

Tonis Klassenfoto könnte auch ein Bild der Abgeordneten der United Nation als Kinder sein. Kinder in allen Farben der Welt teilen sich das Klassenzimmer. Die meisten sind Amerikaner. Daneben gibt es ein indisches Zwillingspaar, einen chilenischen und einen australischen Jungen, zwei deutsche Mädchen. Spanisch und Englisch und Deutsch wird hier regelmäßig gesprochen, alle anderen Sprachen sind willkommen.

In Berkeley mit seinen ca. 130.000 Einwohnern ist die Wahrscheinlichkeit, Menschen aus aller Welt zu treffen, extrem hoch. Die Uni hat internationale Anziehungskraft, die Stadt ist offen, die Menschen heißen einander willkommen. Ich habe noch nie zuvor an einem fremden Ort so schnell so viele spannende Leute kennengelernt (und ich bin schon oft umgezogen…).

Man redet hier mit seinen Nachbarn, grüßt jeden auf der Straße (Toni jedenfalls lautstark) und wird gegrüßt. Man guckt nicht nur blöd (Oh, was macht der Junge da. Klettert der etwa in der S-Bahn?), sondern schnackt einfach kurz über die Situation oder wird auch mal belehrt… Aber auf jeden Fall muss ich mir nicht aus den Blicken meiner Mitmenschen zusammenreimen, was sie denken. Sie sagen es mir eh ungefragt.

Erstaunlicherweise treffe ich die meisten Menschen gar nicht „organisiert“ über die Uni. Sondern: auf dem Spielplatz, beim Sport, im Chor, bei Tonis Chor, am Schulbus, über facebook und Olio (Lebensmittelrettung) und nextdoor (NachbarschaftsApp). Das ist per se nicht ungewöhnlich. Besonders ist hier, dass sich aus kurzen Gesprächen viel schneller ein Austausch von Telefonnummern und eine Verabredung ergeben, als in Deutschland. Für jemanden wie mich, die ich ohne soziale Kontakte nicht überleben kann, ein Traum.

Ein Traum, den ich weiter träumen möchte, egal wo ich lebe.

Wenn ich so durch Berkeley radele, dann denke ich manchmal: Wow, ich fühle mich hier wirklich wohl und zu Hause. Und das nach so kurzer Zeit. Es kann nicht am Wetter liegen (bisher gab es viiiiiel Regen und weniger Sonne), nicht an der Schönheit der Stadt (sie ist weder hässlich, noch schön; unaufgeregt, grün, überschaubar), nicht an unserem Lebensstandard (niedrig). Es liegt einzig und allein an den Menschen in Berkeley. Denn hier ist die Welt zu Hause. Und ich bin so dankbar, ein Teil davon sein zu dürfen.

Soccer Mom

Ich bin eine „Soccer Mom“. Nicht, weil Toni plötzlich das Fußball spielen entdeckt hat. „Soccer Mom“ ist hier die Bezeichnung für Mütter, die ihre Kinder zu Freizeitaktivitäten bringen.

Montag: Zirkusakrobatik. Dienstag: Chor oder Playdate. Mittwoch: Frei (Puh). Donnerstag: Chor. Freitag: Frei oder Bibliothek. So sieht Tonis und meine Woche im Moment nachmittags aus. (Echte kalifornische Kinder haben auch noch Klavierunterricht und Sport und Schach am Wochenende…. Aber da müssen wir uns alle erholen von der Woche!) Also radeln wir fröhlich durch Berkeley. Ich sitze dann 1 bis 2 Stunden am PC in der Sonne oder in der Turnhalle oder im stickigen Raum neben der Chorprobe und schreibe oder lese. Und dann radeln wir wieder zurück. Ich fröhlich, Toni fröhlich und müde.

Wieder ein Schritt mehr, dass ich mich so richtig als Mutti fühle. Das Leben meiner Kinder wird immer facettenreicher und sozialer. Meins dafür – anders.

Letzte Woche sang Toni in ihrem ersten Chorkonzert mit. Die Melodie der Lieder kannte sie, die Worte formte sie irgendwie. „Love, love“ wurde bei ihr zu „Bla, bla“. Versucht mal, „love, love“ schnell und oft hintereinander zu sprechen. Genau! Blabla… 🙂

Teilweise war Toni so überwältigt vom Klang um sie herum, dass sie sich staunend zum Chor umdrehte und der wild fuchtelnden, direkt vor ihr stehenden Dirigentin keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. So ein richtiger Kinder- und Jugendchor ist schon mächtig gewaltig für eine 6-Jährige.

Tonis Versuch, sich ihren Schneidezahn während des Konzertes ziehen, schlug zum Glück fehl.

Sonnenschein verpflichtet?!

Der Regen gönnt uns endlich eine Pause und mittags wird es inzwischen herrlich war. Toni (in Unterwäsche) und ich (im Spaghettitop) sitzen dann im Garten und essen Mittag, quatschen und genießen. So weit, so gut.

Problematisch sind für mich Tage wie heute. Tage, wie sie wohl die nächsten 6 Monate sein werden. Schon morgens scheint die Sonne, ab 10.00 verführerisch, ab 11.00 kann ich mich kaum noch drinnen halten. Ab 12.00 krampft sich mein Magen zusammen vor Unruhe. Ich kann doch bei solch schönem Wetter nicht drinnen hocken. Stubenhocker sein. Pfui!!

Sonnenbad im Garten auf den frisch geschrubbten Gartenstühlen.

Andererseits: Draußen kann ich nicht richtig arbeiten. Im Sonnenlicht sehe ich kaum meinen Bildschirm. Schreiben geht kaum, Lesen gar nicht. Einziger Trost: Die meisten Bücher kann man hier auch als Hörbuch ausleihen.

Heute früh am Schulbus eine typische interkontinentale Szene bei aufgehender Sonne und frühlingshaften Temperaturen nach Hamburger Maßstab.
Endlich bekam ich eine Erklärung für mein Sonnenleiden. Von einem norwegischen Vater (und Soziologieprofessor, der u.a. in Rostock geforscht hat, er muss es also wissen).

Ich: „Heute ist herrliches Wetter. Es ist richtig angenehm warm.“

Türkische Mutter (seit 10 Jahren in Berkeley): „Nein! Es ist kalt. So sollte es nicht sein.“

Norwegischer Vater: „Ja, es ist schön.“

Türkische Mutter: „Das ist der längste Winter, den ich in den 10 Jahren erlebt habe. Normalerweise haben wir ab Februar solche Temperaturen wie die letzten Tage.“

Ich: „Ach, naja, ich hab ein Problem mit zu gutem Wetter. Dann kann ich nicht arbeiten. Ich muss dann draußen sein.“

Norwegischer Vater: „Verstehe ich. Das ist das nordeuropäische Trauma. Sobald die Sonne scheint, jagen die Eltern ihre Kinder raus. Sonne tanken sagen sie. Vitamin D meinen sie. Es fühlt sich wie eine Sünde an, bei gutem Wetter im Haus zu bleiben. Das ist geradezu unmoralisch.“

Ich nicke zustimmend und fühle mich in meinem Innersten verstanden. So ist es! Jetzt muss ich nur noch eine Arbeitsüberlebensstrategie entwickeln für Kalifornien. Mit der Hand schreiben? Blind tippen? Sonnenschirm aufstellen?

In Griechenland hatte ich das Problem übrigens nicht. Da saß ich eh den ganzen Tag auf dem Balkon beim Lernen 🙂

Alcatraz

Die Gefängnisinsel in der Bay von San Francisco ist der Tourimagnet Nr. 1. Tickets sollte man laut Reiseführer mind. 1 Monat vorher buchen. Wir kauften sie einfach einen Tag im Voraus. Dank Wochentag und Nebensaison.

Bei strahlendem Sonnenschein bot die Fährfahrt eine herrliche Aussicht auf Bay und Brücken, Stadt und Inseln. Allein dafür lohnt sich der Ausflug schon. Alcatraz selbst ist eine karge und steinige Insel. Berühmt für die kaum 29 Jahre, in denen es als Hochsicherheitsgefängnis der USA diente bis 1963.

Die schlimmste Strafe war vermutlich schon die Lage. Jeden Tag wurden die Gefangenen beim Ausgang daran erinnert, was sie vermissten: Die Stadt, das Meer, die Freiheit. San Francisco scheint zum Greifen nah. Aufgrund der heftigen Winde und Strömungen ist es jedoch unmöglich, die 2km schwimmend zu überwinden. Ob überhaupt irgendwer seinen Ausbruch überlebt hat, ist bis heute ungewiss.

Ein Audioguide führte uns durch die alten Mauern. Klingt erstmal unspektakulär. Aber es war endlich mal ein Audioguide, der es locker mit einem Kriminalhörspiel aufnehmen könnte. Toni und Theo hörten ihn 2x komplett durch. Beim 2. Mal erzählten sie uns ständig, was sie gerade hörten. So spannend war es. Unsere 5 Stunden auf der Insel verflogen im Nu!

Ein paar Anekdoten: Jeden Abend war es den Gefangenen erlaubt, eine Stunde lang zu musizieren. Jeder in seiner eigenen Zelle natürlich. Alle in einem großen Gebäude. Es muss ein Höllenlärm gewesen sein. Manche spielten tatsächlich Instrumente, aber die meisten klopften mit Löffeln gegen die Gitter oder schlugen Blechtasse und Blechnapf gegeneinander.

Gegen die Langeweile gab es eine riesige Bibliothek. Mancher Gefangene las bis zu 100 Bücher im Jahr. Allerdings waren alle Seiten mit kriminellen, blutigen oder sexuellen Geschichten rausgerissen.

Die Verpflegung war gut. Denn ein voller Bauch rebelliert nicht gern.

Grundsätzlich galt die Unterbringung als modern. Gegen die Gefangenen wurde keine Gewalt angewendet (mal abgesehen von begrenzter Einzelhaft in absoluter Dunkelheit für bis zu 11 Tage). Die viele Zeit in den Einzelzellen galt als Chance, sein Leben für sich zu überdenken und so zu bessern.

Auf der Insel lebten nicht nur die Gefangenen, sondern auch viele Wärter und der Direktor mit seiner Familie. Für die Kinder war es ein kleines Paradies des Freiraums. „Es war wie eine idyllische Kleinstadt mit der einen schlechten Nachbarschaft eben. Da sollten wir nicht hingehen.“

Highlight des Tages und Special Guest war eine Signierstunde mit William Baker, einem ehemaligen Gefangenen von Alcatraz. Er hat ein Buch darüber geschrieben. Laut seinem Lebenslauf landete er nach drei Ausbruchsversuchen aus anderen Gefägnissen mit Anfang 20 in Alcatraz. Die drei Jahre auf der Insel nutzte er und lernte das „Handwerkszeug“ fürs Schecks fälschen. Fortan sahen die nächsten 50 Jahre seines Lebens so aus: Entlassung, Fälschungen, Erwischt, Gefangen, Entlassung, Fälschungen, Erwischt, Gefangen usw. usw. Ein absolut unbelehrbarer Krimineller also. Heute ist er Anfang 80. Sprich, seit ca. 7 Jahren in Freiheit. Und da sitzt er als Ehrengast und signiert sein im Selbstverlag erschienenes Buch. Irgendwie skurril.

Ex-Häftling Baker bei der Signierstunde.

In den USA gibt es inzwischen ein Gesetz, dass Schwerverbrecher ihre Geschichten zwar noch veröffentlichen dürfen. Aber das damit verdiente Geld geht an Hilfsorganisationen. So soll verhindert werden, dank der eigenen Schandtaten reich zu werden. Berühmt werden geht immer noch. Und wenn es nur für einen Tag im Museumsshop von Alcatraz ist.

Einziger Wermutstropfen: Die Geschichte von Alcatraz vor und nach der Gefängniszeit wird kaum beleuchtet. Die Insel war ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Militärbasis samt Fort nach Ende des mexikanisch-amerikanischen Kriegs. (Kalifornien war bis 1848 mexikanisch. Der Goldrausch begann direkt danach. Echtes Pech für Mexiko!) Im amerikanischen Bürgerkrieg wurde San Francisco von Alcatraz aus verteidigt. Später fungierte es als Militärgefängnis. Auch Indianer wurden inhaftiert. Der Grund: Sie weigerten sich, ihre Kinder auf staatliche, christliche Internate zur Umerziehung zu schicken.

„Peace and Freedom Welcome to the home of the Free Indian Land“ und „free Indian land — Indians welcome.“, steht auf dem Turm. Graffiti geschrieben 1969, restauriert 2012.

In Erinnerung daran, aus Wut über die kontinuierlichen Enteignungen und aus Protest gegen den Umgang mit Indianern, besetzten 1969 Studenten die Insel für 2 Jahre. Sie forderten, hier ein Bildungs-, Ökologie und künstlerisches Zentrum aufzubauen. Ergebnis: Präsident Nixon unterzeichnete ein Gesetz, dass Indianern grundsätzlich mehr Rechte zur Selbstverwaltung erlaubt.

Fun-Fact: Alcatraz ist wahrscheinlich der einzige Ort in der Bay-Area, an dem KEINERLEI Essen und Trinken verkauft wird.

Ordinierte Pastorin? Ah…..

„Ich bin Pastorin.“ Die Reaktionen auf meinen Beruf waren ja schon immer spannend. Von „Oh“ (echt???) zu „Oh“ (coooool!!) zu „Oh“ (Hilfe!). Neu ist hier das „Oh“ (Und was soll das jetzt heißen? Hat die überhaupt studiert? Kann die was?).

Pastor kann in den USA so ziemlich jeder werden. Er braucht nur eine Kirche oder gründet einfach eine, nennt sich Pastor. Fertig. Ein Studium ist nicht zwingend erforderlich. Schon gar keine 6 Jahre Uni plus 2 1/2 Jahre Vikariat. Um hier lutherischer Pastor zu werden, muss man: 1. einer lutherischen Kirche angehören. 2. ein zweijähriges lutherisches Seminar besuchen und 3. ein Jahr Vikariat absolvieren. Ziemlich überschaubar. Gelernt wird nur das, was man fürs Pfarrleben unbedingt wissen sollte. (Und vermutlich nur das, was wir deutschen Volltheologen einige Jahre nach unserem Examen nicht wieder vergessen haben.)

„Ich bin ordinierte Pastorin.“ Ok, das macht es nicht besser. Denn ordiniert werden kann hier jeder. Innerhalb von wenigen Klicks. Die „Church of Life“ bietet das z.B. online an. Preis fürs Ordinationsgesamtpaket: $29. Der Andrang ist gewaltig. Denn wer „ordiniert“ ist, darf in den USA Menschen verheiraten. Ganz legal, mit allen rechtlichen Konsequenzen.

Eine Bekannte erzählte, sie habe ihre Freunde auf diese Weise getraut. „Ich war mir sicher, dass das nicht funktionieren kann.“, erzählte sie lachend. „Aber am Ende waren die beiden wirklich verheiratet und ich hatte alle Urkunden im Namen des Staates und der „Church of Life“ unterschrieben.“ Sie ist ja offiziell ein „ordained minister“, obgleich Jüdin. Hier geht alles.

Eine dänische Mitsängerin in meinem Chor ist ebenfalls Ordinierte der „Church of Life“. Um in den USA den Job des Standesbeamten machen zu dürfen, braucht man offensichtlich kein Staatsbürger zu sein. Ordiniert reicht.

Der historische Hintergrund: Während des Vietnamkriegs war es für ordinierte Soldaten weniger gefährlich. Als „Feldgeistliche“ wurden sie seltener an die Front geschickt. Daraufhin entstanden alle möglichen Minikirchen mit einer Vielzahl an Pastoren. Ordination als Lebensretter.

Und ich frage mich, was gewesen wäre, wenn es am Ende nur noch Soldatenpastoren gegeben hätte. Wäre der Krieg schneller vorbei gewesen? Unblutiger? Kann eine Pro-Forma-Ordination einen Sinneswandel bewirken? Wäre die Welt besser, wenn alle ordiniert wären? Fragen über Fragen.

Gefragt, was ich mache, antworte ich inzwischen: Ich bin lutherische Pastorin mit einem PhD in „Religious Studies“. Seriöser wird’s nicht.