„Networking the American way“ hieß der Kurs, den ich gestern besuchte. Offiziell ging es um den Arbeitsmarkt und seine Mechanismen in den USA. Faktisch war es eine Lehrstunde über amerikanische Kommunikation.
In den USA werden gut 80% der Jobs über „Netzwerke“ oder „Beziehungen“ vergeben. Die meisten Stellen werden gar nicht offiziell ausgeschrieben, sondern über Headhunter und Empfehlungen vergeben.
Ein Beispiel unserer 55-jährigen Lehrerin Kate: Die Nichte (hat sie noch nie getroffen) ihrer Schulfreundin (von vor 40 Jahren) sucht einen Praktikumsplatz. Kate hat sich auf einer Party ca. 5 Minuten mit einer Frau unterhalten, die in der entsprechenden Branche arbeitet. Sie verbindet sich mit ihr auf LinkedIn und schreibt ihr einige Tage später über die Nichte der Freundin. Die Frau lässt sich den Lebenslauf zusenden und schickt ihn an denjenigen in ihrer Firma, der für Praktika zuständig ist. Die Nichte bekommt einen Platz.
Auf meine Nachfrage, was denn eine Empfehlung wert sei, wenn der Empfehlende die Empfohlene gar nicht kennt, stutzte die Lehrerin. „Man vertraut einander einfach.“
Konkret um Hilfe zu bitten, ist hier Teil der Gesellschaft. Wichtig ist der Gegenwert. Ich helfe dir, du hilfst mir, wenn ich dich bitte. Nichts wird vergessen.
Das erinnert mich an Erzählungen von unseren irakischen Freunden oder an meine eigenen Erfahrungen aus Rumänien. Ohne Beziehungen läuft gar nichts! Was haben Rumänien, Irak und USA gemeinsam? Kein staatlich gesichertes soziales Netz. Also muss es individuell geknüpft werden. Jeder ist sein eigener Headhunter, seine eigene Arbeitsagentur. Und weil das nicht funktioniert, verbindet man sich mit hunderten anderen Suchenden oder bald wieder Suchenden oder Eltern von Suchenden zu einer Mini-Arbeitsagentur. Je größer, desto besser und erfolgreicher.
Das erklärt auch die mich manchmal verwirrenden Smalltalks hier. Für Amerikaner sind 3 Dinge wichtig: Wer bin ich? Was kann/ biete ich? Was suche/ brauche ich? Diese drei Fragen sollte man innerhalb von 30-60 Sekunden auf gelassene, interessante Weise beantworten können. Immer und überall. Denn jeder Gesprächspartner ist ein potentieller Kontakt ist ein potentieller Schlüssel zum nächsten Job/ Auto/ Babysitter… Man will einander helfen, weil man nur so Hilfe erwarten kann.
Sprich, ich habe die Frage „Was machst du denn so in Berkeley?“ bisher immer falsch beantwortet. Nämlich persönlich, über Familie und Kinder gesprochen. In Zukunft wird der Teil kürzer ausfalllen und ich werde stärker artikulieren, was ich suche.
Ergebnisse des Abends:
- Ich brauche ein LinkedIn-Profil.
- Ich brauche Visitenkarten.
- Ich muss mir darüber klar werden, was ich im nächsten Jahr arbeiten möchte und das möglichst in jedem Gespräch kurz erwähnen.
- Menschen um Rat und Hilfe bei der Jobsuche zu bitten, ist hier gang und gäbe; nicht unhöflich.
- Netzwerk bedeutet nicht, dass man einander wirklich kennt oder sich wenigstens schon mal begegnet ist. Netzwerk heißt, ich kenne den Weg durchs weit verzweigte Geäst von mir bis zur dänischen Königin/ dem CEO der Firma, für die ich arbeiten möchte usw.!