Das akademische Jahr 2018/19 ist zu Ende. Die Prüfungen sind geschrieben. Die Graduations gefeiert. Die Fotos mit Umhang und Hüten geschossen.
Nun beginnt der große Auszug der gut 42.000 Studenten aus Berkeley für den Sommer. Das sind 1/3 der Bevölkerung. Wer über die Uni ein Zimmer bekommen hat, muss sofort nach Semesterende raus. Also stapeln sich im Univiertel die Besitztümer der Studis auf der Straße: Matratzen und Couches, Schreibtische und Stühle, vereinzelte Regale und Putzutensilien, Dosenessen und Fertignudelgerichte.
Während einige Glückliche ihre Habseligkeiten auf elterliche Trucks laden können, müssen andere aller zurücklassen, was nicht in den Koffer im Flieger passt. Also ging ich auf Schatzsuche und fand: Drucker und Mikrowellen (die ich stehenließ), eine Heißluft-Popcornmaschine (da konnte ich nicht widerstehen), wunderbare Tassen (Highlight mit Rabbinerwitz: Wie trank Moses seinen Kaffee? HeBrewish… he brew = er braute) und eine knallrote Retrostehlampe (passend zu meinem roten Nachttisch).
Gegenüber von Theos Kita stehen jetzt 10 Container. Darin können Studis ihre Möbel über den Sommer lagern gegen eine Gebühr. Aber die meisten Neuankömmlinge werden sich im Herbst all das wieder (neu) kaufen müssen, was jetzt auf der Straße landet. Wirklich ärgerlich.
Am letzten Montag im Mai ist Memorial Day in den USA, ein nationaler Feiertag. Supermärkte haben natürlich trotzdem geöffnet. An diesem Tag wird der gefallenen US-Soldaten gedacht. Mit Feiern, Reden, Kranzniederlegungen und Schweigeminute um 15.00.
Während die meisten den Tag für Ausflüge und Grillen nutzen, fuhren Toni und ich morgens in die nächstgelegene Stadt auf den Friedhof. Mein kleiner Chor, der sonst bei den Einbürgerungsfeiern singt, war für die Memorialzeremonie in Oakland „gebucht“. Freiwillig und kostenlos.
Empfangen wurden wir von Flaggen über Flaggen. Die sieht man hier sonst nie. „Blue-Star“-Mütter verteilten kostenlos Donuts und Kaffee, Rosen in den Nationalfarben (ja, auch blaue!) und Flaggen. Toni war also erstmal beschäftigt. Sie dachte sogar an Theo und brachte ihm von allem was mit.
Blue-Star-Mütter haben Kinder, die zur Zeit für die USA im Einsatz sind. Silver-Star-Mütter haben verwundete, heimgekehrte Kinder. Gold-Star-Mütter sind verwaist. Ihre Kinder sind im Krieg gefallen. Die Farbwahl erscheint mir etwas skurril. Suggeriert sie doch, dass Tod = Gold am besten ist.
Die einstündige Zeremonie bestand vor allem aus patriotischen und emotionalen Reden und Musik. Eröffnet und beschlossen wurde sie von einem Pastor. Er hätte klischeehafter und peinlicher nicht sein können. Ein alter, weißer, blonder Mann, der ständig den Sprechern zum Dank seine Hand auf die Schulter legte oder sie freundschaftlich auf die Wange schlug. Patriarchalischer geht’s kaum. Seine „Predigt“ war eine einzige Glorifizierung des Heldentodes. Solche Ansprachen kannte ich bisher nur aus meinen Recherchen zu Kriegspredigten 1914-1918. Nie sprach er vom „Tod“ oder „Sterben“, immer vom „Opfer“. Wobei das größte Opfer die Hingabe des eigenen Lebens ist.
Nicht etwa von Jesus (wie ich naive Christin immer dachte), sondern von jedem einzelnen Soldaten. Und sosehr ich in jedem Menschen Christus sehen möchte, kann ich nicht glauben, dass jeder dieser vielen unsinnigen Tode zur Ehre Gottes und zur Versöhnung der Welt geschieht. Dafür ist doch Jesus gestorben. Um dem Opfern ein für allemal ein Ende zu bereiten. Davon war hier nichts zu hören. Keine Rede von Frieden oder Liebe. Nur Vaterland, Ehre, Opfer, Pflicht. Selbst der Segen war ein „Vergesst die Helden nicht, die alles gegeben haben, das sind wir ihnen schuldig im Namen Jesu. Amen.“ Das Ganze gebrüllt mit seiner „Kirchenstimme“. Dass er ein Mikro vor der Nase hatte, hat er einfach mal ignoriert.
Hab ihn gegoogelt. Hauptberuflich ist er freier Hochzeits- und Bestattungs-Pastor. Hat schon über 1000 Hochzeiten gehalten und ist beliebt für seinen „persönlichen, heiligen und leichtfüßigen Stil“. Ah ja.
Offiziere erzählten aus ihrem Leben und ihren Kämpfen. Von verlorenen Kameraden. Davon, wie der gemeinsame Kampf aus einer Gruppe normaler Bürger Helden mache. „Nicht alle Soldaten sind besonders. Manche erreichen vorher nicht viel und danach auch nicht. Aber in dem Moment, in dem sie für ihr Land kämpfen, sind sie Helden.“ Gut, dass Toni das noch nicht alles versteht. Ist Rekrutierungsrhetorik vom Feinsten.
Von dem Wunsch und Stolz, ihrem Land zu dienen. Um der Freiheit willen. Denn, „wenn wir auf unserem eigenen Boden angegriffen werden, müssen wir uns wehren. Damals nach Pearl Harbor. Und nach 9/11.“ Da war sie wieder, die unreflektierte Generalisierung.
Pearl Harbor: Danach wurden flächendeckend japanische Amerikaner interniert. 9/11: Seitdem sitzt der Hass auf den Islam hier tief. Es wird kaum differenziert zwischen Extremisten und Muslimen. Je größer die Wut, desto eher gehen Menschen in den Krieg. Für das Gute, die Gerechtigkeit, den Frieden. Und säen oft mehr Krieg und Hass und Terror.
Interessant: 4 von 5 Rednern an dem Tag kamen aus „Militärfamilien“ und sind mit Militärangehörigen verheiratet.
Die Musikauswahl war witzig. Wir sangen die Nationalhymne und nationale Schlager wie „My Country tis of thee“, „This is my country“ und „This Land is your land, this land is my land.“ Bei letzterem überraschte mich Toni damit, dass sie laut und deutlich mitsang. In der Schule lernen sie es. Allerdings mit allen Strophen. Auch den politischen, in denen es gegen Privateigentum und Hunger geht. Die werden sonst nie gesungen. Eine Dudelsackband dudelte „Amazing Grace“. Übergewichtige „Sons of the American Legion“ ballerten laute Schüsse aus Schrotflinten ab. Zur Ehre der Gefallenen. Deshalb marschierten auch die ca. 9-15-jährigen Pfandfinder auf samt Flagge und saßen eine Stunde gelangweilt vor der Tribüne.
Ich bin gespannt auf den Veterans-Day im November, wenn die zum Teil völlig verarmten Kriegsveteranen geehrt werden.
„Wie viele Dollar hat Berkeley im letzten Jahr für die Instandhaltung seiner Straßen ausgegeben?“, fragte uns ein Freund. Wir überlegten, er grinste. Ah, also eine Fangfrage. „Null?“ – „Ja, genau.“
In entsprechendem Zustand sind die Straßen. Schlaglöcher wohin das Auge blickt, aufgerissener Asphalt, fehlende Markierungen. Zum Glück sind die Fahrbahnen so breit, dass man meistens ausweichen kann.
Selbst auf der Autobahn sieht es so aus. Die erlaubten 65 Meilen pro Stunde (104 km/h) fühlen sich entsprechend halsbrecherisch schnell an auf manchen Strecken. Wenn plötzlich alle vor dir ohne ersichtlichen Grund bremsen, unbedingt nachahmen. Die kommende Bodendelle dürfte besonders heftig sein.
Wo fließen die Steuergelder nur hin? Vielleicht in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr? Weit gefehlt. Die Bart (S-Bahn) fährt wie die Straßenbahnen in meiner Kindheit: laut, langsam, ohrenbetäubend quietschend.
Die Züge sehen aus wie semi-moderne Regionalzüge. Der Schein trügt, denn sie imitierten Dampflocks auf dem 19. Jahrhundert: Sie tuten minutenlang, dass man es in ganz Berkeley hört und kriechen im Schneckentempo durch die Lande.
Schnellbahnen und ICEs wären ja mal ein Anfang. Aber bis die kommen, fahren hier die ersten selbstfahrenden Autos. Und dann kommen vielleicht die selbstfahrenden Busse und dann haben wir schon fast ein funktionierendes Nahverkehrsystem – ca. 2050!
… dann lebst du glückselig in Berkeley. Mit eigenem Zitronenbaum vor der Haustür. Mit Nachbarn, die noch mehr Zitronen haben. Und zwar das ganze Jahr über.
Zitronenlimonade und heiße Zitrone sind der beste Ersatz für die schweineteuren Säfte hier. Die Kinder bereiten sie inzwischen fachmännisch zu: Zitronen pressen, Zucker nach Belieben, etwas kochendes Wasser drüber gießen, damit sich der Zucker auflöst, mit kaltem Wasser aufgießen. UND natürlich Eiswürfel reinwerfen. Wir sind in Amerika.
Zu Erntehochzeiten hatten wir so viele Zitronen, dass wir sie beim besten Willen nicht austrinken können. Also kochten Toni und ich Lemoncurd/ Zitronenbutter. Oberlecker, einfach und mit Suchtpotential. Passt zu Bagels und Pfannkuchen und lässt sogar Toastbrot zum Geschmackserlebnis werden.
Aldi heißt in Amerika Trader Joe’s (deshalb kommen bei Aldi auch alle amerikanischen Produkte von Trader Joe’s für 1/3 des amerikanischen Preises). Der Laden wirbt damit, lokal und ökologisch zu sein. Und hipp. Mit Altpapiertüten und Feinkostpreisen.
Letzte Woche flatterte die Werbung in unseren Briefkasten. Zunächst kaum als solche zu erkennen, weil im altertümlichen Zeitungsformat.
Schon der Untertitel ist nahezu religiös: Immer kostenlos, jeden Penny wert. Quasi wie Gnade.
Jedes beworbene Produkt ist Teil einer Geschichte, erzählt eine Geschichte und hat das Zeug dazu, deine individuelle Lebensgeschichte zu bereichern. Das ist die Strategie. Und sie geht auf. Ich las und las, bekam Lust auf Eis und Brezen und Wein. Zum Glück gibt’s auch eine Einkaufsliste zum Ankreuzen. Sehr praktisch.
Am Ende kaufte ich nichts davon, weil ich einfach so gut wie nie Shoppen gehe hier. Und wenn, dann strikt nach lebensnotwendigen Bedürfnissen. Aber irgendwann werde ich wohl bestimmt schwach. Das Werbeformat ist einfach zu gut. Ich freu mich schon auf die nächsten Geschichten.
Zu graduieren, also die Schule und Uni erfolgreich abzuschließen, ist einer der großen amerikanischen Träume von Eltern und Kindern. Also beginnt man früh damit. Schon die Kitakinder „graduieren“. Mit Hut natürlich.
Zur Feier waren alle Eltern, Geschwister, Großeltern usw. eingeladen. Wir saßen auf Miniholzstühlen und warteten. Auf den pompösen Einzug unserer Stars von morgen. Die Kinder gingen in Reih und Glied. Bis Theo an der Reihe war. Er fand es einfach nur albern, lachte und warf seinen Hut runter. Leider kannten die Lehrer da gar kein Pardon. Der papierne Graduation-Hut kommt gefühlt gleich nach der amerikanischen Flagge. In Berkeley vermutlich sogar noch davor. Also versuchten sie Theo mit aller Kraft, diesen Hut wieder aufzusetzen.
Bis Theo brüllte. Philipp musste hin und helfen. Für Theo war die Feier damit gelaufen. Er war wütend auf die Lehrer, verpasste das gemeinsame Singen, wurde noch wütender und saß irgendwann schmollend mit mir auf der Couch.
Dabei hatte er mich einige Tage zuvor damit überrascht, klar und deutlich zu singen: „Lean on me, when you’re not strong, and I’ll be your friend.“ Gefolgt von „She sells sea-shells by the seashore“.
Ironisches Highlight der Vorführung war der Moment, in dem die 5-Jährigen sangen: „Best time of my life“. Während die Eltern gerührt blinzelten, musste ich mir einen Lachanfall verkneifen. Hoffentlich war das nicht die beste Zeit ihres Lebens. Wäre ein schlechtes Omen für die nächsten 80 Jahre…
Beim „Potluck“ (jeder bringt was zu Essen mit) danach gab es für uns Eltern alles, was das Herz begehrt. Die Kinder bekamen „Corn Dog“: Würstchen im süßen Maismehlmantel, frittiert. Theo und Toni fanden es eklig und suchten Essasyl bei uns. Nach 1 1/2 Stunden Kulturschock saßen wir laut lachend im Auto. Verrückt, diese Amis.
San Francisco ohne Golden Gate Bridge? Geht ziemlich gut. Aber ist natürlich ein Unding. Also fuhren wir eines schönen Sonntags nach der Kirche hin. „Golden Gate Bridge“, übten wir mit den Kinder. Ist ein ziemlicher Zungenbrecher für Englischlerner.
Angekommen war die Enttäuschung riesig. Wo denn nun die goldene Brücke sei? Na, da! Wo? Häh? Die ist doch nicht gold! Die ist höchstens rot. Eher rotbraun. Fast schon kupferfarben.
Golden Gate klang wie ein Traum in ein Märchenland. Und nun war es nur eine viel befahrene, windige Hängebrücke. Lang nicht so imposant wie die Bay Bridge. Aber berühmter.
Zu ihrer Ehrenrettung: Im Sonnenlicht glitzert sie schon schön. Und die Technik ist imposant. Und der Besucherandrang enorm. Und als Fotomotiv eignet sie sich auch hervorragend. Vor allem, weil es einem den Neid aller Deutschen einbringt!
Mein Seelsorgebesuch bei M. war aus einem weiteren Grund besonders. Ihre Tochter hatte mir erzählt, wie gern M. früher in den Gottesdienst gegangen war. Als gute Pastorin dachte ich mir: Also bete ich mit mir und segne sie am Ende samt Öl.
Irgendwann im Verlauf des Gesprächs dachte ich, „So, jetzt biete ich mal ein Gebet an. Ganz vorsichtig.“ Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, schüttelte sie heftig den Kopf und sagte in bestem Denglisch: „Nein, Beten messed alles up.“ Es folgte eine wirre Geschichte, die ich nur halb verstand. Es ging um Pater und Jungs und Missbrauch. Klassenkameraden ihres Sohns hatten das in San Francisco erlebt.
Klare Ansage. Die konnte ich natürlich nicht ignorieren. Diese Frau nahm Beten ernst. So ernst, dass es ihr Angst machte. Gleichzeitig wusste ich, wie sehr sich die Tochter etwas „kirchliches“ wünschte, sie ist katholisch.
Kurz bevor ich gehen wollte, unternahm ich meinen zweiten Versuch, etwas „amtliches“ zu tun. Ich reichte ihr das Salböl, ließ sie daran riechen, fragte, ob ich sie segnen dürfe. Und plötzlich wurde sie ganz still. Ihr Blick heftete sich erwartungsvoll auf mich, ihre Hände ruhten, die Beine entspannten sich. Meine Hände lagen auf ihrem Kopf, spürten die Wärme und die Haare. Wir sahen uns an. Und plötzlich war es da, das Geschenk des Segens. In einem Moment des Vertrauens und Friedens.
Als ich wieder aufsah, hatte die Tochter Tränen in den Augen. „Das war etwas ganz Besonderes. Ich kann es nicht beschreiben.“ Ich nickte nur.
Auf der Rückfahrt brachte sie es herrlich pragmatisch auf den Punkt. „Wenn ich etwas besonders Tolles verkauft habe, dann fühle ich mich richtig gut und wertgeschätzt. Ich hoffe, dir geht es gerade so.“ Schönes Bild. Ich, die Maklerin, „verkaufe“ Gottesbegegnungen – kostenlos, nicht umsonst.
Als Seelsorgerin besuche ich natürlich auch Gemeindeglieder und Freunde der Gemeinde (also die, die keinen Beitrag zahlen). Eine Frau bat mich, ihre Mutter zu besuchen. Sie sei dement, es ginge stetig bergab, sie wisse nicht, wie lange sie noch ansprechbar sei.
Also nahm ich den Zug, wurde dann von ihr abgeholt mit dem Auto und kam nach einer guten Stunde in ein Altenheim. Komplett dekoriert im Stile der 1950er. Also zu Zeiten der Jugend der jetzigen Bewohner. Viel Tünneff, aber schnuckelig.
Im Fernsehzimmer auf der Demenzstation lief eine Verkaufsshow, die Bewohner löffelten Eissoße oder wurden gefüttert. M. saß apathisch in ihrem Rollstuhl, reagierte nicht auf ihre Tochter oder mich. Also baten wir einen Pfleger, sie ins Zimmer zu fahren, damit wir ungestört wären.
Es würde ein Gespräch zu Dritt sein. Eigentlich ein No-Go in der Seelsorge. Aber ich brachte es nicht übers Herz, die Tochter rauszuschicken. Zugleich kämpfte ich gegen die Versuchung, mehr über M. zu reden als mit ihr. Und nach und nach geschah das Wunder. M. führte ein Gespräch mit mir. Auf deutsch. In erstaunlich klaren Worten, teilweise Sätzen oder gar Geschichten. Ich sang ihr mit verschnupfter Stimme „Geh aus mein Herz“ vor und sie bat mich, weiterzusingen. Sie hielt mich für ihre Schwester, umfasste meinen Arm und entspannte sich.
Ihre Tochter kämpfte derweil mit ihren Emotionen. So unfassbar war, was sie erlebte. Ihre Mutter sprach wieder, nannte sie mit Namen, reagierte. Ich könnte es meinen magischen Seelsorgefähigkeiten zuschreiben. Vermutlich war es einfach die deutsche Sprache. M. redete ausschließlich von Dingen, die 50 Jahre zurücklagen. Also in einer Zeit, in der sie kaum Englisch sprach. Sie hat ihr Englisch einfach vergessen. Ihre Tochter aber versteht zwar Deutsch, kann es aber nicht sprechen. Und so fehlt den beiden eine gemeinsame Sprache.
Wie wohl jede Familie, die im Ausland lebt, stellt sich für uns die Frage: Wie fördern wir unsere Kinder bestmöglich? Sodass sie weiterhin Deutsch sprechen und schnell Englisch lernen? Wie immer bei Fragen der Kindererziehung sind die Meinungen bunt.
Immer wieder fragen mich Menschen: „Welche Sprache sprecht ihr denn zu Hause?“ Manche mit kritischem Unterton und entsprechend erstaunten, weit aufgerissenen Augen, wenn ich antworte „Deutsch“. „Gar kein Englisch?“ Ich: „Nein. Außer, wenn sie konkret fragen oder wenn sie fehlerhafte Worte oder Sätze mitbringen. Die korrigiere ich dann.“ Aufatmen beim Gegenüber. „Aber würde es ihnen nicht helfen, wenn ihr mit ihnen Englisch sprächet?“ Verständnisvolles Lächeln meinerseits: „Vielleicht am Anfang. Langfristig ist es mindestens genauso wichtig, dass sie gutes Deutsch sprechen.“
Andere Immigranten oder Amerikaner in 2. Generation hingegen sprechen mich auf dem Spielplatz oft lobend an. Wie gut es sei, dass wir unsere Sprache pflegten und wie wichtig. Viele haben erlebt, wie die Sprache ihrer Heimat, ihrer Eltern und Großeltern verloren gegangen ist.
Trotzdem bin ich immer mal wieder verunsichert, was gut und richtig ist (sonst wäre ich ja keine Mutter). Also fragte ich in der Kita nach, wie Theos Englisch sich entwickle. Die Antwort: „Super.“ Entschuldigend fügte ich hinzu, dass wir zu Hause kein Englisch sprächen. Nur Filme grundsätzlich auf Englisch schauen. Daraufhin die Lehrerin: „So ist es perfekt. Ihr kümmert euch um Theos Deutsch, wir uns um sein Englisch.“
Die Theorie dahinter ist einleuchtend. Kinder müssen sprechen lernen, ihren Wortschatz erweitern, ihre Ausdrucksmöglichkeiten erkunden. Egal in welcher Sprache. Ein Kind, dass in einer Sprache komplizierteste Sätze formuliert, Reime bildet und Synonyme kennt, wird auch in allen anderen Sprachen seines Lebens den Wunsch haben, sich ebenso eloquent ausdrücken zu können.
Dass zu Hause Englisch gesprochen wird, erwarten hier weder Schule noch Kita. Dass Kinder auch in der Schule in ihrer Muttersprache miteinander sprechen wird unterstützt. Ein Migrationshintergrund wird grundsätzlich als Geschenk und Chance angesehen. Nicht als Nachteil. Das geht soweit, dass amerikanische Eltern ihre Kinder auf spanische Schulen schicken. Damit sie auch möglichst früh eine Fremdsprache erlernen. Wie die Mehrheit ihrer Freunde hier in Berkeley.
Letzte Woche fragte Toni mich: „Mama, ich spreche so gern Englisch. Kann nicht einer von euch mit mir zu Hause Englisch sprechen?“ Ich atmete kurz durch und sagte dann im besten Brustton der Überzeugung: „Nein. Wir sprechen zu Hause Deutsch.“