Am letzten Montag im Mai ist Memorial Day in den USA, ein nationaler Feiertag. Supermärkte haben natürlich trotzdem geöffnet. An diesem Tag wird der gefallenen US-Soldaten gedacht. Mit Feiern, Reden, Kranzniederlegungen und Schweigeminute um 15.00.
Während die meisten den Tag für Ausflüge und Grillen nutzen, fuhren Toni und ich morgens in die nächstgelegene Stadt auf den Friedhof. Mein kleiner Chor, der sonst bei den Einbürgerungsfeiern singt, war für die Memorialzeremonie in Oakland „gebucht“. Freiwillig und kostenlos.
Empfangen wurden wir von Flaggen über Flaggen. Die sieht man hier sonst nie. „Blue-Star“-Mütter verteilten kostenlos Donuts und Kaffee, Rosen in den Nationalfarben (ja, auch blaue!) und Flaggen. Toni war also erstmal beschäftigt. Sie dachte sogar an Theo und brachte ihm von allem was mit.
Blue-Star-Mütter haben Kinder, die zur Zeit für die USA im Einsatz sind. Silver-Star-Mütter haben verwundete, heimgekehrte Kinder. Gold-Star-Mütter sind verwaist. Ihre Kinder sind im Krieg gefallen. Die Farbwahl erscheint mir etwas skurril. Suggeriert sie doch, dass Tod = Gold am besten ist.
Die einstündige Zeremonie bestand vor allem aus patriotischen und emotionalen Reden und Musik. Eröffnet und beschlossen wurde sie von einem Pastor. Er hätte klischeehafter und peinlicher nicht sein können. Ein alter, weißer, blonder Mann, der ständig den Sprechern zum Dank seine Hand auf die Schulter legte oder sie freundschaftlich auf die Wange schlug. Patriarchalischer geht’s kaum. Seine „Predigt“ war eine einzige Glorifizierung des Heldentodes. Solche Ansprachen kannte ich bisher nur aus meinen Recherchen zu Kriegspredigten 1914-1918. Nie sprach er vom „Tod“ oder „Sterben“, immer vom „Opfer“. Wobei das größte Opfer die Hingabe des eigenen Lebens ist.
Nicht etwa von Jesus (wie ich naive Christin immer dachte), sondern von jedem einzelnen Soldaten. Und sosehr ich in jedem Menschen Christus sehen möchte, kann ich nicht glauben, dass jeder dieser vielen unsinnigen Tode zur Ehre Gottes und zur Versöhnung der Welt geschieht. Dafür ist doch Jesus gestorben. Um dem Opfern ein für allemal ein Ende zu bereiten. Davon war hier nichts zu hören. Keine Rede von Frieden oder Liebe. Nur Vaterland, Ehre, Opfer, Pflicht. Selbst der Segen war ein „Vergesst die Helden nicht, die alles gegeben haben, das sind wir ihnen schuldig im Namen Jesu. Amen.“ Das Ganze gebrüllt mit seiner „Kirchenstimme“. Dass er ein Mikro vor der Nase hatte, hat er einfach mal ignoriert.
Hab ihn gegoogelt. Hauptberuflich ist er freier Hochzeits- und Bestattungs-Pastor. Hat schon über 1000 Hochzeiten gehalten und ist beliebt für seinen „persönlichen, heiligen und leichtfüßigen Stil“. Ah ja.
Offiziere erzählten aus ihrem Leben und ihren Kämpfen. Von verlorenen Kameraden. Davon, wie der gemeinsame Kampf aus einer Gruppe normaler Bürger Helden mache. „Nicht alle Soldaten sind besonders. Manche erreichen vorher nicht viel und danach auch nicht. Aber in dem Moment, in dem sie für ihr Land kämpfen, sind sie Helden.“ Gut, dass Toni das noch nicht alles versteht. Ist Rekrutierungsrhetorik vom Feinsten.
Von dem Wunsch und Stolz, ihrem Land zu dienen. Um der Freiheit willen. Denn, „wenn wir auf unserem eigenen Boden angegriffen werden, müssen wir uns wehren. Damals nach Pearl Harbor. Und nach 9/11.“ Da war sie wieder, die unreflektierte Generalisierung.
Pearl Harbor: Danach wurden flächendeckend japanische Amerikaner interniert. 9/11: Seitdem sitzt der Hass auf den Islam hier tief. Es wird kaum differenziert zwischen Extremisten und Muslimen. Je größer die Wut, desto eher gehen Menschen in den Krieg. Für das Gute, die Gerechtigkeit, den Frieden. Und säen oft mehr Krieg und Hass und Terror.
Interessant: 4 von 5 Rednern an dem Tag kamen aus „Militärfamilien“ und sind mit Militärangehörigen verheiratet.
Die Musikauswahl war witzig. Wir sangen die Nationalhymne und nationale Schlager wie „My Country tis of thee“, „This is my country“ und „This Land is your land, this land is my land.“ Bei letzterem überraschte mich Toni damit, dass sie laut und deutlich mitsang. In der Schule lernen sie es. Allerdings mit allen Strophen. Auch den politischen, in denen es gegen Privateigentum und Hunger geht. Die werden sonst nie gesungen. Eine Dudelsackband dudelte „Amazing Grace“. Übergewichtige „Sons of the American Legion“ ballerten laute Schüsse aus Schrotflinten ab. Zur Ehre der Gefallenen. Deshalb marschierten auch die ca. 9-15-jährigen Pfandfinder auf samt Flagge und saßen eine Stunde gelangweilt vor der Tribüne.
Ich bin gespannt auf den Veterans-Day im November, wenn die zum Teil völlig verarmten Kriegsveteranen geehrt werden.