Das kann doch nicht wahr sein!

Heute habe ich Leah auf dem Spielplatz getroffen. Ihr Sohn Theo ist 6 und geht in Berkeley in die 1. Klasse. Es hätte ein ganz alltägliches Gespräch sein können. Aber Leah und Theo sind seit 5 Jahren obdachlos. Im Moment zelten sie in der Nähe unseres Lieblingsspielplatzes. Da ist es sicher, die Nachbarn kennen sie, viele Familien gehen ein und aus. Ein Bach mit frischem Wasser fließt entlang zum Waschen, Trinkwasser und eine Toilette sind auch vorhanden. Die beiden stören hier niemanden.

Trotzdem kam gestern mal wieder Polizei vorbei. Drohte mit Strafen (die Leah sowieso nicht zahlen kann) und schlug ihr vor, mit ihrem Sohn an die Autobahn zu ziehen. Da leben viele Obdachlose in Berkeley. Es ist laut, dreckig von den Abgasen. Und lebensgefährlich schmutzig, weil die Menschen auf der ehemaligen Deponie zelten. Das tue sie ihrem Sohn nicht an, sagt Leah.

Strafen seien ihr egal. Ihre einzige Sorge ist, dass sie festgenommen werde und ihr dann ihr Sohn weggenommen werde. Das will sie um jeden Preis verhindern. „Aber die Polizisten sind auch Menschen und Väter. Sie machen ihren Job und haben Mitleid mit mir.“

Wir kommen ins Gespräch, weil Leah sich mit einer anderen Frau unterhält und anfängt zu weinen. Ich gehe hinüber, die Seelsorgerin in mir kann nicht anders. Ihre Geschichte bringt mich auch zum Heulen.

Leah ist während der Schwangerschaft erkrankt, seitdem ist sie offiziell schwer behindert und arbeitsunfähig. Ihr Mann missbrauchte und schlug sie. Um ihren kleinen Theo zu schützen, verließ sie die gemeinsame Wohnung. Von ihrem Ersparten wohnte sie in Motels bis das Geld alle war. Dann zog sie ins Zelt, radelt durch die Stadt, transportiert Theo im Fahrradanhänger. Und ich denke mir: Genauso würde ich es auch machen. Im letzten Winter wurden beide so krank, dass eine befreundete Familie ein GoFundMe initiierte. Innerhalb weniger Tage kamen 15.000 Dollar zusammen und sie konnte wenigstens bis zum Sommer in Motels leben. Für eine Wohnung reichte es nicht. Dafür braucht man entweder einen Arbeitsvertrag oder einen Sozialschein von der Stadt Berkeley. Ja, so was gibt es. „Aber den unterschreiben sie mir seit Jahren nicht.“

Leah kämpft um ihr Kind. Sie weiß um ihre Rechte als Mutter und dass ihr Theo nicht einfach weggenommen werden darf. Angst hat sie trotzdem. Sie kämpft gegen Berkeley für ihr Recht, kennt die Gesetze. Hat aber keinen Anwalt. Ich bin leider auch keine Anwältin. Aber ich kenne Leute in Berkeley und vielleicht kennt ja jemand wen, der jemand kennt?

Ich habe jetzt Leahs Handynummer und Email. Versprechen konnte ich ihr nicht viel, außer, dass ich mal Freunde und Bekannte frage. Ob nicht irgendjemand einen Anwalt kennt, der sich ihres Falles annimmt. Wahrscheinlich ohne Entlohnung, vielleicht mit Pflichtverteidigergehalt. Für eine wirklich gute Sache, für das Leben zweier Menschen.

Leah versteckt sich nicht. Sie schämt sich nicht. Wofür auch? Leah sucht die Öffentlichkeit, denn das ihre einzige Chance, etwas zu verändern. Demnächst erscheint eine große Reportage über sie im „Guardian“, einer Zeitung. Sie sagt: „Ich denke immer noch jeden Tag, dass das nicht wahr ist. Dass mir das nicht wirklich passieren kann. Aber es ist wahr.“

Täglich bewirbt sie sich um Wohnungen. „Aber ohne Zettel vom Amt bekomme ich nichts.“

Und Theo? Er geht unterdessen in die Schule, bekommt dort Frühstück und Mittagessen und Snacks zum Nachmittag. Lehrer und Eltern helfen, wo sie können.

„Weißt du, was das Verrückteste ist?“, fragt mich Leah. „Laut offiziellem Zensus gibt es in Berkeley keine obdachlosen Familien. Wurde gerade wieder veröffentlicht. Aber ich bin doch hier mit Theo! Und sie kennen mich!“

Leah kämpft. Und sie ist realistisch. Im vergangenen Jahr hatten sie und Theo schon 2x Lungenentzündung, einmal im Februar, einmal im Juli. „Wenn wir nicht bald eine Wohnung bekommen, stirbt mir mein Sohn.“

Englisch lernen leicht gemacht

Und wie geht das nun mit dem Englischunterricht in der Schule?

Mit Schuleintritt werden alle Kinder auf ihre Englischkenntnisse hin getestet. Egal, wann das ist, ob Vorschule, 3. oder 7 Klasse. Den auf diese Weise herausgefilterten „Englischlernern“ stehen laut kalifornischem Gesetz pro Woche 150 Minuten Unterricht zu. 90 Minuten davon erteilt eine eigens geschulte Lehrerin 3x die Woche in Kleingruppen. Der Rest geschieht im Unterricht „nebenbei“.

Ms Snyder an unserer Grundschule geht da ganz spielerisch und praktisch ran. Zuerst bringe sie den Kindern „Notfall-Englisch“ bei. „Denn wir wissen, dass Konflikte schnell eskalieren, wenn die Worte fehlen.“ Also lernen die Kinder Dinge wie „Ich mag das nicht.“ und „Hör auf damit.“ und „Darf ich mit dir spielen?“ und „Ich muss zur Toilette.“

Die nächsten Wochen verbringt die Lehrerin dann damit, mit den Kindern Schule und Hof verbal zu erkunden. Alles wird benannt und ertastet oder bespielt. Um die Kinder überhaupt zum Sprechen anzuregen, spielt sie mit ihnen ein Spiel: Sie nennt Dinge bei ihrem englischen Namen. Die Kinder antworten in ihrer Muttersprache. „Das hier ist anfangs oft der einzige ganz sichere Ort für die Kinder. Hier dürfen sie sprechen wie sie wollen und niemand lacht oder guckt komisch.“

Interkulturalität normalisieren ist das Motto. Dazu gehört es in der gesamten Schule, dass gerade nicht darauf bestanden wird, dass die Kinder alle ausschließlich Englisch miteinander sprechen. Weder im Klassenzimmer, noch auf dem Hof. Weil keine Sprache grundsätzlich besser ist als eine andere.

Während in Deutschland noch immer die Angst vorherrscht, die Kinder würden bei so laxer Sprachhandhabe die Landessprache nicht lernen, ist hier das Gegenteil der Fall. Die Kinder sprechen innerhalb kürzester Zeit Englisch. Ohne Druck.

Im Englischförderunterricht verbleiben die meisten Kinder 3-4 Jahre. Solange dauert es statistisch, bis ein Kind als „Muttersprachler“ eingestuft wird. Auf dem Weg dahin werden sie intensiv in Grammatik, Lesen und Rechtschreibung geschult. „Am Ende sind diese Kinder oft besser im Lese- und Hörverständnis und schreiben komplexere Aufsätze.“, erzählt die ESL-Lehrerin stolz. Was für ein Glück für alle Einwanderer!

Englisch als Fremdsprache

Endlich habe ich die ESL (Englisch as a Second Language) Lehrerin meiner Kinder kennengelernt. Endlich, weil sie ja schon seit Januar mit Toni arbeitet. Ich aber irgendwie nie zum Email-Verteiler hinzugefügt wurde.

Es war mal wieder einer dieser Momente, in denen mir die Tränen in die Augen stiegen (und ich sie mit einem Becher Orangensaft und von der Lehrerin selbst gebackenen Scones verarbeitete). Denn an allererster Stelle stand die Wertschätzung von dem, was wir alle mitbringen. Wir, das sind Familien aus Norwegen und Spanien, China und Mexiko, Deutschland und Frankreich und viele andere, die ich noch nicht kennengelernt habe.

„Sprecht eure Muttersprache mit euren Kinder! Lest ihnen in eurer Sprache vor, bringt ihnen Lesen und Schreiben bei.“ Ungläubiges Staunen in vielen elterlichen Gesichtern. „Studien haben eindeutig ergeben: Wer in seiner Muttersprache nicht fließend ist, hat viel größere Probleme, Fremdsprachen zu lernen. Englisch lernen die Kinder von uns, in der Klasse, auf dem Schulhof. Da machen Sie sich mal keine Sorgen.“

Hier muss ich mich nirgends dafür rechtfertigen, mit meinen Kindern Deutsch zu sprechen. Niemand wirft mir deshalb Integrationsunwillen vor. Niemand behauptet, ich würde meine Kinder auf diese Weise von der Gesellschaft abschotten wollen. Stattdessen hören wir: „Ach, haben die es gut, zweisprachig aufzuwachsen. Ich wünschte, ich könnte mehr als eine Sprache.“

Oder, wie die Englischlehrerin lächelnd sagte: „Und wenn die Kinder erst perfekt Englisch sprechen, dann am besten gleich weitermachen mit Spanisch. Je mehr Sprachen, desto besser.“

Wann kommen diese Studienergebnisse endlich bei uns in Deutschland an? Wann beginnen wir, familiäre und kulturelle Vielfalt nicht nur zu akzeptieren, sondern zu fördern? Weil sie uns nichts wegnimmt. Sondern uns reicher macht als Menschen und als Gesellschaft.

Elternabend

Das war also der 1. Schulelternabend unseres Lebens. Leider sehr kurz und der einzige im ganzen Schuljahr. Aber lang genug, damit ich (natürlich) Elternsprecherin wurde. Hab mich wirklich zurückgehalten. Dann kam eine andere Mutter auf mich zu aus Tonis neues Klasse (mit offensichtlich dem richtigen Riecher) und fragte: „Willst du Elternsprecherin sein?“ Ich: Schweigen. Sie: „Wollen wir es zusammen machen?“ Da war ich auch schon überzeugt!

Tonis neue Lehrerin ist der Hammer. So stelle ich mir die Lehrerinnen in Astrid Lindgrens Büchern vor: Sie ist die personifizierte positive Ausstrahlung. Über ihre neu zusammengewürfelte Klasse sagt sie: „Das ist die beste Klasse. Die Kinder sind fantastisch. Alle.“ Bestrafungen gibt es nicht, nur Belohnungen. Für individuelle Leistungen gibt’s eine Murmel. Der Unterschied zum „Murmelsystem“ wie ich es in Hamburg kennengelernt habe: 1. die ganze Klasse sammelt gemeinsam. Nicht ein Tisch gegen den anderen. 2. Man kann einmal gewonnene Murmeln nicht wieder verlieren. ist die Murmeldose voll, gibt’s eine 20-minütige Klassenparty. Die Kinder dürfen entscheiden, was gemacht wird. Tanzen oder Wasserschlacht, Vorlesen oder Film schauen, freies Spielen oder Wattebällchenschlacht – die Lehrerin ist für so gut wie alles zu haben!

Hat ein Kind Geburtstag, wird ebenfalls 20 Minuten lang gefeiert, was das jeweilige Kind möchte. „Auf diese Art feiern wir fast jede Woche“, sagt sie lachend. „Das Leben soll ja Spaß machen.“

Es gebe auch ein großes rotes Buch für schwere Fehler, sagt sie schelmisch grinsend. „Das finde ich so gut wie nie. Und am Ende des Schuljahres steht da immer nur mein Name drin.“ Wenn sie sich verspricht oder ein Kind beim falschen Namen nennt, dann dürfen die Kinder ihr das sagen. Und bekommen sogar eine Murmel dafür. „Ich will ihnen zeigen, dass es ok ist, Fehler zu machen und dazu zu stehen.“

Thema Hausaufgaben: Manche Eltern fragen, wie viel Druck sie machen müssen, wie viele Bücher gelesen werden sollten und überhaupt, wie sie ihre Kinder fördern können. Frau O bleibt gelassen. Ihre 1. Regel lautet: „Kein Druck! Es muss ihren Kindern Freude machen.“ Da möchte ich am liebsten nach vorne rennen und sie umarmen. Aber von diesen Ministühlen muss man erstmal wieder hochkommen… Über die monatlichen Hausaufgabenzettel sagt sie: „Es gibt keine Strafe, wenn sie nicht gemacht werden. Es gibt auch keine große Belohnung, wenn sie gemacht werden. Hausaufgaben sind vor allem eine Möglichkeit, dass sie als Eltern mit ihren Kindern über das Gelernte ins Gespräch kommen.“ An der Stelle bin ich kurz vorm Weinen.

Woher rührt meine Emotionalität? Vor einigen Wochen habe ich einen fantastischen Film gesehen. „The art of possibility“ (auf Youtube, unbedingt gucken). Der Dirigent Benjamin Zanders erzählt darin, dass er grundsätzlich allen seinen Studis am Anfang des Semesters ihre Endnote mitteilt. Eine glatte 1. Dann lässt er seine Studis aufschreiben, warum sie diese 1 verdient haben. Die Briefe sammelt er ein und gibt sie ihnen am Ende des Semesters wieder. Seine Beobachtung: Die Studis verlieren alle Angst und wachsen in den Monaten über sich hinaus. Revolutionär. Der Film ist schon 15 Jahr alt. Und ich frage mich, warum unterrichten die allermeisten immer noch nicht auf diese Weise? Warum denken wir immer noch, dass Kinder am besten unter Druck lernen? Warum haben wir Angst vor einer pauschalen Anerkennung, dass wirklich alle Menschen wunderbar gemacht sind?

Und da sitze ich auf Ministühlen und erfahre, dass meine Tochter eine Lehrerin hat, die genauso unterrichtet.

Und das merken die Kinder. Toni liebt die Schule. Jeden Tag kann sie neue Lieder, erzählt neue Anekdoten. Sie findet die 1. Klasse viiiiel leichter als die Vorschule. „Weil, Mama, Ms O sagt, dass wir richtig gut sind. Und so schnell lernen, wie kein anderer.“

Summer Camps: Super! Teuer!

11 Wochen Sommerferien hatte Toni dieses Jahr. Das ist schön, aber irre. Denn, wer hat schon so lange frei als Eltern? Richtig. Also gibt es Tagesferienlager. Die Kinder werden von morgens bis abends bespaßt und sollen dabei auch noch was lernen. Also wie in der Schule. Nur kostet das im Schnitt pro Woche $400-500. Pro Kind.

Zum Glück gab es einige freundliche Camps, die Vergünstigungen für einkommensschwache Haushalte anbieten. Und auch für Haushalte wie uns, die wir offiziell gar nicht arm genug dafür sind. So kamen wir auf „nur noch“ $250 pro Woche im Schnitt, ein echtes Schnäppchen.

Aber die Kinder haben ihre Camps geliebt. Theo durfte eine Woche lang Fußball spielen. Toni hatte 3 spannende Wochen, in denen sie tanzte, badete und bastelte, „Um-die-Ecke-guck-Fernrohre“ entwickelte und echte Kunstwerke druckte.

Beim Thema Kinderbetreuung bin ich hier wirklich hin- und hergerissen. Kann man sie sich leisten, ist sie oftmals hervorragend. Kleine Gruppen, viele Trainer/ Lehrer/ Betreuer, super Anleitung mit großem Lerneffekt samt Spaß. Wirklich ideal.

Wenn es eben nicht so teuer wäre und damit letztlich nur für ca. 50% der Kinder zugänglich.

Das ist irgendwie das generelle Problem in Amerika. Die Privatisierung aller Dienstleistungen führt für die Wohlhabenden zu einem hervorragenden Service. Schnell, kompetent, freundlich. In allen Bereichen. Wo es staatlich ist wie bei der Post oder beim Schulamt oder beim Schulbus, da ist dann sofort das Gegenteil der Fall: Langsam, inkompetent, unfreundlich. Total nervig. Und nochmal auffälliger als in Deutschland, weil man ja den Kontrast hat.

Diese Erfahrungen führen bei vielen, auch liberalen Amerikanern, zu einer generellen Angst vor einem Sozialstaat für alle. Denn das hieße evtl. auch ein Verlust von Privilegien. Vielleicht auch nicht. Aber das Risiko mag kaum jemand eingehen. Zu groß ist die Angst, dann auch zu den anderen 50% zu gehören – ohne Aufstiegs- oder Ausstiegsmöglichkeit.

Junior Ranger

Die meisten Nationalparks bieten ein kostenloses Kinderprogramm an. Es heißt „Junior Ranger“ („Junior Förster“) und lehrt die Kinder, wie sie die Natur erhalten können. Beim Besucherzentrum bekommt jedes Kind ein buntes Arbeitsheft. Weil das für bis zu 6-Jährige „Babyeierkram“ war laut T&T, widmeten sie sich dem für 7-9-Jährige… Das muss abgearbeitet werden. Darin sind Themen wie:

Welche Ausrüstung brauche ich zum Wandern? U.a. Kompass, Taschenlampe und Wanderkarte. Hatten wir natürlich alles nicht.

Wie kann ich „grün“ leben? Z.B. Radfahren und Wäsche draußen trocknen. Yeah, wir sind dabei!

Fußspuren müssen zugeordnet werden, Steine beschrieben, Insekten gemalt oder Nadelbäume identifiziert werden. Da hab ich viel gelernt. Die Kinder bestimmt auch.

Freudestrahlend wollten wir das Buch abgeben und das Abzeichen abholen. Aber nein. Das war nur eine von 5 Voraussetzungen. Also mussten die Kinder noch eine Wanderung beschreiben. Das Museumsrätsel lösen. 3 neugelernte Fakten nennen (keinen Müll hinwerfen und allen Müll aufheben, keinen wilden Tieren nähern, nicht zündeln – alles höchst verführerisch). Zu guter Letzt mussten wir uns den 30-minütigen Museumsfilm über Vulkane anschauen (cool!) und danach einer Rangerin erzählen, was gelernt wurde (schwer, weil es ein wissenschaftlicher Film auf Englisch war. Aber die Kinder haben es geschafft.) Theo erzählte, dass der Lassen in 2 Jahren 4x ausgebrochen ist. Toni erinnerte sich daran, dass sich die Berge ständig verändern aufgrund von Erosion. (Theo: Erosion? Kenn ich aus der Kita.)

Und dann wurde es richtig amerikanisch. Beide Kinder bekamen echte Ranger-Hüte aufgesetzt (Bild davon gibt’s leider nicht) und gingen mit der Rangerin raus. Dort stellte sie sich vor die beiden.

„Erhebt jetzt eure rechte Hand und schwört indem ihr mir nachsprecht.“ Und dann sprach sie vor: „Ich verspreche, dabei zu helfen, den Lassen Nationalpark zu pflegen und zu schützen, sowie alle Nationalparks. Ich verspreche auch, die Natur weiterhin zu erforschen, über sie zu lernen und sie zu schützen, wo immer ich in der Welt gehe.“

Theo gab bei der Hälfte auf, Toni wiederholte stoisch alles. Beide hatten keine Ahnung, was sie da sagten. Haben es ihnen danach übersetzt. Als Theo zwischendurch seine rechte zum Schwur erhobene Hand runternehmen wollte, machte die Rangerin eine kurze Pause. Das war ein absolutes No-Go. Und Theo hob die Hand ergeben wieder.

Wichtig fühlten sich beide. Und stolz wie Bolle.

1. Schultag ohne Tamtam

Nun haben wir 2 Schulkinder! Das heißt: frühes Aufstehen für alle. Theo aus dem Bett jagen während Toni schon frühstückt. Mit beiden zum Bus rennen (die Fahrradsatteloption ist nun vorbei, passen ja nicht beide drauf).

Der 1. Schultag ist hier wirklich unspektakulär. Eltern bringen ihre Kinder zur Schule, wer will, darf die ersten 20 Minuten mit ins Klassenzimmer. Das war’s. Keine Reden, keine Zeremonie und vor allem: KEINE SCHULTÜTEN! Jedenfalls für die amerikanischen Kinder. Toni und Theo bekamen ihre selbstredend. Und das andere österreichisch-amerikanische Mädchen in Theos Parallelklasse auch. Schön gleich mal auffallen am 1. Schultag. Toni fand’s oberpeinlich. Zitat: „Du kannst die ja reintragen.“ Hab ich natürlich nicht gemacht, sondern lediglich mit der Lehrerin gesprochen, die sofort in Begeisterungsstürme verfiel. Das half. Theo trug’s mit Fassung. Dank selbstgebastelter Minion-Schultüte von Papa mit 2kg Zuckerzeug war das auch gut zu machen.

Darauf habe ich nämlich bestanden: Dass sie ihre Schultüten mitnehmen und wir die obligatorischen Fotos machen. Auch von Toni. Da sie ja an irgendeinem Tag im Januar mit der Schule begann, hatten wir das noch gar nicht richtig zelebriert.

Weil es hier keine Schultüten gibt, kann man sie auch nicht kaufen. Jedenfalls keine richtig großen. Für Toni „erbten“ wir eine von einer anderen deutschen Familie. Für Theo zerschnitt Philipp sein Konferenz-Poster. Das war wenigstens stabil und groß genug. Den natürlich maximal deutschen, pädagogisch wertvollen, für beide exakt gleichen Inhalt ersetzten wir nach dem Frühstück durch Süßigkeiten für alle. Die durften sie dann am Ende des Schultages an ihre Klassenkameraden verteilen.

Am Wochenende vor dem großen Tag begann meine Partylaune zu steigen. Also lud ich 20 Kinder und ihre Eltern zu einer „Einschulungsfeier“ am Nachmittag auf dem Spielplatz ein. Danach fiel mir ein, dass ich die nun auch vorbereiten müsse. Tja. Also ließ ich mich von deutschen Supermamas inspirieren und buk eine Buttercremetorte in Schultütenform. Das war jedenfalls die Idee. Rausgekommen ist ein oberleckeres Etwas in Ballonform mit Nippeln, respektive Zuckeraugen. Um den Effekt zu mindern, warf ich noch ein paar Gummibärchen dazwischen. Zum Glück waren die Kinder klein genug, um keine merkwürdigen Assoziationen zu haben.

Einmal auf YouTube und Pinterest unterwegs, ging es gleich weiter. Aus Eiswaffeln Schokomuffintüten backen. Check. 20 kleine Papierschultüten basteln und befüllen. Check. Ein Dollar Laden macht’s möglich.

Ergebnis: Die Kinder sind eingeschult. Beweisfotos gibt es auch. Party war schön. Hat also für die deutschen Kindheitserinnerungen nichts gefehlt. Puh.

Aber, ganz ehrlich: Ich hätte eine kleine Einschulungszeremonie wirklich gebrauchen können. So als Mutter. Für den leichteren Übergang. Ist doch irgendwie komisch, wenn plötzlich beide Kinder „groß“ sind. Zum Glück hatten wir am Sonntag danach einen „Back to school“ Gottesdienst in meiner Gemeinde mit einer Segnung der Kinder. Das hat auf jeden Fall ein bisschen geholfen.

Immer Ärger mit der Schulbehörde

Die Sommerferien sind fast vorbei. Noch 5 Tage, dann beginnt die Schule auch für Theo. Die Schulanmeldung erfolgte Ende April, die ärztliche Schuluntersuchung ebenfalls. Also alles bereit für den Start. Dachte ich. Bis wir eine Woche vor Schulstart einen Brief der Schulbehörde im Briefkasten finden. Theo dürfe leider vorerst nicht in die Schule. Denn eine seiner zwei MMR (Mumps, Masern, Röteln) Impfungen sei ungültig, weil vor seinem 1. Geburtstag gegeben (10 Tage vorher). Damit fehle ihm eine.

Aufgeregt rufe ich bei der Krankenkasse an. Diese setzt sich mit unserem Kinderarzt in Verbindung. Am Nachmittag telefonieren wir.

Arzt: „Ja, also ich bin mir sicher, dass Theo 100% immun ist. Alle Studien zeigen, dass nach dem 11. Lebensmonat kein Unterschied mehr ist, wann man impft. Jetzt haben wir 2 Möglichkeiten.“

Ich: „Also können Sie der Behörde einfach einen Brief schreiben?“

Arzt: „Kann ich machen. Wird aber wahrscheinlich trotzdem abgelehnt. Die haben sich auf ein Datum festgelegt. Aber wir könnten es probieren mit dem Risiko, dass Theo erstmal nicht in die Schule darf.“

Ich: „2. Option?“

Arzt: „Wir impfen ihn nochmal. Ist ärgerlich, aber schadet ihm nicht. Und die Behörde ist zufrieden.“

Impfen ist hier exakt geregelt. Wenn kein voller Impfschutz besteht, darf ein Kind keine öffentliche Schule besuchen. Find ich ja grundsätzlich gut. Aber so wie es gehandhabt wird…

Auf dem Nachhauseweg am Nachmittag treffe ich eine Freundin und erzähle ihr die absurde Geschichte. Sie kann sie noch toppen. Ihr Sohn hatte seine erste MMR-Impfung 3 Tage vor dem 1. Geburtstag erhalten = ungültig.

2 Tage später ist Theo geimpft und ich bringe den schriftlichen Beleg ins Schulbüro. Die Sekretärin empfängt mich mit: „Ich habe gerade mit ihrem Mann telefoniert wegen Antonia.“ Ich gucke verdutzt. „Ihr fehlt noch die 5. DTP Impfung.“ Und hinter vorgehaltener Hand ergänzt sie „Die Schulbehörde hat eine neue Krankenschwester, die kontrolliert ALLES. Furchtbar ist das.“ Da sind wir uns einig.

Inzwischen weiß ich, dass Diskussionen mit der Behörde hier zwecklos sind. Morgen wird Toni also geimpft. Auch wenn die Dosen in Deutschland höher sind und deshalb 4 Mal ausreicht. Aber das will leider niemand wissen.

Einziger Lichtblick: Die Arzthelfer hier impfen fantastisch. Sie haben ja auch genügend Übung. So schnelle Piekser hab ich noch nie erlebt.Theo konnte nicht mal so schnell quieken, geschweige denn heulen.

Special Friends

Unsere Campwoche in Mt Cross war die der Special Friends. 7 körperlich und geistig behinderte Erwachsene im Alter zwischen 22 und 65 machen hier eine Wochen Urlaub. Unterstützt von 13 jungen Mitarbeitern (zwischen 18 und 27 Jahre alt). Zeitgleich war noch eine Konfigruppe da samt Pastor.

Eine spannende Mischung, die sich als perfekt erwies. Besonders für Toni. Sie machte eigentlich alles mit den special friends gemeinsam. Denn ihre Fähigkeiten und die der Erwachsenen waren ungefähr gleich. Sie konnte ein bisschen besser schreiben. Also half sie den anderen. Es war wunderbar, zu sehen, wie Toni die Herzen dieser Menschen eroberte. Wie sie ihnen ohne jegliche Berührungsängste Spiele beibrachte, für sie die Bingotrommel rührte und mit ihnen quatschte.

Beim Maskenball hatte Toni ein Ziel: Sie wollte mit jedem ihrer neuen Freunde einmal tanzen. Und das tat sie. Sie ließ sich von der blinden A. führen. Sie vollführte einen Armtanz mit A, die im Rollstuhl sitzt. Sie wirbelte L umher und bildete einen Kreis, damit möglichst viele mitmachen konnten.

Mein Mutterherz sprang vor Freude, wenn ich Toni beobachtete. Sie erlebt hier in Kalifornien echte Inklusion, ob in der Schule oder im Camp. Sie lebt, was ich oft sage und doch nicht ganz so unvoreingenommen lebe: Dass alle Menschen wunderbar gemacht sind, dass jeder Mensch einzigartig ist. Egal, ob er schreiben oder laufen oder kompliziert denken kann. Egal, ob er sich beim Essen bekleckert und sich 10x wiederholt. Toni hat diese Fähigkeit, in jedem das Beste zu sehen.

Das macht mich unglaublich stolz. Und demütig. Denn ich lerne da mehr von ihr als sie von mir.

Ferien!

Toni hat Sommerferien! 10 Wochen lang! Das ist klasse. Und echt lang. Jedenfalls für Eltern. Die meisten Kinder verbringen ihren Sommer in wöchentlichen Camps. Eine Art Ferienprogramm vor Ort. Zur Auswahl steht alles, was man sich wünschen kann. Wenn man es sich leisten kann. Die meisten Camps kosten zwischen $300 und $450 pro Woche/ pro Kind.

Ein solches Camp unterhält auch unsere amerikanische Landeskirche hier. Malerisch in den Bergen gelegen, 20 min vom Strand entfernt (mit dem Auto), liegt Mt. Cross. 7 Wochen lang bietet es Camps an für Familien und Kinder, Jugendgruppen und „special friends.“ Und in jeder Woche brauchen sie einen Sherpa, einen Pastor als Seelsorger für die Mitarbeiter. Mein perfekter Sommerjob.

Also packten Toni und ich unsere Koffer und reisten ins Camp. Es ist perfekt: Wir haben ein Zimmer, bekommen 4x am Tag echt amerikanisches Essen, lernen die christlichen Jugendlieder, baden, basteln, wandern, lesen. Toni darf alles mitmachen, was im Camp angeboten wird. Ab und an führe ich Seelsorgegespräche. Dazu eine Miniandacht am Tag. Fertig. Kostenloser Urlaub für uns beide.

Das Essen bringt Toni zum Juchzen und zum Verzweifeln. Pizza und Taco-Schüssel, Pancakes und Obst sind super. Aber Wurst-Fladen zum Frühstück? Oder frittierte Bratkartoffeln? Süßes Maisbrot zu Chili con Carne? Alle anderen überfutterten sich an „Grilled Cheese“ (2 ziemlich nüchterne Toastscheiben mit viel Käse dazwischen, gegrillt), Toni isst Gurken. Selbst der Nachtisch ist Toni eigentlich immer zu süß. Einige Tage lebte sie von der Salatbar. Na, das gehört alles zur amerikanischen Erfahrung dazu.

Nächstes Jahr kommen wir hoffentlich trotzdem wieder.