Eislaufen im T-Shirt

Die Kinder lieben Eislaufen. Letzten Winter waren sie ganz traurig, dass es hier keine gefrorenen Seen gab. Dass man dennoch Eis laufen könne, war uns nicht in den Sinn gekommen.

Natürlich kann man. Wir sind schliesslich in Amerika. Da kann man alles. Am Eröffnungswochende war es sogar erschwinglich.

Auf einer Minieisbahn zogen wir unsere Runden im T-Shirt bei 20 Grad zu Weihnachtsschlagern. Um Winterzauber zu verbreiten, hatte man Plastebäume mit Plasteschnee aufgebaut und sie kunterbunt erleuchtet.

Es wäre nicht Amerika, gäbe es keine Regeln und vor allem keine zahlreichen Aufpasser, die für deren Einhaltung sorgen. Wichtigste Regel: Nur im Uhrzeigersinn laufen. Die Kinder verstanden schnell, dass die Richtungsinterpretation variabler wird, je näher sie am Zentrum liefen. Zum Ärger der Aufsicht, die nicht genau wussten, wann sie ermahnen durften.

Während Toni dank eisernen Übens inzwischen sehr gut allein fährt, geht es Theo nur um Tempo. Egal, ob an meiner oder Philipps Hand oder mit Eislaufhilfe. Er sieht gar keinen Wert im eigenständigen Schlittern. Man ist langsam und fällt hin. Will er nicht.

Leider sind die Eislaufhilfen hier hochnot altmodisch und sehen aus wie ein Plasterollator. Für läppische $5 bekommt man sie auch schon. Für ganze 30 Minuten. Armer Theo? Nee. Arme Eltern, die stundenlang mit Kind an der Hand herumdüsen durften. Hat trotzdem Spass gemacht.

Sommergeburtstag im November

Toni ist unser Novemberkind und hat darunter bisher immer etwas gelitten. Zu gern wollte sie draussen feiern mit Erdbeertorte. Tataaa – Kalifornien macht es möglich. Mitte November herrschten immer noch 25 Grad, im Laden gab es frische, lokale Erdbeeren und weissen Spargel für unsere Feinschmeckerin.

Bei Theos Geburtstag hatte ich mich noch ziemlich gestresst mit verschiedenen Kuchen und 100 Spielen und Preisen. Diesmal wusste ich schon, worauf es ankommt:

  1. Viele Gäste: Toni lud ihre gesamte Klasse ein samt Geschwistern. 30 Kinder kamen mit ihren Eltern.
  2. Eine Geburtstagstorte: Sie qualifiziert sich durch Kerzen, die sofort ausgepustet werden. Toni wollte auf keinen Fall eine bunte, gekaufte. „Je selbstgebackener, desto besser“, erklärte sie uns und wünschte sich eine Erdbeersahnetorte.
  3. Chips, Gemüse und Dips für die Eltern. So haben sie die Möglichkeit, ihre Kinder daran zu erinnern, ihre „greens“ oder „veggies“ zu essen und zeigen den anderen Eltern, wieviel Wert sie auf gesundes Essen legen. Selbst bei Parties.
  4. Nicht zu viel Kaffee und Kuchen. Die meisten kommen vom Brunch/ Mittag und gehen danach noch zur nächsten Party.
  5. Pinata!!!

Grundsätzlich gehen die meisten Parties hier 2 Stunden offiziell. Faktisch gibt es ein knapp einstündiges Zeitfenster, in dem alle Gäste da sind. Da müssen Torte und Pinata stattfinden. Die Pinata läutet dann gleichzeitig den dramatischen Höhepunkt (ein Kind schreit immer) und das Ende der Feierei ein.

Natürlich konnte ich dann doch nicht anders und spielte mit den Kindern Eier laufen und Topf schlagen. Aber der absolute Hit war das Seil, an dem die (von Philipp und den Kindern selbstgebaute) Pinata hing. 20 Minuten droschen die Kinder auf das Einhorn ein, dann fiel es endlich und die Party hätte zu Ende sein sollen. Wäre nicht ein Papa (nicht Philipp) auf die Idee gekommen, Kinder an dem Seil hoch zu ziehen und schaukeln zu lassen. Dauerte ne Weile und kostete viele Eltern sicher grosse Überwindung. Aber keiner beschwerte sich ob der Lebensgefahr nach amerikanischen Standards.

Und dann begann das Tauziehen. Keine Ahnung, wie das anfing. Aber plötzlich hingen knapp 30 Kinder in 2 Gruppen an einem Seil und zogen und schleiften sich gegenseitig über den Rasen. Väter und Mütter konnten nicht widerstehen und traten den Lagern bei. Es wurde ein regelrechter Kampf mit Geschrei, Geschwitze, Tränen und Jubel. Und niemand wurde müde. Es war, als ob der Geist der Geburtstagsfeiern vorheriger Generationen auf uns lag. Niemand wollte gehen, Eltern schrieben mir später, was für eine besondere Feier dies gewesen sei.

Es war ein Tag, an dem wir alle gemerkt haben: Wir sind hier angekommen. Die Klassenkameraden der Kinder sind nicht nur Kameraden, sondern Freunde. Ich kenne fast alle Eltern, viele davon gut, mit einigen bin ich befreundet. Wir haben uns hier ein Leben aufgebaut und geniessen es!

Das Auspacken der Geschenke war dann doch ein kleiner Schock. In der Einladung hatten wir extra betont, dass es um das gemeinsame Feiern ginge und Geschenke nebensächlich seien. Trotzdem wurde Toni geradezu überhäuft. Zum Glück habe ich mir das „Auge-um-Auge-Schenken“ schon lange abgewöhnt.

Herbstfest an der Schule: Spass für die Kinder, Stress für die Eltern

Die meisten Schulveranstaltungen hier sind Fundraiser. $120.000 müssen wir Eltern zusammenkriegen dieses Jahr, um die Schule mitzufinanzieren. Das Herbstfest war anders. Da ging es wirklich mal nur um Spass und Gemeinschaft.

Ist aber nicht weniger stressig in der Organisation. Als Elternsprecherin war ich für 150 Preise verantworlich für die gesamte Schule. Hat mich kurzzeitig etwas überfordert. Aber dann habe ich mein Facebook Netzwerk „Buy nothing“ aktiviert und 4 Tüten Kuscheltiere und Spielzeug abgeholt. Und alle waren glücklich. Die Gewinner und die grosszügigen Geber (denn sie waren den riesigen blauen Elefanten und das Monstereinhorn los). Nur die Eltern der Gewinner trugen süsssaure Mienen zum lustigen Spiel. Yeah, ein Kuscheltier mehr im Kinderzimmer!

Theo entschied zich netterweise für ein Fernglas mit eingebautem Kompass. Toni nahm eine kleine Figur.

Andere Elternvertreter hatten noch aufwendigere Stände gezogen. Eine antike Apfelpresse zum Beispiel, für die die entsprechende Mutter 30kg Äpfel organisieren musste. Oder eine Hüpfburg zum selbst aufpusten (mit Motor, aber trotzdem). Zum Glück müssen Bachelor-Studenten hier jedes Semester einige Stunden lokales Ehrenamtsengagement nachweisen. Also hatten wir 30 kräftige Helfer.

Keine Veranstaltung ohne Kulturbeitrag. Ein etwa 5-jähriger Frontsänger rappte die Bühne mit allerlei „typisch männlichen“ Bewegungen (z.B. Hüftschwung vor- zurück, dabei seine Hoden mit der Hand verdeckend). Unterstützt von seinen etwa 8-jährigen „girls“. Es war zum Schreien: Witzig, komisch, musikalisch erstaunlich gut. Und irgendwie fehl am Platz an einer Schule, an der diverse Genderkonzepte gleichberechtigt gelebt und gelehrt werden. Nach der Vorstellung verteilte der Frontsänger Lollis mit Emblem des kleinen Stars für die Fans. Leider bekam nur jedes 10. Kind eins zugeworfen. Toni war leider eines davon. Leider bekam Theo daraufhin einen Wutschreianfall. Leider, leider war das Fest damit für uns zu Ende.

Halloween – die fünfte Jahreszeit

Vergesst norddeutschen Fasching. Jetzt wird Halloween gefeiert. Seit Wochen zählen die Kinder in der Schule die Tage. Jeden Tag sind mehr Häuser in Berkeley aufwendig dekoriert. Kürbisse sind ein Muss. Skelette baumeln umher, Geister schweben in den Bäumen. T&T sind hellauf begeistert. Ich auch, denn das Rad fahren ist deutlich weniger quengelig seitdem. Zu viel gibt es zu entdecken.

Zum Glück ist direkt gegenüber von unserem Haus ein „haunted“, also verhextes Haus. Ein Gespenst fährt auf einer Leine herum wie Findus, als er den Fuchs verscheuchen will. Dazu dampft es aus einer Nebelmaschine (die dank der Waldbrände gar nicht benötigt wird im Moment). Eine Riesenspinne springt dem Besucher entgegen. Eine Vogelscheuche verteilt Süsses, nur um im nächsten Moment schreiend aufzuschrecken. Toni musste mich zwingen, um in die Schale zu greifen.

Natürlich bleibe ich dem Pelzschen Motto treu und kaufe keine Deko. Aber 2 Spinnennetze haben wir schon geschenkt bekommen und eine Dose blaues Spray für die Büsche. Dazu haben die Kinder aus Pappkarton Gespenster ausgeschnitten und mit Klopapier beklebt. Die baumeln jetzt im Fenster und gruseln die Eichhörnchen im Baum. Theos beste Idee: Er will zu Halloween Hühnerkeulen essen und dann die Hühnerknochen an sich ranbinden. Wahrlich schauderlich. Und stinkend…

Das Schöne ist: Viele Erwachsene freuen sich genauso aufs Süssigkeiten verteilen, wie die Kinder aufs Sammeln. Unsere Nachbarin klagte, letztes Jahr seien kaum Kinder gekommen. T&T sollten unbedingt bei ihr klingeln.

Auf der Nachbarschafts-App Nextdoor wird fleissig diskutiert, ob und welche Süssigkeiten man verteilt und was es für Alternativen gibt (Aufkleber, Tattoos, Obst). Auf einer interaktiven Karte können sich teilnehmende Häuser registrieren, damit niemand an der falschen Tür klingelt.

Und dann natürlich die wichtigste aller Fragen: Was soll man anziehen? Familien setzten es sich zum Ziel, passend verkleidet zu sein als „Incredible“-Familie. Ein befreundeter Vater bastelt riesen Augen aus Latex für seinen Sohn. Es sieht fantastisch aus. Der Junge kann das Kostüm leider kaum schleppen.

Halloween ist nicht nur ein Tag. Schon eine Woche vorher ludt Philipps Professorin zur Party zu sich nach Hause ein. Inklusive Kostümwettbewerb (von dem wir nichts ahnten). Eine Doktorandin kam als professorale Doppelgängerin und gewann. Ein Junge aus Theos Klasse gewann eine Halloweenparty und lud die gesamte Klasse ein. Karter ist gelähmt und die „magic wheelchair foundation“ bastelte ihm ein Raumschiffkostüm, das seinen Rollstuhl mit einbezieht. Fantastisch. Die Organisation wird von einer Kunstlehrerin geleitet. Das Kostüm ist das Projekt einer 11. Klasse.

Natürlich müssen Kürbisse geschnitzt werden. Mit Freunden (und Cider für die Mamas). Sonst macht es keinen Spass. Herausgekommen sind gruselige Masken mit Ohren und Augenbrauen plus Theos Namen (Theo) und 3 Gesichtern (Toni). Wegen der vorherrschenden Hitze können wir sie erst am 31. rausstellen. Sonst vergammeln sie.

Zu Halloween selbst gibt es in der Schule dann eine grosse Parade in Kostümen. Allerdings wurde extra darauf hingewiesen, keine Spielzeugwaffen mitzubringen (sorry, Theo) und keine kulturell unpassende Kleidung zu tragen (wie Indianerkostüme, sorry, Theo).

Und danach haben T&T die Qual der Wahl zwischen 3 Halloweenparties bei Freunden, bevor es zum grossen Suessigkeitenumzug geht. Am nächsten Tag kann, wer will, seine Süssigkeiten zum Zahnarzt bringen. Dort werden sie gewogen und pro Pfund abgekauft. Das rettet Zähne. Die Süssigkeiten werden dann an die Armee gespendet!

Einzige Sorge dieses Jahr: Eventuell muss alles Herumgelaufe am 31. ausfallen. Wenn nämlich die Luftwerte zu schlecht sind und wir unsere Kinder nicht aus dem Haus lassen können. Die Feuer lodern in nicht allzu weiter Entfernung (45 Kilometer) und der starke Wind bläst uns alles um die Ohren. Es riecht wie am Lagerfeuer. Meine Lungen schmerzen jetzt schon nach 24h und der Reizhusten nimmt zu…

Aufruhr der Lehrer

Aus Sorge um die Sicherheit meiner Kinder ging ich zur Hauptversammlung der Schulbehörde. Angesetzt war sie für 19.30 bis 22.00 Uhr. Wer Rederecht beantragen will, muss das zwischen 17.30 und 19.00 tun. Also waren eine Freundin und ich 17.45 dort. Und wurden von Lehrern empfangen, die eine wunderschönes Protestbild auf den Gehweg malten. Wir füllten unsere Redekarten aus und gingen Tacos essen. Insgeheim rechnete ich nicht damit, dran zu kommen. Denn ich würde die Sitzung eh nach 15 Minuten verlassen müssen. Um ins Theater zu gehen. Ist ja auch wichtig. (Und hatte ich gebucht, bevor ich vom anderen Termin wussten.)

In der Siztung ging es nicht nur um die Zukunft unserer Grundschule. Sondern auch um die Gehälter der Lehrer in Berkeley. Nur ein Teil der Lehrerschaft ist fest angestellt. Andere erhalten jährlich befristete Verträge. Natürlich ohne Gehalt während der Sommerferien… Allein das führt schon zu prekären Lebensbedingungen für viele Lehrer. Viele können es sich schlicht nicht leisten, diesen Job zu machen. Der durchschnittliche Verbleib im Beruf liegt bei Berufseinsteigern im Moment bei 5 Jahren. Man muss schon Idealist sein.

Zum Glück ist Berkeley eine Stadt der Idealisten und bisher herrscht kein Lehrermangel. Aber die befristeten Verträge von hunderten Lehrern sind immer noch nicht unterschrieben. Obwohl sie seit 8 Wochen wieder arbeiten.

Und so wurde die Sitzung mit Sprechchören eröffnet, begleitet von einer Blaskapelle. „Take it up, take it down. Berkeley is a Union town“, hiess es. Oder: „We can’t live of praise. We nee a raise.“ (Wir können nicht vom Lob allein leben, wir brauchen eine Gehaltserhöhung)

Erster Tagesordnungspunkt war die öffentliche Anhörung. Erste Sprecherin: Ich. Ich fiel aus allen Wolken, musste mich erstmal orientieren. Wo ist das Mikro? Über mir ein riesiger Bildschirm, denn die SItzung wurde live übertragen auf der Website des Schuldstrikts. Naja, sagen wir es so: Ich habe die Rolle der emotionalen, besorgten Mutter übernommen. Aus purer Aufregung. Meine Mitstreiter konnten dann die Fakten liefern. Merke: nächstes Mal Notizen machen. Es könnte sein, dass ich wirklich drankomme.

Erdbeben

4 Erdbeben gab es, seit wir hier leben. Das letzte war so heftig, dass die Fensterscheiben klirrten. Wir waren gerade ins Bett gegangen, als es erst schepperte und dann bebte. Bestimmt 7 Sekunden lang. Wir überlegten, was wir tun sollten? Unser Bett ist zu niedrig, um drunter zu kriechen. Die Kinder schliefen tief und fest. Dann war es vorbei. Ich guckte auf mein Handy. Natürlich fast abgeladen um die Uhrzeit. 22.30 Uhr wäre wirklich unpraktisch für das nächste grosse Beben. Am nächsten Morgen hab ich erstmal die Ersatzladebatterien eingestöpselt. Nun sind wir wenigstens ein bisschen vorbereitet.

Wissenschaftler sagen, dass wir eine 50%-ge Chance haben für ein riesiges Beben bis 2037. Dass es dann sein Zentrum hier bei uns hat liegt bei 30%. Also nix genaues weiss man nicht.

Noch schlimmer als ein Beben um 22.30 Uhr wäre ein Beben während der Schulzeit. Die Grundschule der Kinder liegt in den Hügeln und würde bei einem Beben ca. 6 Meter den Berg runterrutschen. Und bis zu 15m versinken. Leider liegt sie auch noch dort, wo sich der Boden in eine gelartige Masse verwandeln würde. Und die Häuser drumherum sind grösstenteils alt und fallen wahrscheinlich einfach zusammen. Unsere Kinder würden also unter der Schule begraben, den Berg runterschlittern und nicht geborgen werden können, weil der Zugang durch zusammengestürzte Häuser verbarrikadiert wäre. Herrliche Aussichten.

Der entsprechende Bericht wurde im September veröffentlicht. Die Empörung der Eltern ist riesig. Eigentlich sollte die Schule zu diesem Schuljahr umziehen, aber natürlich ist nichts fertig geworden. Ob das im nächsten Schuljahr der Fall ist, bleibt fraglich.

Ich werde mal zur Hauptversammlung des Schuldistrikts gehen mit anderen Eltern und mich beschweren. Vielleicht bringt’s ja was. Ansonsten wird es sein wie immer. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf Privatschulen in Berkeley, andere werden umverteilt in überfüllte Klassenzimmer und der Rest bleibt. Und hofft. Auf ein Erdbeben zwischen 6.30 Uhr und 7.30 Uhr oder zwischen 15.00 und 20.00. Nachts ist halt auch blöd, wenn es plötzlich zappenduster ist.

Wie du mit deinem Kind über Rasse redest

So, jetzt ist es soweit. Ich schreibe über ein Thema, mit dem ich mich intensiv beschäftige. Seit Februar schon. Aber irgendwie wusste ich nicht, wie ich das auf Deutsch sagen soll. Für deutsche Leser.

Rassismus in Amerika ist noch immer alltäglich. Er basiert vor allem auf der Hautfarbe. Ethnische Unterschiede fallen kaum ins Gewicht. Rassismus ist in Berkeley nicht so offensichtlich. Aber auch hier schneiden die schwarzen Kinder in der Schule am schlechtesten ab. Dich gefolgt von den lateinamerikanischen. Das System fördert weisse Kultur. In vielerlei Hinsicht.

Deshalb bot Tonis Schule im letzten Jahr einen 6-wöchigen Kurs an mit dem Titel „racial equity“, ziemlich unübersetzbar, ohne dass es völlig schräg klingt. Es geht um gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen für Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten.

Ein schönes Bild dafür kam auf: Gleichheit bedeutet, allen Kindern Schuhe in derselben Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen bedeutet, allen Kindern Schuhe in ihrer Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen bedeutet, allen Kindern Schuhe zu kaufen, die ihnen passen und ihren Bedürfnissen entsprechen. Manche brauchen dann vielleicht orthopädische Schuhe gegen das zu lange Humpeln, andere brauchen Fussbäder und weiche Stiefel, um die Blasen zu heilen.

Gestern begann eine neue Runde zum Thema. Es ging um die Frage, wie wir mit unseren Kindern über Rassismus und unterschiedliches Aussehen sprechen. Eine wissenschaftliche Definition von systemischem Rassismus wurde projeziert. Unsere Aufgabe in Kleingruppen: Diese Erklärung in kindgerechte Sprache verpacken.

Meine Gruppe bestand aus einer Mutter aus China, einer aus Norwegen, einer aus Alabama, einer aus Kalifornien (verheiratet mit unserem schwarzen Elternvertreterpräsidenten) und mir.

Schnell einigten wir uns auf: „Eine Art und Weise, Menschen in Gruppen aufzuteilen. Meistens nach ihrer Haut- oder Haarfarbe. Eine Gruppe fühlt sich anderen überlegen und behandelt die anderen schlecht. Das ist niemals in Ordnung.“ Mein Zusatz, dass wir noch über die Geschichte der Sklaverei reden müssten, wurde als zu schweres Thema zurückgewiesen. Interessant, weil ich darüber mit T&T offen rede. Aber, wir sind auch keine Amerikaner. Über die amerikanische Geschichte der Sklaverei zu sprechen, lässt keine Fragen darüber aufkommen, wie unsere Vorfahren verstrickt waren.

Dann die Präsentation. Bei der die Leiterin uns daran erinnerte, dass der heutige Rassismus eben nicht ohne die Geschichte zu verstehen ist. Und dass wir die Machtfrage erklären müssen. Dass nämlich die Gruppe, die andere schlecht behandelt, davon profitiert. Und das deshalb nicht wirklich ändern will. Denn das hiesse Teilen. Da sah mich die kalifornische Mutter an und sagte: „Ja, du hast Recht. Es ist mein weisses, schlechtes Gewissen. Deshalb traue ich mich nicht an das Thema ran. Aber jetzt geh ich es an.“

Und ich überlegte, dass ich mit T&T zwar schon ab und an über den 2. Weltkrieg gesprochen habe. Aber auch noch nie explizit über den Holocaust. Zu jung? Ich glaube nicht. Sie haben hier viele jüdische Freunde und Klassenkameraden. Von einigen weiss ich, dass die Grosseltern aus Deutschland geflohen sind. Andere haben Verwandte und Freunde in den KZs verloren. Irgendwann kommt das Thema auf. Da sollten sie Bescheid wissen. So hat jedes Kind hier seine eigenen Schuldverstrickungen zu tragen. Und wir Eltern stammeln und ringen nach Worten. Zum Glück. Anders geht’s nicht.

In 4 Wochen geht’s weiter mit dem Workshop.

Ein ganz normaler Nachmittag im Paradies

13.40 Uhr: der Schulbus kommt an, Theo steigt aus. Wir laufen fröhlich quatschend nach Hause, stoppen kurz beim Spielplatz. Bis Toni kommt haben wir eine knappe Stunde zu zweit. Zeit zum Duschen und Kochen und ungestörten Erzählen.

14.30 Uhr: Toni betritt die Wohnung. Verschwitzt und fröhlich. Immer noch stolz darauf, allein vom Schulbus nach Hause laufen zu dürfen. Kauend berichtet sie von ihrem Tag, Theo fragt nach, ergänzt aus seinem Erfahrungsschatz. Und schwups ist es 15.30 Uhr.

„Kann ich zu Joe rüber?“, fragt Theo. Toni schliesst sich an. Gemeinsam rennen sie zu unserem Nachbarn. Ein ruhiger Rentner mit 4 Hunden. Aus dem Fenster beobachte ich die Szene. Die Hunde freuen sich wild bellend. Theo lässt sich zur Begrüssung einmal von oben bis unten abschlecken und geniesst es sichtlich. Toni trägt einen der kleinen Hunde wie ein Baby herum. Alles begleitet von munterem Geplapper der Kinder und bedachten Kommentaren seitens Joe.

Irgendwann sitzen die 3 gemeinsam am Gartentisch. Die Kinder haben jeweils einen Hund auf dem Schoss. Und dann wird philosophiert. Keine Ahnung worüber. Aber alle reden ruhig und lächeln. Nach einer Stunde schickt Joe die Kinder wieder rüber, bis morgen.

Es folgt ein kleines Spielintermezzo in unserem Garten. Bis die Kinder unsere Nachbarin Alice erspähen. Auch sie ist Rentnerin und pflegt einen herrlichen Garten. Meistens dürfen die Kinder sie besuchen und ihr ein bisschen beim Schneiden und Ernten helfen. Ist sie nicht da, pilgern die Kinder zum nächsten Spielplatz. 2 Minuten von uns. Da wohnen weitere Freunde. Und viele erwachsene Augen gucken.

Gegen 17 Uhr kommt schliesslich unser dritter Nachbar nach Hause. Ein 6-jähriger Junge. Nun wird hin und her über den Zaun geklettert bis es in beiden Häusern Abendessen gibt. Und der Tag sich dem Ende zuneigt.

Nach dem Essen lautet die Frage: „Dürfen wir über die Strasse?“ Da leben drei Familien mit Kindern. In letzter Zeit ist es zum abendlichen Ritual geworden, dass sich die 6 Kinder treffen. Bis alle ins Bett müssen gegen 19.30 Uhr.

Wir leben wirklich im Familien-Paradies. Danke, Gott!

Playdate: der Kulturschock

Playdates sind was Fantastisches. Man kann sie ganz einfach verabreden mit Eltern, die man nicht kennt fuer Kinder, die ich auch nicht kenne. Aber Toni oder Theo. Es bedarf normalerweise keiner langen Erklaerungen. Man sagt einfach: T hat gefragt, ob er/ sie ein playdate haben darf mit XY? Und normalerweise sind die anderen Eltern offen und freundlich.

So war es auch dieses Mal. Theo wollte eine Klassenkameradin zu uns einladen zum spielen. Also schrieb ich ihrer Mutter. Keine Reaktion. Ich traf ihren Vater in der Schule, stellte mich kurz vor. Einen Tag spaeter die Antwort. Ja, sie freue sich, dass die Kinder befreundet seien. Aber, also, das sei das erste Mal fuer sie, dass ihre Tochter zu einer Familie eingeladen sei, die sie nicht kenne… Und da wisse sie jetzt nicht genau. Das sei ihr ganz unangenehm. Waeren dann nur Theo und ich da? Oder noch wer?

Ich las die Mail, holte tief Luft und schrieb: Ich verstehe das vollkommen. Wir koennen uns auch auf einem Spielplatz treffen oder du bist herzlich eingeladen, da zu bleiben. Was dir lieber ist.

Sie entspannte sich merklich und wir verabredeten, dass sie ihre Tochter zu uns bringen wuerde fuer einige Stunden. Am Ende blieb sie doch da. Aber nur, weil wir Muetter uns natuerlich verquatschten.

Als ich die Geschichte im Seelsorge-Kurs erzaehlte, fand das niemand ungewoehnlich. „Bevor meine Kinder zu irgendwem gehen, will ich alles ueber die Familie wissen. Und ein Fuehrungszeugnis sehen. Man weiss ja nie.“ Kein Scherz.

Ok. Im Vergleich dazu war das alles ziemlich entspannt.

Walk and Roll to School

Am 2. Oktober war der nationale „walk and roll to school“ Tag in Amerika. Eltern sollen auf diese Weise motiviert werden, ihre Kinder nicht mit dem Auto bis vor die Schultuer zu fahren. Gute Sache.

Matt und ich vom GreenTeam unserer Schule planten also eine Aktion. Mit Stickern und Fotos und Donuts und Kaffee fuer die mueden Eltern. Alle sollten sich in einem Park in der Naehe der Schule treffen und dann gemeinsam zur Schule laufen.

Allerdings gibt es ein Problem. Da ja in Berkeley die Kinder aus der ganzen Stadt zur Schule kommen, wohnen viele zu weit weg zum Laufen oder Radeln, sehr viele Kinder nehmen den Schulbus. Unsere gutgemeinte Aktion schloss also die meisten Kinder aus. Naemlich all jene, die zu weit weg wohnen und deren Eltern morgens keine Zeit haben, mit ihnen 30-45 Minuten durch Berkeley zu radeln. Sprich, viele Kinder aus aermeren Haushalten.

Um dem wenigstens minimal entgegenzuwirken, bot ich eine Radtour von Downtown Berkeley an. Eine befreundete Familie schloss sich an. Auch Fahrrad fahren ist ein Luxus fuer viele. Die meisten Kinder in Theos und Tonis Alter haben kaum Fahrpraxis.

Mein Lerneffekt: Inklusion ist eine verzwickte Sache. Fuer naechstes Jahr hatte meine Freundin Sandy aber schon eine wunderbare Idee: Wir werden einfach allen Kindern, die taeglich mit dem Schulbus fahren, Donuts schenken. Einfach dafuer, dass sie den langen Schulweg auf sich nehmen. Und dafuer, dass ihre Eltern taeglich die Umwelt schonen und ihre Kinder nicht herumkutschieren.

Und trotzdem gab es einen positiven Effekt: Einige der in der naeheren Umgebung lebenden Eltern trafen auf andere Eltern aus ihrer Nachbarschaft. Zaghafte Gespraeche entwickelten sich. „Oh, ihr wohnt ja gleich bei uns um die Ecke.“ – „Ja, das war mir auch nicht klar.“ – „Lauf ihr morgens zur Schule?“ – „Ja, manchmal.“ – „Vielleicht koennen wir mal zusammen gehen?“ – „Gute Idee!“ Und ich denke mir: Super Anfang. Irgendwann kommt ihr dann auch noch auf die Idee, dass sich die Eltern ja abwechseln koennten bei der Begleitung. Und in einigen Monaten/ Jahren lasst ihr eure Kinder auch mal alleine laufen. Das waere fast schon revolutionaer in Berkeley!