Ein ganz normaler Nachmittag im Paradies

13.40 Uhr: der Schulbus kommt an, Theo steigt aus. Wir laufen fröhlich quatschend nach Hause, stoppen kurz beim Spielplatz. Bis Toni kommt haben wir eine knappe Stunde zu zweit. Zeit zum Duschen und Kochen und ungestörten Erzählen.

14.30 Uhr: Toni betritt die Wohnung. Verschwitzt und fröhlich. Immer noch stolz darauf, allein vom Schulbus nach Hause laufen zu dürfen. Kauend berichtet sie von ihrem Tag, Theo fragt nach, ergänzt aus seinem Erfahrungsschatz. Und schwups ist es 15.30 Uhr.

„Kann ich zu Joe rüber?“, fragt Theo. Toni schliesst sich an. Gemeinsam rennen sie zu unserem Nachbarn. Ein ruhiger Rentner mit 4 Hunden. Aus dem Fenster beobachte ich die Szene. Die Hunde freuen sich wild bellend. Theo lässt sich zur Begrüssung einmal von oben bis unten abschlecken und geniesst es sichtlich. Toni trägt einen der kleinen Hunde wie ein Baby herum. Alles begleitet von munterem Geplapper der Kinder und bedachten Kommentaren seitens Joe.

Irgendwann sitzen die 3 gemeinsam am Gartentisch. Die Kinder haben jeweils einen Hund auf dem Schoss. Und dann wird philosophiert. Keine Ahnung worüber. Aber alle reden ruhig und lächeln. Nach einer Stunde schickt Joe die Kinder wieder rüber, bis morgen.

Es folgt ein kleines Spielintermezzo in unserem Garten. Bis die Kinder unsere Nachbarin Alice erspähen. Auch sie ist Rentnerin und pflegt einen herrlichen Garten. Meistens dürfen die Kinder sie besuchen und ihr ein bisschen beim Schneiden und Ernten helfen. Ist sie nicht da, pilgern die Kinder zum nächsten Spielplatz. 2 Minuten von uns. Da wohnen weitere Freunde. Und viele erwachsene Augen gucken.

Gegen 17 Uhr kommt schliesslich unser dritter Nachbar nach Hause. Ein 6-jähriger Junge. Nun wird hin und her über den Zaun geklettert bis es in beiden Häusern Abendessen gibt. Und der Tag sich dem Ende zuneigt.

Nach dem Essen lautet die Frage: „Dürfen wir über die Strasse?“ Da leben drei Familien mit Kindern. In letzter Zeit ist es zum abendlichen Ritual geworden, dass sich die 6 Kinder treffen. Bis alle ins Bett müssen gegen 19.30 Uhr.

Wir leben wirklich im Familien-Paradies. Danke, Gott!

Playdate: der Kulturschock

Playdates sind was Fantastisches. Man kann sie ganz einfach verabreden mit Eltern, die man nicht kennt fuer Kinder, die ich auch nicht kenne. Aber Toni oder Theo. Es bedarf normalerweise keiner langen Erklaerungen. Man sagt einfach: T hat gefragt, ob er/ sie ein playdate haben darf mit XY? Und normalerweise sind die anderen Eltern offen und freundlich.

So war es auch dieses Mal. Theo wollte eine Klassenkameradin zu uns einladen zum spielen. Also schrieb ich ihrer Mutter. Keine Reaktion. Ich traf ihren Vater in der Schule, stellte mich kurz vor. Einen Tag spaeter die Antwort. Ja, sie freue sich, dass die Kinder befreundet seien. Aber, also, das sei das erste Mal fuer sie, dass ihre Tochter zu einer Familie eingeladen sei, die sie nicht kenne… Und da wisse sie jetzt nicht genau. Das sei ihr ganz unangenehm. Waeren dann nur Theo und ich da? Oder noch wer?

Ich las die Mail, holte tief Luft und schrieb: Ich verstehe das vollkommen. Wir koennen uns auch auf einem Spielplatz treffen oder du bist herzlich eingeladen, da zu bleiben. Was dir lieber ist.

Sie entspannte sich merklich und wir verabredeten, dass sie ihre Tochter zu uns bringen wuerde fuer einige Stunden. Am Ende blieb sie doch da. Aber nur, weil wir Muetter uns natuerlich verquatschten.

Als ich die Geschichte im Seelsorge-Kurs erzaehlte, fand das niemand ungewoehnlich. „Bevor meine Kinder zu irgendwem gehen, will ich alles ueber die Familie wissen. Und ein Fuehrungszeugnis sehen. Man weiss ja nie.“ Kein Scherz.

Ok. Im Vergleich dazu war das alles ziemlich entspannt.

Schlimmer als in Rumaenien: Geplanter Stromausfall

Anfang der Woche benachrichtigte uns der kalifornische Strom- und Gasanbieter (PGE), er werde in 2 Tagen knapp 1 Millionen Menschen den Strom abstellen. Fuer bis zu 5 Tage. Man solle Vorkehrungen treffen, Essensvorraete anlegen, Wasserreserven lagern und sich auf eine etwaige Evakuierung vorbereiten. Nicht etwa, weil Rechnungen nicht bezahlt worden waren. Sondern, um die Waldbrandgefahr zu verringern. Gerade war bewiesen worden, dass marode Stromleitungen in den letzten 2 Jahren Feuer gefangen hatten und die riesigen Waldbraende ausgeloest hatten.

Anstatt die Leitungen zu warten, stellt PGE einfach den Strom ab. Und zwar, weil warme, trockene Winde uebers Land ziehen. Niemand wusste so genau, wer betroffen sei, wann es beginnen und wie lange es dauern wuerde. Nur meine juedischen Freunde lachten: „Stromausfall fuer alle am Jom Kippur. An dem Tag duerfen wir Juden eh keinen Strom nutzen.“

Die Uni musste ihren Betrieb fuer 2 Tage einstellen. Das Lab, in dem Philipp arbeitet, schloss fuer 5 Tage. Obwohl es faktisch am Ende nur wenige Stunden Stromausfall waren. Aber die sauteuren Geraete durften natuerlich keinerlei Risiko ausgesetzt werden.

Da es vor allem die „hill people“ aus den reicheren Gegenden betraf, hatten die Cafes bei uns in Downtown ploetzlich grossen Zulauf. Ueberall sah man die letzten Tage Menschen an oeffentlichen Orten mit ihren Laptops. Sie suchten Internetasyl zum arbeiten.

Ich fand’s eigentlich ganz schoen. Denn Philipps Lab war ja geschlossen und also arbeiteten wir beide von zu Hause. Und konnten gemeinsam und ungestoert Mittag essen. Herrlich. Liebe PGE, gerne wieder!

Leider hat’s nicht mal was gebracht. Einige Kilometer entfernt von Berkeley brannte trotzdem der Wald. Zum Glueck kam niemand ums Leben. Alle waren ja vorbereitet.

Einfuehrung in amerikanische Psychologie: Teil 2

Thema: Patientenumgang. Die grosse Frage, die sich jeder (Mitarbeiter) stellen sollte, lautet: Hab ich heute dafuer gesorgt, dass wenigstens ein anderer Mensch einen wunderbaren Tag hatte? Hab ich jemanden angelaechelt? Jemandem ein Kompliment gemacht? Jemandem helfen koennen?

Was tun, wenn jemand in Brast auf dich zukommt und schimpft und motzt? Auch hier klare Anweisungen: Lass ihn atmen. Halte 3 Sekunden Augenkontakt. Nimm es nicht persoenlich. Mach dir Notizen. Frag nach. Achte auch die Koerpersprache. Noch konkreter: Sei empathisch, entschuldige dich fuer Unannehmlichkeiten, uebernimm Verantwortung und danke demjeniger, der sich beschwert. Hab ich richtig gehoert? „Bedankt euch fuer die Rueckmeldung, denn nur so koennen wir unseren Service verbessern.“ Stimmt auch wieder! Ist vielleicht ein guter Tipp in allen moeglichen Lebenslagen.

Egal, wie schlecht andere drauf sind, jeder ist selbst verantwortlich fuer sein Verhalten und seine Stimmung. Also: seid froehlich und gut gelaunt. Das macht das Leben fuer alle leichter.

Thema: Infektionskontrolle: Handhygiene ist selbstverstaendlich. Sehr irritierend jedoch die Folien zum Thema. Eine weisse, saubere Hand wird gezeigt mit kurzen Fingernaegeln. So soll es sein. Daneben eine schwarze Hand mit verschmutzten, laengeren Naegeln. So nicht. Rassismus pur. Ist mir zu meiner Schande nicht mal aufgefallen. Meine Freundin machte mich erst darauf aufmerksam. Es gibt wirklich noch viel zu tun.

Thema: Sicherheit und Brandschutz. Ein vollkommen begeisterter Sicherheitsbeauftragter erklaerte uns die Regeln. Vor allem, weil ja bald Halloween sei. Und natuerlich verstehe er, dass alle ihre Bueros schmuecken wollten. Ist ja klar. Aber man solle ihn vorher bitte fragen, was zulaessig sei. Sonst muesse er spaeter alles runterreissen. Und das wuerde er wirklich nicht wollen. Ist ja Halloween!!!!

Das Krankenhaus ist vermutlich einer der sichersten Orte im Land bei Feuer. Jeder Raum sei fuer 2 Stunden sicher vor Feuer, wenn die Tueren geschlossen sind. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Hinter jeder Doppeltuer befindet sich eine neue Sicherheitszone. Bei Feuer rennen also nicht alle panisch aus dem Gebaeude, sondern man bewegt sich besonnen horizontal in die naechste sichere Zone. Warum bauen wir nicht alle oeffentlichen Gebaeude so?

Thema: Code Pink. Wenn ein Kind vermisst wird, wird ein Alarm ausgeloest und die AirBase verriegelt. Zwar darf das Militaer niemanden festnehmen, aber festsetzen auf der Base ist erlaubt. Und woran erkenne ich eine verdaechtige Person? Laut Bildern vor allem an grossen Taschen, in die potentiell Kinder reinpassen. Fuer Amerikaner ist das eine Urangst, dass ihre Kinder entfuehrt werden. Man koennte es fast schon Panik nennen. Und keiner konnte mir bisher erklaeren, woher sie stammt. Ich forsche weiter.

Einfuehrung in militaerisches Leben (und amerikanische Psychologie): Teil 1

Um bei der Luftwaffe arbeiten zu duerfen, und sei es als freiwillige Seelsorgerin, muss man an einer 3-stuendigen Orientation teilnehmen. Die Themen: Einfuehrung durch die Kommandeurin. Bei ihrem Betreten des Raumes sausten alle aus ihren Stuehlen und standen stramm. Beim Auszug ebenfalls. Fast wie in der Kirche. Nur, dass hier keiner quatschte. Einer ihrer ersten Appelle lautete: Sagen Sie uns, was sie an Fehlern in unserem System sehen. Sie kommen hierher mit einem neuen Blick. Das ist fuer uns wichtig, damit wir alle besser werden.“ Was fuer eine grandiose Kultur!

Thema Patientensicherheit: Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeigabsturz ums Leben zu kommen, liegt bei 1 zu 1 Million. Bei Operationen im Krankenhaus stirbt dagegen 1 von 300 Patienten in den USA. Gruselig. In den vergangenen Jahren habe es im hiesigen Militaerkrankenhaus alle 11 Tage 1 Vorfall gegeben, der zum Tode or zur Verletzung eines Patienten fuehrte. Inzwischen liege die Zahl bei alle 90 Tage. Immer noch zu viel. Ziel ist natuerlich keiner. Aber man sei auf dem richtigen Weg.

Was hat sich geaendert? Die Dokumentation ist viel genauer geworden. Frueher wurde nur berichtet, wenn etwas richtig schief ging. Heute wird auch berichtet, wenn etwas fast schief gegangen waere, wenn Fehler gemacht wurden ohne medizinische Konsequenzen oder wenn Aerzte und Personal im unsicheren Arbeitsumfeld arbeiten muessen.

Dahinter steht folgende Annahme: Die meisten Fehler passieren, weil gute und faehige Menschen minimale Fehler machen, die nicht entdeckt werden. Nicht, weil boese Menschen Boeses wollen. Es ist das sog. „Schweitzer Kaese Modell“. Kleine Loecher im System fuehren zu grossen Unheil. Beispiel: Falscher Patientenname aufgeschrieben, spaeter falsche Akte rausgesucht, dann falschen Patient behandelt, am Ende falsches Bein ab. Um dies zu verhindern, muessen nun immer mehrere Personen die Identitaet des zu operierenden Patienten bestaetigen. Und vor jeder OP gibt es eine Ruhepause fuer das OP-Team. Um noch mal genau zu ueberlegen, ob alles richtig ist.

Man erwarte keine Perfektion von allen Mitarbeitern, das sei fast unmoeglich. Aber man erwarte Transparenz und Berichte. Dafuer wurde eigens ein Buero eingerichtet. Die Berichte koennen anonym oder namentlich gegeben werden. Wer berichtet, muss keinerlei Verfolgung fuerchten. Selbst wenn er den Fehler selbst gemacht hat. Das ist mal gelebte Rechtfertigung.

Fairfield: Air Base fuer die Westkueste

Das Militaerkrankenhaus befindet sich auf dem Gelaende des Luftwaffenstuetzpunktes in Fairfield. Um drauf zu kommen, braucht man einen Pass. Oder jemanden mit Pass, der einen im Auto mitnimmt. Hinter den Toren liegt eine Kleinstadt. 8.000 Soldaten sind hie stationiert, weitere ca. 12.000 Familienangehoerige kommen dazu. Die meisten leben auf dem Gelaende.

Welchen Rang jemand hat, kann man wunderbar an seinem Haus erkennen. Airmen (einfache Soldaten) wohnen in Doppelzimmern. Die unteren Raenge haben kleine Reihenhaeuschen. Danach kommen Doppelhaushaelften, dann schoene grosse Einfamilienhaeuser. Ob das Einfluss auf die Freundewahl in der Schule hat?

2 Grundschulen sind vor Ort, 1 Middleschool, viele Kitas. Da Militaerfamilien zu grossen Familien mit 4-8 Kindern neigen, sind viele Frauen Hausfrauen. Auch, weil man als Militaeraneghoeriger maximal 4 Jahre an einem Ort bleibt. Dann wird man versetzt. Ein Leben wie im diplomatischen Dienst. Nur gefaehrlicher.

Dank der strengen Eingangskontrollen ist die Base selbst ein sicherer Ort. Kinder spielen frei, fahren allein mit dem Rad oder Roller herum wie sonst vermutlich nirgends in Amerika. Ein Stueck eingezaeunte Freiheit herrscht hier.

Fairfield ist eine der groessten Stationen fuer den militaerischen Luftverkehr. Bei Auslandseinsaetzen oder Kriseninterventionen wie beim Hurrican werden hier riesige Flieger mit Materialien, Essen und Bussen, Panzern und Helikoptern und Soldaten beladen und um die ganze Welt geflogen. Von hier aus fuehlt Krieg sich wie eine logistische Meisterleistung an.

Ein Flugzeugtyp ist nur dafuer konzipiert, andere Flieger in der Luft zu betanken. Ein anderer kann hunderte Menschen auf einmal transportieren: Soldaten in den Krieg, Verwundete nach Hause.

Im naechsten Fruehjahr wird ein Ernstfall geprobt. Dann werden innerhalb eines Tages alle verfuegbaren Bueros in Krankenzimmer umgewandelt und auf den Parkplaetzen werden Notunterkuenfte gebaut. So, wie es waere, wenn wirklch verwundete Soldaten in grosser Zahl eingeflogen wuerden. „WIr spielen dann hier den kriegerischen Ernstfall. Das wird ein riesiger Spass!“, sagte die febehlshabende Offizierin in der Einfuehrungsveranstaltung. An dem Tag muss ich unbedingt Dienst haben.

Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) auf Amerikanisch

Seelsorge. Ich liebe diese Arbeit, ich hoere Menschen gern zu. Im Vikariat bekamen wir alle eine 6-woechige Grundausbildung in Gemeinde und Krankenhaus. Intensive Wochen mit wunderbaren Gespraechen. Nur die Supervision war teilweise anstrengend bis ernuechternd oder gar entmutigend.

Deshalb ist es ein Wunder, dass ich mich freiwillig zum KSA-Kurs eingeschrieben habe. Er fiel mir einfach vor die Fuesse. Auf einer anderen Fortblldung im Sommer lernte ich die Supervisorin kennen und fragte sie eigentlich nur prinzipiell ueber Jobmoeglichkeiten in der Seelsorge aus. Irgendwovon muss der Mensch ja leben und ich brauche einen neuen Job ab Januar. Fazit des Gespraechs: Meine 6 Wochen Seelsorgeausbildung wird mir hier niemand anerkennen. Um als Chaplain arbeiten zu koennen, brauche ich mind. einen KSA-Kurs. „Ich habe noch einen Platz frei in meinem Kurs“, sagte sie. „Ueberleg es dir.“ Einige Tage spaeter schrieb ich ihr eine Mail mit der Frage, was sie von mir fuer die Bewerbung brauche? „Ich hab dich schon ins Programm aufgenommen. Alles gut.“, schrieb sie mir zurueck.

Der Kurs geht berufsbegleitend ueber 9 Monate. In dieser Zeit muss ich 150 Stunden Seelsorge in der Gemeinde nachweisen, 150 Stunden im Krankenhaus und an 100 Supervisions- und Unterrichtsstunden teilnehmen. Das sind im Schnitt je 5 Stunden Seelsorge pro Woche. Jeden Donnerstag haben wir Unterricht und Supervision von 15 bis 20 Uhr. 2-3 pro Monat muss ich Nachrschichten uebernehmen von 19.30 bis 7.30 Uhr. Noch gibt es kein Zimmer fuer uns, deshalb haben wir im Okobter noch Schonfrist. Puh.

Alles halb so schlimm. Waere es nicht in Fairfield. Mit dem Auto eine Stunde von Berkeley entfernt. Leider haben wir noch keins. Mit den Oeffentlichen brauche ich 3,5 Stunden. Zum Glueck sind andere noch verrueckter und reisen aus Mountain View (2 Stunden Fahrtzeit) und Santan Cruz (2,5 Stunden) an. Meistens koennen sie mich in Walnut Creek einsammeln und da brauche ich nur 45 Minuten hin…

Warum mache ich mir den Stress trotzdem? Weil es 1. weit und breit das einzige berufsbegleitende Model ist. Und weil es 2. in einem Militaerkrankenhaus stattfindet. Das bedeutet 3., dass 5 von 7 Teilnehmern ebenfalls aktive oder ehemalige Militaerangehoerige sind. Ich lerne eine voellig neue Welt kennen. Eine Welt, in der es um Raenge geht, nicht um Herkunft und Hautfarbe. Eine Welt, in der man sich mit „SIr“ und „Mam“ anredet. Eine Welt, in der einer der offiziellen Seelsorger ein ehemaliger Offizier und Anti-Atomkraft-Aktivist ist.

Unsere Gruppe ist so gemischt, wie man es sich nur wuenschen kann. Einer von den Philippinen, eine aus Ghana, einer aus Nigeria, Leute aus Texas und Alabama und Utah und Kalifornien. 2 Evangelikale, deren Frauen auch Pastorinnen sind und die deshalb auvon der Southern Baptist Church rausgeschmissen wurden und ihre eigene Kirche gruendeten. 1 Pfingstlerin, die alle Menschen wirklich liebt, aber niemals eine homosxuelle Trauung besuchen wuerde. Selbst von ihren Freunden nicht. 2 Reformierte, die radkal liberal sind, 1 Episkopaler mit Hang zu charismatischen Gemeinden, 1 Mormonin, die Ramadan haelt und den Hinsuismus liebt. Und dazwischen ich. Es verspricht, eine grandiose Zeit zu werden.

Die Grundhaltung lautet: Wir akzeptireren einander in unserer Verschiedenheit. Wir begegnen allen Menschen mit Liebe und Respekt. Und wir kennen unsere persoenlichen Grenzen. Wer mit einem Homosexuellen nicht ueber dessen Eheleben reden kann aus konfessionellen oder persoenlichen Gruenden, muss das nicht. Wer mit Ehebrechern nicht reden kann, muss das nicht. Wer mit Moerdern, Vergewaltigern usw.nicht reden kann, muss das nicht. Was wir alle tun muessen, ist fuer alle solange da zu sein, bis ein Kollege den Fall uebernehmen kann.

in unserer Supervisorin haben wir eine echte Spezialistin. Sie ist seit 30 Jahren Seelsorgerin, war im Irak und am Ground Zero, hat mit schwerst traumatisierten Frauen aus Ruanda gearbeitet und leitet nebenbei noch eine kleine Gemeinde. Es gibt wahrscheinlich nichts an menschlichem Elend, was sie nicht schon erlebt und begleitet hat. Was fuer eine riesige Chance fuer mich.

Walk and Roll to School

Am 2. Oktober war der nationale „walk and roll to school“ Tag in Amerika. Eltern sollen auf diese Weise motiviert werden, ihre Kinder nicht mit dem Auto bis vor die Schultuer zu fahren. Gute Sache.

Matt und ich vom GreenTeam unserer Schule planten also eine Aktion. Mit Stickern und Fotos und Donuts und Kaffee fuer die mueden Eltern. Alle sollten sich in einem Park in der Naehe der Schule treffen und dann gemeinsam zur Schule laufen.

Allerdings gibt es ein Problem. Da ja in Berkeley die Kinder aus der ganzen Stadt zur Schule kommen, wohnen viele zu weit weg zum Laufen oder Radeln, sehr viele Kinder nehmen den Schulbus. Unsere gutgemeinte Aktion schloss also die meisten Kinder aus. Naemlich all jene, die zu weit weg wohnen und deren Eltern morgens keine Zeit haben, mit ihnen 30-45 Minuten durch Berkeley zu radeln. Sprich, viele Kinder aus aermeren Haushalten.

Um dem wenigstens minimal entgegenzuwirken, bot ich eine Radtour von Downtown Berkeley an. Eine befreundete Familie schloss sich an. Auch Fahrrad fahren ist ein Luxus fuer viele. Die meisten Kinder in Theos und Tonis Alter haben kaum Fahrpraxis.

Mein Lerneffekt: Inklusion ist eine verzwickte Sache. Fuer naechstes Jahr hatte meine Freundin Sandy aber schon eine wunderbare Idee: Wir werden einfach allen Kindern, die taeglich mit dem Schulbus fahren, Donuts schenken. Einfach dafuer, dass sie den langen Schulweg auf sich nehmen. Und dafuer, dass ihre Eltern taeglich die Umwelt schonen und ihre Kinder nicht herumkutschieren.

Und trotzdem gab es einen positiven Effekt: Einige der in der naeheren Umgebung lebenden Eltern trafen auf andere Eltern aus ihrer Nachbarschaft. Zaghafte Gespraeche entwickelten sich. „Oh, ihr wohnt ja gleich bei uns um die Ecke.“ – „Ja, das war mir auch nicht klar.“ – „Lauf ihr morgens zur Schule?“ – „Ja, manchmal.“ – „Vielleicht koennen wir mal zusammen gehen?“ – „Gute Idee!“ Und ich denke mir: Super Anfang. Irgendwann kommt ihr dann auch noch auf die Idee, dass sich die Eltern ja abwechseln koennten bei der Begleitung. Und in einigen Monaten/ Jahren lasst ihr eure Kinder auch mal alleine laufen. Das waere fast schon revolutionaer in Berkeley!

Nun bin ich was wert, denn die nehm’n ja nicht jeden.

Und dann kam der 22. September. Der Tag, auf den wir seit Monaten hingearbeitet und gefiebert hatten. Zuletzt dann auch gebibbert.

Eine meiner groessten Sorgen war mein Make-up. Nicht (nur) aus Eitelkeit. Sondern weil wir spaetestens seit Trump alle wissen, wie orange man bei HD Qualitaet im Fernsehen wirken kann. Bei der Gelegenheit holte ich mir Tipps von anderen Frauen und lernte: die Foundation sollte etwas heller sein als der eigene Hauttyp. (Gut, dass ich den richtigen Ton auf der Strasse gefunden hatte.) Puder sollte ebenfalls hell sein und sparsam aufgetragen werden. Ein etwas dunklerer Lidschatten im selben Farbspektrum betont die Augen auf natuerliche Weise. Und am Ende alles mit Make-up Spray befestigen, damit es nicht unter der Hitze der Scheinwerfer zerlaeuft. Hab es genauso gemacht und war zufrieden mit dem Ergebnis offline und online.

Ansonsten stehe ich seit einigen Tagen unter Schock. Genauer, seit ich mir den Gottesdienst mit Freunden in der ZDF Mediathek angesehen habe. So wirke ich also als Pastorin. Aha. Daran muss ich mich erstmal gewoehnen. Meine selbstverschriebene Therapie lautet: den Beitrag immer wieder gucken. Denn beim ersten Mal hielt ich kaum meine eigene Stimme aus, an Hinschauen war deshalb kaum zu denken. Dass wir dabei Pizza futterten und Bier tranken machte die ganze Situation noch absurder. Von weitem ist ein Gottesdienst schon eine fremde Welt.

Klassischer Fall von Perspektivwechsel, ich weiss. Meine Innenperspektive wurde um die Aussenperspektive erweitert. Um eine mir bis dato fremde Tia. Meine erste Reaktion war: „O je, ich seh aus wie ne echte Pastorin.“ Bin ich ja auch. Meine zweite: „Hilfe, bin ich pastoral.“ Ok, es waren auch 4 Kameras auf mich gerichtet, da war ich definitiv weniger locker als sonst. Aber trotzdem. Ein heilsamer Schock. Danke, ZDF!

Der Gottesdienst selbst machte Spass. Die Kirche war gefuellt wie sonst zu Ostern und Weihnachten. Viele unserer Familien waren da und mutig genug, ihre Kinder mitzubringen. Im Gegensatz zu Philipp und mir. Nicht, weil ich Angst hatte, dass sich Toni und Theo nicht benehmen koennten. Sondern aus Sorge, dass ich aus meiner pastoralen Rolle fallen wuerde, wenn ich die beiden sehe. Nun hab ich ihnen den Weg zum Fernsehruhm vorerst verbaut. Arme Pastorenkinder.

Ein Hingucker auch der Chor des Oakland Turnvereins. Damen und Herren in Tracht fuellten einige Kirchenreihen. (Der Deal lautete: Ihr kommt, dafuer duerft ihr NACH dem Gottesdienst noch fuer uns alle singen.) Falls unsere deutschen Zuschauer jetzt glauben, unsere Gemeindeglieder kaemen immer so in die Kirche. Dem ist nicht so. Sie haben sich extra schick gemacht fuers Fernsehen.

Der Gottesdienst lief super, keine groesseren Fehler, keine lustigen Versprecher. Dafuer gab es technische Schwierigkeiten. Direkt nach dem Schlussakkord rannte der Aufnahmeleiter nach vorn und sagte: „Danke! Wir muessen zwei Szenen nochmal nachdrehen. Das (ewig lange 3-strophige) Abschlusslied (bei dem Kerstin und ich mit Blick zur Gemeinde singen und schunkeln sollten) und ein kleines Zwischenspiel.“ Also nochmal 4 Minuten singen und bewegen mit fettem Grinsen im Gesicht vor Erleichterung. Damit die Kameras all die suessen Kinder filmen konnten. Und eines unserer Gemeindeglieder, die offensichtlich eine Geschichte im Show-Business hat. Ca. bei Minute 43 schaut sie in die Kamera und blinzelt dann cool und verschwoererisch. Fuer mich ist sie der Star des Tages.

Und hier ist der Link zum Gottesdienst: https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-tv/zdf-gottesdienst/du-erforschst-mich-und-kennst-mich-10573

Ich bin im Fernsehen aufgetreten…

Das sang Gerhard Schoene in den 1980ern schon mit einem Augenzwinkern: „Ich bin im Fernsehen aufgetreten. Nun bin ich was wert, denn die nehm’n ja nicht jeden.“ ALSO nochmal zum feierlichen Mitschreiben: Ich bin im Fernsehen aufgetreten, im ZDF Fernsehgottesdienst. Jetzt kann ich eigentlich in den Ruhestand gehen. Lebensziel einer Pastorin erreicht. Zur Prime-time flimmerte mein Gesicht ueber die Bildschirme von 1 Million Zuschauern/ Gottesdienstbesuchern. Kann ich mir ehrlich gesagt immer noch nicht wirklich vorstellen.

Was wie ein ganz normaler Gottesdienst wirkte, war auch einer. Weil wir wirklich mit unserer Gemeinde Gott lobten und beteten und sangen. Zugleich war es eine von vorne bis hinten durchgetaktete und geprobte Veranstaltung. Wollte gerade „Show“schreiben, aber das trifft es nicht richtig.

Das Thema wurde uns vorgegeben. „Kuenstliche Intelligenz“, wo wir schon mal im Silicon Valley sind.

Meine Kollegin Kerstin flog vor einem Jahr nach Deutschland und wurde dort fuer ihren Fernsehauftritt eine Woche lang geschult. Im Mai kam das ZDF Team dann samt EKD-Medienbeauftragtem und EKD-Pastor zu uns nach San Francisco zur Ortsbegehung und 1. Besprechung. Nicht das schlechteste Ziel fuer eine Dienstreise.

Ich traeumte von einem Psalm, den wir mit Anfragen an Gott und KI kunstvoll verwoben. Ich traeumte von kurzen Fuerbitten, die Raum zum Nachdenken und Beten lassen. Ich traeumte.

Die Realitaet war nuechterner. 43,5 Minuten darf ein ZDF Gottesdienst dauern, 45 Minuten inklusive Vorfilm und Abspann. Schnelle Uebergaenge muessen es sein, keine intendierten Pausen. Wichtige Menschen wie der Bischof und der Generalkonsul sollten zu Wort kommen, wuenschte man sich. KI sollte kurz erklaert werden fuer all unsere Zuschauer, die sich darunter nichts vorstellen konnten. (Und fuer mich!) Fernsehtauglich und kamerfreundlich sollten wir uns bewegen und platzieren. Am Hochaltar zum Gebet stehen war da nicht drin.

Stundenlang traf ich mich mit zwei unserer Gemeindeglieder, um gemeinsam die Liturgie vorzubereiten. Thematisch musste es ja um KI/ Digitalisierung gehen und wir rangen um Worte. Robert und Christopher kennen sich da aus. Wollten einerseits die Chancen nicht verdammen und andererseits keine blinde Technikbegeisterung an den Tag legen. Arbeiteten 4 Stunden lang am Psalm 139. Vorwarnung: Davon ist sehr wenig im Gottesdienst gelandet.

Vier Tage vor Aufzeichnung der Sendung rueckte ein ca. 12-koepfiges Team aus Deutschland an. Kameras, Beleuchtung, Sound-System, es sah aus wie im Filmstudio. Ein Wachtmann schlief nachts in der Kirche.

Freitag wurde der Vorfilm aufgenommen. Stundenlange Drehs fuer wenige Minuten. Beim letzten Teil stand ich neben Kerstin vor unserer Kirche. Eigentlich kein Problem. Aber es war mitten im Berufsverkehr und immer in meinem letzten Satz raste ein Bus durchs Bild und verschluckte meine Worte. Schliesslich mussten wir den Text kuerzen, um zwischen 2 Bussen filmen zu koennen.

Freitag Abend dann die erste Drehbuchbesprechung im gesamten Team mit ersten Stellanweisungen. Da wurde es langsam ernst. Samstag Mittag eine erste Stellprobe, noch mit Double fuer Bischof und Konsul. Fuer meine Mittelgangposition klebten wir einen kleinen Aufkleber auf den Teppich. Alle anderen Positionen war leicht zu merken dank der diversen Flecken unseres Teppichs: Jeder Sprecher bekam seinen eigenen Fleck zur Orientierung.

Danach Durchlauf mit Chor und Musikern. Gottesdienst auf Probe feiern vor leerer Kirche. Definitiv eine Erfahrung. So skuril das ist, es macht locker. Beim eigentlichen Gottesdienst hatte ich das Gefuehl, alles schon mal gesagt und gemacht zu haben. Stimmte ja auch. Das nahm viel von der Aufregung. Dass unser Gottesdienst, im Gegensatz zu den sonst aus Deutschland uebertragenen, nicht live ausgestrahlt wurde, entspannte mich zusaetzlich. Der GROSSE SONNTAG konnte kommen.