„Habe ich Sie richtig verstanden?“ – Kundenservice

Heute hab ich 2 Stunden vertelefoniert und nichts erreicht. Es ging um Krankenkassenzeug. Die lästige neue Brille, durch die ich nicht gut sehen kann. Und Zahnarzttermine.

  1. Anruf: ein Roboter geht ran. „Bitte nennen sie ihren Nachnamen und buchstabieren sie ihn dann.“ – „hm, Pelz“ – „Ihr Name ist N? Hab ich das richtig verstanden?“ – „Nein.“ – „Ok, mein Fehler. Verzeihen Sie bitte. (Nö!) Bitte buchstabieren sie noch einmal.“ Diesmal klappt es, aber wir spielen das Spiel noch für den Vornamen und das Geburtsdatum. Bis endlich ein echter Mensch an die Strippe kommt. Der so Seelsorgequatsch sagt wie: „Sie müssen selbst wissen, was die beste Lösung für sie ist. “ – Ich: „Ich möchte eine Brille, durch die ich sehen kann.“ – Er: „Aber welche Lösung schlagen sie vor.“ – Ich: „Dass ich bei einem Dritten meine Brillengläser überprüfen lasse, um rauszufinden, wer Recht hat (Optiker oder Augenarzt).“ – Er: „Ja, das müssten sie dann selbst zahlen.“ – Ich: „Und was schlagen Sie vor?“ – Er: „Ich kann sie nur über ihren Vertrag informieren. – Ich: „Und bei wem kann ich mich beschweren?“ – Er: „Bei mir.“ – Ich: „Aber sie können mir nicht helfen?“ – Er: „Sie müssen selbst wissen, was das Beste ist.“ – Ich: „Ok, ich meld mich wieder.“ – Er: „Füllen sie doch bitte noch unsere Umfrage aus nach Ende des Telefonats.“ Hab ich gemacht, war nicht gut für ihn.

2. Anruf: Ich will Vorsorgetermine beim Zahnarzt ausmachen. Für die Kinder und mich. Die Dame im Call-Center spricht schlechteres Englisch als ich. Und unsere Akzente verstehen sich nicht gut. So muss ich alles 4x buchstabieren und sie muss alles 2x wiederholen. Irgendwann hat sie alle Informationen. 3 Termine sind gebucht. Bis ich frage, ob die Kinder auch beim Kinderzahnarzt angemeldet seien? Das weiss sie nicht. Kann es auch nicht rauskriegen. Aber zur Arztpraxis könne sie mich durchstellen (30 Minuten nach Beginn des Telefonats und nach exakt 1 Terminabsprache halte ich das für eine super Idee.). Naiv wie ich bin. In der Arztpraxis geht sofort eine Dame ran und ruft: „Kann ich sie kurz in der Leitung lassen?“ – Ja, antworte ich Dummchen. Denn das war ihr letztes Wort. 30 Minuten höre ich mir Werbungen für strahlendes Lächeln und Zahnspangen und regelmässige Zahnarztbesuche mit der gesamten Familie an. Dann reicht es mir. Freitag geh ich zu meiner Kontrolle. Vielleicht erreiche ich ja vor Ort mehr.

Brille futsch – Chaos pur

Ich war bei meinem ersten Chorwochenende. Es war traumhaft. Eine Jugendherbere direkt am Pazifik, nette Leute, abends Wein- und Schokoladengelage samt Spielen.

Irgendwann wankte ich ins Bett, noch immer glücklich. Und überlegte noch, wo ich meine Brille am besten hinlegen sollte. Entschied mich gegen meinen Rucksack. Die über mir Nächtigende könnte ja aus Versehen am falschen Ende runterkrabbeln und versehentlich draufsteigen. Letztlich legte ich die Brille so hoch wie möglich auf einen Sachenstapel. Wenn alles fällt, fällt die Brille sanft. Dachte ich, legte mich und schlief.

Wachte am nächsten Morgen auf. Fand meine Brille nicht. Also tappte ich umher und fragte schliesslich in den Raum. Wie von der Tarantel gestochen, öffnete daraufhin ein Mädchen das Fenster und sprang hinaus. Zurück kletterte sie mit meiner Brille in der Hand. Ein Glas war zersprungen, der Rahmen in der Mitte angeknackst, alles verbogen.

Ich stand unter Schock. Hatte keine Kontaktlinsen dabei. Musste eine Geburtstagseinladung absagen und konnte keine Robben bewundern. Was war passiert? Dem Mädel war nachts kalt geworden. Ohne auf den Sachenhaufen zu achten, hatte sie einfach das Festern zugezogen, von oben nach unten. Komischerweise waren die Klamotten ins Zimmer gefallen, meine Brille aus dem Fenster. Leider offensichtlich nicht sofort, denn den Sturz aus dem Erdgeschoss hätte sie überlebt. Stattdessen muss erst noch das Fenster auf sie raufgerumst sein.

Also verbrachte ich den Sonntag halbblind mit geliehenen Brillen von Chormitgliedern, die entweder zu stark oder zu schwach waren. Zu Hause angekommen fiel mir ein: Hey, du bist ja in Amerika. Nix mit Sonntagsruhe. Also ab zum Optiker, Brille aussuchen. Termin für den Augenarzt am nächsten Tag ausgemacht, Kontaktlinsen geholt. Von einer Nachbarin eine Brille mit fast meiner Stärke bekommen für morgens und abends. Sehr süss war meine Nachbarin Alice. Sie gab mir auch eine ihrer Brillen. Obgleich sie weitsichtig ist. Aber die Geste war so rührend, dass ich nicht ablehnen konnte.

Alles schien einfach und perfekt, bis meine Brille ankam. Ich konnte nicht wirklich mit ihr gucken. Alter Brillenprofi wie ich bin, hab ich mir erstmal nichts weiter dabei gedacht. Man muss sich ja immer erst gewöhnen. Nach 5 Tagen reichte es mir. Also wieder zum Optiker. Der mass nach. Alles so wie es sein soll. Passte den Rahmen besser an. Nochmal 3 Tage gewartet, dann ab zum Augenarzt. Der stellte fest: Die Brille hat 0,25 Dioptrien weniger als das Rezept. Allerdings hatte die Ärztin auch meinen Astigmatismus nicht richtig gemessen.

Nun hab ich ein neues Rezept und muss mich mit dem Optiker herumschlagen, wer die Rechnung übernimmt. Ich jedenfalls nicht. Und bis dahin seh ich nur so mittel scharf. Nehmt euch in Acht, liebe Mitbewohner!

Halloween – die fünfte Jahreszeit

Vergesst norddeutschen Fasching. Jetzt wird Halloween gefeiert. Seit Wochen zählen die Kinder in der Schule die Tage. Jeden Tag sind mehr Häuser in Berkeley aufwendig dekoriert. Kürbisse sind ein Muss. Skelette baumeln umher, Geister schweben in den Bäumen. T&T sind hellauf begeistert. Ich auch, denn das Rad fahren ist deutlich weniger quengelig seitdem. Zu viel gibt es zu entdecken.

Zum Glück ist direkt gegenüber von unserem Haus ein „haunted“, also verhextes Haus. Ein Gespenst fährt auf einer Leine herum wie Findus, als er den Fuchs verscheuchen will. Dazu dampft es aus einer Nebelmaschine (die dank der Waldbrände gar nicht benötigt wird im Moment). Eine Riesenspinne springt dem Besucher entgegen. Eine Vogelscheuche verteilt Süsses, nur um im nächsten Moment schreiend aufzuschrecken. Toni musste mich zwingen, um in die Schale zu greifen.

Natürlich bleibe ich dem Pelzschen Motto treu und kaufe keine Deko. Aber 2 Spinnennetze haben wir schon geschenkt bekommen und eine Dose blaues Spray für die Büsche. Dazu haben die Kinder aus Pappkarton Gespenster ausgeschnitten und mit Klopapier beklebt. Die baumeln jetzt im Fenster und gruseln die Eichhörnchen im Baum. Theos beste Idee: Er will zu Halloween Hühnerkeulen essen und dann die Hühnerknochen an sich ranbinden. Wahrlich schauderlich. Und stinkend…

Das Schöne ist: Viele Erwachsene freuen sich genauso aufs Süssigkeiten verteilen, wie die Kinder aufs Sammeln. Unsere Nachbarin klagte, letztes Jahr seien kaum Kinder gekommen. T&T sollten unbedingt bei ihr klingeln.

Auf der Nachbarschafts-App Nextdoor wird fleissig diskutiert, ob und welche Süssigkeiten man verteilt und was es für Alternativen gibt (Aufkleber, Tattoos, Obst). Auf einer interaktiven Karte können sich teilnehmende Häuser registrieren, damit niemand an der falschen Tür klingelt.

Und dann natürlich die wichtigste aller Fragen: Was soll man anziehen? Familien setzten es sich zum Ziel, passend verkleidet zu sein als „Incredible“-Familie. Ein befreundeter Vater bastelt riesen Augen aus Latex für seinen Sohn. Es sieht fantastisch aus. Der Junge kann das Kostüm leider kaum schleppen.

Halloween ist nicht nur ein Tag. Schon eine Woche vorher ludt Philipps Professorin zur Party zu sich nach Hause ein. Inklusive Kostümwettbewerb (von dem wir nichts ahnten). Eine Doktorandin kam als professorale Doppelgängerin und gewann. Ein Junge aus Theos Klasse gewann eine Halloweenparty und lud die gesamte Klasse ein. Karter ist gelähmt und die „magic wheelchair foundation“ bastelte ihm ein Raumschiffkostüm, das seinen Rollstuhl mit einbezieht. Fantastisch. Die Organisation wird von einer Kunstlehrerin geleitet. Das Kostüm ist das Projekt einer 11. Klasse.

Natürlich müssen Kürbisse geschnitzt werden. Mit Freunden (und Cider für die Mamas). Sonst macht es keinen Spass. Herausgekommen sind gruselige Masken mit Ohren und Augenbrauen plus Theos Namen (Theo) und 3 Gesichtern (Toni). Wegen der vorherrschenden Hitze können wir sie erst am 31. rausstellen. Sonst vergammeln sie.

Zu Halloween selbst gibt es in der Schule dann eine grosse Parade in Kostümen. Allerdings wurde extra darauf hingewiesen, keine Spielzeugwaffen mitzubringen (sorry, Theo) und keine kulturell unpassende Kleidung zu tragen (wie Indianerkostüme, sorry, Theo).

Und danach haben T&T die Qual der Wahl zwischen 3 Halloweenparties bei Freunden, bevor es zum grossen Suessigkeitenumzug geht. Am nächsten Tag kann, wer will, seine Süssigkeiten zum Zahnarzt bringen. Dort werden sie gewogen und pro Pfund abgekauft. Das rettet Zähne. Die Süssigkeiten werden dann an die Armee gespendet!

Einzige Sorge dieses Jahr: Eventuell muss alles Herumgelaufe am 31. ausfallen. Wenn nämlich die Luftwerte zu schlecht sind und wir unsere Kinder nicht aus dem Haus lassen können. Die Feuer lodern in nicht allzu weiter Entfernung (45 Kilometer) und der starke Wind bläst uns alles um die Ohren. Es riecht wie am Lagerfeuer. Meine Lungen schmerzen jetzt schon nach 24h und der Reizhusten nimmt zu…

Aufruhr der Lehrer

Aus Sorge um die Sicherheit meiner Kinder ging ich zur Hauptversammlung der Schulbehörde. Angesetzt war sie für 19.30 bis 22.00 Uhr. Wer Rederecht beantragen will, muss das zwischen 17.30 und 19.00 tun. Also waren eine Freundin und ich 17.45 dort. Und wurden von Lehrern empfangen, die eine wunderschönes Protestbild auf den Gehweg malten. Wir füllten unsere Redekarten aus und gingen Tacos essen. Insgeheim rechnete ich nicht damit, dran zu kommen. Denn ich würde die Sitzung eh nach 15 Minuten verlassen müssen. Um ins Theater zu gehen. Ist ja auch wichtig. (Und hatte ich gebucht, bevor ich vom anderen Termin wussten.)

In der Siztung ging es nicht nur um die Zukunft unserer Grundschule. Sondern auch um die Gehälter der Lehrer in Berkeley. Nur ein Teil der Lehrerschaft ist fest angestellt. Andere erhalten jährlich befristete Verträge. Natürlich ohne Gehalt während der Sommerferien… Allein das führt schon zu prekären Lebensbedingungen für viele Lehrer. Viele können es sich schlicht nicht leisten, diesen Job zu machen. Der durchschnittliche Verbleib im Beruf liegt bei Berufseinsteigern im Moment bei 5 Jahren. Man muss schon Idealist sein.

Zum Glück ist Berkeley eine Stadt der Idealisten und bisher herrscht kein Lehrermangel. Aber die befristeten Verträge von hunderten Lehrern sind immer noch nicht unterschrieben. Obwohl sie seit 8 Wochen wieder arbeiten.

Und so wurde die Sitzung mit Sprechchören eröffnet, begleitet von einer Blaskapelle. „Take it up, take it down. Berkeley is a Union town“, hiess es. Oder: „We can’t live of praise. We nee a raise.“ (Wir können nicht vom Lob allein leben, wir brauchen eine Gehaltserhöhung)

Erster Tagesordnungspunkt war die öffentliche Anhörung. Erste Sprecherin: Ich. Ich fiel aus allen Wolken, musste mich erstmal orientieren. Wo ist das Mikro? Über mir ein riesiger Bildschirm, denn die SItzung wurde live übertragen auf der Website des Schuldstrikts. Naja, sagen wir es so: Ich habe die Rolle der emotionalen, besorgten Mutter übernommen. Aus purer Aufregung. Meine Mitstreiter konnten dann die Fakten liefern. Merke: nächstes Mal Notizen machen. Es könnte sein, dass ich wirklich drankomme.

Wie du mit deinem Kind über Rasse redest

So, jetzt ist es soweit. Ich schreibe über ein Thema, mit dem ich mich intensiv beschäftige. Seit Februar schon. Aber irgendwie wusste ich nicht, wie ich das auf Deutsch sagen soll. Für deutsche Leser.

Rassismus in Amerika ist noch immer alltäglich. Er basiert vor allem auf der Hautfarbe. Ethnische Unterschiede fallen kaum ins Gewicht. Rassismus ist in Berkeley nicht so offensichtlich. Aber auch hier schneiden die schwarzen Kinder in der Schule am schlechtesten ab. Dich gefolgt von den lateinamerikanischen. Das System fördert weisse Kultur. In vielerlei Hinsicht.

Deshalb bot Tonis Schule im letzten Jahr einen 6-wöchigen Kurs an mit dem Titel „racial equity“, ziemlich unübersetzbar, ohne dass es völlig schräg klingt. Es geht um gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen für Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten.

Ein schönes Bild dafür kam auf: Gleichheit bedeutet, allen Kindern Schuhe in derselben Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen bedeutet, allen Kindern Schuhe in ihrer Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen bedeutet, allen Kindern Schuhe zu kaufen, die ihnen passen und ihren Bedürfnissen entsprechen. Manche brauchen dann vielleicht orthopädische Schuhe gegen das zu lange Humpeln, andere brauchen Fussbäder und weiche Stiefel, um die Blasen zu heilen.

Gestern begann eine neue Runde zum Thema. Es ging um die Frage, wie wir mit unseren Kindern über Rassismus und unterschiedliches Aussehen sprechen. Eine wissenschaftliche Definition von systemischem Rassismus wurde projeziert. Unsere Aufgabe in Kleingruppen: Diese Erklärung in kindgerechte Sprache verpacken.

Meine Gruppe bestand aus einer Mutter aus China, einer aus Norwegen, einer aus Alabama, einer aus Kalifornien (verheiratet mit unserem schwarzen Elternvertreterpräsidenten) und mir.

Schnell einigten wir uns auf: „Eine Art und Weise, Menschen in Gruppen aufzuteilen. Meistens nach ihrer Haut- oder Haarfarbe. Eine Gruppe fühlt sich anderen überlegen und behandelt die anderen schlecht. Das ist niemals in Ordnung.“ Mein Zusatz, dass wir noch über die Geschichte der Sklaverei reden müssten, wurde als zu schweres Thema zurückgewiesen. Interessant, weil ich darüber mit T&T offen rede. Aber, wir sind auch keine Amerikaner. Über die amerikanische Geschichte der Sklaverei zu sprechen, lässt keine Fragen darüber aufkommen, wie unsere Vorfahren verstrickt waren.

Dann die Präsentation. Bei der die Leiterin uns daran erinnerte, dass der heutige Rassismus eben nicht ohne die Geschichte zu verstehen ist. Und dass wir die Machtfrage erklären müssen. Dass nämlich die Gruppe, die andere schlecht behandelt, davon profitiert. Und das deshalb nicht wirklich ändern will. Denn das hiesse Teilen. Da sah mich die kalifornische Mutter an und sagte: „Ja, du hast Recht. Es ist mein weisses, schlechtes Gewissen. Deshalb traue ich mich nicht an das Thema ran. Aber jetzt geh ich es an.“

Und ich überlegte, dass ich mit T&T zwar schon ab und an über den 2. Weltkrieg gesprochen habe. Aber auch noch nie explizit über den Holocaust. Zu jung? Ich glaube nicht. Sie haben hier viele jüdische Freunde und Klassenkameraden. Von einigen weiss ich, dass die Grosseltern aus Deutschland geflohen sind. Andere haben Verwandte und Freunde in den KZs verloren. Irgendwann kommt das Thema auf. Da sollten sie Bescheid wissen. So hat jedes Kind hier seine eigenen Schuldverstrickungen zu tragen. Und wir Eltern stammeln und ringen nach Worten. Zum Glück. Anders geht’s nicht.

In 4 Wochen geht’s weiter mit dem Workshop.

Playdate: der Kulturschock

Playdates sind was Fantastisches. Man kann sie ganz einfach verabreden mit Eltern, die man nicht kennt fuer Kinder, die ich auch nicht kenne. Aber Toni oder Theo. Es bedarf normalerweise keiner langen Erklaerungen. Man sagt einfach: T hat gefragt, ob er/ sie ein playdate haben darf mit XY? Und normalerweise sind die anderen Eltern offen und freundlich.

So war es auch dieses Mal. Theo wollte eine Klassenkameradin zu uns einladen zum spielen. Also schrieb ich ihrer Mutter. Keine Reaktion. Ich traf ihren Vater in der Schule, stellte mich kurz vor. Einen Tag spaeter die Antwort. Ja, sie freue sich, dass die Kinder befreundet seien. Aber, also, das sei das erste Mal fuer sie, dass ihre Tochter zu einer Familie eingeladen sei, die sie nicht kenne… Und da wisse sie jetzt nicht genau. Das sei ihr ganz unangenehm. Waeren dann nur Theo und ich da? Oder noch wer?

Ich las die Mail, holte tief Luft und schrieb: Ich verstehe das vollkommen. Wir koennen uns auch auf einem Spielplatz treffen oder du bist herzlich eingeladen, da zu bleiben. Was dir lieber ist.

Sie entspannte sich merklich und wir verabredeten, dass sie ihre Tochter zu uns bringen wuerde fuer einige Stunden. Am Ende blieb sie doch da. Aber nur, weil wir Muetter uns natuerlich verquatschten.

Als ich die Geschichte im Seelsorge-Kurs erzaehlte, fand das niemand ungewoehnlich. „Bevor meine Kinder zu irgendwem gehen, will ich alles ueber die Familie wissen. Und ein Fuehrungszeugnis sehen. Man weiss ja nie.“ Kein Scherz.

Ok. Im Vergleich dazu war das alles ziemlich entspannt.

Schlimmer als in Rumaenien: Geplanter Stromausfall

Anfang der Woche benachrichtigte uns der kalifornische Strom- und Gasanbieter (PGE), er werde in 2 Tagen knapp 1 Millionen Menschen den Strom abstellen. Fuer bis zu 5 Tage. Man solle Vorkehrungen treffen, Essensvorraete anlegen, Wasserreserven lagern und sich auf eine etwaige Evakuierung vorbereiten. Nicht etwa, weil Rechnungen nicht bezahlt worden waren. Sondern, um die Waldbrandgefahr zu verringern. Gerade war bewiesen worden, dass marode Stromleitungen in den letzten 2 Jahren Feuer gefangen hatten und die riesigen Waldbraende ausgeloest hatten.

Anstatt die Leitungen zu warten, stellt PGE einfach den Strom ab. Und zwar, weil warme, trockene Winde uebers Land ziehen. Niemand wusste so genau, wer betroffen sei, wann es beginnen und wie lange es dauern wuerde. Nur meine juedischen Freunde lachten: „Stromausfall fuer alle am Jom Kippur. An dem Tag duerfen wir Juden eh keinen Strom nutzen.“

Die Uni musste ihren Betrieb fuer 2 Tage einstellen. Das Lab, in dem Philipp arbeitet, schloss fuer 5 Tage. Obwohl es faktisch am Ende nur wenige Stunden Stromausfall waren. Aber die sauteuren Geraete durften natuerlich keinerlei Risiko ausgesetzt werden.

Da es vor allem die „hill people“ aus den reicheren Gegenden betraf, hatten die Cafes bei uns in Downtown ploetzlich grossen Zulauf. Ueberall sah man die letzten Tage Menschen an oeffentlichen Orten mit ihren Laptops. Sie suchten Internetasyl zum arbeiten.

Ich fand’s eigentlich ganz schoen. Denn Philipps Lab war ja geschlossen und also arbeiteten wir beide von zu Hause. Und konnten gemeinsam und ungestoert Mittag essen. Herrlich. Liebe PGE, gerne wieder!

Leider hat’s nicht mal was gebracht. Einige Kilometer entfernt von Berkeley brannte trotzdem der Wald. Zum Glueck kam niemand ums Leben. Alle waren ja vorbereitet.

Einfuehrung in amerikanische Psychologie: Teil 2

Thema: Patientenumgang. Die grosse Frage, die sich jeder (Mitarbeiter) stellen sollte, lautet: Hab ich heute dafuer gesorgt, dass wenigstens ein anderer Mensch einen wunderbaren Tag hatte? Hab ich jemanden angelaechelt? Jemandem ein Kompliment gemacht? Jemandem helfen koennen?

Was tun, wenn jemand in Brast auf dich zukommt und schimpft und motzt? Auch hier klare Anweisungen: Lass ihn atmen. Halte 3 Sekunden Augenkontakt. Nimm es nicht persoenlich. Mach dir Notizen. Frag nach. Achte auch die Koerpersprache. Noch konkreter: Sei empathisch, entschuldige dich fuer Unannehmlichkeiten, uebernimm Verantwortung und danke demjeniger, der sich beschwert. Hab ich richtig gehoert? „Bedankt euch fuer die Rueckmeldung, denn nur so koennen wir unseren Service verbessern.“ Stimmt auch wieder! Ist vielleicht ein guter Tipp in allen moeglichen Lebenslagen.

Egal, wie schlecht andere drauf sind, jeder ist selbst verantwortlich fuer sein Verhalten und seine Stimmung. Also: seid froehlich und gut gelaunt. Das macht das Leben fuer alle leichter.

Thema: Infektionskontrolle: Handhygiene ist selbstverstaendlich. Sehr irritierend jedoch die Folien zum Thema. Eine weisse, saubere Hand wird gezeigt mit kurzen Fingernaegeln. So soll es sein. Daneben eine schwarze Hand mit verschmutzten, laengeren Naegeln. So nicht. Rassismus pur. Ist mir zu meiner Schande nicht mal aufgefallen. Meine Freundin machte mich erst darauf aufmerksam. Es gibt wirklich noch viel zu tun.

Thema: Sicherheit und Brandschutz. Ein vollkommen begeisterter Sicherheitsbeauftragter erklaerte uns die Regeln. Vor allem, weil ja bald Halloween sei. Und natuerlich verstehe er, dass alle ihre Bueros schmuecken wollten. Ist ja klar. Aber man solle ihn vorher bitte fragen, was zulaessig sei. Sonst muesse er spaeter alles runterreissen. Und das wuerde er wirklich nicht wollen. Ist ja Halloween!!!!

Das Krankenhaus ist vermutlich einer der sichersten Orte im Land bei Feuer. Jeder Raum sei fuer 2 Stunden sicher vor Feuer, wenn die Tueren geschlossen sind. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Hinter jeder Doppeltuer befindet sich eine neue Sicherheitszone. Bei Feuer rennen also nicht alle panisch aus dem Gebaeude, sondern man bewegt sich besonnen horizontal in die naechste sichere Zone. Warum bauen wir nicht alle oeffentlichen Gebaeude so?

Thema: Code Pink. Wenn ein Kind vermisst wird, wird ein Alarm ausgeloest und die AirBase verriegelt. Zwar darf das Militaer niemanden festnehmen, aber festsetzen auf der Base ist erlaubt. Und woran erkenne ich eine verdaechtige Person? Laut Bildern vor allem an grossen Taschen, in die potentiell Kinder reinpassen. Fuer Amerikaner ist das eine Urangst, dass ihre Kinder entfuehrt werden. Man koennte es fast schon Panik nennen. Und keiner konnte mir bisher erklaeren, woher sie stammt. Ich forsche weiter.

Einfuehrung in militaerisches Leben (und amerikanische Psychologie): Teil 1

Um bei der Luftwaffe arbeiten zu duerfen, und sei es als freiwillige Seelsorgerin, muss man an einer 3-stuendigen Orientation teilnehmen. Die Themen: Einfuehrung durch die Kommandeurin. Bei ihrem Betreten des Raumes sausten alle aus ihren Stuehlen und standen stramm. Beim Auszug ebenfalls. Fast wie in der Kirche. Nur, dass hier keiner quatschte. Einer ihrer ersten Appelle lautete: Sagen Sie uns, was sie an Fehlern in unserem System sehen. Sie kommen hierher mit einem neuen Blick. Das ist fuer uns wichtig, damit wir alle besser werden.“ Was fuer eine grandiose Kultur!

Thema Patientensicherheit: Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeigabsturz ums Leben zu kommen, liegt bei 1 zu 1 Million. Bei Operationen im Krankenhaus stirbt dagegen 1 von 300 Patienten in den USA. Gruselig. In den vergangenen Jahren habe es im hiesigen Militaerkrankenhaus alle 11 Tage 1 Vorfall gegeben, der zum Tode or zur Verletzung eines Patienten fuehrte. Inzwischen liege die Zahl bei alle 90 Tage. Immer noch zu viel. Ziel ist natuerlich keiner. Aber man sei auf dem richtigen Weg.

Was hat sich geaendert? Die Dokumentation ist viel genauer geworden. Frueher wurde nur berichtet, wenn etwas richtig schief ging. Heute wird auch berichtet, wenn etwas fast schief gegangen waere, wenn Fehler gemacht wurden ohne medizinische Konsequenzen oder wenn Aerzte und Personal im unsicheren Arbeitsumfeld arbeiten muessen.

Dahinter steht folgende Annahme: Die meisten Fehler passieren, weil gute und faehige Menschen minimale Fehler machen, die nicht entdeckt werden. Nicht, weil boese Menschen Boeses wollen. Es ist das sog. „Schweitzer Kaese Modell“. Kleine Loecher im System fuehren zu grossen Unheil. Beispiel: Falscher Patientenname aufgeschrieben, spaeter falsche Akte rausgesucht, dann falschen Patient behandelt, am Ende falsches Bein ab. Um dies zu verhindern, muessen nun immer mehrere Personen die Identitaet des zu operierenden Patienten bestaetigen. Und vor jeder OP gibt es eine Ruhepause fuer das OP-Team. Um noch mal genau zu ueberlegen, ob alles richtig ist.

Man erwarte keine Perfektion von allen Mitarbeitern, das sei fast unmoeglich. Aber man erwarte Transparenz und Berichte. Dafuer wurde eigens ein Buero eingerichtet. Die Berichte koennen anonym oder namentlich gegeben werden. Wer berichtet, muss keinerlei Verfolgung fuerchten. Selbst wenn er den Fehler selbst gemacht hat. Das ist mal gelebte Rechtfertigung.

Fairfield: Air Base fuer die Westkueste

Das Militaerkrankenhaus befindet sich auf dem Gelaende des Luftwaffenstuetzpunktes in Fairfield. Um drauf zu kommen, braucht man einen Pass. Oder jemanden mit Pass, der einen im Auto mitnimmt. Hinter den Toren liegt eine Kleinstadt. 8.000 Soldaten sind hie stationiert, weitere ca. 12.000 Familienangehoerige kommen dazu. Die meisten leben auf dem Gelaende.

Welchen Rang jemand hat, kann man wunderbar an seinem Haus erkennen. Airmen (einfache Soldaten) wohnen in Doppelzimmern. Die unteren Raenge haben kleine Reihenhaeuschen. Danach kommen Doppelhaushaelften, dann schoene grosse Einfamilienhaeuser. Ob das Einfluss auf die Freundewahl in der Schule hat?

2 Grundschulen sind vor Ort, 1 Middleschool, viele Kitas. Da Militaerfamilien zu grossen Familien mit 4-8 Kindern neigen, sind viele Frauen Hausfrauen. Auch, weil man als Militaeraneghoeriger maximal 4 Jahre an einem Ort bleibt. Dann wird man versetzt. Ein Leben wie im diplomatischen Dienst. Nur gefaehrlicher.

Dank der strengen Eingangskontrollen ist die Base selbst ein sicherer Ort. Kinder spielen frei, fahren allein mit dem Rad oder Roller herum wie sonst vermutlich nirgends in Amerika. Ein Stueck eingezaeunte Freiheit herrscht hier.

Fairfield ist eine der groessten Stationen fuer den militaerischen Luftverkehr. Bei Auslandseinsaetzen oder Kriseninterventionen wie beim Hurrican werden hier riesige Flieger mit Materialien, Essen und Bussen, Panzern und Helikoptern und Soldaten beladen und um die ganze Welt geflogen. Von hier aus fuehlt Krieg sich wie eine logistische Meisterleistung an.

Ein Flugzeugtyp ist nur dafuer konzipiert, andere Flieger in der Luft zu betanken. Ein anderer kann hunderte Menschen auf einmal transportieren: Soldaten in den Krieg, Verwundete nach Hause.

Im naechsten Fruehjahr wird ein Ernstfall geprobt. Dann werden innerhalb eines Tages alle verfuegbaren Bueros in Krankenzimmer umgewandelt und auf den Parkplaetzen werden Notunterkuenfte gebaut. So, wie es waere, wenn wirklch verwundete Soldaten in grosser Zahl eingeflogen wuerden. „WIr spielen dann hier den kriegerischen Ernstfall. Das wird ein riesiger Spass!“, sagte die febehlshabende Offizierin in der Einfuehrungsveranstaltung. An dem Tag muss ich unbedingt Dienst haben.