Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) auf Amerikanisch

Seelsorge. Ich liebe diese Arbeit, ich hoere Menschen gern zu. Im Vikariat bekamen wir alle eine 6-woechige Grundausbildung in Gemeinde und Krankenhaus. Intensive Wochen mit wunderbaren Gespraechen. Nur die Supervision war teilweise anstrengend bis ernuechternd oder gar entmutigend.

Deshalb ist es ein Wunder, dass ich mich freiwillig zum KSA-Kurs eingeschrieben habe. Er fiel mir einfach vor die Fuesse. Auf einer anderen Fortblldung im Sommer lernte ich die Supervisorin kennen und fragte sie eigentlich nur prinzipiell ueber Jobmoeglichkeiten in der Seelsorge aus. Irgendwovon muss der Mensch ja leben und ich brauche einen neuen Job ab Januar. Fazit des Gespraechs: Meine 6 Wochen Seelsorgeausbildung wird mir hier niemand anerkennen. Um als Chaplain arbeiten zu koennen, brauche ich mind. einen KSA-Kurs. „Ich habe noch einen Platz frei in meinem Kurs“, sagte sie. „Ueberleg es dir.“ Einige Tage spaeter schrieb ich ihr eine Mail mit der Frage, was sie von mir fuer die Bewerbung brauche? „Ich hab dich schon ins Programm aufgenommen. Alles gut.“, schrieb sie mir zurueck.

Der Kurs geht berufsbegleitend ueber 9 Monate. In dieser Zeit muss ich 150 Stunden Seelsorge in der Gemeinde nachweisen, 150 Stunden im Krankenhaus und an 100 Supervisions- und Unterrichtsstunden teilnehmen. Das sind im Schnitt je 5 Stunden Seelsorge pro Woche. Jeden Donnerstag haben wir Unterricht und Supervision von 15 bis 20 Uhr. 2-3 pro Monat muss ich Nachrschichten uebernehmen von 19.30 bis 7.30 Uhr. Noch gibt es kein Zimmer fuer uns, deshalb haben wir im Okobter noch Schonfrist. Puh.

Alles halb so schlimm. Waere es nicht in Fairfield. Mit dem Auto eine Stunde von Berkeley entfernt. Leider haben wir noch keins. Mit den Oeffentlichen brauche ich 3,5 Stunden. Zum Glueck sind andere noch verrueckter und reisen aus Mountain View (2 Stunden Fahrtzeit) und Santan Cruz (2,5 Stunden) an. Meistens koennen sie mich in Walnut Creek einsammeln und da brauche ich nur 45 Minuten hin…

Warum mache ich mir den Stress trotzdem? Weil es 1. weit und breit das einzige berufsbegleitende Model ist. Und weil es 2. in einem Militaerkrankenhaus stattfindet. Das bedeutet 3., dass 5 von 7 Teilnehmern ebenfalls aktive oder ehemalige Militaerangehoerige sind. Ich lerne eine voellig neue Welt kennen. Eine Welt, in der es um Raenge geht, nicht um Herkunft und Hautfarbe. Eine Welt, in der man sich mit „SIr“ und „Mam“ anredet. Eine Welt, in der einer der offiziellen Seelsorger ein ehemaliger Offizier und Anti-Atomkraft-Aktivist ist.

Unsere Gruppe ist so gemischt, wie man es sich nur wuenschen kann. Einer von den Philippinen, eine aus Ghana, einer aus Nigeria, Leute aus Texas und Alabama und Utah und Kalifornien. 2 Evangelikale, deren Frauen auch Pastorinnen sind und die deshalb auvon der Southern Baptist Church rausgeschmissen wurden und ihre eigene Kirche gruendeten. 1 Pfingstlerin, die alle Menschen wirklich liebt, aber niemals eine homosxuelle Trauung besuchen wuerde. Selbst von ihren Freunden nicht. 2 Reformierte, die radkal liberal sind, 1 Episkopaler mit Hang zu charismatischen Gemeinden, 1 Mormonin, die Ramadan haelt und den Hinsuismus liebt. Und dazwischen ich. Es verspricht, eine grandiose Zeit zu werden.

Die Grundhaltung lautet: Wir akzeptireren einander in unserer Verschiedenheit. Wir begegnen allen Menschen mit Liebe und Respekt. Und wir kennen unsere persoenlichen Grenzen. Wer mit einem Homosexuellen nicht ueber dessen Eheleben reden kann aus konfessionellen oder persoenlichen Gruenden, muss das nicht. Wer mit Ehebrechern nicht reden kann, muss das nicht. Wer mit Moerdern, Vergewaltigern usw.nicht reden kann, muss das nicht. Was wir alle tun muessen, ist fuer alle solange da zu sein, bis ein Kollege den Fall uebernehmen kann.

in unserer Supervisorin haben wir eine echte Spezialistin. Sie ist seit 30 Jahren Seelsorgerin, war im Irak und am Ground Zero, hat mit schwerst traumatisierten Frauen aus Ruanda gearbeitet und leitet nebenbei noch eine kleine Gemeinde. Es gibt wahrscheinlich nichts an menschlichem Elend, was sie nicht schon erlebt und begleitet hat. Was fuer eine riesige Chance fuer mich.

Walk and Roll to School

Am 2. Oktober war der nationale „walk and roll to school“ Tag in Amerika. Eltern sollen auf diese Weise motiviert werden, ihre Kinder nicht mit dem Auto bis vor die Schultuer zu fahren. Gute Sache.

Matt und ich vom GreenTeam unserer Schule planten also eine Aktion. Mit Stickern und Fotos und Donuts und Kaffee fuer die mueden Eltern. Alle sollten sich in einem Park in der Naehe der Schule treffen und dann gemeinsam zur Schule laufen.

Allerdings gibt es ein Problem. Da ja in Berkeley die Kinder aus der ganzen Stadt zur Schule kommen, wohnen viele zu weit weg zum Laufen oder Radeln, sehr viele Kinder nehmen den Schulbus. Unsere gutgemeinte Aktion schloss also die meisten Kinder aus. Naemlich all jene, die zu weit weg wohnen und deren Eltern morgens keine Zeit haben, mit ihnen 30-45 Minuten durch Berkeley zu radeln. Sprich, viele Kinder aus aermeren Haushalten.

Um dem wenigstens minimal entgegenzuwirken, bot ich eine Radtour von Downtown Berkeley an. Eine befreundete Familie schloss sich an. Auch Fahrrad fahren ist ein Luxus fuer viele. Die meisten Kinder in Theos und Tonis Alter haben kaum Fahrpraxis.

Mein Lerneffekt: Inklusion ist eine verzwickte Sache. Fuer naechstes Jahr hatte meine Freundin Sandy aber schon eine wunderbare Idee: Wir werden einfach allen Kindern, die taeglich mit dem Schulbus fahren, Donuts schenken. Einfach dafuer, dass sie den langen Schulweg auf sich nehmen. Und dafuer, dass ihre Eltern taeglich die Umwelt schonen und ihre Kinder nicht herumkutschieren.

Und trotzdem gab es einen positiven Effekt: Einige der in der naeheren Umgebung lebenden Eltern trafen auf andere Eltern aus ihrer Nachbarschaft. Zaghafte Gespraeche entwickelten sich. „Oh, ihr wohnt ja gleich bei uns um die Ecke.“ – „Ja, das war mir auch nicht klar.“ – „Lauf ihr morgens zur Schule?“ – „Ja, manchmal.“ – „Vielleicht koennen wir mal zusammen gehen?“ – „Gute Idee!“ Und ich denke mir: Super Anfang. Irgendwann kommt ihr dann auch noch auf die Idee, dass sich die Eltern ja abwechseln koennten bei der Begleitung. Und in einigen Monaten/ Jahren lasst ihr eure Kinder auch mal alleine laufen. Das waere fast schon revolutionaer in Berkeley!

Das kann doch nicht wahr sein!

Heute habe ich Leah auf dem Spielplatz getroffen. Ihr Sohn Theo ist 6 und geht in Berkeley in die 1. Klasse. Es hätte ein ganz alltägliches Gespräch sein können. Aber Leah und Theo sind seit 5 Jahren obdachlos. Im Moment zelten sie in der Nähe unseres Lieblingsspielplatzes. Da ist es sicher, die Nachbarn kennen sie, viele Familien gehen ein und aus. Ein Bach mit frischem Wasser fließt entlang zum Waschen, Trinkwasser und eine Toilette sind auch vorhanden. Die beiden stören hier niemanden.

Trotzdem kam gestern mal wieder Polizei vorbei. Drohte mit Strafen (die Leah sowieso nicht zahlen kann) und schlug ihr vor, mit ihrem Sohn an die Autobahn zu ziehen. Da leben viele Obdachlose in Berkeley. Es ist laut, dreckig von den Abgasen. Und lebensgefährlich schmutzig, weil die Menschen auf der ehemaligen Deponie zelten. Das tue sie ihrem Sohn nicht an, sagt Leah.

Strafen seien ihr egal. Ihre einzige Sorge ist, dass sie festgenommen werde und ihr dann ihr Sohn weggenommen werde. Das will sie um jeden Preis verhindern. „Aber die Polizisten sind auch Menschen und Väter. Sie machen ihren Job und haben Mitleid mit mir.“

Wir kommen ins Gespräch, weil Leah sich mit einer anderen Frau unterhält und anfängt zu weinen. Ich gehe hinüber, die Seelsorgerin in mir kann nicht anders. Ihre Geschichte bringt mich auch zum Heulen.

Leah ist während der Schwangerschaft erkrankt, seitdem ist sie offiziell schwer behindert und arbeitsunfähig. Ihr Mann missbrauchte und schlug sie. Um ihren kleinen Theo zu schützen, verließ sie die gemeinsame Wohnung. Von ihrem Ersparten wohnte sie in Motels bis das Geld alle war. Dann zog sie ins Zelt, radelt durch die Stadt, transportiert Theo im Fahrradanhänger. Und ich denke mir: Genauso würde ich es auch machen. Im letzten Winter wurden beide so krank, dass eine befreundete Familie ein GoFundMe initiierte. Innerhalb weniger Tage kamen 15.000 Dollar zusammen und sie konnte wenigstens bis zum Sommer in Motels leben. Für eine Wohnung reichte es nicht. Dafür braucht man entweder einen Arbeitsvertrag oder einen Sozialschein von der Stadt Berkeley. Ja, so was gibt es. „Aber den unterschreiben sie mir seit Jahren nicht.“

Leah kämpft um ihr Kind. Sie weiß um ihre Rechte als Mutter und dass ihr Theo nicht einfach weggenommen werden darf. Angst hat sie trotzdem. Sie kämpft gegen Berkeley für ihr Recht, kennt die Gesetze. Hat aber keinen Anwalt. Ich bin leider auch keine Anwältin. Aber ich kenne Leute in Berkeley und vielleicht kennt ja jemand wen, der jemand kennt?

Ich habe jetzt Leahs Handynummer und Email. Versprechen konnte ich ihr nicht viel, außer, dass ich mal Freunde und Bekannte frage. Ob nicht irgendjemand einen Anwalt kennt, der sich ihres Falles annimmt. Wahrscheinlich ohne Entlohnung, vielleicht mit Pflichtverteidigergehalt. Für eine wirklich gute Sache, für das Leben zweier Menschen.

Leah versteckt sich nicht. Sie schämt sich nicht. Wofür auch? Leah sucht die Öffentlichkeit, denn das ihre einzige Chance, etwas zu verändern. Demnächst erscheint eine große Reportage über sie im „Guardian“, einer Zeitung. Sie sagt: „Ich denke immer noch jeden Tag, dass das nicht wahr ist. Dass mir das nicht wirklich passieren kann. Aber es ist wahr.“

Täglich bewirbt sie sich um Wohnungen. „Aber ohne Zettel vom Amt bekomme ich nichts.“

Und Theo? Er geht unterdessen in die Schule, bekommt dort Frühstück und Mittagessen und Snacks zum Nachmittag. Lehrer und Eltern helfen, wo sie können.

„Weißt du, was das Verrückteste ist?“, fragt mich Leah. „Laut offiziellem Zensus gibt es in Berkeley keine obdachlosen Familien. Wurde gerade wieder veröffentlicht. Aber ich bin doch hier mit Theo! Und sie kennen mich!“

Leah kämpft. Und sie ist realistisch. Im vergangenen Jahr hatten sie und Theo schon 2x Lungenentzündung, einmal im Februar, einmal im Juli. „Wenn wir nicht bald eine Wohnung bekommen, stirbt mir mein Sohn.“

Überlandfahrt

Ich mache eine Fortbildung in Krankenhausseelsorge. Mit dem Auto ist das Krankenhaus 45-60 Minuten entfernt, je nach Verkehrslage. Mit Öffentlichen brauche ich sage und schreibe 3 Stunden und 15 Minuten.

Also machte ich mich an einem sonnigen Mittwoch auf den Weg. 15.00 begann der Kurs, 14.30 sollte ich da sein. 10.45 Uhr verließ ich die Wohnung. Nicht wissend, ob ich nachts überhaupt noch zurück käme.

3 Stationen mit der S-Bahn sagte Google Maps, dann umsteigen in R-Nord. Ich dachte, das sei ein Zug. Stellte sich aber als Bus heraus. Niemand, nicht mal der Busfahrer konnte jedoch mit dem Namen was anfangen. R steht für Rote Linie, lernte ich nach 1,5 Stunden. Die kennt jeder.

Ich stieg also in einen Bus, der in die richtige Richtung ging Wie weit er fahre, wisse er noch nicht, sagt der Busfahrer. Ein Passagier hinter mir erklärte mir, wo ich aussteigen solle (nicht, was mir Google Maps vorgeschlagen hatte). Schnell kamen wir miteinander ins Gespräch. Denn wir alle teilten eine Grunderfahrung: Leben ohne Auto in den USA. Das schweißt zusammen. Wir unterhielten uns über schlechte Verbindungen, teure Lebensmittel, nette Nachbarn, die uns mit zum Costco zum Großeinkauf nehmen und Freunde, die uns mal ihr Auto leihen. Außer mir waren alle anderen schwarz.

Ein Mann erzählte mir von seinem schlechtesten Deal. Er habe einen Wagen für $500 gekauft, ihn aufgemotzt, sei ihn gefahren. Dann wollte er ihn einem Freund für $900 verkaufen. Aber sein Sohn bat ihn, er möge ihm das Auto geben. Er habe zwar nur $200, aber er brauche dringend einen Wagen. Der Vater gab nach. 2 Wochen später sah er seinen Sohn aus einem Bus steigen. „Was ist mit deinem Auto?“ – „Ich habe es für $1000 verkauft.“ – „Da“, sagt der Mann, „hätte ich meinen Sohn umbringen können. Obwohl er mein Lieblingssohn ist. Er ist ja auch mein einziger Sohn.“

Er gab mir noch wertvolle Tipps zum Gebrauchtwagenkauf: Toyota, Honda, Nissan, Volkswagen, das seien gute Wagen. Und auf jeden Fall meinen Mann hinschicken. Frauen würden abgezockt. Hab ich inzwischen schon so oft gehört, dass ich es glaube.

Nach knapp 2 Stunden war ich in Fairfield. Und kam mir vor wie in einem anderen Land. Weit und breit nur riesige Straßen, riesige Einkaufscenter, riesige Kirchen, kaum Leute. 50 Minuten musste ich auf meinen Anschlussbus warten. Also betrat ich das 1. Mal in meinem Leben einen Walmart. Was soll ich sagen? Riesig. Günstig. Gute Auswahl. Wüsste ich nicht, dass die Mitarbeiter katastrophal behandelt werden, wäre das eine tolle Einkaufsgelegenheit. (Eine Donut-Kalorienbombe musste ich mir trotzdem gönnen für 58 Cent. Dafür kriegt man sonst – nichts.)

Schriftliche Führerscheinprüfung: Der Test

Mit einem kleinen Zettel in der Hand laufe ich einmal durch den riesigen Raum zur tatsächlichen Prüfung. 24 Schalter sind hier in 3 Kreisen angeordnet, jeweils durch halbhohe Sichtwände getrennt. Die Lautstärke ist enorm. Alle paar Minuten wird die nächste Nummer aufgerufen. Ein Held, wer sich hier konzentrieren kann.

Bevor ich den Test machen darf, muss ich zum 3. Mal meinen Daumenabdruck geben und ein Foto schießen lassen. Dann ist der Weg zum Test frei.

Auf riesigen Bildschirmen wird damit geworben, dass der Test in 52 Sprachen angeboten werde. Die Sprachen werden in ihrer Sprache aufgezählt. Statt „Deutsch“ steht da „Deutschen“. Ich probiere lieber nicht, einen Test in Google-Translate-Deutsch zu bestehen. Schon damals in Rumänien war der rumänische Test leichter als die Google-Variante.

20 Computer stehen nebeneinander. Abgetrennt durch kleine Wände. Computer 18 wird mir zugeteilt. Der Lärm der 24 Schalter dringt herüber. Konkret höre ich die Dame mit den Kunden reden, die ihren Test gerade bestanden haben oder eben nicht.

„Konzentration!“, ermahne ich mich selbst. Los geht’s. 36 Fragen sind zu beantworten. Falsche Antworten werden sofort anzeigt und korrigiert samt Seitenangabe im Autohandbuch. Die 3. Frage lese ich falsch. 1. Fehler. Der Adrenalinpegel steigt. Wie viele Fragen noch zu beantworten sind, wird nicht angezeigt. Noch eine Frage falsch beantwortet. Mist. Ich habe keine Ahnung, wie viele Fehler überhaupt erlaubt sind? Zwischendurch halte ich mir die Ohren zu und lese mir die Fragen langsam halblaut vor. Bloß nicht die Fassung verlieren. Bloß keine Lese-Flüchtigkeitsfehler.

Es kommen erstaunlich viele Fragen zum Thema „Strafen“. Die hatte ich unter „ferner liefen“ abgespeichert, also nur oberflächlich. Grundsätzlich gilt aber den USA: im Zweifel immer die höchste Strafe anklicken. Damit komme ich durch. Puh!

Anschließend heißt es wieder: Anstellen. Ich komme mir vor wie in Anekdoten aus der DDR. „Haben sie einen Führerschein aus einem anderen Staat?“ Ich frage nach, was sie genau meine. „Aus einem anderen Bundesstaat.“ Das kann ich guten Gewissens verneinen. Auf die Idee, mich nach internationalen Führerscheinen zu fragen, kommt sie nicht. Obwohl ich meinen deutschen pflichtschuldig bei der Onlineanmeldung angegeben habe.

Offiziell soll man in Kalifornien alle anderen Führerscheine abgeben, wenn man den kalifornischen bekommt. Keiner meiner deutschen Freunde hat das bisher gemacht. Aber die Geschichten, wie man es anstellt, variieren. Manche wurden aufgefordert und hatten ihn dann nicht dabei. Andere wurden nie gefragt. Und ich bin glücklicherweise an eine Frau geraten, für die Amerika die Welt ist. Glück gehabt.

Nun fehlt nur noch die Fahrprüfung. Der nächste freie Termin war in 2 1/2 Monaten… Kommen muss man im eigenen/ geliehenen Auto, begleitet von einem Fahrer mit kalifornischem Führerschein. Warum auch immer… so ist es hier.

Schriftliche Führerscheinprüfung: Die Anmeldung

Das Auto-Handbuch hatte ich einmal durchgelesen. Die wichtigsten Zahlen (Wie viele Inch darf das Auto maximal von der Bordsteinkante weg stehen? 18!) auf 3 Seiten exzerpiert. Einige Fragebögen online durchgeklickt. War also bestens vorbereitet.

Zur Führerscheinanmeldung benötigt man: einen Pass, zwei Wohnsitznachweise in Form von Internet-/ Telefon-/ Stromrechnungen auf den eigenen Namen. Habe ich nicht. Ist alles auf Philipps Namen. Wie sich das für eine gute Ehefrau gehört… In dem Falle müsse die Eheurkunde mitgebracht werden. Kein Problem. Haben wir natürlich eingescannt und in beglaubigter Übersetzung dabei. Unseren Mietvertrag, auf dem wir beide mit (falschem) Namen und 10 Jahre jünger draufstehen, packte ich vorsichtshalber auch ein.

Dazu kommen noch die Sozialversicherungsnummer, ein Online-Einreisebeleg (die USA sammeln wirklich alle Daten) und $36. Um das Ganze zu beschleunigen, hatte ich auch schon online die Anmeldung abgeschlossen und alle meine Daten eingetippt. War völlig umsonst. Es musste alles nochmal eingegeben werden.

Nachmittags hatte ich offiziell einen Termin. Eine Freundin riet mir, gleich morgens aufs Amt zu gehen. Ich stellte mich in die kürzere Reihe für Terminkunden. „Oh, Sie sind ja viel zu früh.“ Ich: „Ja, mir wurde gesagt, ich solle früher kommen.“ – „Früher heißt 10 Minuten vor dem Termin.“ – Ich: „Oh.“ – „Wollen Sie dann ohne Termin drankommen?“ – Ich: „Ja, bitte.“ – „Gut, dann gehen Sie durch.“ Mit „echtem“ Termin wäre es auch nicht schneller gegangen.

Dann ging das Warten erst los. Ein Mann kontrollierte in Seelenruhe, ob jeder alle erforderlichen Unterlagen dabei hatte. 20 Minuten später durfte ich Platz nehmen. Warten. Meine Nummer wurde aufgerufen. Ab zum Schalter. Dahinter eine genervte Dame. Hätte auch nach Berlin gepasst.

Ich legte ihr meine Dokumente vor. Wer das sei, wollte sie beim Anblick von Philipps Namen wissen. „Mein Mann“, erklärte ich und legte pflichtbewusst die Kopie der Eheurkunde vor. Damit könne sie nichts anfangen. Sie bräuchte das Original. „Die haben wir nicht aus Deutschland mitgebracht“, sagte ich etwas ungeduldiger. „Tut mir leid.“ Mich zurückzuschicken, um sie zu holen war damit ausgeschlossen. „Ich habe unseren Mietvertrag mit.“, bot ich versöhnlich an. Ok, das ginge auch. Interessant, denn im Internet wurde dieser ausdrücklich als Nachweis nicht genannt.

Nächster Schritt: Ich präsentiere meinen Reisepass. Was das sei? Ein Pass. Woher? Deutschland. Aha. Sie blättert hin und her, ist verwirrt vom Visum, dreht ihn um, liest wieder. Dann gibt sie auf und akzeptiert ihn.

Nun kommt der Sehtest. Einige Meter entfernt hängen drei Tafeln mit Buchstaben. Alle sind gleich groß. Ich hatte inzwischen knapp 10 Minuten, um sie ausgiebig zu studieren. Theoretisch hätte ich sie auswendig lernen können. Ein Zettel wird mir gereicht. Ich soll ihn mir abwechselnd vors rechte und linke Auge halten und Buchstaben vorlesen. Bestanden. Das kann 2 Dinge bedeuten: 1. Ich sehe gut genug für den Straßenverkehr. 2. Ich sehe zwar nichts, aber kann mir Dinge fotografisch merken. Keine Ahnung, wie viel das beim Fahren bringt.

Als sie alle meine Unterlagen hatte, verschwand sie. Und kam 10 lange Minuten nicht wieder. Ich wurde langsam nervös. Stimmte was nicht. Sie hatte meinen Reisepass. Würde ich ihn wiederbekommen? Mein grundsätzlicher Verdacht gegenüber Staatsangestellten und Polizisten wird in den USA definitiv nicht kleiner. Dann tauchte sie wieder auf. Das Einlesen meines Passes sei sehr schwer gewesen. Und ich denke: Hä? Ich bin ungefähr die 70.000ste Deutsche in der Bay Area, die durch dieses Verfahren geht.

„Menschen radeln, weil es gesund ist und die Umwelt schont.“ – Lernen für die schriftliche Fahrprüfung

Wer länger in Kalifornien lebt, braucht einen hiesigen Führerschein. Das gilt für Amerikaner anderer Bundesstaaten wie für Ausländer. Wir als „non-residential aliens“ sind da in einer Grauzone rechtlich. Nur Militärangehörige und Diplomaten sind ausgenommen.

Führerscheine können prinzipiell nicht umgeschrieben werden. Also müssen Tausende hier für insgesamt $36 die schriftliche und praktische Prüfung bestehen. Pro Prüfung hat man 3 Versuche. Zur Fahrschule muss man nicht.

Also lud ich mir das „Driver’s Handbook“ runter. Es liest sich wie ein erstaunlich amüsanter Groschenroman.

Was man alles nicht darf: Gaffen, auffahren, unaufmerksam sein und kein fahruntüchtiges Auto fahren.

Wenn man während des Berufsverkehrs eine Panne hat, dann kommt ein kostenloser Autodienst und: gibt Starthilfe, bringt Kühlwasser, repariert Schläuche, wechselt einen Reifen oder gibt einem knapp 4l (1 Gallon) Benzin. Nicht schlecht! Ich frage mich, wie oft sie das beim selben Fahrer machen? Mit 4l kommt man evtl. schon zur Arbeit und auf dem Rückweg lässt man sich nochmal den Tank auffüllen… wäre doch ne Idee.

Beim Reifenprofil prüfen hilft Abraham Lincoln höchstpersönlich. Bz sein Konterfei auf dem Penny. Ist Lincolns Kopf ganz zu sehen, wenn man den Penny zwischen die Reifenrillen schiebt, braucht man neue Reifen. Ganz einfach.

Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen „abgelenkten“ Menschen wie Postboten, Arbeitern oder Kindern. Und „verwirrten“ Leuten wie Touristen. Beide Gruppen sind ziemlich unzurechnungsfähig im Straßenverkehr.

Bei Dunkelheit darf das Fernlicht natürlich nur verwendet werden, wenn es niemanden blendet. Klar. Was aber tun, wenn ein entgegenkommender Fahrer sich nicht daran hält? Das Handbuch rät: Nicht direkt ins Licht schauen. Und sich vor allem nicht rächen mit Gegenlicht. Wer hätte das gedacht.

Wie nun umgehen mit wütenden Fahrern? 1. Keinen Augenkontakt machen. 2. Abstand lassen. Wie ich einen wütenden Fahrer identifiziere, steht leider nicht genau dabei.

Wenn einen die Polizei anhält, müssen alle Autoinsassen ihre Hände gut sichtbar hinlegen. Denn, „kann ein Polizist nicht alle Hände sehen, erhöht dies seinen Stresspegel. Die meisten Gewaltakte gegen Polizisten geschehen durch den Gebrauch von Händen mittels Schusswaffen oder spitzer Gegenstände.“ Irgendwie köstlich, wie hier Hände kriminalisiert und objektiviert werden, als hätten sie keinen Bezug zur Person.

Der wichtigste Fahrtipp zum Schluss: Seien Sie zu jeder Zeit höflich. Hielten sich alle daran, wären die meisten anderen Hinweise tatsächlich obsolet.

Meine Highlights:

Englisch lernen leicht gemacht

Und wie geht das nun mit dem Englischunterricht in der Schule?

Mit Schuleintritt werden alle Kinder auf ihre Englischkenntnisse hin getestet. Egal, wann das ist, ob Vorschule, 3. oder 7 Klasse. Den auf diese Weise herausgefilterten „Englischlernern“ stehen laut kalifornischem Gesetz pro Woche 150 Minuten Unterricht zu. 90 Minuten davon erteilt eine eigens geschulte Lehrerin 3x die Woche in Kleingruppen. Der Rest geschieht im Unterricht „nebenbei“.

Ms Snyder an unserer Grundschule geht da ganz spielerisch und praktisch ran. Zuerst bringe sie den Kindern „Notfall-Englisch“ bei. „Denn wir wissen, dass Konflikte schnell eskalieren, wenn die Worte fehlen.“ Also lernen die Kinder Dinge wie „Ich mag das nicht.“ und „Hör auf damit.“ und „Darf ich mit dir spielen?“ und „Ich muss zur Toilette.“

Die nächsten Wochen verbringt die Lehrerin dann damit, mit den Kindern Schule und Hof verbal zu erkunden. Alles wird benannt und ertastet oder bespielt. Um die Kinder überhaupt zum Sprechen anzuregen, spielt sie mit ihnen ein Spiel: Sie nennt Dinge bei ihrem englischen Namen. Die Kinder antworten in ihrer Muttersprache. „Das hier ist anfangs oft der einzige ganz sichere Ort für die Kinder. Hier dürfen sie sprechen wie sie wollen und niemand lacht oder guckt komisch.“

Interkulturalität normalisieren ist das Motto. Dazu gehört es in der gesamten Schule, dass gerade nicht darauf bestanden wird, dass die Kinder alle ausschließlich Englisch miteinander sprechen. Weder im Klassenzimmer, noch auf dem Hof. Weil keine Sprache grundsätzlich besser ist als eine andere.

Während in Deutschland noch immer die Angst vorherrscht, die Kinder würden bei so laxer Sprachhandhabe die Landessprache nicht lernen, ist hier das Gegenteil der Fall. Die Kinder sprechen innerhalb kürzester Zeit Englisch. Ohne Druck.

Im Englischförderunterricht verbleiben die meisten Kinder 3-4 Jahre. Solange dauert es statistisch, bis ein Kind als „Muttersprachler“ eingestuft wird. Auf dem Weg dahin werden sie intensiv in Grammatik, Lesen und Rechtschreibung geschult. „Am Ende sind diese Kinder oft besser im Lese- und Hörverständnis und schreiben komplexere Aufsätze.“, erzählt die ESL-Lehrerin stolz. Was für ein Glück für alle Einwanderer!

Englisch als Fremdsprache

Endlich habe ich die ESL (Englisch as a Second Language) Lehrerin meiner Kinder kennengelernt. Endlich, weil sie ja schon seit Januar mit Toni arbeitet. Ich aber irgendwie nie zum Email-Verteiler hinzugefügt wurde.

Es war mal wieder einer dieser Momente, in denen mir die Tränen in die Augen stiegen (und ich sie mit einem Becher Orangensaft und von der Lehrerin selbst gebackenen Scones verarbeitete). Denn an allererster Stelle stand die Wertschätzung von dem, was wir alle mitbringen. Wir, das sind Familien aus Norwegen und Spanien, China und Mexiko, Deutschland und Frankreich und viele andere, die ich noch nicht kennengelernt habe.

„Sprecht eure Muttersprache mit euren Kinder! Lest ihnen in eurer Sprache vor, bringt ihnen Lesen und Schreiben bei.“ Ungläubiges Staunen in vielen elterlichen Gesichtern. „Studien haben eindeutig ergeben: Wer in seiner Muttersprache nicht fließend ist, hat viel größere Probleme, Fremdsprachen zu lernen. Englisch lernen die Kinder von uns, in der Klasse, auf dem Schulhof. Da machen Sie sich mal keine Sorgen.“

Hier muss ich mich nirgends dafür rechtfertigen, mit meinen Kindern Deutsch zu sprechen. Niemand wirft mir deshalb Integrationsunwillen vor. Niemand behauptet, ich würde meine Kinder auf diese Weise von der Gesellschaft abschotten wollen. Stattdessen hören wir: „Ach, haben die es gut, zweisprachig aufzuwachsen. Ich wünschte, ich könnte mehr als eine Sprache.“

Oder, wie die Englischlehrerin lächelnd sagte: „Und wenn die Kinder erst perfekt Englisch sprechen, dann am besten gleich weitermachen mit Spanisch. Je mehr Sprachen, desto besser.“

Wann kommen diese Studienergebnisse endlich bei uns in Deutschland an? Wann beginnen wir, familiäre und kulturelle Vielfalt nicht nur zu akzeptieren, sondern zu fördern? Weil sie uns nichts wegnimmt. Sondern uns reicher macht als Menschen und als Gesellschaft.

Elternabend

Das war also der 1. Schulelternabend unseres Lebens. Leider sehr kurz und der einzige im ganzen Schuljahr. Aber lang genug, damit ich (natürlich) Elternsprecherin wurde. Hab mich wirklich zurückgehalten. Dann kam eine andere Mutter auf mich zu aus Tonis neues Klasse (mit offensichtlich dem richtigen Riecher) und fragte: „Willst du Elternsprecherin sein?“ Ich: Schweigen. Sie: „Wollen wir es zusammen machen?“ Da war ich auch schon überzeugt!

Tonis neue Lehrerin ist der Hammer. So stelle ich mir die Lehrerinnen in Astrid Lindgrens Büchern vor: Sie ist die personifizierte positive Ausstrahlung. Über ihre neu zusammengewürfelte Klasse sagt sie: „Das ist die beste Klasse. Die Kinder sind fantastisch. Alle.“ Bestrafungen gibt es nicht, nur Belohnungen. Für individuelle Leistungen gibt’s eine Murmel. Der Unterschied zum „Murmelsystem“ wie ich es in Hamburg kennengelernt habe: 1. die ganze Klasse sammelt gemeinsam. Nicht ein Tisch gegen den anderen. 2. Man kann einmal gewonnene Murmeln nicht wieder verlieren. ist die Murmeldose voll, gibt’s eine 20-minütige Klassenparty. Die Kinder dürfen entscheiden, was gemacht wird. Tanzen oder Wasserschlacht, Vorlesen oder Film schauen, freies Spielen oder Wattebällchenschlacht – die Lehrerin ist für so gut wie alles zu haben!

Hat ein Kind Geburtstag, wird ebenfalls 20 Minuten lang gefeiert, was das jeweilige Kind möchte. „Auf diese Art feiern wir fast jede Woche“, sagt sie lachend. „Das Leben soll ja Spaß machen.“

Es gebe auch ein großes rotes Buch für schwere Fehler, sagt sie schelmisch grinsend. „Das finde ich so gut wie nie. Und am Ende des Schuljahres steht da immer nur mein Name drin.“ Wenn sie sich verspricht oder ein Kind beim falschen Namen nennt, dann dürfen die Kinder ihr das sagen. Und bekommen sogar eine Murmel dafür. „Ich will ihnen zeigen, dass es ok ist, Fehler zu machen und dazu zu stehen.“

Thema Hausaufgaben: Manche Eltern fragen, wie viel Druck sie machen müssen, wie viele Bücher gelesen werden sollten und überhaupt, wie sie ihre Kinder fördern können. Frau O bleibt gelassen. Ihre 1. Regel lautet: „Kein Druck! Es muss ihren Kindern Freude machen.“ Da möchte ich am liebsten nach vorne rennen und sie umarmen. Aber von diesen Ministühlen muss man erstmal wieder hochkommen… Über die monatlichen Hausaufgabenzettel sagt sie: „Es gibt keine Strafe, wenn sie nicht gemacht werden. Es gibt auch keine große Belohnung, wenn sie gemacht werden. Hausaufgaben sind vor allem eine Möglichkeit, dass sie als Eltern mit ihren Kindern über das Gelernte ins Gespräch kommen.“ An der Stelle bin ich kurz vorm Weinen.

Woher rührt meine Emotionalität? Vor einigen Wochen habe ich einen fantastischen Film gesehen. „The art of possibility“ (auf Youtube, unbedingt gucken). Der Dirigent Benjamin Zanders erzählt darin, dass er grundsätzlich allen seinen Studis am Anfang des Semesters ihre Endnote mitteilt. Eine glatte 1. Dann lässt er seine Studis aufschreiben, warum sie diese 1 verdient haben. Die Briefe sammelt er ein und gibt sie ihnen am Ende des Semesters wieder. Seine Beobachtung: Die Studis verlieren alle Angst und wachsen in den Monaten über sich hinaus. Revolutionär. Der Film ist schon 15 Jahr alt. Und ich frage mich, warum unterrichten die allermeisten immer noch nicht auf diese Weise? Warum denken wir immer noch, dass Kinder am besten unter Druck lernen? Warum haben wir Angst vor einer pauschalen Anerkennung, dass wirklich alle Menschen wunderbar gemacht sind?

Und da sitze ich auf Ministühlen und erfahre, dass meine Tochter eine Lehrerin hat, die genauso unterrichtet.

Und das merken die Kinder. Toni liebt die Schule. Jeden Tag kann sie neue Lieder, erzählt neue Anekdoten. Sie findet die 1. Klasse viiiiel leichter als die Vorschule. „Weil, Mama, Ms O sagt, dass wir richtig gut sind. Und so schnell lernen, wie kein anderer.“