Special Friends

Unsere Campwoche in Mt Cross war die der Special Friends. 7 körperlich und geistig behinderte Erwachsene im Alter zwischen 22 und 65 machen hier eine Wochen Urlaub. Unterstützt von 13 jungen Mitarbeitern (zwischen 18 und 27 Jahre alt). Zeitgleich war noch eine Konfigruppe da samt Pastor.

Eine spannende Mischung, die sich als perfekt erwies. Besonders für Toni. Sie machte eigentlich alles mit den special friends gemeinsam. Denn ihre Fähigkeiten und die der Erwachsenen waren ungefähr gleich. Sie konnte ein bisschen besser schreiben. Also half sie den anderen. Es war wunderbar, zu sehen, wie Toni die Herzen dieser Menschen eroberte. Wie sie ihnen ohne jegliche Berührungsängste Spiele beibrachte, für sie die Bingotrommel rührte und mit ihnen quatschte.

Beim Maskenball hatte Toni ein Ziel: Sie wollte mit jedem ihrer neuen Freunde einmal tanzen. Und das tat sie. Sie ließ sich von der blinden A. führen. Sie vollführte einen Armtanz mit A, die im Rollstuhl sitzt. Sie wirbelte L umher und bildete einen Kreis, damit möglichst viele mitmachen konnten.

Mein Mutterherz sprang vor Freude, wenn ich Toni beobachtete. Sie erlebt hier in Kalifornien echte Inklusion, ob in der Schule oder im Camp. Sie lebt, was ich oft sage und doch nicht ganz so unvoreingenommen lebe: Dass alle Menschen wunderbar gemacht sind, dass jeder Mensch einzigartig ist. Egal, ob er schreiben oder laufen oder kompliziert denken kann. Egal, ob er sich beim Essen bekleckert und sich 10x wiederholt. Toni hat diese Fähigkeit, in jedem das Beste zu sehen.

Das macht mich unglaublich stolz. Und demütig. Denn ich lerne da mehr von ihr als sie von mir.

Wohin verschwindet nur der Abendmahlswein?

Ich liebe Abendmahl feiern. Denn es kombiniert (fast) alles, was ich mag: Gemeinschaft von Menschen mit Menschen und mit Gott. Die Zusage von Vergebung und Gnade, ohne, dass ich was tun muss. Musik. Guten, schweren Wein (bei uns Portwein). In manchen Gemeinden leckeres Brot, bei uns die üblichen, pappigen Oblaten. Irgendwas muss ja verbesserungswürdig bleiben. Stärkung und Segen.

Jeden 2. und 4. Sonntag im Monat feiern wir in der St. Matthäuskirche Gottesdienst mit Abendmahl. Leider nicht mit Trinken aus dem Kelch (da nehm ich immer einen großen Schluck). ondern nur mit „Intunctio“ oder „Dippen“ der Oblate in den Wein- oder Saftkelch. Ich weiß schon, wirkt genauso, ist aber nur der halbe Spaß. Und wenn alle durch sind, ist der Kelch natürlich immer noch voll. Zu schade zum Wegkippen.

Am Ende des Gottesdienstes verabschiede ich immer die Gemeinde – und stehe damit in maximaler Entfernung zum restlichen Wein. Bis alle aus der Kirche raus sind, ist der Wein weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Wo ist er hin?

Ich fragte meine Kollegin. Sie wusste es nicht. „Frieda räumt immer auf.“ Meine Vermutung: Die sparsamen Deutschen kippen den Wein einfach wieder zurück in die Flasche. Ich hätte mich nicht mehr irren können.

Letzte Woche stürmte ich nach der Verabschiedungszeremonie in die Küche zu Frieda. „Wo ist der Wein?“ Frieda guckt mich entgeistert an. Die Frage hatte ihr noch nie jemand gestellt. „Ich hab ihn nicht getrunken.“, antwortet sie fast schuldbewusst. „Philomena teilt den immer mit anderen.“ Ich muss lachen. „Super, nächstes Mal wartet ihr auf mich! Ich möchte auch mittrinken.“ Allgemeines Aufatmen bei den Damen. Sie versprechen es mir.

Nächste Woche ist es soweit. Dann feiern wir die After-Party zu viert in der Küche. Etwas muss man ja fürs Herze tun.

Memorial Day: Home of the free because of the brave!

Am letzten Montag im Mai ist Memorial Day in den USA, ein nationaler Feiertag. Supermärkte haben natürlich trotzdem geöffnet. An diesem Tag wird der gefallenen US-Soldaten gedacht. Mit Feiern, Reden, Kranzniederlegungen und Schweigeminute um 15.00.

Während die meisten den Tag für Ausflüge und Grillen nutzen, fuhren Toni und ich morgens in die nächstgelegene Stadt auf den Friedhof. Mein kleiner Chor, der sonst bei den Einbürgerungsfeiern singt, war für die Memorialzeremonie in Oakland „gebucht“. Freiwillig und kostenlos.

Empfangen wurden wir von Flaggen über Flaggen. Die sieht man hier sonst nie. „Blue-Star“-Mütter verteilten kostenlos Donuts und Kaffee, Rosen in den Nationalfarben (ja, auch blaue!) und Flaggen. Toni war also erstmal beschäftigt. Sie dachte sogar an Theo und brachte ihm von allem was mit.

Blue-Star-Mütter haben Kinder, die zur Zeit für die USA im Einsatz sind. Silver-Star-Mütter haben verwundete, heimgekehrte Kinder. Gold-Star-Mütter sind verwaist. Ihre Kinder sind im Krieg gefallen. Die Farbwahl erscheint mir etwas skurril. Suggeriert sie doch, dass Tod = Gold am besten ist.

Amerikanische Kultur: Flaggen, Hot Dogs, Donuts.

Die einstündige Zeremonie bestand vor allem aus patriotischen und emotionalen Reden und Musik. Eröffnet und beschlossen wurde sie von einem Pastor. Er hätte klischeehafter und peinlicher nicht sein können. Ein alter, weißer, blonder Mann, der ständig den Sprechern zum Dank seine Hand auf die Schulter legte oder sie freundschaftlich auf die Wange schlug. Patriarchalischer geht’s kaum. Seine „Predigt“ war eine einzige Glorifizierung des Heldentodes. Solche Ansprachen kannte ich bisher nur aus meinen Recherchen zu Kriegspredigten 1914-1918. Nie sprach er vom „Tod“ oder „Sterben“, immer vom „Opfer“. Wobei das größte Opfer die Hingabe des eigenen Lebens ist.

Nicht etwa von Jesus (wie ich naive Christin immer dachte), sondern von jedem einzelnen Soldaten. Und sosehr ich in jedem Menschen Christus sehen möchte, kann ich nicht glauben, dass jeder dieser vielen unsinnigen Tode zur Ehre Gottes und zur Versöhnung der Welt geschieht. Dafür ist doch Jesus gestorben. Um dem Opfern ein für allemal ein Ende zu bereiten. Davon war hier nichts zu hören. Keine Rede von Frieden oder Liebe. Nur Vaterland, Ehre, Opfer, Pflicht. Selbst der Segen war ein „Vergesst die Helden nicht, die alles gegeben haben, das sind wir ihnen schuldig im Namen Jesu. Amen.“ Das Ganze gebrüllt mit seiner „Kirchenstimme“. Dass er ein Mikro vor der Nase hatte, hat er einfach mal ignoriert.

Hab ihn gegoogelt. Hauptberuflich ist er freier Hochzeits- und Bestattungs-Pastor. Hat schon über 1000 Hochzeiten gehalten und ist beliebt für seinen „persönlichen, heiligen und leichtfüßigen Stil“. Ah ja.

Offiziere erzählten aus ihrem Leben und ihren Kämpfen. Von verlorenen Kameraden. Davon, wie der gemeinsame Kampf aus einer Gruppe normaler Bürger Helden mache. „Nicht alle Soldaten sind besonders. Manche erreichen vorher nicht viel und danach auch nicht. Aber in dem Moment, in dem sie für ihr Land kämpfen, sind sie Helden.“ Gut, dass Toni das noch nicht alles versteht. Ist Rekrutierungsrhetorik vom Feinsten.

Von dem Wunsch und Stolz, ihrem Land zu dienen. Um der Freiheit willen. Denn, „wenn wir auf unserem eigenen Boden angegriffen werden, müssen wir uns wehren. Damals nach Pearl Harbor. Und nach 9/11.“ Da war sie wieder, die unreflektierte Generalisierung.

Pearl Harbor: Danach wurden flächendeckend japanische Amerikaner interniert. 9/11: Seitdem sitzt der Hass auf den Islam hier tief. Es wird kaum differenziert zwischen Extremisten und Muslimen. Je größer die Wut, desto eher gehen Menschen in den Krieg. Für das Gute, die Gerechtigkeit, den Frieden. Und säen oft mehr Krieg und Hass und Terror.

Interessant: 4 von 5 Rednern an dem Tag kamen aus „Militärfamilien“ und sind mit Militärangehörigen verheiratet.

Die Musikauswahl war witzig. Wir sangen die Nationalhymne und nationale Schlager wie „My Country tis of thee“, „This is my country“ und „This Land is your land, this land is my land.“ Bei letzterem überraschte mich Toni damit, dass sie laut und deutlich mitsang. In der Schule lernen sie es. Allerdings mit allen Strophen. Auch den politischen, in denen es gegen Privateigentum und Hunger geht. Die werden sonst nie gesungen. Eine Dudelsackband dudelte „Amazing Grace“. Übergewichtige „Sons of the American Legion“ ballerten laute Schüsse aus Schrotflinten ab. Zur Ehre der Gefallenen. Deshalb marschierten auch die ca. 9-15-jährigen Pfandfinder auf samt Flagge und saßen eine Stunde gelangweilt vor der Tribüne.

Ich bin gespannt auf den Veterans-Day im November, wenn die zum Teil völlig verarmten Kriegsveteranen geehrt werden.

Beten nein, Segnen ja

Mein Seelsorgebesuch bei M. war aus einem weiteren Grund besonders. Ihre Tochter hatte mir erzählt, wie gern M. früher in den Gottesdienst gegangen war. Als gute Pastorin dachte ich mir: Also bete ich mit mir und segne sie am Ende samt Öl.

Irgendwann im Verlauf des Gesprächs dachte ich, „So, jetzt biete ich mal ein Gebet an. Ganz vorsichtig.“ Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, schüttelte sie heftig den Kopf und sagte in bestem Denglisch: „Nein, Beten messed alles up.“ Es folgte eine wirre Geschichte, die ich nur halb verstand. Es ging um Pater und Jungs und Missbrauch. Klassenkameraden ihres Sohns hatten das in San Francisco erlebt.

Klare Ansage. Die konnte ich natürlich nicht ignorieren. Diese Frau nahm Beten ernst. So ernst, dass es ihr Angst machte. Gleichzeitig wusste ich, wie sehr sich die Tochter etwas „kirchliches“ wünschte, sie ist katholisch.

Kurz bevor ich gehen wollte, unternahm ich meinen zweiten Versuch, etwas „amtliches“ zu tun. Ich reichte ihr das Salböl, ließ sie daran riechen, fragte, ob ich sie segnen dürfe. Und plötzlich wurde sie ganz still. Ihr Blick heftete sich erwartungsvoll auf mich, ihre Hände ruhten, die Beine entspannten sich. Meine Hände lagen auf ihrem Kopf, spürten die Wärme und die Haare. Wir sahen uns an. Und plötzlich war es da, das Geschenk des Segens. In einem Moment des Vertrauens und Friedens.

Als ich wieder aufsah, hatte die Tochter Tränen in den Augen. „Das war etwas ganz Besonderes. Ich kann es nicht beschreiben.“ Ich nickte nur.

Auf der Rückfahrt brachte sie es herrlich pragmatisch auf den Punkt. „Wenn ich etwas besonders Tolles verkauft habe, dann fühle ich mich richtig gut und wertgeschätzt. Ich hoffe, dir geht es gerade so.“ Schönes Bild. Ich, die Maklerin, „verkaufe“ Gottesbegegnungen – kostenlos, nicht umsonst.

Wenn die Demenz das Englisch auffrisst

Als Seelsorgerin besuche ich natürlich auch Gemeindeglieder und Freunde der Gemeinde (also die, die keinen Beitrag zahlen). Eine Frau bat mich, ihre Mutter zu besuchen. Sie sei dement, es ginge stetig bergab, sie wisse nicht, wie lange sie noch ansprechbar sei.

Also nahm ich den Zug, wurde dann von ihr abgeholt mit dem Auto und kam nach einer guten Stunde in ein Altenheim. Komplett dekoriert im Stile der 1950er. Also zu Zeiten der Jugend der jetzigen Bewohner. Viel Tünneff, aber schnuckelig.

Im Fernsehzimmer auf der Demenzstation lief eine Verkaufsshow, die Bewohner löffelten Eissoße oder wurden gefüttert. M. saß apathisch in ihrem Rollstuhl, reagierte nicht auf ihre Tochter oder mich. Also baten wir einen Pfleger, sie ins Zimmer zu fahren, damit wir ungestört wären.

Es würde ein Gespräch zu Dritt sein. Eigentlich ein No-Go in der Seelsorge. Aber ich brachte es nicht übers Herz, die Tochter rauszuschicken. Zugleich kämpfte ich gegen die Versuchung, mehr über M. zu reden als mit ihr. Und nach und nach geschah das Wunder. M. führte ein Gespräch mit mir. Auf deutsch. In erstaunlich klaren Worten, teilweise Sätzen oder gar Geschichten. Ich sang ihr mit verschnupfter Stimme „Geh aus mein Herz“ vor und sie bat mich, weiterzusingen. Sie hielt mich für ihre Schwester, umfasste meinen Arm und entspannte sich.

Ihre Tochter kämpfte derweil mit ihren Emotionen. So unfassbar war, was sie erlebte. Ihre Mutter sprach wieder, nannte sie mit Namen, reagierte. Ich könnte es meinen magischen Seelsorgefähigkeiten zuschreiben. Vermutlich war es einfach die deutsche Sprache. M. redete ausschließlich von Dingen, die 50 Jahre zurücklagen. Also in einer Zeit, in der sie kaum Englisch sprach. Sie hat ihr Englisch einfach vergessen. Ihre Tochter aber versteht zwar Deutsch, kann es aber nicht sprechen. Und so fehlt den beiden eine gemeinsame Sprache.

Ostern bei den Episkopalen

Orthodoxe Liturgie und lutherische Theologie = die episkopale Kirche. Wäre ich hier aufgewachsen, das wäre wohl die Konfession meiner Wahl gewesen.

Zur Osternacht besuchte ich einen Gottesdienst in der St. Marks Kirche in Berkeley. Freunde von mir singen dort im Chor, also würde ich nicht ganz allein sein. Natürlich kam ich etwas zu spät – und fand die Kirche leer vor. Mist, falsche Kirche, dachte ich. Oder eine nicht upgedatete Website. Da sprach mich eine Dame an. Der Gottesdienst beginne im Innenhof. Und dort standen sie alle, mit Kerzen in den Händen und einem Lied auf den Lippen. Ich ließ mich fallen in die Atmosphäre und folgte der Menge in die Kirche. Ein Blick ins Programmheft ließ mich kurz erschaudern. 16 voll bedruckte Seiten und ich hatte noch kein Abendbrot gegessen.

Die Schönheit der Musik und Texte, dazu der Duft nach Weihrauch und Kerzen ließen mich Raum und Zeit vergessen. Es war wie im orthodoxen Gottesdienst, nur ohne Rückenschmerzen, weil mit bequemen Kirchenbänken. Und mit ordinierten Frauen im Altarraum. Gekleidet in goldene Brokatgewänder. Selbst das Evangelium wurde gesungen. Traumhaft.

Dann wurde eine erwachsene Frau getauft. 3 Seiten Namen von Heiligen im Programm. Gesungen von einem wunderbaren Bariton. Dabei prozessierte die gesamte Gruppe samt Kreuz durch die Kirche. Bis sie just beim letzten Namen beim Taufbecken ankam. Die ersten 20 Namen lang überlegte ich, was ich theologisch davon halten sollte. Die nächsten 20 Namen lang las ich mir alle durch, aus reinem Interesse. Weitere 20 Namen lang beobachtete ich alles ganz genau. Bis ich schließlich einstimmte in den Ruf „Bete für uns“.

Bei der Taufe wird ein Mensch an Gott gebunden und damit Teil einer Gemeinschaft von lebenden, verstorbenen und zukünftigen Christen. Er hat Anteil am Heiligen und wird damit selbst heilig. Nicht perfekt, nicht besser als andere, sondern heilig. Das betone ich bei jeder Taufe. Hier wurde es sinnbildlich vor Augen geführt. Die aufgezählten Heiligen sind für mich keine abgeschlossene Liste der „besten“ Christen. Sie stehen stellvertretend für alle Heiligen dieser Welt. Für alle, die mit Christus in der Taufe gestorben und auferstanden sind.

Und dann kam das Beste! Die Auferstehungsfreude in Form eines meiner orthodoxen Lieblingslieder. Ich kannte es bisher nur auf Rumänisch: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“ Mein persönlicher Osterschlager.

Hier saß ich, hungrig und müde nach über 2 Stunden Gottesdienst. Als plötzlich das Lied auf Englisch erklang. Aus allen Ecken bewegte sich der Chor gen Altar und sang in zigfachen Wiederholungen von Christi Sieg. Zwei Reihen vor mir begann eine Frau rythmisch zu stampfen. Dann der Mann hinter ihr, dann noch wer, schließlich sang und stampfte die ganze Kirche: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“

Ostern im Mission District: Foxy Mary und Jesus-Wettbewerb im Park

Nach einem herrlich bunten und quirligen Gottesdienst samt Ostereiersuche in der Kirche und Brunch brauchten Theo und ich ein bisschen frische Luft. Also ab in den nächstgelegenen Dolorespark mit Spielplatz und Aussicht über San Francisco.

Auch hier wurde Ostern gefeiert. Ohne Orgel und Predigt, mit Liebe, Lebensfreude und Gastfreundschaft. Tausende Menschen der LGBTQ-Szene trafen sich auf Einladung der „sisters of perpetual indulgence“. Einige hatten aufwändige Barockkostüme angelegt, andere trugen überdimensionale Hüte für den „Easter-Bonnet“ Wettbewerb. Theo und ich stellten uns einfach samt meinem Fahrrad in die Menge und genossen die Stimmung. Nach wenigen Minuten kam ein Mann im bunten Blumenbikini und fragte Theo: „Magst du Kekse?“ Theo nickte froh und der Mann lief los und kam mit einem riesigen Tablett voller Cookies zurück samt Allergenangaben selbstverständlich. Theos Kommentar: „Der Mann hatte aber einen schönen Bikini an. Aber meinst du, ihm ist nicht kalt?“ Berechtigte Frage, denn in San Francisco weht eigentlich immer eine steife, kühle Brise. (Wie in Rostock!)

„Möchtet ihr euch zu uns setzen? Auf unserer Decke ist noch ganz viel Platz.“ Eine Frau lächelte mich an und zeigte auf ihren Platz. Ich fühlte mich innerhalb kürzester Zeit wohl und willkommen zwischen all diesen wildfremden Menschen, mit denen ich äußerlich wenig gemein hatte. Ich: österlich in Cocktailkleid, Blazer und Pumps. Alle anderen: halbnackt bis Osterhasenkostüm. Wir alle: Menschen. Und ich hatte plötzlich das tiefe Gefühl, die Osterbotschaft verkündet zu bekommen. Von der allumfassenden Liebe Gottes, die jeden Menschen so annimmt, wie er ist. Und von Gottes Macht, Botschaften entgegen ihrer Intention zu senden. Denn die „sisters“ treffen sich seit 40 Jahren am Ostersonntag, um diesen Tag zu „entweihen“.

Ich war ein bisschen stolz auf Theo. Männer in Kleidern, Frauen mit Bärten? Das war ihm keines Kommentars wert. Nur die Hüte beeindruckten ihn. Und die vielen Jesus-Doubles. Denn Höhepunkt der Veranstaltung war der „Hunky Jesus Contest“. Kriterien: Aussehen, Kreativität, Witz, Accessoires (Kreuz, Dornenkrone, Wet-T-Shirt…). Gotteslästerung?? Nö! Ich glaube, Jesus hätte seine Freude daran gehabt. Immerhin hatte er als Auferstandener durchaus Sinn für Humor und Überraschungen. Wenn er plötzlich in einem Raum bei seinen Jüngern auftauchte und so tat, als sei das das Normalste von der Welt. Wenn er statt mit Brot und Wein mit Brot und Fisch (Abend-)Mahl feierte. Wenn er im Moment des Erkanntwerdens verschwand. Jesus hätte den Hunky-Jesus-Contest definitiv gewonnen! Denn er ist wahrhaftig auferstanden! Das kann sonst keiner.

Ostern im Mission District: Auferstehungskekse

Mehr Gottesdienstbesucher (140) als Gemeindemitglieder (110) zu Ostern. Das passiert auch nur hier in Amerika!

Für unseren österlichen Familiengottesdienst waren Monika (Theologiestudentin in Berkeley) und ich für die Kinderpredigt zuständig. Also zermarterten wir uns sage und schreibe 4 1/2 Stunden das theologisch überreflektierte und praktisch untererfahrene Hirn. Einfach verständlich sollte es sein, aber nicht platt. Anschaulich, aber nicht billig. Rose von Jericho war letztes Jahr schon dran. Raupe in Schmetterling wollte ich nicht, da muss ich immer an die verfressene Raupe Nimmersatt denken. Und den Kindern geht’s vermutlich genauso. Es musste doch andere Ideen da draußen im Netz geben.

Die Ideen im Internet sind überschaubar und beschränken sich zumeist aufs anschauliche Erzählen. Ein Pastor schlug vor, den Kindern zuvor ausgeleerte Kaugummiverpackungen anzubieten. Als Beispiel für das leere Grab. Na toll, dann gehen die Kinder nach Hause und denken: „Ostern ist echt die größte Enttäuschung. Nicht mal Kaugummis.“

Unsre Rettung waren „Auferstehungskekse“. Jedes Kind erhält einen kleinen Marshmallow (Jesu Leichnam), den es in einer Teigkugel (Grabhöhle) gut und sicher versteckt. Damit niemand den Marshmallow Jesus klaut. Nach dem Backen ist der Marshmollow „verschwunden“ oder wahlweise „verwandelt“. Und wie war das mit Jesus?

In der Kirche waren alle begeistert. Auf Facebook in einer Gruppe von Pastoren nicht. „Was haben die Kekse mit Ostern zu tun?“ „Backen kann man ja immer, auch ohne biblischen Bezug.“ Stimmt. Gilt aber prinzipiell für alles, was wir mit Kindern in der Kirche machen. Basteln, wandern, lesen, diskutierten – geht alles ohne Bibel und Gott. Mit auch. Ein Hoch auf uns Pastoren!

Ostern, Pessach, Feiertage

Happy Easter, happy Passover, happy Holidays! In den letzten Tagen bekam ich mehrere Emails, die auf diese Weise „all inclusive“ begannen.

Kalifornien ist das absolute Gegenteil vom „Bibel Belt“. Es wird auch „Unchurched Belt“ genannt. Die Anzahl der Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel mag äußerlich darüber hinwegtäuschen. Aber die einzelnen Gemeinden sind zumeist sehr klein (ca. 100 Gemeindeglieder ist hier eine normale Größe).

Religionsfreiheit spiegelt sich hier politisch darin wider, dass es keinerlei religiöse Feiertage gibt. Selbst Weihnachten gilt als „Winterferien“. Karfreitag und Ostermontag sind ganz normale Arbeitstage.

Bei einer christlichen Minderheit ist das einerseits verständlich. Andererseits echt gewöhnungsbedürftig. Klar, überall gibt’s Osterhasen und gemeinschaftliches Ostereier suchen. Genauso wie es überall Mazzen zu kaufen gibt. Aber die alltägliche Routine findet keinerlei äußerliche Unterbrechung. Was dazu führt, dass ich viel bewusster entscheiden musste, was mir die Karwoche bedeutet und wie ich sie feiern möchte.

Am Gründonnerstag traf sich der Elternbeirat von Tonis Schule. Seit Januar bin ich aktiv dabei. Also aß ich um 18.00 mit ihnen Pizza und diskutierte über weitere Schritte der Inklusion, statt zum Gottesdienst zu gehen. Mein persönliches Argument: Essen, Reden, Inklusion sind Themen des letzten Abendmahls Jesu. Also feierte ich mein persönliches Abendmahl in der Gruppe von Eltern. Die anderen wussten es nicht, aber ich. Und das reichte mir in dem Moment.

Karfreitag nahm ich dann Toni aus der Schule raus „aus religiösen Gründen“. Auch eine neue Erfahrung. Und zugleich eine heilsame. Weil ich erst jetzt so richtig spüre, was es bedeutet, in der religiösen Minderheit zu sein. Ein witziger Satz für eine geborene Rostockerin und Wahl-Hamburgerin. Doch in Deutschland lebte ich selbst in Mecklenburg in einer Umgebung, die christliche Feiertage selbstverständlich formal wertschätzt.

Hier muss ich Entscheidungen treffen und sie umsetzen. Ich musste nicht dafür kämpfen, Toni am Karfreitag aus der Schule zu nehmen. Es gab keinerlei Widerstände seitens der Lehrer. Trotzdem musste ich Für und Wider abwägen und letztlich einen Beschluss fassen. So, wie es für unsere jüdischen und muslimischem Mitbürger zum religiösen Alltag in Deutschland gehört.

Karfreitag: Es gibt noch viel zu tun!

Den schwärzesten Tag der Christenheit teilte unsere St. Matthäusgemeinde mit unseren spanisch sprechenden Schwestern und Brüdern. Nachdem wir am Aschermittwoch in ihrer knallbunten Kirche fürstlich schmausten, waren nun wir die Gastgeber. Und tischten deutsche Brotzeit auf mit Bagels im echten New-York-Style (schwer, fest, ölig, mit Suchtpotential). Dazu Wurst-, Lachs- und Schinkenbrote (Toni aß vermutlich die Hälfte davon allein auf), Guglhupf und Brownie. Der Leib sollte nicht darben, wenngleich die Seele traurig war.

Der Gottesdienst vereinte unsere Kulturen und unseren Glauben auf wunderschöne Weise. Gut lutherisch versammelten wir uns um das biblische Wort und ließen die 7 letzten Worte Jesu für sich sprechen. Auf Englisch, Deutsch und Spanisch. Von meditativen Klängen unterlegt und manifestiert. Nach jedem Satz wurden 2 Kerzen gelöscht und ein Gegenstand vom Altar abgeräumt. Bis alles kahl war, bis die Todeskälte uns ergriff und übermannte.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einem Karfreitagsgottesdienst geweint zu haben. Diesmal konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Soviel kam zusammen: Die Klarheit und der Schmerz der biblischen Worte. Die gelebte Einheit im Glauben von uns drei Pastorinnen und die getrennte Sitzordnung der Gemeinde. Die geteilte Trauer und Hoffnung, die geteilten menschlichen Erfahrungen. Die Sprachbarrieren, trotz allem. Und während ich so dasaß und mir die Tränen die Wangen hinunterkullterten, spürte ich plötzlich Tonis Hand auf meinem Arm. Sie saß in der Reihe hinter mir und streichelte mich sanft. Bis ich wieder ruhig war und weiterlesen konnte.

Das verhüllte Altarkruzifix unter dem Auferstehungsfenster (das leere Grab)!

Am Ende sang der Afro-Amerikaner Aven den Spiritual „Where you there when they crucified my Lord“. Nein, er gab keine Vorführung. Auch, wenn er sich ein Tuch um Kopf und Hals gebunden hatte und in die Rolle Marias hineinschlüpfte. Er lebte dieses Lied. Er flüsterte, bebte, klagte, litt, weinte, hoffte, betete für uns alle. Für unsere zerstrittene Welt. Für unsere geplagte Erde. Für mich war er in dem Moment Christus selbst, der mitten im Leid steht und mitleidet und mich trägt. Und er war Maria, die um ihren Sohn trauert und Gott und die Menschen anklagt, all dies Leid zuzulassen. Und er war Gott, der vor keinem Schmerz der Welt wegläuft.

Schweigend verließen wir die Kirche, gerührt umarmten sich Freunde und Fremde vor der Kirchentür. Es könnte so schön und einfach sein.

Bis fast alle gegangen waren und eine deutsche Dame plötzlich ihre Platiktasche mit einigen Leckereien nicht mehr finden konnte. Da vermutete ihre Bekannte ganz selbstverständlich: „Oder waren das diese mexikanischen Frauen? Haben die die mitgenommen?“ Ich starrte sie entgeistert an und sagte dann in meinem allerautoritärsten Tonfall: „Nein, ganz sicher nicht. Ich helfe euch suchen.“ Natürlich fand sich die Tasche wieder an… Mein Schock blieb.

Es ist noch viel zu tun, bis sich Christen (in diesem Fall Lutheraner ein und derselben Landeskirche) verschiedener Nationalitäten als echte Brüder und Schwestern wahrnehmen. Hoffentlich können wir im Advent wieder gemeinsam Gottesdienst feiern.