Mama ante portas – Einkauf bei Berkeley Bowl

Einige Leute seien nur nach Berkeley gezogen wegen Berkeley Bowl, raunt man sich hier zu. Berkeley Bowl ist lokale Lebensmittelmarkt hier. Eine Mischung aus Bauernmarkt und Feinkost und damit der Inbegriff für Berkeley: Man isst lokal und regional und bio in höchster Qualität UND international UND gibt dafür Geld aus ohne Ende. So kann man seine Bodenständigkeit und Weltläufigkeit zugleich demonstrieren. Hier gibt es alles in allen Variationen: vegan, glutenfrei, laktosefrei, koscher, wenig halal.

Eigentlich betrat ich den Laden nur aus Interesse. Ich war mir sicher, er wäre sowieso viel zu teuer für uns. Ist er auch. Bis auf die Obst- und Gemüseabteilung. Die ist gigantisch und hat teilweise die besten Angebote! Für $30 kann ich hier Obst und Gemüse für 10 Tage einkaufen. Und das bei 4 verfressenen Mäulern. Einziges Problem ist der Transport. Oft sind meine Augen größer als meine Fahrradtaschen und außerdem sind die Äpfel und Melonen gerade so unverschämt günstig, ah und die Orangen auch, und, wow, 1kg Spargel für $3, da kann nicht nicht widerstehen. Morgen sind sie sicher weg, vielleicht schon in 2 Stunden. Mein Kaufrausch beginnt.

Im Obst-und-Gemüse-Himmel!

Neben den täglichen Angeboten gibt es eine besondere Ecke mit nicht mehr ganz frischem Obst und Gemüse. Da finden sich 3 Mangos für 99 Cent, eine duftende Honigmelone für 69 Cent, 2kg Bananen für 99 Cent. Mein Paradies. Weil mir ja Aussehen von Obst und Gemüse herzlich wurscht ist, solange es schmeckt. Also schnüffelte ich mich durch die Melonen und war so versunken, dass ich meinen Fanclub gar nicht bemerkte. Nachdem ich mich fachfrauisch entschieden hatte, bat mich plötzlich ein Mann, ihm bei der Wahl zu helfen. Danach noch eine Frau, dann noch ein Mann, dann ging ich schnell weiter. An der Kasse schließlich brachte mir der erste Mann eine Tüte mit Mangos, als Dank für meine Hilfe.

Das Beste am Laden sind aber die Kassierer. Sie kennen alle Preise. Auswendig. Letztes mal fasste ich mir ein Herz und fragte nach dem üblichen Smalltalk: „Wie machen sie das?“ Die Antwort: „Vor Schichtbeginn bekommen wir 15 Minuten dafür bezahlt, durch den Laden zu gehen und die Preise zu lernen.“

Letzte Woche musste ich mir aus einer Obstkiste eine Gepäckkiste bauen, um meine Schätze heimzubringen. Die Kiste war so sperrig und schwer, dass ich eine Dame um Hilfe bitten musste, nur um sie aufzuladen. Aber dann fand ich mich super clever, die Best-Deal-Shopping-Glückshormone ließen mich lächeln.

Bis ich plötzlich eine Gewichtsverlagerung bemerkte. Noch bevor ich reagieren konnte, krachte die ganze Last auf die Straße. Bevor ich auch nur an Schadensbegrenzung denken konnte, musste ich erstmal mein immer noch schwer mit Fahrradtaschen beladenes Rad abstellen. Ein Auto hielt dicht hinter mir, eine besorgte Dame fragte, ob ich Hilfe bräuchte. Kurz überlegte ich, sie zu bitten, mir meine Einkäufe heim zu fahren (es waren nur noch wenige Straßen). Dann siegte die Scham und ich lehnte dankend ab.

Um nur 1 Minute später zugeben zu müssen, dass ich hier allein nicht viel erreichen würde. Die Kiste war aufgeplatzt, ich konnte sie so unmöglich transportieren. Ein Bauarbeiter bat mir seine Hilfe an und diesmal nahm ich dankend an. Mit Gummibändern schnürte er mir die Kiste aufs Rad und langsam eiernd radelte ich heim. Die zuckersüßen Melonen waren das Drama definitiv wert.

2020 kommt bestimmt! Was tun?

2020 ist eine Chiffre. Sie steht in Berkeley für Hoffnung und Angst. Hoffnung auf einen demokratischen Präsidenten und das Ende des Trumpschen Albtraums. Es wäre der Beweis, dass die Vernunft doch gewinnt. Dass Amerika doch das Land ihrer Träume ist. Dass die Mehrheit so denkt wie Berkeley: WEIRD = weiß, gebildet (educated), international, reich, demokratisch (nach einer Definition von Jonathan Haidt in seinem unbedingt empfehlenswerten Buch „The righteous mind: Why good people are divided by politics and religion“).

2020 steht für die Angst vor einem Schrecken ohne Ende. Was, wenn Trump wiedergewählt wird? Vielleicht diesmal sogar von der numerischen Mehrheit, nicht nur dank des uralten Wahlsystems und seiner Wahlmänner? Hier in Berkeley kann und will sich das niemand vorstellen. Gerade deshalb ist es denkbar. Weil hier niemand wirklich weiß, wie Republikaner ticken. 1. Gibt’s hier kaum welche. 2. Würden die sich nicht freiwillig outen. 3. Selbst wenn, würde man nicht mit dem Feind reden. Keine Sitzung in Schule, Chor oder Uni, bei der nicht irgendwann über Trump geflucht wird und alle nicken. Fühlt sich gut an. Hilft bloß nichts.

Was tun? Zahlreiche NGOs haben sich gegründet, um Menschen im Umgang mit Menschen anderer politischer Überzeugungen zu schulen. Im Idealfall werden Republikaner auf diese Weise missioniert und zu Demokraten. Eine davon ist „Smart Politics“ hier in Berkeley. Sie halten Web-Seminare ab und bieten Kommunikationstraining an.

Karen, die Leiterin, hat vor einigen Monaten einen politischen Buchclub ins Leben gerufen. Unweit entfernt von mir treffen wir uns monatlich im zeltähnlichen Loft einer pensionierten Anwältin. Es gibt Brot von „Acme Bread“ (die angesagteste Bäckerei in der Stadt), dazu Käse vom „Cheeseboard“ (hier gibt’s nichts was es nicht gibt) und Hummus (kein Treffen in Berkeley ohne Hummus!). Fast alle sind wir weiblich, alle mit Hochschulabschluss, fast alle weiß, alle weit gereist. Die einzige Diversität ist unsere Altersspanne von 33-75. Und, dass ich religiös bin. Denn Religion und liberale Politik geht in den Augen der meisten Menschen in Berkeley nur schwer zusammen. Während der 2 1/2 stündigen Treffen fühle ich mich auf Mission: den anderen zu helfen, ihre Vorurteile gegenüber Christen abzubauen!

Unser gemeinsames Ziel: Verstehen, warum die USA (bzw. die westliche Welt) so sehr gespalten ist in Links und Rechts und was Menschen nach Rechts zieht. Anerkennen, dass Menschen unterschiedliche politische Ideen haben, ohne gleich von Grund auf böse zu sein. Miteinander reden lernen (gar nicht so einfach, denn natürlich ist keines der Clubmitglieder Republikaner).

Aber es gibt andere Themen, die sich zu Übungszwecken mit ebenfalls demokratischen Nachbarn und Bekannten wunderbar eignen. Denn demokratisch bedeutet seeehr viel in Amerika. Alles von sozialistisch über sozial bis hin zu liberal-ohne-sozial ist zu finden. Wollte man die deutschen Parteien in den USA verorten, wären alle, abgesehen von AfD und NPD, unter den „Demokraten“. Allein schon aufgrund unserer sozialen Marktwirtschaft, der allgemeinen Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und selbst dank Hartz IV.

So einig sich die Demokraten in der Ablehnung von Trump sind, was sie wollen, steht auf einem anderen Blatt. Inzwischen bewerben sich 21 Politiker um das Amt des Präsidentschaftskandidates. Manche sind Sozialisten (ein Unwort selbst für viele Demokraten). Andere wollen ein bisschen mehr Gerechtigkeit für die Armen, aber natürlich keine Freiheiten dafür beschneiden. Manche werben für eine echte Einwanderungspolitik und gegen strukturellen Alltagsrassismus. Andere lassen diese Tretminen lieber aus.

Kurz: Beim Thema Einwanderung vertreten auch Demokraten plötzlich durchaus Trumpsche Parolen. Da können die Bürger Berkeleys ihre Kommunikationsstrategien aneinander üben. Ohne Sorge, dass ein schlechtes Gespräch gleich zur Wahl von Trump führt. Der bleibt hier der größte Feind, Einwanderung hin oder her.

Geburtstagskuchen Nr. 2

Wir haben die erste amerikanisch-deutsche Geburtstagsparty erfolgreich ausgerichtet! Hurra!

Theo durfte zu seinem 5. Geburtstag so viele Kinder einladen, wie er wollte. Und lud prompt seine gesamte Kitagruppe ein. Gut 15 4-5-Jährige folgten der Einladung samt Eltern und Geschwistern. Die letzten sagten spontan noch Samstagfrüh zu, 52 Leute standen auf der Online-Gästeliste. „Philipp, back bitte noch einen Kuchen!“, bat ich ihn panisch.

Einige Wochen zuvor hatte Theo mit großen Augen bei einer Freundin eine amerikanische Geburtstagstorte gesehen: Knallbunt, knallsüß, mit Figuren und Schriftzug. Spontan rief er aus: „SO einen Kuchen wünsche ich mir auch.“ Ebenso spontan antwortete die Mutter des Geburtstagskindes: „Ihr habt heute einen Kuchen (Guglhupf!) mitgebracht, da können wir dir doch auch einen mitbringen.“

Und so durfte Theo mit Philipp zum lokalen Safeway fahren und sich durch 50 Seiten Geburtstagstorten blättern. (Das allein war das größte Geschenk!) Die Entscheidung fiel auf einen Batman-Kuchen samt Hubschrauber und Batmobil, die den Bösewicht Joker über die Kuchenkante jagen. Natürlich wünschte er sich noch einen Papa-Kuchen. Diesjähriges Thema: eine von Piraten angegriffene Ritterburg.

Das Anschneiden der Torte ist das zentrale Ereignis einer Party. Theo strahlte vor Stolz und Glück. Philipp verteilte den Kuchen.

Ich: „Theo, welches Stück möchtest du?“

Theo: „Ich ess den doch nicht! Der ist viiiiiiiiel zu süß.“

Allen anderen hat er geschmeckt. Theo futterte Guglhupf und Muffins.

Natürlich war es am Ende viel zu viel Kuchen (die Chips waren aber ratzeputzeleer). Jetzt essen wir seit Tagen Guglhupf zum Frühstück und Torte zum Kaffeetrinken. Gibt wahrlich Schlimmeres!

Ostern im Mission District: Foxy Mary und Jesus-Wettbewerb im Park

Nach einem herrlich bunten und quirligen Gottesdienst samt Ostereiersuche in der Kirche und Brunch brauchten Theo und ich ein bisschen frische Luft. Also ab in den nächstgelegenen Dolorespark mit Spielplatz und Aussicht über San Francisco.

Auch hier wurde Ostern gefeiert. Ohne Orgel und Predigt, mit Liebe, Lebensfreude und Gastfreundschaft. Tausende Menschen der LGBTQ-Szene trafen sich auf Einladung der „sisters of perpetual indulgence“. Einige hatten aufwändige Barockkostüme angelegt, andere trugen überdimensionale Hüte für den „Easter-Bonnet“ Wettbewerb. Theo und ich stellten uns einfach samt meinem Fahrrad in die Menge und genossen die Stimmung. Nach wenigen Minuten kam ein Mann im bunten Blumenbikini und fragte Theo: „Magst du Kekse?“ Theo nickte froh und der Mann lief los und kam mit einem riesigen Tablett voller Cookies zurück samt Allergenangaben selbstverständlich. Theos Kommentar: „Der Mann hatte aber einen schönen Bikini an. Aber meinst du, ihm ist nicht kalt?“ Berechtigte Frage, denn in San Francisco weht eigentlich immer eine steife, kühle Brise. (Wie in Rostock!)

„Möchtet ihr euch zu uns setzen? Auf unserer Decke ist noch ganz viel Platz.“ Eine Frau lächelte mich an und zeigte auf ihren Platz. Ich fühlte mich innerhalb kürzester Zeit wohl und willkommen zwischen all diesen wildfremden Menschen, mit denen ich äußerlich wenig gemein hatte. Ich: österlich in Cocktailkleid, Blazer und Pumps. Alle anderen: halbnackt bis Osterhasenkostüm. Wir alle: Menschen. Und ich hatte plötzlich das tiefe Gefühl, die Osterbotschaft verkündet zu bekommen. Von der allumfassenden Liebe Gottes, die jeden Menschen so annimmt, wie er ist. Und von Gottes Macht, Botschaften entgegen ihrer Intention zu senden. Denn die „sisters“ treffen sich seit 40 Jahren am Ostersonntag, um diesen Tag zu „entweihen“.

Ich war ein bisschen stolz auf Theo. Männer in Kleidern, Frauen mit Bärten? Das war ihm keines Kommentars wert. Nur die Hüte beeindruckten ihn. Und die vielen Jesus-Doubles. Denn Höhepunkt der Veranstaltung war der „Hunky Jesus Contest“. Kriterien: Aussehen, Kreativität, Witz, Accessoires (Kreuz, Dornenkrone, Wet-T-Shirt…). Gotteslästerung?? Nö! Ich glaube, Jesus hätte seine Freude daran gehabt. Immerhin hatte er als Auferstandener durchaus Sinn für Humor und Überraschungen. Wenn er plötzlich in einem Raum bei seinen Jüngern auftauchte und so tat, als sei das das Normalste von der Welt. Wenn er statt mit Brot und Wein mit Brot und Fisch (Abend-)Mahl feierte. Wenn er im Moment des Erkanntwerdens verschwand. Jesus hätte den Hunky-Jesus-Contest definitiv gewonnen! Denn er ist wahrhaftig auferstanden! Das kann sonst keiner.

Pädagogik-Zirkus zwischen Animation und Drill

Toni sitzt im Chor. Um sie herum toben Kinder, einige liegen auf dem Boden, es herrscht Chaos. Die Lehrerin ist überfordert (wäre hier jeder), lächelt die Situation aber weg. Verbal ausrasten darf sie nicht. Das würde ihr vermutlich eine Klage an den Hals bringen.

Mit Müh und Not bekommt sie alle Kinder dazu, sich in einen Kreis zu setzen. Dort erzählt sie ihnen mit der verzweifelten Mimik eines komisch-traurigen Clowns, wie waaahnsinnig und toll und meeeega wichtig es ist, jetzt zuzuhören und mitzusingen. Dafür, dass die Kinder ganze 2 Minuten zuhörten, kriegt jedes Kind ein „High 5“. „Ich bin begeistert von euch“, sagt die Lehrerin. Dann nimmt das Chaos wieder seinen Lauf. Die Lehrerin steigt wieder in die Rolle der Animateurin. Kurze Aufmerksam. Alles super! Chaos. Irgendwann ist die Kleingruppenprobe geschafft und alle sind fix und fertig.

Was ich hier erlebe, ist lediglich eine Überzeichnung des Umganges mit Kindern hier. Sie werden bespaßt und für jeden kleinsten Kram in den Himmel gehoben und mit Lob überschüttet. Nichts gegen Lob. Aber ein kluges Kind kapiert recht schnell die Logik: Je mehr Mist ich baue, desto weniger muss ich tun, um überschwänglich gelobt zu werden. Im Chor sind ziemlich viele kluge Kinder.

Die Rückseite dieses Januskopfes ist der militärisch anmutende Drill. Natürlich spielerisch. Mit allerlei akustischen Signalen.

„Damdadadamdam“, singt Tonis Schulleiterin in die von Kinderstimmen schwirrende Aula. Und alle Schüler antworten „Damdam“. Schon herrscht Ruhe. Ich bin ehrlich beeindruckt.

Schulleiterin: „1,2,3, eyes on me.“ Schüler im Chor: „1,2, eyes on you.“ Absolute Ruhe. (Auf dem Spielplatz rief Toni in den ersten Wochen immer „1,2,3, eyes on me.“, wenn sie die Aufmerksamkeit eines anderen Kindes wollte.)

Für alles gibt es kurze Lieder: fürs Raus- und Reingehen, in eine Reihe aufstellen, Aufräumen. (Die Liedtexte sind die längsten, grammatikalisch korrekten Sätze, die T&T sprechen können.)

Wenn bei Theo die Spielplatzzeit vorbei ist, singt die Erzieherin: „Everybody to the gate, to the gate, to the gate. Everybody to the gate. Time to go inside.“ Nach der Ostereiersuche am Karfreitag (!) änderte sie jedoch plötzlich den Text. Statt „gate“ sang sie „bench“. Theo rannte als einziger zum Tor. Er hatte nur auf die Melodie geachtet. Zweideutige akustische Signale sind echt fies.

Geburtstagskuchen Nr. 1

Theo hat seinen 1. amerikanischen Geburtstag gefeiert. Nun ist der Kleine offiziell 5. Und also auch so alt, wie er aussieht (amerikanische Kinder sind im Verhältnis kleiner).

Ich hatte mich zuvor in der Kita erkundigt, was denn mitgebracht werden dürfe. Vor einigen Wochen hatte ich erlebt, wie zukersüße Frosting-Cupcakes erst beim Abholen ausgehändigt wurden. Die Erzieher hätten den Zuckerschock der Kinder sonst nicht überlebt. Kekse oder ein „trockener“, leicht zu schneidender Kuchen seien aber in Ordnung zur Teezeit.

Also gab es einen traditionellen Gugelhupf zum Ehrentag samt amerikanischer Schokofünf und Kerze. Als ich Theo vom Kindergarten abholen wollte, saß die Gruppe gerade am Tisch und bekam den Gugelhupf aufgetischt. Die Blicke der Kinder zeugten von grenzenloser Enttäuschung. Kein Geburtstagskuchen. Sondern Brot. Denn so wird Kuchen in Kastenform hier genannt. Kuchen ist hier Torte oder wenigstens Teig mit gaaaanz viel Icing (keine Ahnung, was da genau drin ist, auf jeden Fall viiiiiiiel Zucker).

Auch die Erzieher wussten nicht genau, was sie sagen sollten. Also fragten sie mich höflich, was denn im Kuchen drin sei?

Ich: „Hm, also das ist ein ganz normaler Kuchen.“

Keine Reaktion.

Ich: „Also da ist Mehl drin und Butter und Eier…“

Erzieherin: „Und Zucker?“

Ich: „Ja, klar.“

Erzieherin: „Kinder, da ist Zucker drin!“

Allgemeines Aufatmen, die Kinder nahmen ihre Löffel und futterten den Kuchen. Puh! Gerade nochmal gut gegangen!

Ostern, Pessach, Feiertage

Happy Easter, happy Passover, happy Holidays! In den letzten Tagen bekam ich mehrere Emails, die auf diese Weise „all inclusive“ begannen.

Kalifornien ist das absolute Gegenteil vom „Bibel Belt“. Es wird auch „Unchurched Belt“ genannt. Die Anzahl der Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel mag äußerlich darüber hinwegtäuschen. Aber die einzelnen Gemeinden sind zumeist sehr klein (ca. 100 Gemeindeglieder ist hier eine normale Größe).

Religionsfreiheit spiegelt sich hier politisch darin wider, dass es keinerlei religiöse Feiertage gibt. Selbst Weihnachten gilt als „Winterferien“. Karfreitag und Ostermontag sind ganz normale Arbeitstage.

Bei einer christlichen Minderheit ist das einerseits verständlich. Andererseits echt gewöhnungsbedürftig. Klar, überall gibt’s Osterhasen und gemeinschaftliches Ostereier suchen. Genauso wie es überall Mazzen zu kaufen gibt. Aber die alltägliche Routine findet keinerlei äußerliche Unterbrechung. Was dazu führt, dass ich viel bewusster entscheiden musste, was mir die Karwoche bedeutet und wie ich sie feiern möchte.

Am Gründonnerstag traf sich der Elternbeirat von Tonis Schule. Seit Januar bin ich aktiv dabei. Also aß ich um 18.00 mit ihnen Pizza und diskutierte über weitere Schritte der Inklusion, statt zum Gottesdienst zu gehen. Mein persönliches Argument: Essen, Reden, Inklusion sind Themen des letzten Abendmahls Jesu. Also feierte ich mein persönliches Abendmahl in der Gruppe von Eltern. Die anderen wussten es nicht, aber ich. Und das reichte mir in dem Moment.

Karfreitag nahm ich dann Toni aus der Schule raus „aus religiösen Gründen“. Auch eine neue Erfahrung. Und zugleich eine heilsame. Weil ich erst jetzt so richtig spüre, was es bedeutet, in der religiösen Minderheit zu sein. Ein witziger Satz für eine geborene Rostockerin und Wahl-Hamburgerin. Doch in Deutschland lebte ich selbst in Mecklenburg in einer Umgebung, die christliche Feiertage selbstverständlich formal wertschätzt.

Hier muss ich Entscheidungen treffen und sie umsetzen. Ich musste nicht dafür kämpfen, Toni am Karfreitag aus der Schule zu nehmen. Es gab keinerlei Widerstände seitens der Lehrer. Trotzdem musste ich Für und Wider abwägen und letztlich einen Beschluss fassen. So, wie es für unsere jüdischen und muslimischem Mitbürger zum religiösen Alltag in Deutschland gehört.

Karfreitag: Es gibt noch viel zu tun!

Den schwärzesten Tag der Christenheit teilte unsere St. Matthäusgemeinde mit unseren spanisch sprechenden Schwestern und Brüdern. Nachdem wir am Aschermittwoch in ihrer knallbunten Kirche fürstlich schmausten, waren nun wir die Gastgeber. Und tischten deutsche Brotzeit auf mit Bagels im echten New-York-Style (schwer, fest, ölig, mit Suchtpotential). Dazu Wurst-, Lachs- und Schinkenbrote (Toni aß vermutlich die Hälfte davon allein auf), Guglhupf und Brownie. Der Leib sollte nicht darben, wenngleich die Seele traurig war.

Der Gottesdienst vereinte unsere Kulturen und unseren Glauben auf wunderschöne Weise. Gut lutherisch versammelten wir uns um das biblische Wort und ließen die 7 letzten Worte Jesu für sich sprechen. Auf Englisch, Deutsch und Spanisch. Von meditativen Klängen unterlegt und manifestiert. Nach jedem Satz wurden 2 Kerzen gelöscht und ein Gegenstand vom Altar abgeräumt. Bis alles kahl war, bis die Todeskälte uns ergriff und übermannte.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einem Karfreitagsgottesdienst geweint zu haben. Diesmal konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Soviel kam zusammen: Die Klarheit und der Schmerz der biblischen Worte. Die gelebte Einheit im Glauben von uns drei Pastorinnen und die getrennte Sitzordnung der Gemeinde. Die geteilte Trauer und Hoffnung, die geteilten menschlichen Erfahrungen. Die Sprachbarrieren, trotz allem. Und während ich so dasaß und mir die Tränen die Wangen hinunterkullterten, spürte ich plötzlich Tonis Hand auf meinem Arm. Sie saß in der Reihe hinter mir und streichelte mich sanft. Bis ich wieder ruhig war und weiterlesen konnte.

Das verhüllte Altarkruzifix unter dem Auferstehungsfenster (das leere Grab)!

Am Ende sang der Afro-Amerikaner Aven den Spiritual „Where you there when they crucified my Lord“. Nein, er gab keine Vorführung. Auch, wenn er sich ein Tuch um Kopf und Hals gebunden hatte und in die Rolle Marias hineinschlüpfte. Er lebte dieses Lied. Er flüsterte, bebte, klagte, litt, weinte, hoffte, betete für uns alle. Für unsere zerstrittene Welt. Für unsere geplagte Erde. Für mich war er in dem Moment Christus selbst, der mitten im Leid steht und mitleidet und mich trägt. Und er war Maria, die um ihren Sohn trauert und Gott und die Menschen anklagt, all dies Leid zuzulassen. Und er war Gott, der vor keinem Schmerz der Welt wegläuft.

Schweigend verließen wir die Kirche, gerührt umarmten sich Freunde und Fremde vor der Kirchentür. Es könnte so schön und einfach sein.

Bis fast alle gegangen waren und eine deutsche Dame plötzlich ihre Platiktasche mit einigen Leckereien nicht mehr finden konnte. Da vermutete ihre Bekannte ganz selbstverständlich: „Oder waren das diese mexikanischen Frauen? Haben die die mitgenommen?“ Ich starrte sie entgeistert an und sagte dann in meinem allerautoritärsten Tonfall: „Nein, ganz sicher nicht. Ich helfe euch suchen.“ Natürlich fand sich die Tasche wieder an… Mein Schock blieb.

Es ist noch viel zu tun, bis sich Christen (in diesem Fall Lutheraner ein und derselben Landeskirche) verschiedener Nationalitäten als echte Brüder und Schwestern wahrnehmen. Hoffentlich können wir im Advent wieder gemeinsam Gottesdienst feiern.

Hauptsache STEM

Die vier heiligen Säulen des Erfolgs heißen in der Bay-Area „STEM“: Sience/ Wissenschaft, Technik, Engineering, Mathe. Darin müssen Kinder unbedingt gefördert werden. Jedes pädagogische Angebot wird daran gemessen.

In Tonis Frühjahrsferien verbrachten wir einen Tag mit Freunden im Bay Area Discovery Museum: Ein großer Indoor- und Outdoorspielplatz, malerisch gelegen am Fuße der Golden Gate Bridge. Eigentlich schweineteuer wie alles hier. Aber am 1. Mittwoch im Monat kostenlos. Also nix wie hin.

Hier gibt es alles, was ein Kinderherz begehrt.

Matscheküche (mit Schürzen) und Sandkiste mit sauberem „Zaubersand“. Lernziel: Mengen abmessen, vergleichen, Formen kennenlernen = STEM.

Redet mit euren Kindern!

Malatelier (mit wasserlöslichen Farben und Schürzen). Kunst fördert die Kreativität, fördert STEM. Glück gehabt, liebe Kunst! (Musikalische Angebote gab es übrigens keine…)

Zum Glück dienst Kunst der STEM-Karriere, indem sie kritisches Denken und Kreativität fördert. Beides unerlesslich, um spätere Probleme am Arbeitsplatz bei Google/ Apple/ Facebook/ Startup XY zu lösen.

Kugelbahnen und Motorradsimulationen für angehende Maschinenbauerinnen. Kaplasteine und Lego für die jungen Ingenieurinnen. STEM pur!

Tanzen: Fördert die Zusammenarbeit von Kindern. Aha. Ich dachte schon, es ginge um Spaß 🙂

Der perfekte Ort, um so zu tun, als ob die Kinder sich einsauen dürften – aber am Ende kommen alle blitzblank sauber nach Hause. Der perfekte Ort, um so zu tun, als fördere man seine Kinder viel mehr, als wenn man den Nachmittag einfach auf dem nächsten Spielplatz verbracht hätte. Weil hier bei jeder Aktivität der pädagogische Sinn erläutert wird.

Schön war’s dennoch!

Lebenslauf auf Amerikanisch

Wie schreibe ich einen Lebenslauf, der amerikanische Arbeitgeber davon überzeugt, mich zum Bewerbungsgespräch einzuladen? Dank eines 2-stündigen Seminars bin ich gerüstet.

Während ein deutscher, tabellarischer Lebenslauf einer Einkaufsliste gleicht, ist der amerikanische eine Ansammlung von möglichst spannenden und bewegenden Kurzgeschichten.

  1. Die wichtigste Technik besteht darin, „Erfolgssätze“ zu formulieren nach der PAR-Regel: „Problemschilderung – Aktion – Resultat“.
  2. Lücken im Lebenslauf füllen. In der Elternzeit im Kindergarten geholfen? Super. Im Lebenslauf nenne ich mich „Managerin von Aktivitäten in der Kita“ und beschreibe, was ich gemacht habe: Eltern getroffen und vernetzt, Kekse gebacken und Geld für die Kita erwirtschaftet usw. Merke: Hauptsache, du gibst dem Kind einen Namen.
  3. Jeden Satz mit einem aktiven, aussagekräftigen Verb beginnen: Gestaltete, managte, überzeugte, verbesserte, unterrichtete…
  4. Nicht mehr als 2 Seiten schreiben. Die meisten Personaler lesen einen Lebenslauf 5-30 Sekunden lang.
  5. Keine religiösen, politischen oder ethnischen Organiationen auflisten. Jetzt wird’s kompliziert für mich!
  6. Absolut verboten sind: Foto, Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität, Geburtsort – kurz: die erste halbe Seite eines deutschen Lebenslaufs.

Da steht mir viel Arbeit bevor!