Arztbesuch

Für meine Fortbildung als Krankenhausseelsorgerin brauche ich einen Tuberkulose-Test. Also einen Nachweis, dass ich keine Tb habe. Diese Krankheit, von der ich bisher immer dachte, nur Opernfiguren hätten sie.

Also vereinbare ich einen Termin bei der mir zugewiesenen Hausärztin. Stellt sich heraus, sie spricht deutsch, hat 2 Jahre in München gelebt mit Mann und Kindern. Guter Start.

Ein Stapel Formulare wird mir gereicht mit Infos über meine Krankheitsgeschichte, ziemlich detailliert. Ahnen werden bis zu den Großeltern abgefragt. Eine Patientenverordnung gibt’s ungefragt gleich dazu. „Bitte ausfüllen so bald es geht und unter Zeugen unterschreiben.“ Ich habe mal wieder das Gefühl, dass sich in Amerika eine ziemlich bevormundende Fürsorge mit der totalen Freiheit, diese komplett zu verweigern, mischt.

Ärztin: „Wann hatten Sie denn ihren letzten Gesundheitscheck?“

Ich: „Hm, das macht man in Deutschland erst ab 35. Davor geht man zum Arzt, wenn man krank ist.“

Ärztin: „Oh (denkt sich wahrscheinlich wie hinterwäldlerisch Deutschland ist). Dann machen wir das gleich mal.“

Ich werde also von Kopf bis Fuß untersucht, mein Impfpass wird studiert (einiges fehlt, wird gleich mal aufgefrischt) und dann werde ich ins Labor geschickt. Großes Blutbild machen lassen. Denn: „Sie sehen zwar soweit gesund aus, aber ich kann ja nicht in Sie hineingucken.“ Stimmt eigentlich.

Als Kind hatte ich eine regelrechte Nadelphobie. Habe bei ihrem Anblick gebrüllt bis ich Herpes bekam, habe Nadeln verbogen und mich weggewunden. Dank der Schwangerschaften benehme ich mich inzwischen „erwachsen“. Hasse es aber immer noch. Bis jetzt. Denn die Schwestern hier im Labor sind echte Nadelfeen. Sie machen den lieben langen Tag nichts anderes als Blut abnehmen. Und das merkt man. Bzw. merkt es eben nicht. Weder den Einstich, noch das häufig ruppige Rausziehen. Kein blauer Arm danach, kein Bluterguss. Hier geh ich gern wieder hin!

Begeistert bin ich auch vom Prinzip „Ärzthaus“ hier. Es ist kein Gebäude, in dem zufällig viele Ärzte ihre Praxen haben. Nein, der ganze Komplex ist eine logistische Einheit. Die Daten aller Patienten sind für die behandelnden Ärzte und Schwestern überall zugänglich. Hausärzte, Fachärzte und Notaufnahme sind unter einem Dach.

Am Willkommenstresen meldet man sich an und zahlt die Praxisgebühr. Hier kann man sich Arztbriefe ausdrucken lassen und Gesundheitsinfos. Für Impfungen und Blutwerte geht’s direkt zur Schwester. Zu Ärzten geht man ausschließlich mit Termin. Wartezeiten von 15 Minuten sind schon unverschämt lang… Arztbesuche können soooo angenehm sein!

Achso, mit dem Rad brauche ich 8 Minuten dahin.

Summer Camps: Super! Teuer!

11 Wochen Sommerferien hatte Toni dieses Jahr. Das ist schön, aber irre. Denn, wer hat schon so lange frei als Eltern? Richtig. Also gibt es Tagesferienlager. Die Kinder werden von morgens bis abends bespaßt und sollen dabei auch noch was lernen. Also wie in der Schule. Nur kostet das im Schnitt pro Woche $400-500. Pro Kind.

Zum Glück gab es einige freundliche Camps, die Vergünstigungen für einkommensschwache Haushalte anbieten. Und auch für Haushalte wie uns, die wir offiziell gar nicht arm genug dafür sind. So kamen wir auf „nur noch“ $250 pro Woche im Schnitt, ein echtes Schnäppchen.

Aber die Kinder haben ihre Camps geliebt. Theo durfte eine Woche lang Fußball spielen. Toni hatte 3 spannende Wochen, in denen sie tanzte, badete und bastelte, „Um-die-Ecke-guck-Fernrohre“ entwickelte und echte Kunstwerke druckte.

Beim Thema Kinderbetreuung bin ich hier wirklich hin- und hergerissen. Kann man sie sich leisten, ist sie oftmals hervorragend. Kleine Gruppen, viele Trainer/ Lehrer/ Betreuer, super Anleitung mit großem Lerneffekt samt Spaß. Wirklich ideal.

Wenn es eben nicht so teuer wäre und damit letztlich nur für ca. 50% der Kinder zugänglich.

Das ist irgendwie das generelle Problem in Amerika. Die Privatisierung aller Dienstleistungen führt für die Wohlhabenden zu einem hervorragenden Service. Schnell, kompetent, freundlich. In allen Bereichen. Wo es staatlich ist wie bei der Post oder beim Schulamt oder beim Schulbus, da ist dann sofort das Gegenteil der Fall: Langsam, inkompetent, unfreundlich. Total nervig. Und nochmal auffälliger als in Deutschland, weil man ja den Kontrast hat.

Diese Erfahrungen führen bei vielen, auch liberalen Amerikanern, zu einer generellen Angst vor einem Sozialstaat für alle. Denn das hieße evtl. auch ein Verlust von Privilegien. Vielleicht auch nicht. Aber das Risiko mag kaum jemand eingehen. Zu groß ist die Angst, dann auch zu den anderen 50% zu gehören – ohne Aufstiegs- oder Ausstiegsmöglichkeit.

Junior Ranger

Die meisten Nationalparks bieten ein kostenloses Kinderprogramm an. Es heißt „Junior Ranger“ („Junior Förster“) und lehrt die Kinder, wie sie die Natur erhalten können. Beim Besucherzentrum bekommt jedes Kind ein buntes Arbeitsheft. Weil das für bis zu 6-Jährige „Babyeierkram“ war laut T&T, widmeten sie sich dem für 7-9-Jährige… Das muss abgearbeitet werden. Darin sind Themen wie:

Welche Ausrüstung brauche ich zum Wandern? U.a. Kompass, Taschenlampe und Wanderkarte. Hatten wir natürlich alles nicht.

Wie kann ich „grün“ leben? Z.B. Radfahren und Wäsche draußen trocknen. Yeah, wir sind dabei!

Fußspuren müssen zugeordnet werden, Steine beschrieben, Insekten gemalt oder Nadelbäume identifiziert werden. Da hab ich viel gelernt. Die Kinder bestimmt auch.

Freudestrahlend wollten wir das Buch abgeben und das Abzeichen abholen. Aber nein. Das war nur eine von 5 Voraussetzungen. Also mussten die Kinder noch eine Wanderung beschreiben. Das Museumsrätsel lösen. 3 neugelernte Fakten nennen (keinen Müll hinwerfen und allen Müll aufheben, keinen wilden Tieren nähern, nicht zündeln – alles höchst verführerisch). Zu guter Letzt mussten wir uns den 30-minütigen Museumsfilm über Vulkane anschauen (cool!) und danach einer Rangerin erzählen, was gelernt wurde (schwer, weil es ein wissenschaftlicher Film auf Englisch war. Aber die Kinder haben es geschafft.) Theo erzählte, dass der Lassen in 2 Jahren 4x ausgebrochen ist. Toni erinnerte sich daran, dass sich die Berge ständig verändern aufgrund von Erosion. (Theo: Erosion? Kenn ich aus der Kita.)

Und dann wurde es richtig amerikanisch. Beide Kinder bekamen echte Ranger-Hüte aufgesetzt (Bild davon gibt’s leider nicht) und gingen mit der Rangerin raus. Dort stellte sie sich vor die beiden.

„Erhebt jetzt eure rechte Hand und schwört indem ihr mir nachsprecht.“ Und dann sprach sie vor: „Ich verspreche, dabei zu helfen, den Lassen Nationalpark zu pflegen und zu schützen, sowie alle Nationalparks. Ich verspreche auch, die Natur weiterhin zu erforschen, über sie zu lernen und sie zu schützen, wo immer ich in der Welt gehe.“

Theo gab bei der Hälfte auf, Toni wiederholte stoisch alles. Beide hatten keine Ahnung, was sie da sagten. Haben es ihnen danach übersetzt. Als Theo zwischendurch seine rechte zum Schwur erhobene Hand runternehmen wollte, machte die Rangerin eine kurze Pause. Das war ein absolutes No-Go. Und Theo hob die Hand ergeben wieder.

Wichtig fühlten sich beide. Und stolz wie Bolle.

Vorbereitung auf die Geisterstadt Bodie

Auf dem Campingplatz am Morgen. T & T stromern umher und haben wieder neue Bekanntschaften gemacht. Und natürlich erzählen sie allen: „Wir fahren in eine Ghost City (Geisterstadt).“ Stimmt ja auch. Wir sind auf dem Weg nach Bodie. Eine alte Goldminenstadt, die seit 1882 quasi verlassen steht. Einige wenige Unbelehrbare harrten bis 1930 aus. Immer in der Hoffnung, nochmal Gold zu finden.

Plötzlich kommen die Kinder zurück zu uns. Im Schlepptau haben sie eine ganze Familie. Eine Mama und ihre 4 Kinder. „Ihr fahrt in eine Geisterstadt?“, fragen sie. „Wisst ihr, hier in der Nähe ist auch eine. Da bieten sie auch Geisterjagden an.“ Ich gucke großäugig interessiert. „Man zahlt $30-50 pro Person. Dafür bekommt man dann aber auch all die Ausrüstung und eine Führung.“ Welche Ausrüstung denn, möchte ich wissen. „So alles, was man eben braucht, um Geister zu sehen. Leute haben da schon Sachen erlebt. Vor allem bei den Kindergräbern auf dem Friedhof…“

Ich: „Oh, da möchte ich dann lieber nicht dabei sein.“

Es folgt ein witziges Gespräch über Deutschland. Tochter: „Mama, die haben da nicht so Supermärkte wie wir.“ Ich: „Wir haben schon welche, nur andere Marken.“ Tochter: „Siehst du, Mama, die haben keinen Target (ne Art dm) in Deutschland.“ Mutter: „Keinen Target? O je! Wo kauft ihr denn ein?“ Ich: „Es gibt schon alles zu kaufen bei uns.“ Mutter: „Und habt ihr Costco (wie Metro)? Und Walmart? Und Safeway.“ Alles verneine ich. Die Familie ist schockiert. Und ich platze gleich vor innerlichem Lachen.

Ferien!

Toni hat Sommerferien! 10 Wochen lang! Das ist klasse. Und echt lang. Jedenfalls für Eltern. Die meisten Kinder verbringen ihren Sommer in wöchentlichen Camps. Eine Art Ferienprogramm vor Ort. Zur Auswahl steht alles, was man sich wünschen kann. Wenn man es sich leisten kann. Die meisten Camps kosten zwischen $300 und $450 pro Woche/ pro Kind.

Ein solches Camp unterhält auch unsere amerikanische Landeskirche hier. Malerisch in den Bergen gelegen, 20 min vom Strand entfernt (mit dem Auto), liegt Mt. Cross. 7 Wochen lang bietet es Camps an für Familien und Kinder, Jugendgruppen und „special friends.“ Und in jeder Woche brauchen sie einen Sherpa, einen Pastor als Seelsorger für die Mitarbeiter. Mein perfekter Sommerjob.

Also packten Toni und ich unsere Koffer und reisten ins Camp. Es ist perfekt: Wir haben ein Zimmer, bekommen 4x am Tag echt amerikanisches Essen, lernen die christlichen Jugendlieder, baden, basteln, wandern, lesen. Toni darf alles mitmachen, was im Camp angeboten wird. Ab und an führe ich Seelsorgegespräche. Dazu eine Miniandacht am Tag. Fertig. Kostenloser Urlaub für uns beide.

Das Essen bringt Toni zum Juchzen und zum Verzweifeln. Pizza und Taco-Schüssel, Pancakes und Obst sind super. Aber Wurst-Fladen zum Frühstück? Oder frittierte Bratkartoffeln? Süßes Maisbrot zu Chili con Carne? Alle anderen überfutterten sich an „Grilled Cheese“ (2 ziemlich nüchterne Toastscheiben mit viel Käse dazwischen, gegrillt), Toni isst Gurken. Selbst der Nachtisch ist Toni eigentlich immer zu süß. Einige Tage lebte sie von der Salatbar. Na, das gehört alles zur amerikanischen Erfahrung dazu.

Nächstes Jahr kommen wir hoffentlich trotzdem wieder.

Pizzaparty für alle

„Jeden 2. und 4. Freitag im Monat laden wir alle unsere Nachbarn, Freunde und Bekannte zur Pizzaparty ein ab 17.00.“, schrieb eine Frau in einer Facebookgruppe. Und: „Wenn ihr auch eingeladen werden wollt, sagt Bescheid.“ Das ließ ich mir nicht 2x sagen.

Da war sie: unsere Partyeinladung von Menschen, die wir nicht kannten. An einem 2. Freitag radelten die Kinder und ich also einige Straßen weiter, klingelten an der Tür – und wurden wie alte Freunde begrüßt. „Kommt rein, guckt euch nicht um, ich hab nicht aufgeräumt.“

Die Gastgeberin konnte nicht wissen, dass schon dieser Satz mein Wohlgefühl weckte. Hier wird nichts versteckt, nichts extra hergerichtet. Eine 5-köpfige Familie lebt hier samt Hunden. Da ist das Chaos vorprogrammiert. Und niemanden stört es.

„Tut mir leid, dass wir zu spät sind.“, sage ich um 17.30. T. lacht. „Ihr seid die Ersten. Macht’s euch gemütlich.“ Die Kinder verschwinden sofort in die 2 Kinderzimmer und T erzählt. Davon, dass sie schon immer diesen Wunsch hatte, regelmäßig viele Menschen einzuladen. Dass Pizza sich perfekt eigne. Jeder kann Belag mitbringen oder Desert oder Wein oder einfach sich selbst. Sie kaufen einfach riesige Mengen Käsetiefkühlpizza beim Großmarkt und füllen das Gefrierfach ihrer Nachbarn und ihr eigenes damit.

So wird der Abend zum „Slow-Food“-Erlebnis. Eine Pizza nach der anderen wird belegt und gebacken. Nach wenigen Minuten fühle ich mich dazugehörig. Wir reden über Jobs und Kinder, das Leben und Kirche. Denn viele der Anwesenden gehen in die episkopale Kirche. So viele Christen auf einem Haufen in Berkeley hatte ich noch nie. Die erste Stunde futtern die Kinder alles weg. Als sie endlich abegfrühstückt sind, dürfen wir Erwachsenen ran.

Und ich denke mir: So könnte Kirche sein. Jeden 2. und 4. Freitag im Monat gibt’s Pizza im Pfarrhaus. Kommt auf meine Wunsch- und To-Do-Liste. Wir freuen uns schon auf den 4. Freitag im Monat!

Wunder geschehen

Wir haben kein Auto. Im Alltag ist das kein Problem. Wir radeln durch Berkeley und wenn ich doch mal einen Großeinkauf machen muss oder zu viele Kinder auf einmal transportieren, dann haben wir Freunde, die uns ihr Auto leihen. Sie bringen es mir sogar in der Früh und holen es abends wieder ab, wenn es aufgeladen werden muss. Schon das ist unglaublich.

Im Sommer kommen meine Mama und Schwester uns besuchen und zu 6 wollen wir den Yosemitepark erkunden. Ein riesiges Zelt habe ich schon besorgt, Isomatten können wir uns ausleihen. Blieb nur das Autoproblem. Denn außerhalb der Städte ist der öffentliche Nahverkehr ziemlich dürftig.

Ein Blick in die Autovermietungen: kleines Auto kostet $600 für 2 Wochen, großes $1200. Schluck. Das geht natürlich nicht. Aber die letzten Monate hier haben mich Geduld und Ruhe gelehrt. Keine Panik, eine Lösung wird sich finden.

Sie kam in Gestalt einer Bekannten. Wir trafen uns beim Sport, unsere Töchter sind fast gleich alt. Maija ist finnische Komponistin und macht hier ihren PhD mit 3 Kindern und Mann. (Zu ihr ein andermal mehr.) Sie lud mich zu ihrem Konzert ein, ich ging hin. Danach hörten wir lange nichts mehr voneinander, einfach zu viel zu tun.

Dann eine SMS von ihr: Wir fahren über den Sommer nach Finnland, wollen wir uns vorher nochmal treffen? Klar! Nach nicht einmal 5 Minuten fragte sie mich: „Habt ihr inzwischen ein Auto?“ – „Nein.“ – „Wollt ihr über den Sommer unseres haben?“ – Mir fielen fast die Augen aus. „Es hat 6 Sitze und ich wäre froh, wenn es nicht bei uns vor der Haustür stehen würde. Nicht, dass das jemand beobachtet und es klaut.“ Da war es , mein Wunder. Eine riesige, automatische Familienkutsche für 10 Wochen (mit der ich erstmal einparken üben muss). Wir müssen nur die Versicherung zahlen.

Das heißt: Wir haben ein Auto und ein Zelt. Wir können Urlaub machen, wo wir wollen. Hurra!

Alltagsengel

Unsere Wohnung kam zwar möbliert. Aber einige Kleinigkeiten fehlten mir noch zum Glück. Zum Beispiel ein Schreibtisch. Denn den vorhandenen bekam natürlich unser Schulkind (für Hausaufgaben, die sie sowieso am Küchentisch macht, ist ja klar).

Auf dem Weg, um eine geschenkte Fossil-Handtasche abzuholen, entdeckten Toni und ich einen passenden Tisch. Aus zerschundenem, irgendwie geliebt aussehendem Holz mit 3 Schubladen. Perfekt. Wir hielten und inspizierten ihn. „Sieht gut aus. Wir kommen nachher mit dem Auto zurück und holen ihn.“, beschlossen wir.

Auf der gegenüberliegenden Seite beobachtete uns eine Frau. Sie war gerade mit ihrem großen Pick-up heim gekommen. „Braucht ihr Hilfe?“, fragte sie uns. Ich guckte überrascht und verstand die Frage nicht ganz. „Hm, also wir mögen den Tisch. Aber wir können ihn jetzt natürlich nicht mitnehmen. Wir kommen einfach nachher wieder.“, erklärte ich.

„Braucht ihr Hilfe?“, wiederholte sie.

„Ähm, ja, also würden sie mir den Tisch fahren?“, fragte ich ungläubig. „Es ist auch wirklich nicht weit, vielleicht ne halbe Meile.“

„Ja, klar, ich dreh nur kurz den Wagen.“ Gesagt, getan. Sie wendete, wir luden den Tisch mit ihrer Sackkarre ins Auto und dann fuhr sie ihn mir hinterher bis vor die Haustür.

Das ist Berkeley! Wo eine fremde Frau einer anderen fremden Frau einen am Straßenrand gefundenen Tisch nach Hause fährt. Einfach so. Weil sie es kann. Engel gibt’s eben doch.

Hochsicherheit am Badesee

Mitte Juni und endlich Sommer! Temperaturen über 30 Grad am Wochenende. Ab an den See. Lake Anza wurde uns empfohlen. Ein kleiner See im Naturschutzgebiet Tilden hoch über Berkeley. Er koste zwar Eintritt, dafür gebe es Sand und Schatten, Klos und Rettungsschwimmer.

Mit dem geliehenen E-Auto von Freunden quälten wir uns die steilste Straße Berkeleys hoch. Gefühlt rollten wir rückwärts. Abwärts ist die Strecke übrigens auch nicht harmloser. Es ist wie beim Skifahren auf der schwarzen Piste. Da sieht man die halsbrecherische Tiefe auch erst, wenn man schon auf dem Weg nach unten ist.

Gegen Mittag war das Freibad noch angenehm leer. Also raus aus den Klamotten, rein in die Badesachen. Theo mit Schwimmgürtel und Schwimmflügeln ausgestattet. Tonis Flügel vorsichtshalber mit ans Wasser genommen gegen erlahmende Arme. Und ab in den See.

Bis zur ersten Absperrung nach ca. 5 m = Hüfthöhe bei Theo! Bis hier dürfen alle Kinder und Eltern. Die nächsten 5m sind für Kinder von Eltern, die den Schwimmtest bestanden haben. Also marschierte ich zum ca. 18-jährigen Rettungsschwimmer und meldete mich zum Schwimmtest. „Du musst 15m kraulen, Kopf unter Wasser mit seitlicher Atmung.“ Oha, kann ich das noch? Hab ich mal gelernt in meiner Jugend, aber ewig nicht gemacht. Aber Blamage ist nicht drin. Ich drückte Toni meine Brille in die Hand und nahm die Herausforderung an. Hab sie auch gemeistert. Gut, ich schwamm schräg und zu weit, hab ja nichts gesehen ohne Brille, aber dass Abzeichen in Form eines Armbandes bekam ich überreicht. Puh.

Hurra, ich kann schwimmen!

Ich vermute, 60% der Deutschen würden diesen Test nicht bestehen. Aber hier in den USA lernt man als erstes Kraulen, nicht Brustschwimmen. Und Regel ist Regel.

Nun durfte Toni ihre Schwimmübungen unter meiner Aufsicht und den Augen von 6 (!) Rettungsschwimmern in hüft- bis halstiefem Wasser fortsetzen. 2 standen auf den Wachttürmen, 2 wateten im Wasser herum, 1 paddelte im 3 Bereich auf einem Board und 1 lief zwischen allen hin und her. Sie waren fast schon eine Planschbehinderung.

Auf der anderen Seite des Sees badeten einige ganz Wagemutige. Außerhalb des abgesperrten Bereichs. Also Megafone rausgeholt und reingebrüllt: „Es ist strengstens verboten… Verlassen Sie sofort das Gewässer.“ Und das Wunder: Die Leute gehorchten.

Alle 90 Minuten wurden alle Kinder unter 16 Jahren aus dem Wasser gescheucht. „15 Minuten Pause: Findet eure Familien, trinkt was, esst was, schmiert euch mit Sonnencreme ein und geht aufs Klo.“, lautete die detaillierte Anweisung. Blöd, wenn man gerade erst ins Wasser gegangen war. Austricksen ging nicht, denn: „Die 15 Minuten beginnen erst, wenn das letzte Kind das Wasser verlassen hat.“

Bei aller individuellen Freiheit, die Amerikaner so schätzen, ist ihre Hörigkeit gegenüber Autoritäten immer wieder erstaunlich. Regeln müssen eingehalten werden. Egal, wie absurd sie sind.

Nach einigen Stunden traf Theo seinen Kindergartenfreund Ashton. Nach wenigen Minuten waren sie im schönsten Wasserpistolenkampf. „Bis zur ersten Absperrung darfst du gehen“, rief ich ihm zu und blieb mit Toni, die sich gerade aufwärmen musste, am Ufer stehen. Einige Minuten später kam ein aufgebrachter Rettungsschwimmer auf mich zu. Ich müsse mich in der Nähe meines Kindes aufhalten! Am besten direkt neben ihm.

Nun stiefelte ich dem davon sichtlich genervten Theo hinterher durchs Wasser, wurde ständig „aus Versehen“ nass gespritzt und drehte mich alle paar Sekunden nach Toni um, die nun „unbeobachtet“ spielte. So entspannt hatte ich mir meinen Samstag vorgestellt. Während Theo seine Pistole lud, stand ich 2 Schritte hinter ihm, ein Rettungsschwimmer 4 Schritte neben ihm. Sicherer geht es nicht. Bis ein weiterer Rettungsschwimmer auftauchte. Mit Tunnelblick ging er auf Theo zu, ignorierte mein Winken und fragte „Wo ist deine Mama?“ Ich wedelte hysterisch mit den Armen. Er sah mich. Allgemeine Erleichterung.

Selbst unsere Schwimmflügel wurden mokiert. Ob ich meinem Kind nicht sicherere Schwimmhilfen geben wolle? Aus Styropor? Die hier könnten platzen und dann würden die Arme der Kinder hoch gerissen (wieso eigentlich nicht runter?) und sie würden jämmerlich ertrinken (im knietiefen Wasser). Wir könnten die sicheren Hilfen kostenlos ausleihen. Ein Blick zu Toni, sie nickte, ok, dann machen wir das. Schwimmflügel ausziehen, Styropor-Flügel-Westen-Kombination anziehen. Zu klein. Na, wir haben guten Willen bewiesen.

Toni fand alles witzig und machte sich eine Spaß draus. Sie „schwamm“ zur ersten Absperrung und zappelte dann wie wild herum. Philipp fand es unterhaltsam, der Rettungsschwimmer nicht.

Fazit: Da fahren wir nicht wieder hin. Oder erst nach 18.00. Dann hat die Seenotrettung Feierabend. Und der Eintritt ist frei.

Ich denke nicht, dass du ein Rassist bist…

Bei der letzten Elternbeiratssitzung des Schuljahres ging es heiß her. Als offizielle Parliamentarian muss ich auf die Einhaltung der Regeln pochen, die Uhr im Blick behalten und für Fairness sorgen. Gute Übung für kommenden mind. 350 Kirchenvorstandssitzungen in meinem Leben.

Stein des Anstoßes war die Frage des Ortes für das „Back-to-school-picknick“ Ende August. Die letzten Jahre fand es stets im San Pablo Park statt. Ein großer Park samt Spielplatz im Süden Berkeleys. Also dort, wo Menschen wie wir wohnen, die sich keine Villa in den Hügeln leisten können. Mittelschicht, Arbeiter, Arme, mehr Schwarze als Weiße. Unsere Schule ist im Villenviertel. Die Kinder kommen aber per Schulbus aus ganz Berkeley.

Im San Pablo Park zu feiern ist also mehr als eine Party. Es ist ein politisches Zeichen: Wir (Reichen, Weißen) kommen zu euch (Armen, Schwarzen). Für Fairness und Gerechtigkeit.

Der Park steht auch für Gewalt am hellerlichten Tage. In den vergangenen Jahren gab es dort Schießereien, Hüpfburgen wurden getroffen, Eltern drückten ihre Kinder auf den Boden. In den Fenstern angrenzender Häuser landeten Kugeln.

Seitdem gibt es nicht wenige Familien, die diesen Park meiden. Unter ihnen Freunde von uns. Also setzte ich mich im Elternbeirat dafür ein, das Picknick in einem anderen Park zu veranstalten. Für Inklusion.

Unser afro-amerikanischer Präsident Daryl nahm diesen Vorstoß sehr emotional auf. Ich dachte mir nichts weiter dabei, kenne ihn bisher kaum. „Vielleicht ist das einfach seine Art?“ Nach hitziger Debatte stellten wir fest: Im San Pablo Park ist an dem Tag schon eine Großveranstaltung der Stadt, wir müssen uns einen anderen suchen. Thema erledigt.

Nach der Sitzung kam Daryl nochmal auf mich zu: „Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich nicht denken, dass du ein Rassist bist.“ Ich guckte ihn verwirrt an: „Wieso sollte ich denn ein Rassist sein?“ Und dann begann ein 15-minütiges Gespräch, an dessen Ende wir beide viel gelernt hatten.

Er: „Du willst nicht in dem Park feiern, weil du Angst hast vor Menschen wie mir.“

Ich: „Hä?“

Er: „Vor schwarzen Menschen.“

Ich: „Oh, ich hatte gar nicht daran gedacht, dass die schwarz sind. Ich hab nur an ihre Waffen gedacht.“

Er: „Weil du sie nicht als Menschen siehst.“

Ich: „Doch, klar seh ich sie als Menschen.“

Er: „Nein, dann würdest du auch sehen, dass sie schwarz sind. Oder siehst du keine Farbe? (ACHTUNG schwerer Vorwurf der Colorblindness!!)“

Ich: „Ich sehe natürlich die Hautfarbe. Aber ich lebe noch nicht so lange in Berkeley. Seit Januar gab es da keine Schießerei. Deshalb hab ich keine Berichte gelesen oder Fotos von Verdächtigen gesehen. Und mir gar keine Gedanken darüber gemacht, ob das Schwarze oder Weiße waren.“

Er: „Aber du weißt doch, statistisch sind es fast immer Schwarze, die schießen.“

Ich: „Ja, das weiß ich. Aber das heißt doch nicht, dass es immer so ist.“

Er: „Nein. Trotzdem, die Leute haben Angst vor Menschen wie mir.“

Ich: „Meine Freunde wohnen dort, sie haben schwarze Freunde. Sie haben einfach nur Angst vor der Gewalt.“

Er: „Vor der Gewalt von Leuten wie mir. Und das zählt nicht. Sie haben schwarze Freunde, die so sind wie sie. Gebildet.“

Ich: „Gebildet wie du, ja. Und sie haben Angst vor der Gewalt von Idioten mit Waffen. Egal, welche Hautfarbe sie haben.“

Er: „Leider sind das meistens Schwarze in den USA.“

Ich: „Ja.“

Er: „Verstehst du, warum mich das Thema emotional so betrifft?“

Ich: „Ja. Verstehst du, warum ich hier für Inklusion bin, statt für ein politisches Zeichen?“

Er: „Nein. Wer nicht in den Park kommen will, schließt sich selbst aus.“

Danach haben wir einander noch 5 Minuten lang versichert, wie wichtig es ist, offen zu reden. Selbst, wenn man am Ende nicht einer Meinung ist. Aber wenigstens wissen wir nun beide, dass ich keine Rassistin bin. Immerhinque.