Komplimente, Komplimente, Komplimente!

„I love your bike!“ ruft mir eine Frau beim Aussteigen aus der S-Bahn zu. „Great bike“, sagt ein anderer Radfahrer im Vorbeifahren. Herrlich! Kein Tag vergeht hier, ohne dass ich Komplimente bekomme. Oberflächlich? Klar. Aber wunderschön! Es schmeichelt meiner Seele, wenn mich die Kindergärtnerin begrüßt mit: „Wow, was für ein schöner Mantel!“ Es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen, wenn meine Chorsitznachbarin meine Strickjacke lobt. Denn ich fühle mich in diesem kurzen Moment angesehen.

Heute hab ich das 1. Mal selbst Komplimente verteilt. Als Norddeutsche muss ich das erst wieder üben. Und es bereitet mir Freude, Freude zu verbreiten. Toni hingegen ist ein absolutes Naturtalent. Neulich beim Kirchencafé sagte sie zu der älteren Dame neben sich als Gesprächseinstieg: „Du hast aber schöne Ohrringe.“ Eine Woche später trafen sich die beiden wieder und Toni bemerkte: „Heute hast du auch sehr schöne Ohrringe an, aber andere als letztes Mal.“ Die Dame strahlte übers ganze Gesicht!

Ist das eine inflationäre Verwendung von „lieben“ und „mögen“? Eine Entwertung der Begriffe? Geht das überhaupt? Ich werde auf jeden Fall wieder üben, an anderen Menschen das Wunderschöne zu sehen und es ihnen auch zu sagen. Egal, ob ich sie kenne oder nicht. Weil es einfach schön ist, schön zu sein. Und weil es noch schöner ist, wenn es ein anderer ausspricht.

Rasse? Weiß (700)

Ob es verschiedene menschliche Rassen gibt? In den USA lautet die Antwort definitiv JA. Und ein Rassist ist hier, wer das verneint. Da muss ich jetzt lernen, umzudenken.

Bei jeder Anmeldung, ob bei Kita, Schule oder Chor, wird die Rasse abgefragt. Optionen sind: asiatisch, schwarz, latino, Ureinwohner, weiß. Jede Rasse hat eine Nummer. Weiß ist 700. Auf manchen Bögen kann man sogar die Prozentzahl der jeweiligen Rassenanteile angeben. Extrem befremdlich für uns. Mein erster Impuls war: Was für ein Quatsch. Das befördert doch nur die Segregation.

Wie so oft im Leben, ist es mal wieder nicht so einfach. Dass die Rasse angegeben werden muss, verdankt sich einem Minderheitenschutzgesetz, für das Martin Luther King Jr. damals kämpfte. Ziel ist es, über bestimmte Quotenregelungen Bildungschancen für Kinder aus Minderheiten (also alle nicht-weißen Rassen) zu eröffnen. Seitdem Kalifornien dieses Gesetz für die Unis gekippt hat, ist der Prozentsatz an schwarzen und andersfarbigen Studenten massiv gesunken.

Nun könnte man grundsätzlich argumentieren, dass es ja an der Uni nicht um Rasse, sondern um Können geht. Da jedoch die Bildungsvoraussetzungen noch immer extrem unterschiedlich sind, bedarf es anscheinend auch im 21. Jahrhundert noch einer Quote. Abschaffen wollen diese Quote zur Zeit vor allem weiße, alte Männer…

Theo oder Die totale Verweigerung

Theos Überlebensstrategie zur Zeit ist: Totstellen; Stummstellen, Taubstellen, Sturstellen. Kurz, er versucht einfach zu ignorieren wo er lebt.

Heute sagte er zu mir: „Mama, ich wohne nicht in Amerika.“

Ich: Doch, wir wohnen jetzt hier.

Theo: „Nein, ich wohne in Hamburg. Hier bin ich nur kurz zu Besuch.“

Das erklärt einiges. Denn Theo geht zwar seit 4 Wochen hier in den Kindergarten. Behauptet aber, nichts zu verstehen. Nicht einmal seinen eigenen Namen. Er findet alle anderen blöd. Letzte Woche sagte er: „Mama, ich möchte ein Riese sein. Dann kann ich den Kindergarten zertrampeln.“ Warum? „Weil da alle doof sind und englisch sprechen.“ Was möchtest du für einen Kindergarten? „Einen, in dem man deutsch spricht. In Hamburg.“ Jeden Morgen diskutiert er und fleht, bittet, bettelt darum, nicht in die Kita zu müssen.

Theo: „Alle anderen sind blöd. Und ich tue so, als ob ich auch blöd wäre.“

Mein Mutterherz möchte in solchen Momenten schier zerspringen. Ich frage mich, was ich meinem kleinen Jungen antue, ob er Schaden nimmt. Da tut es gut, Erfahrungsberichte anderer Eltern zu hören.

Eine norwegische Bekannte mit 2 Kindern (3 und 5) erzählte, dass ihre Samstage monatelang aus schreienden, durchdrehenden Kindern bestanden. Weil die beiden ihren Frust von der Woche rauslassen mussten.

Ein anderer berichtete von seinem Sohn, der, bis er in die Vorschule kam, kein Wort Englisch sprach. Nach einigen Wochen erklärte er: „Die Schule soll tot sein!“

Das hilft zwar Theo im Moment nicht, beruhigt aber mein Gewissen ein bisschen. Hoffentlich können wir in einigen Monaten gemeinsam über diese erste schwere Zeit lachen. Auf Englisch und auf Deutsch.

Brot für die Hunde – Nudeln für die Menschen

Pastorin Kerstin und ich laufen durch San Francisco. Ein vielleicht 20-minütiger Fußweg zur Bahn im Zentrum der Stadt. Am hellerlichten Sonntag. Wir biegen um eine Kurve und sind mitten im Slum. Auf den Fußwegen liegen, sitzen, stehen Obdachlose. Einige bieten uns Marihuana zum Verkauf an (obwohl Kerstin im Colarhemd eindeutig als Klerikerin erkennbar ist.) Die Glücklichsten haben ein Zelt. Die meisten vegetieren vor sich hin.

Plötzlich kniet vor mir eine alte Frau. Sie klaubt mit den Fingern Nudeln vom Boden, die irgendwer im Vorbeigehen fallen ließ. Sie isst die Nudeln, so dreckig wie sie sind. Ich bekomme eine Gänsehaut, so erschüttert bin ich.

Es gibt in der Bibel bei Markus eine Geschichte von der syrophönizischen Frau. Sie trifft Jesus und bittet ihn, ihre Tochter zu heilen. Jesus weigert sich mit der Begründung, sie sei keine Jüdin, kein Kind Gottes: „Laßt zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Und die Frau antwortet ihm: „Du hast Recht, Herr, aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen.“ Diese Geschichte hat mich schon immer geärgert. Wie Jesus mit dieser Mutter umgeht. Wie sehr sie sich erniedrigen muss, um seine Hilfe zu bekommen. Zugleich ist es eine wunderbare Geschichte, die zeigt: Jesus musste erst lernen, dass er zu allen Menschen gesandt ist. Nicht nur zu Juden, nicht nur zur Christen. Und Jesus hat es gelernt, nicht zuletzt dank der Syrophönizierin, die für ihre Tochter alles getan hätte. Sogar vom Boden gegessen. Jetzt habe ich ein Bild zu der Geschichte. Und es treibt mir die Tränen in die Augen.

Rumänien ist nichts dagegen I: Obdachlosigkeit

Ich bin mir nicht ganz sicher, für wen der Vergleich schwerer zu ertragen ist: meine rumänischen oder meine amerikanischen Freunde. Aber ich hatte in den letzten Wochen immer wieder das Gefühl: Das ist hier schlimmer als in Rumänien. Der Straßenbelag ist eine Katastrophe, die Autobahnen hier haben Schlaglöcher (in Rumänien übrigens nicht, gibt halt kaum welche dort…), vor allem aber die Armut.

In Rumänien habe ich fürchterliche Armut gesehen. Obdachlose im eisigen Winter auf den Straßen von Bukarest. Bettelnde alte Mütterchen, die Mitleidsblumen verkauften, zerlumpte Kinder.

Hier ist die Armut noch erbärmlicher. Weil sie hoffnungslos ist und urban. Weil es nicht einmal mehr Blumen oder Äpfel zu verkaufen gibt, um sich selbst zu helfen. Weil hier Familien nicht mal mehr in Blechhütten hausen, sondern einfach auf der Straße. Wenn sie Glück haben, campen sie mitten auf dem Fußweg. Oder kommen für eine Nacht in einer Notunterkunft unter. Aus der sie morgens um 6.30 wieder rausmüssen. Andere leben in ihren Autos oder können sich ab und an ein Motel leisten.

Obdachlos wird man hier relativ „leicht“. Die Gründe sind interessanterweise dieselben, die uns in St. Petersburg im Mai 2018 genannt wurden: Krankheit, Jobverlust (Arbeitslosengeld gibt es nur 6 Monate und davon kann man keine Miete zahlen), horrende Mieten (Familien zahlen 50-70% ihres Einkommens für die Miete; bei uns sind es 60%…), Häusliche Gewalt. Klar, auch Drogen. Aber die meisten beginnen damit erst auf der Straße.

Im Süden von Berkeley erweitert sich die „Zeltstadt“ der Obdachlosen täglich. Auf den Straßen begegnen sie einem immer und überall. In der S-Bahn schlurfen die Verlorensten unter ihnen umher, denn hier ist es trocken und warm.

Wir erleben hier täglich eine menschliche Misere, von der ich nicht geglaubt hätte, dass es sie in einem westlichen Industriestaat gibt. Viele der Obdachlosen sind psychisch krank und bräuchten dringend Hilfe. Zugleich ist dies zum Großteil ein Grund für ihre Obdachlosigkeit. Unter dem damaligen Governor Ronald Reagan wurden in den 1980ern die meisten Psychiatrien geschlossen. Wer heute an einer Depression oder Burnout oder gar etwas Schlimmerem erkrankt und vorher nicht bzw. nicht besonders gut krankenversichert war, hat ein extrem hohes Risiko, auf der Straße zu landen.

Das macht den Umgang mit vielen Obdachlosen ambivalent. Einerseits empfinde ich enormes Mitleid und möchte helfen. Andererseits warnen mich alle vor zu viel Kontakt. Weil man eben nie weiß, ob und wie krank der andere ist und zu welchen Handlungen er deshalb fähig ist. Zuerst dachte ich: Das ist wieder typisch. Man schützt sich mit eingeredeter Angst davor, das Elend anzusehen. Aber einige skurrile Erlebnisse später bin ich etwas vorsichtiger geworden.

Situation 1: Toni und ich gehen zur S-Bahn nach der Kirche, es stinkt (wie immer) nach Marihuana und ich erkläre Toni, was das ist. Da sagt sie: „Mama, der Mann hat gerade direkt vor meiner Nase auf die Straße gepinkelt.“

Situation 2: Toni und ich sind mit unseren Rädern unterwegs und nehmen den Fahrstuhl. Es stinkt entsetzlich nach Urin. Auf dem Rückweg weigert sich Toni standhaft, noch einmal einzusteigen. „Mama, du glaubst doch nicht, dass ich nochmal in so ein Stinkeding geh.“ Ich muss wohl oder übel 2 Räder die lange Treppe runtertragen.

Situation 3: Toni und ich steigen in die S-Bahn und setzen uns hin. Im Vierer neben uns sitzt eine Familie. Keine Minute später hat Toni den nackten Hintern des Vaters quasi im Gesicht. Wenige Zentimeter waren dazwischen…

Situation 4: Ich warte auf die S-Bahn, bin ziemlich in Gedanken versunken. Die Bahn fährt ein, die Tür öffnet sich, ein Mann kommt schwankend raus. Ich gucke ihn geistesabewesend an, stutze, gucke nochmal: seine Hose hängt ihm in den Kniekehlen (das ist hier noch nichts Ungewöhnliches), er trägt keine Unterhose (das ist ungewöhnlich). Trotz aller FKK-Erfahrung war ich kurz geschockt. Und froh, dass Toni diesmal nicht dabei war. Denn sein Penis baumelte auf ihrer Augenhöhe. Neben mir standen zwei Sicherheitsbeamte der Bahn. Sahen den Mann, lästerten über ihn, taten nichts. Keiner, der ihn gebeten oder ihm gar geholfen hätte, die Hose hochzuziehen.

Erschreckend viele junge Menschen, fast noch Kinder, leben auf der Straße. Ein Grund: Pflegefamilien werden nur bis zum 18. Geburtstag des Pflegekindes bezahlt. Danach landen die Jugendlichen oft auf der Straße. Ohne Highschool-Abschluss, ohne Ausbildung, ohne Geld.

Dass die Obdachlosigkeit ein politisches Problem ist, sickert dennoch erst langsam durch. Zu tief sitzt der Glauben an folgendes Märchen: „Hier gibt es so viele Obdachlose, weil das Wetter so gut ist. Die Menschen kommen aus den gesamten USA hierher, um hier auf der Straße zu leben. Dass es Notunterkünfte gibt, macht es nur attraktiver.“

Rein statistisch ist das falsch. Selbst die Doku, die wir auf auf Fox-News sahen, musste das zugeben. Über 90% der Obdachlosen waren zuvor als Bürger mit Wohnsitz dort gemeldet, wo sie nun auf der Straße leben. Das anzuerkennen, würde bedeuten, dass die gesamte Sozialpolitik gescheitert ist. Und das kann sich kein Politiker leisten…



Schneewarnung

Gestern Abend erhielt Philipp eine Email von der Uni:

„Liebe Mitarbeiter! Für morgen meldet der Wetterbericht Schnee und Hagel in einigen Teilen von Nordkalifornien. Bitte fahren sie vorsichtig. Wenn sie aufgrund des Schnees etwas länger zur Arbeit brauchen, dann ist das kein Problem. Ihre Sicherheit ist das Wichtigste.“

Daraufhin checkten wir den Wetterbericht für Berkeley: 10 Grad, etwas Sonne, etwas Regen. Schnee gibt es nur in den Bergen – eventuell.

Das wäre wahrscheinlich die deutsche Email gewesen: „Liebe Mitarbeiter! Für morgen meldet der Wetterbericht Schnee und Hagel in einigen Teilen Norddeutschlands. Bitte fahren sie vorsichtig und rechnen sie mit längeren Anfahrtswegen und Staus. Fahren sie bitte früh genug los, um pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen.“

Update: Es ist ein herrlicher, trockener, sonniger Wintertag – ohne Schnee…

I love kids – Ratschläge von anderen Müttern

Helikoptereltern bekommen hier nochmal eine ganz neue Bedeutung. Unsere deutschen Exemplare sind nichts gegen die amerikanischen Eltern. Denn hier passt man nicht nur auf die eigenen Kinder auf, sondern auch auf fremde.

Ich hole Toni immer mit dem Rad vom Schulbus ab. Sie setzt sich dann auf den Gepäckträger, ich schiebe und wir quatschen im Sonnenschein. Gestern sprang eine Mutter aus ihrem Auto und hielt mich an.

„Ich liebe Kinder! Sie sind das Beste!“ (SMILE SMILE)

Ich: Ja, das stimmt.

„Früher habe ich meine Tochter auch mal auf den Gepäckträger gesetzt. Und dann hat sie sich ihren Fuß ganz schlimm eingequetscht. Das war furchtbar.“
(SMILE SMILE)

Ich: Ja. Wir passen auf. (SMILE SMILE)

„Und meine Freundin hat eine Tochter, Jil heißt sie, die hat sich sogar mal beide Füße eingequetscht. Da muss man so aufpassen. Wirklich. Also, weil Kinder ja das Beste sind, was man haben kann.“ (SMILE SMILE)

Ich: Ja, danke für den Hinweis. Wir sind ganz vorsichtig. (SMILE SMILE) Einen schönen Tag noch.

Kurz hatte ich überlegt, ihr zu erzählen, dass sich Theo schon mal seinen Fuß in den Speichen hatte und der Fuß nur nicht gebrochen ist, weil er geschlossene Sandalen trug. Aber ich wollte die arme Frau nicht schocken.

Hey Sister!

Sonntag in der S-Bahn. Wie eigentlich bei jeder Fahrt läuft eine Obdachlose durch den Zug. Ruhig steht sie da und erzählt: „Ich habe 3 Kinder: 7, 9 und 13. Heute Nacht haben wir in einer Unterkunft geschlafen. Seit 2 Monaten sind wir obdachlos, nachdem wir vor häuslicher Gewalt geflohen sind. Jetzt sind die Kinder in der Schule und ich versuche, Geld für unser Abendessen zu besorgen und Essen für eine Schlafunterkunft. Ich bettel nicht. Ich bin nur eine Mutter, die versucht, für ihre Kinder zu sorgen. Bitte helfen sie mir. Gott segne sie.“

So schnell und sehr man hier abstumpft angesichts all des unfassbaren Elends, diese Frau bewegte die Menschen. Viele gaben ihr etwas Geld. Neben mir saß eine andere Obdachlose mit all ihrem Hab und Gut in 2 Müllsäcken. Sie las ein Buch. Als sie die junge Mutter hörte, rief sie durch den Zug: „Hey, Sister!“ Schließlich standen sie einander gegenüber, redeten kurz, teilten ihr Leid und die ältere empfahl der jüngeren eine sichere Unterkunft für alleinstehende Mütter. Und ich stand daneben und hätte heulen mögen über diese Ungerechtigkeit und meine eigenen, geringen Möglichkeiten, zu helfen: Ein Dollar auf den heißen Stein des Überlebens.

Kulturschock: Öffentliche Emotionen

Letzte Woche Donnerstag gab es in Tonis Schule ein Treffen der „Parent Teacher Association“. Wir hatten keine Ahnung, worum es gehen würde. Aber es gab Pizza für alle und Kinderbetreuung – mehr gute Gründe brauchten wir nicht, um hinzugehen.

Das Thema des Abends war „kulturelle Diversität“ und ein richtiger Umgang damit. Dazu schreib ich demnächst mehr, weil ich ab Ende Februar einen 6-wöchigen Abendkurs zum Thema belege.

Grundsätzlich, das habe ich inzwischen gelernt, werden hier vor allem „Stories“ erzählt. „Let me share a story with you!“ ist einer der häufigsten Einstiege. Und diese Stories sind vor allem: persönlich bis hin zu privat und hoch emotional!

Ich fühle mich dann oft wie auf einer Trauerfeier und bin entsprechend nah am Wasser gebaut. Beispiel: Die afro-amerikanische Rednerin erzählt von ihrem letzten Strandurlaub. Ihre Familie war die einzig schwarze Familie im ganzen Resort. „Ich habe mich unwohl gefühlt, unsicher. Ich hatte das Gefühl, angestarrt zu werden. Und die Leute haben auch gestarrt. Eines Tages kam dann eine 2. schwarze Familie an. Wir kannten sie nicht, aber sind ihnen mit offenen Armen entgegengerannt vor Freude. Und denen ging es genauso.“ Und das im 21. Jahrhundert im liberalsten Staat der USA…

Für mich als Norddeutsche ist das manchmal kaum auszuhalten. Ich merke, dass ich fremde Tränen außerhalb von Seelsorgesituationen echt schwer ertrage. Für alle anderen scheint das hier normal zu sein, wenn eine Mutter in Tränen ausbricht oder einem Vater die Stimme bricht beim Reden. Man hört aufmerksam zu, sagt am Ende „Thanks for sharing“, umarmt einander und dann geht es weiter. Vielleicht ist das ja das Problem: Dass die vielen Emotionen zur Entemotionalisierung führen. Hier rollen so häufig Tränen, dass sie nichts mehr auszulösen scheinen bei den anderen. Jedenfalls keine Kehrtwende im Leben oder im Verhalten oder im Umgang miteinander.

Hausaufgaben nerven!

Seit knapp 2 Wochen geht Toni nun schon in die Schule. Jeden Morgen wird sie vom Schulbus abgeholt und jeden Nachmittag wieder zurückgebracht. Eine wunderbare Erfindung. Warum gibt’s das eigentlich nicht in Deutschland?

Täglich kommt Toni mit ein paar lustigen neuen Wortversuchen nach Hause.

„Mama, wir hatten heute planschen.“ Dabei macht sie wilde Boxbwegungen. Ich: „Ah, punching!“

„Papa, Pferd heißt auf Englisch Horst.“

Und sie singt ständig „We shaw oercome…“ Martin Luther King zur Ehre.

„Ich habe heute wieder was abgeschrieben. Keine Ahnung, was.“

„Mama, ich rede einfach immer irgendwas, wenn ich gefragt werde. Heute mussten alle lachen. Ich wurde was gefragt und hab gesagt „I need to go the bathroom“. Zum Glück nimmt Toni das Ganze mit Humor.

Letzte Woche nahm sie ihren kleinen Kuschelhasi mit in die Schule, „damit ich jemanden zum Unterhalten habe“.

Aber dass es 1x pro Woche Hausaufgaben gibt, nervt Toni extrem. An sich sind es undramatische Aufgaben. Doch wenn man kein Englisch spricht und das Alphabet noch nicht kann, ist Lesen lernen wirklich schwer. Toni schlägt sich tapfer und verzweifelt nur alle 3-5 Minuten… Sie muss ja alles andersherum lernen: erst schreiben und lesen, dann verstehen und schließlich irgendwann in naher Zukunft reden.