Fetter Dienstag oder Pancake Tuesday

Faschingsdienstag heißt hier „Marti gras“ oder auch fetter Dienstag. Bevor die Fastenzeit beginnt, müssen Fett und Eier verbraucht werden. Die beste Lösung: dicke, saftige Pfannkuchen. Zu genießen mit Butter und viiiiiiel Sirup. Also ungefähr so wie unser samstägliches Frühstück 🙂

Meine Freundin Mary geht dafür einmal im Jahr in ein französisches Café in Berkeley. In diesem Jahr lud sie mich ein, nach einem wunderschönen anglikanischen Gottesdienst, mitzukommen.

„It’s Pancake Tuesday“, begrüßt sie den Kellner. „Yes, it is.“ Und wirklich. Das Café ist gut gefüllt. Auf den meisten Tellern liegen dampfende Pfannkuchen. Ich entscheide mich für die „Ingwer-Zitronen-Blaubeer“-Variante. Himmlisch.

Seit heute habe ich eine neue Tradition.

Applaus fürs Publikum

Die beste aller Schwestern (nämlich meine) schenkte uns zu Weihnachten einen Konzertbesuch in San Francisco. Damit wir unseren Kulturbedarf nicht vergessen. 3 Wochen hatten wir also Zeit, um einen deutschsprachigen Babysitter für unsere Kinder zu finden. Dank Facebook kein Problem!

Also, auf ins Konzert! Die Davis Hall ist im politischen Zentrum der Stadt. Ein strahlendes Gebäude, von außen eher unscheinbar in UFO-Form. Eine kleine Garderobe lädt die Besucher ein, ihre Mäntel und Taschen abzugeben. Zum Glück entschieden wir uns angesichts der knappen Zeit dagegen. Denn es gibt anscheinend wirklich nur die eine Garderobe. Vor der sich eine ewig lange Schlange bildete nach dem Konzert. Fast wie in der Elphi, nur dass man da gar nicht erst zur Garderobe kommt ohne Fahrstuhl oder viiiiiiele Treppen steigen. Vielleicht ein Mittel der Kommunikationsförderung unter den Besuchern?

Der Konzertsaal erinnert stark an die Elphi in kleinerer Form. Die Ticketpreise können auch mithalten.

Bevor das Konzert begann, betrat ein Orchestermitglied die Bühne. Er hielt eine Lobeshymne auf das Publikum: „Ihr seid das beste und treueste Publikum der Welt. Ohne euch wäre all das hier nicht möglich. Wir sind euch so dankbar!“ Am Ende der Rede spendete das gesamte Orchester den Zuschauern Standing Ovation. Eine schöne Geste samt kurzzeitiger Umkehr der Verhältnisse.

In der Pause machte ich ein paar schöne Entdeckungen:

  1. 1 Glas Wein kostet $12, dafür kommt es auch im Plastebecher!
  2. Getränke dürfen im Wegwerfbecher samt Deckel mit in den Saal genommen werden. Bei den Preisen verständlich!
  3. Der Blick aufs Rathaus ist gigantisch.
Das Rathaus von San Francisco! Vielleicht bekomme ich irgendwann mal die Gelegenheit, dort ein deutsches Paar zu trauen! Bei Interesse bitte melden!!!! 🙂

Ach so, das Konzert war wunderschön! Der hocherwürdige Herbert Blomstedt dirigierte. Ich habe noch nie eine so klassisch klar dirigierte Pastorale von Beethoven gehört. Traumhaft.

Prinzip „Petzen“ oder Autoritär ohne Autorität

Wenn ich Theo aus dem Kindergarten abhole, versuche ich möglichst wenig Kontakt zu den Erzieherinnen zu haben. Am besten Lächeln, Anziehen, Raus, Durchatmen!

Nein, ich habe keine Autoritätsphobie entwickelt. Aber ich mag es nicht, wenn mir schlechte Dinge über meine Kinder erzählt werden. Also, wenn Theo ein anderes Kind verprügeln oder anspucken würde, wüsste ich das schon gern. Aber, dass er ein Stück vorgelaufen ist beim Spazieren gehen und nicht gleich reagiert hat aufs Rufen, ist mir ehrlich gesagt egal. Da erwarte ich von Erzieherinnen Durchsetzungsvermögen, Autorität, Konsequenzen. Zur Not nonverbale.

Hier gilt hingegen das Prinzip „Petzen“. Strafe bedeutet: Ich sag es deinen Eltern. (Das hat mich als Kind schon nicht beeindruckt.)

Erzieherin: „Theo wollte sich heute nicht zudecken beim Schlafen. Und er ist aufgestanden während der Mittagsruhe und hat sich neue Bücher geholt.“

Ich: „Hm, ja. Theo, warum nimmst du keine Decke?“ (Ich denke: Ist das ihr Ernst? Ist doch vollkommen egal.)

Theo: „Mir ist zu warm.“

Ich: „Also Theo möchte keine Decke zum Schlafen, er schwitzt dann. Er schwitzt immer beim Schlafen.“

Erzieherin: „Ja, aber alle Kinder haben hier ihre Decke.“

Ich: „Ja, Theo mag sie nicht. Theo, warum bist du aufgestanden?“

Theo: „Ich wollte mir Bücher holen, ich hatte schon alle angeguckt.“

Ich: „Theo ist aufgestanden, weil er sich neue Bücher holen wollte“

Erzieherin guckt langsam unwirsch.

Ich: (merke, dass ich jetzt die Situation retten muss): „Aber ich sage Theo, dass er liegen bleiben muss und von ihnen neue Bücher bekommt.“

Ich demonstrativ zu Theo: „Theo, du musst liegen bleiben und warten. Du musst auf die Erzieherin hören.“

Theo: „Das ist blöd.“

Ich: „Ja.“

Ich (zur Erzieherin): „Ich habe ihm gesagt, dass er auf Sie hören muss, auch wenn er nicht mag.“

Erzieherin geht zufrieden weg.

Erst dachte ich, es läge an der Sprachbarriere. Dann erlebte ich letzte Woche folgende Szene. Zwei Mädchen saßen auf ihren Klappbetten und hatten partout keine Lust, diese aufzuräumen. Mary bat sie zum wiederholten Male. Sehr freundlich. (Hier wird NIE rumgeschrien oder auch nur die Stimme erhoben gegenüber Kindern. Der Ablauf ist: Freundlich, freundlich, petzen, freundlich, Kind landet vor der Tür.) Ich harrte der Dinge, die da kämen. Nichts geschah.

Demonstrativ ging Mary 10 Schritte zu ihrer Kollegin Kathy und sagte zu ihr: „X und Y wollen ihre Betten nicht aufräumen.“ Mary kam wieder zurück und erklärte den beiden Mädchen: „Ich habe euch bei Kathy verpetzt. Jetzt bekommt ihr Ärger.“ X und Y nahmen ihre Betten und trotteten zu Kathy.

Das Verrückte: Gefühlt herrschen viel mehr Regeln in der Kita . Dafür darf man mit Schuhen, auf Socken oder barfuß umherlaufen und während der Mahlzeiten aufstehen. Oberstes Gebot: Befolgen, was die Erzieher sagen.
Keine von Theos Stärken. Autoritäre Leitung ohne konseuquente Autorität. Irgendwie schwer ernstzunehmen, da muss ich Theo zustimmen.

Als ich das Erlebnis einer Bekannten erzählte, lachte sie nur und meinte: Das bleibt so! Wenn einer ihrer Mitarbeiter unzufrieden sei, wende er sich stets an die Personalabteilung. Die rufe dann bei ihr an und bringe die Beschwerde vor. Direkte klärende Gespräche seien höchst selten. Andersherum werde das von ihr auch erwartet, sie halte sich nur nicht dran.

In Theos Fall sind wir Eltern also die Personalabteilung. Nur dumm für die Kita, dass ich natürlich immer auf Theos Seite bin. Nun wurschteln wir uns so durch und überlegen zu Hause alle gemeinsam, welche Regeln Theo unbedingt einhalten muss. Und welche er wie klug umgehen kann.

Theos soziale Intelligenz wird definitiv trainiert. Als ihn letzte Woche ein Junge anspuckte, sagte er es den Erziehern. Der andere bekam Ärger. Alles gut. „Aber“, so Theo, „Jacob haut alle, den hauen auch alle zurück. Ich lass mich doch nicht verprügeln.“ Stimmt auch irgendwie. „Lass dich nur nicht erwischen, Theo!“ Theo grinst.

Wer trägt soziale Verantwortung? Teil II

Für den guten Zweck kann man hier überall spenden. Per Scheck in der Kirche. Per Paypal für den Chor und die Schule. Fundraiser und Versteigerungen erleichtern das Geld geben. 

An den verschiedensten Orten sind Bürger zu Sachspenden aufgerufen für Bedürftige. Binden und Tampons für Obdachlose. Lange haltbares Essen.

Und die Menschen geben! 

Das ist wundervoll. Gleichzeitig ist es eigentlich unfassbar: in einem reichen Land wie Kalifornien sind so viele Menschen so arm, dass sie sich nicht einmal das Nötigste leisten können. Das Sozialsystem versagt. Ganze Familien leben auf der Straße oder in ihren Autos. Leider keine Einzelfälle. Man muss nicht arbeitslos sein, um sich hier keine Wohnung leisten zu können. Teilweise herrschen Zustände wie in Entwicklungsländern.

Ich frage mich, was in den USA mit den Steuern geschieht. Denn die Lohnsteuer ist nicht so gering wie erwartet. Philipp zahlt 25% seines Gehaltes, der Spitzensatz liegt bei 39,6% in Kalifornien. Der Unterschied zu Deutschlands 42% ist also verhältnismäßig überschaubar. Was hingegen quasi fehlt sind all die Sozialabgaben. Dafür müssen sich hier selbst staatliche Schulen durch Elternspenden bezuschussen lassen. Je reicher die Eltern, desto besser die Schule, desto reicher die Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken…

Tonis Chor besucht am nächsten Wochenende arme Familien und bringt ihnen Musik und Gegenstände des täglichen Bedarfs: Taschentücher, Stoppersocken, Creme und Seife. All das, was wir zu Weihnachten in Pakete gen Osteuropa stecken. Hier beginnt Osteuropa 10 Straßen entfernt von uns. Wo die Menschen in Garagen und VW-Bussen und Schrottvans leben.

Sei deines Glückes Schmied heißt hier auch: Hilf denen, die dir am Herzen liegen. Sozialabgaben erfolgen freiwillig und individuell in Form von Spenden.

Letzte Woche schrieb ein Vater in meiner Nachbarschaft: „Ich habe gerade erfahren, dass ein Klassenkamerad meines Sohnes (5) mit seiner Mutter auf der Straße lebt. Ich will den beiden helfen.“ Er initiierte „FundMe“ für die beiden, eine Website, die Geld für Bedürftige sammelt. Innerhalb weniger Tage waren $8000 Dollar zusammen. Genug, um einen Kleinbus zu kaufen oder eine Mietkaution zu hinterlegen. Die meisten spendeten zwischen $25-$100. Manche mehr. Auf der NachbarschaftsApp „Nextdoor“ boten Menschen konkrete Hilfe an: Ein Bett für die verregnete Nacht, eine Dusche, eine Mahlzeit, Kleidung. 

Vieles ist hier möglich, wenn man will. Ich habe das Gefühl, dass es hier

1) leichter ist, Menschen für Projekte zu begeistern. Man weiß, dass man sich auf den Staat nicht verlassen kann. Also tut man, was man kann.

2) leichter ist, in kurzer Zeit viel Geld zu sammeln. Wenn der Zweck die Menschen emotional berührt.

Wie schön wäre es, wenn wir in Deutschland unseren Sozialstaat mit dieser Haltung verbinden würden.

Wer trägt soziale Verantwortung? Teil I

Meine Antwort. Wir: Jeder Einzelne von uns. Wir gemeinsam: Die Gesellschaft. Die von uns für uns gewählten Menschen: Der Staat. Das wäre mein Idealfall. Wenn Staat, Gesellschaft und ich mit offenen Augen und Herzen den Menschen begegneten und hülfen, die Unterstützung benötigen. Wenn institutionelle und
individuelle Hilfe zusammenkämen.

In Deutschland haben wir ein ziemlich gut funktionierendes Sozialsystem. Klar, es gibt Mängel, Hartz IV beantragen ist ätzend, ich weiß das aus eigener Erfahrung, es könnte und müsste gerechter verteilt werden. ABER im Vergleich zu den USA ist Deutschland das reinste soziale Paradies. Für mich definitiv ein Grund, langfristig in Deutschland zu leben. Denn die Gefahr, hier irgendwann in Armut zu enden, sei es durch Krankheit, Jobverlust, Immobiliencrash, Zusammenbruch der Finanzmärkte, ist allgegenwärtig. Jeder unbefristete Arbeitsvertrag kann hier ohne Angabe von Gründen innerhalb von 2 Wochen aufgelöst werden. Interessante Interpretation von „unbefristet“.

Das Sozialsystem in Amerika darf nicht einmal so genannt werden. 1) weil es quasi nicht existiert. 2) weil „sozial“ immer gleich mit „sozialistisch“ gleichgesetzt wird. Und da bekommen die Amerikaner traditionell Pickel im Gesicht und Schweißflecken unter den Achseln. Manchmal hab ich das Gefühl, „socialism“ ist das neue kommunistische Feindbild. Der „McCarthysm“ des 21. Jahrhunderts. (In den 1950ern wurden in den USA Kommunisten verfolgt, führender Kopf war McCarthy.) Im gerade beginnenden Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft 2020 werben linke demokratische Bewerberinnen mit „sozialistischen“ Ideen wie allgemeiner Krankenversicherung, Arbeitslosengeld, kostenloser Schulbildung. Für die Republikaner ein massiver Eingriff in ihre amerikanischen Grundrechte, die da heißen: Ich bin für mich ganz allein verantwortlich. Für mein Glück wie für mein Unglück.

Oh, my Valentine!

Seit diesem Jahr liebe ich den Valentinstag. So, wie er hier gefeiert wird. Ein Tag der organisierten und absolut kommerzialisierten Liebes- und Freundschaftserklärungen. An alle, egal ob Freund oder nerviger Klassenkamerad oder gar Feind.

Vor zwei Wochen erhielten wir aus Schule und Kindergarten jeweils Listen mit den Namen aller Kinder aus Tonis Klasse und Theos Gruppe. Dazu der Hinweis: Falls ihr Kind Valentinskarten verschicken möchte. Naiv dachte ich: Ok, man schreibt seinen Freunden. Eifrig zählte Toni ihre Freunde auf und Theo suchte sich erstmals welche. Eine andere Mutter klärte michüber meinen Irrtum auf. Jeder schreibt jedem innerhalb einer Klasse. Super Schreibübung.

Also ab zu Target, Karten kaufen. Motive: Peppa Wutz, Spiderman, The Incredible. Wahlweise mit Magnet, Bleistift, Tattoo oder Aufkleber.

Aus pädagogischer Sicht finde ich das Gießkannenprinzip der Liebe sinnvoll. Gar geboten. Es verhindert lebenslange Traumata („Ich habe schon mit 5 als Einziger nur eine Valentinskarte bekommen. Und die war von meiner Mutter.“) und untergräbt den Wettbewerb um die meisten Liebesbekundungen.

Verändert eine Valentinskarte, die vielleicht nicht einmal ehrlich gemeint ist, ein Leben? Keine Ahnung. Was Toni und Theo lernen werden: Aast mit Liebe. Aast mit Komplimenten. Verbreitet Freude! Liebt wenigstens an einem Tag im Jahr alle Menschen, die per Zufall in euer Leben gepurzelt sind! Eure Freunde, eure Feinde und die, die euch sowas von egal sind. Und freut euch über all die Karten, die ihr bekommt. Von euren Freunden, euren Feinden und denen, die euch sowas von egal sind. Liebe heißt nicht nur romantisches Candellight-Dinner (obwohl es mal wieder schön wäre). Liebe beginnt noch nicht einmal immer im Herzen. Manchmal braucht sie etwas Nachhilfe vom Kopf. Vor allem bei nervigen Mitmenschen.

Ich glaube an die Macht von Worten und Zeichen. Selbst, wenn sie leer sind. Selbst, wenn ich das, was ich schreibe, (noch) nicht fühle. Aber der Anfang ist gemacht. Eine Minibrücke aus gekauften Herzen und kitschigen Karten ist geschlagen.

Oder, wie Paulus schreibt: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu…“ (1 Kor 13,4-5)

March for Life

Ende Januar fand in San Francisco unter der Beteiligung vieler katholischer und orthodoxer Kirchen der „March for Life“ statt. Gegen Abtreibungen. Die ELCA (Evangelisch-Lutherische Kirche von Amerika) war nicht dabei. Zum Glück.

Es herrschte super Stimmung. Manche Gruppen sangen, andere beteten Ave Marias, wieder andere tanzten. Die Sonne schien. Ein herrlicher Tag. Ein Tag zum Leben.

Zwei junge Frauen schrien der Gruppe zu: „Mein Körper, mein Recht. Mein Körper, mein Recht.“ Mehr Protest gab es nicht. Man könnte auch sagen, der Marsch verlief so gut wie unbemerkt. Wir waren die einzigen Zuschauer, die länger als einige Minuten stehenblieben. Theo und Toni liebten die Flaggen und Marienbilder und Jesusdarstellungen. Für sie war es Kino pur.

Hier sah ich die ersten pro Trump-T-Shirts. Zwischen vielen Kruzifixen und Luftballons in Babyform. Manche Frauen trugen Schilder, auf die sie die Daten ihrer eigenen Abtreibungen geschrieben hatten. Das rührte mich zu Tränen. Andere Frauen trugen Schilder wie „Ich vermisse meine Nichte, abgetrieben am…, und meinen Enkel, abgetrieben am…“ Das ärgerte mich. Weil sie andere Frauen verurteilen. In aller Öffentlichkeit.

Und die Obdachlosen schauten schimpfend zu. Eine Frau sagte: „Das Leben auf der Straße ist scheiße. Aber das interessiert die Freaks da nicht.“ Und ich dachte: „Recht hat sie.“

Im Vordergrund obdachlose Einwohner von San Francisco. Im Hintergrund der „March for life“.

Ein Marsch fürs Leben darf nicht nur gegen Abtreibung sein, sondern muss sich für Chancengleichheit und soziale Absicherung einsetzen. Für ein menschenwürdiges Leben für alle. Auch nach der Geburt. Davon ist Kalifornien weit entfernt.

Also doch: Mein Körper, mein Recht? Das ist auch zu kurz gegriffen. Denn ein Embryo in meinem Bauch ist ein individueller Körper in meinem Körper. Mit eigenem Recht.

Kurz darauf redete ich mit einem anderen Pastor darüber. Seine Antwort zur Frage der Abtreibung ist von nun an auch meine. I am pro choice. I would choose life. Also: Ich bin für die Freiheit der Wahl (und damit gegen ein Verbot von Abtreibungen). Ich würde das Leben wählen (aber niemanden verurteilen, der das nicht konnte).

Ich bin ein Food-Waste-Hero!

Was mach ich mit viel Zeit und wenig Geld? Richtig! Meine Zeit sinnvoll nutzen. Für mich und andere. Seit einigen Wochen nutze ich die wunderbare App Olio. Darüber verschenken Menschen Lebensmittel an Nachbarn , die sie nicht zu essen schaffen. Brot, Pizza, Müsli, Kuchen und Käse holte ich schon ab.

Jetzt bin ich selbst Teil der gebenden Gemeinschaft. Als sogenannter Food-Waste-Hero rette ich Lebensmittel von einem veganen Restaurant, etwa 5 Fahrrad-Minuten entfernt von unserem Haus. Jeden Donnerstagabend ist dies von nun an meine Aufgabe.

Einige Brote kurz vor ihrer Verteilung.

Letzte Woche hab ich das 1. Mal Brote und Brötchen abgeholt. Aus echtem Sauerteig. 2 Fahrradtaschen lud ich voll und hielt noch 3 Brote und eine Tüte Brötchen in der Hand. Konnte kaum lenken. Während ich wackelnd navigierte, sprach mich eine Frau an. Sie hatte das Brot auf einer Bank liegen sehen, als ich es verpackte. Sich aber nicht getraut, eines zu nehmen. es war ihr peinlich.

Ich: „Bitte, darf ich ihnen Brot schenken? Sie würden mir wirklich helfen, ich kann es kaum tragen.“

Sie strahlte übers ganze Gesicht und ging mit Brot und Brötchen nach Hause (1 Toastbrot kostet hier ab $2,89). Und ich war glücklich über das Glück, geben zu können. Ohne Geld. Dank Zeit.

Die meisten Brote verteilte ich über die App Olio, einige wanderten in unser Gefrierfach für die nächsten Tage. Bis ich Donnerstag wieder welches hole. Was für eine Freude, mir und anderen auf diese Weise eine Freude zu bereiten!!

Die Auswanderin

Sonntagnachmittag auf dem Spielplatz. Theo hat einen Jungen entdeckt, der zwei Flitzebögen besitzt. Natürlich ganz sicher, ohne Spitzen und Kanten. Safety first. Nach wenigen Minuten jagen Theo und Toni den Jungen umher, Philipp ist begeistert dabei. Also können wir Mütter quatschen.

Ich treffe auf eine weitgereiste, hervorragend ausgebildete, alleinerziehende Mutter. Sie hat in Deutschland und Neuseeland gelebt, ein hohes Einkommen, kann ihrem Sohn alles bieten. Aber sie kann nichts sparen. „Meine monatlichen Ausgaben belaufen sich auf $9000“, erzählt sie. Ich glaube es ihr sofort.

Was sie, die in Berkeley geboren ist, noch mehr stört, ist das System. Es gibt hier alles, wenn du dafür bezahlen kannst. Sie kann es. Sie will nicht, dass ihr Sohn dieses Wertesystem lernt.

Also hat sie beschlossen, nach Italien auszuwandern. Der Vater ihres 6-jährigen Sohnes ist Italiener. Der Kleine kann also die Staatsbürgerschaft beantragen. Italien ist ihre Eintrittskarte nach Europa. Langfristig will sie nach Dänemark ziehen.

„Warum?“, frage ich erstaunt. „Kennst du da jemanden? Sprichst du Dänisch?“

Nichts davon ist der Fall. Sie hat strategisch gesucht. Nach einem Land, das zwei Kriterien erfüllt: 1) Die beste Vorsorge für den Klimawandel. 2) Ein gutes Gesundheitssystem. Dänemark landete auf Platz 1. (Ich habe ihr natürlich aus reinem Patriotismus Deutschland empfohlen, sie will es sich mal angucken.)

Gesundheitssystemsmigration: Versteh ich sofort. Ich bete hier jeden Tag, dass keiner von uns ernsthaft krank wird. Und wenn, dann sitz ich im nächsten Flieger nach Hause.

Klimawandelmigration: Kannte ich bisher nur aus krisengeschüttelten, Missernten geplagten Ländern. Und eigentlich wollen doch alle hierher, weil das Wetter so schön ist? Sie erläutert: „Ich habe Asthma. Während der letzten Waldbrände konnte ich tagelang nicht das Haus verlassen. Bekam drinnen kaum Luft. (Kein Wunder bei den zugigen Holzhäusern.) Wir leben hier, als ob es kein Morgen gäbe. Ich will das nicht mehr.“

Fachkräfte, die aus Amerika nach Europa auswandern! Gab es das schon mal? Jetzt ist es anscheinend soweit. Take that, Trump!

Der Auswanderer

Toni und ich im Zug. Toni sitzt, ich stehe, halte ihr Rad fest. Ein etwa 35-jähriger Mann beginnt das Gespräch mit: „Oh, macht ihr einen Ausflug heute?“ Nachdem er mich obligatorisch für eine Schwedin gehalten hat (eindeutige Kennzeichen: weiblich, groß, schlank, blond), beginnt er, von Europa zu schwärmen. Innerhalb von 4 Stationen erzählt er mir seine Lebensträume. Wie sehr ihn sein Heimatland nervt, wie unglücklich er hier sei, obwohl er gut verdiene. Er wolle nun endgültig nach Europa ziehen. Nächsten Sommer schon.

Ich frage, ob er denn schon wisse, wo in Europa er leben wolle? Und was er da tun werde?

Alles geplant: Er hat eine Mandelfarm in Spanien gekauft. Irgendwo in der Pampa. Die will er bewirtschaften und Mandelbutter produzieren lassen. Natürlich Bio. Wie gefühlt alles in Kalifornien. Seine Augen glänzen, die Vorfreude steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Wenn das Geschäft läuft, will er die spanische Staatsbürgerschaft beantragen. Um endlich Europäer zu sein. Take that, Trump!