Für den guten Zweck kann man hier überall spenden. Per Scheck in der Kirche. Per Paypal für den Chor und die Schule. Fundraiser und Versteigerungen erleichtern das Geld geben.
An den verschiedensten Orten sind Bürger zu Sachspenden aufgerufen für Bedürftige. Binden und Tampons für Obdachlose. Lange haltbares Essen.
Und die Menschen geben!
Das ist wundervoll. Gleichzeitig ist es eigentlich unfassbar: in einem reichen Land wie Kalifornien sind so viele Menschen so arm, dass sie sich nicht einmal das Nötigste leisten können. Das Sozialsystem versagt. Ganze Familien leben auf der Straße oder in ihren Autos. Leider keine Einzelfälle. Man muss nicht arbeitslos sein, um sich hier keine Wohnung leisten zu können. Teilweise herrschen Zustände wie in Entwicklungsländern.
Ich frage mich, was in den USA mit den Steuern geschieht. Denn die Lohnsteuer ist nicht so gering wie erwartet. Philipp zahlt 25% seines Gehaltes, der Spitzensatz liegt bei 39,6% in Kalifornien. Der Unterschied zu Deutschlands 42% ist also verhältnismäßig überschaubar. Was hingegen quasi fehlt sind all die Sozialabgaben. Dafür müssen sich hier selbst staatliche Schulen durch Elternspenden bezuschussen lassen. Je reicher die Eltern, desto besser die Schule, desto reicher die Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken…
Tonis Chor besucht am nächsten Wochenende arme Familien und bringt ihnen Musik und Gegenstände des täglichen Bedarfs: Taschentücher, Stoppersocken, Creme und Seife. All das, was wir zu Weihnachten in Pakete gen Osteuropa stecken. Hier beginnt Osteuropa 10 Straßen entfernt von uns. Wo die Menschen in Garagen und VW-Bussen und Schrottvans leben.
Sei deines Glückes Schmied heißt hier auch: Hilf denen, die dir am Herzen liegen. Sozialabgaben erfolgen freiwillig und individuell in Form von Spenden.
Letzte Woche schrieb ein Vater in meiner Nachbarschaft: „Ich habe gerade erfahren, dass ein Klassenkamerad meines Sohnes (5) mit seiner Mutter auf der Straße lebt. Ich will den beiden helfen.“ Er initiierte „FundMe“ für die beiden, eine Website, die Geld für Bedürftige sammelt. Innerhalb weniger Tage waren $8000 Dollar zusammen. Genug, um einen Kleinbus zu kaufen oder eine Mietkaution zu hinterlegen. Die meisten spendeten zwischen $25-$100. Manche mehr. Auf der NachbarschaftsApp „Nextdoor“ boten Menschen konkrete Hilfe an: Ein Bett für die verregnete Nacht, eine Dusche, eine Mahlzeit, Kleidung.
Vieles ist hier möglich, wenn man will. Ich habe das Gefühl, dass es hier
1) leichter ist, Menschen für Projekte zu begeistern. Man weiß, dass man sich auf den Staat nicht verlassen kann. Also tut man, was man kann.
2) leichter ist, in kurzer Zeit viel Geld zu sammeln. Wenn der Zweck die Menschen emotional berührt.
Wie schön wäre es, wenn wir in Deutschland unseren Sozialstaat mit dieser Haltung verbinden würden.