Frühling im Herbst

30 Jahre friedliche Revolution. Wie in jedem Jahr, feiere ich im Herbst meine 2 wichtigsten, säkulären Feiertage. Den Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober und die Maueröffnung am 9. November. An beiden Tagen verspüre ich nur eins: Pure Dankbarkeit, Erleichterung, Freude.

Mir wird immer wieder bewusst, welche immense Bedeutung 1989 für mein Leben hat. So vieles hätte ich nicht erlebt ohne deutsche Einheit. Hätte nicht in Kanada gelebt, vielleicht in Rumänien, sicher nicht in Griechenland und schon gar nicht heute in den USA. Ich hätte Philipp nicht getroffen und die meisten meiner Freunde nicht. Ich hätte keine 2. Heimat in München und Hamburg gefunden und keine 3. im Allgäu.

Die Kinder finden es faszinierend, dass Papa und Mama früher in 2 verschiedenen Ländern gelebt haben. „Papa, bist du über die Mauer geklettert zu Mama?“, fragen sie. Oder: „Mama, warst du so richtig eingesperrt?“ Und Toni philosophiert darüber wer sie wäre, wenn es noch immer 2 Mal Deutschland gäbe. „Also, Theo und ich wären natürlich trotzdem hier. Nur Papa wäre nicht in unserer Familie.“

Am 8. November ludt die internationale deutsche Schule im nächsten Ort zum Laternenfest samt Revolutionsgedenken ein. Kerzen und stürzende Mauern, sehr passend. Hier gab’s natürlich elektrische Sicherheitsteelichter im Wachslook. Wir zogen einmal um den Block, sangen ein paar Lieder. Leider waren wir zu spät zum Laterne basteln gekommen, so musste ich mal nicht 2 Laternenstäbe tragen für die Kinder. Auch schön. Theo war völlig sprachverwirrt. „Ich kenne die Lieder doch nicht af Englisch“, sagte er. „Kein Problem, wir singen ja auch alle auf Deutsch.“

Danach dann die Presentation zum Mauerfall. Jugendliche Deutsch-Amerikaner haben versucht, zu erzählen, was passierte. Grandios. Hier ein paar Highlights.

Wichtige Leute waren mit an der Revolution beteiligt.

Ronald Reagan, der 1987 Michael Gorbatschow erklärte: Reiss die Mauer ein.

Michael Gorbatschow, der 2 Jahre später endlich auf den amerikanischen Bruder hörte

Irgendein amerikanischer Rockstar, der 1988 in Berlin von einstürzenden Mauern sang.

Und natürlich Udo Lindenberg mit seinem Sonderzug nach Pankow. Da hätten wir spontan eine Karaokeveranstaltung draus machen können. So viele Eltern summten und sangen mit.

Helmut Kohl? Die Ostdeutschen? Ungarn? Genscher? Kirchen? Keine Rede davon.

Und dann der beste Satz ganz am Ende: „1989 zeigte, dass der Kommunismus keine Chance hat in dieser Welt!“ Ausrufezeichen. Generell. Ich bekam einen kurzen Lachanfall. Kalter Krieg lässt grüssen.

Tja, Geschichtsschreibung ist eben immer Gegenwartsdeutung. Was hier bewiesen wurde.

Frühlingshafte Temperaturen sind übrigens wirklich gerade.

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