Das kann doch nicht wahr sein!

Heute habe ich Leah auf dem Spielplatz getroffen. Ihr Sohn Theo ist 6 und geht in Berkeley in die 1. Klasse. Es hätte ein ganz alltägliches Gespräch sein können. Aber Leah und Theo sind seit 5 Jahren obdachlos. Im Moment zelten sie in der Nähe unseres Lieblingsspielplatzes. Da ist es sicher, die Nachbarn kennen sie, viele Familien gehen ein und aus. Ein Bach mit frischem Wasser fließt entlang zum Waschen, Trinkwasser und eine Toilette sind auch vorhanden. Die beiden stören hier niemanden.

Trotzdem kam gestern mal wieder Polizei vorbei. Drohte mit Strafen (die Leah sowieso nicht zahlen kann) und schlug ihr vor, mit ihrem Sohn an die Autobahn zu ziehen. Da leben viele Obdachlose in Berkeley. Es ist laut, dreckig von den Abgasen. Und lebensgefährlich schmutzig, weil die Menschen auf der ehemaligen Deponie zelten. Das tue sie ihrem Sohn nicht an, sagt Leah.

Strafen seien ihr egal. Ihre einzige Sorge ist, dass sie festgenommen werde und ihr dann ihr Sohn weggenommen werde. Das will sie um jeden Preis verhindern. „Aber die Polizisten sind auch Menschen und Väter. Sie machen ihren Job und haben Mitleid mit mir.“

Wir kommen ins Gespräch, weil Leah sich mit einer anderen Frau unterhält und anfängt zu weinen. Ich gehe hinüber, die Seelsorgerin in mir kann nicht anders. Ihre Geschichte bringt mich auch zum Heulen.

Leah ist während der Schwangerschaft erkrankt, seitdem ist sie offiziell schwer behindert und arbeitsunfähig. Ihr Mann missbrauchte und schlug sie. Um ihren kleinen Theo zu schützen, verließ sie die gemeinsame Wohnung. Von ihrem Ersparten wohnte sie in Motels bis das Geld alle war. Dann zog sie ins Zelt, radelt durch die Stadt, transportiert Theo im Fahrradanhänger. Und ich denke mir: Genauso würde ich es auch machen. Im letzten Winter wurden beide so krank, dass eine befreundete Familie ein GoFundMe initiierte. Innerhalb weniger Tage kamen 15.000 Dollar zusammen und sie konnte wenigstens bis zum Sommer in Motels leben. Für eine Wohnung reichte es nicht. Dafür braucht man entweder einen Arbeitsvertrag oder einen Sozialschein von der Stadt Berkeley. Ja, so was gibt es. „Aber den unterschreiben sie mir seit Jahren nicht.“

Leah kämpft um ihr Kind. Sie weiß um ihre Rechte als Mutter und dass ihr Theo nicht einfach weggenommen werden darf. Angst hat sie trotzdem. Sie kämpft gegen Berkeley für ihr Recht, kennt die Gesetze. Hat aber keinen Anwalt. Ich bin leider auch keine Anwältin. Aber ich kenne Leute in Berkeley und vielleicht kennt ja jemand wen, der jemand kennt?

Ich habe jetzt Leahs Handynummer und Email. Versprechen konnte ich ihr nicht viel, außer, dass ich mal Freunde und Bekannte frage. Ob nicht irgendjemand einen Anwalt kennt, der sich ihres Falles annimmt. Wahrscheinlich ohne Entlohnung, vielleicht mit Pflichtverteidigergehalt. Für eine wirklich gute Sache, für das Leben zweier Menschen.

Leah versteckt sich nicht. Sie schämt sich nicht. Wofür auch? Leah sucht die Öffentlichkeit, denn das ihre einzige Chance, etwas zu verändern. Demnächst erscheint eine große Reportage über sie im „Guardian“, einer Zeitung. Sie sagt: „Ich denke immer noch jeden Tag, dass das nicht wahr ist. Dass mir das nicht wirklich passieren kann. Aber es ist wahr.“

Täglich bewirbt sie sich um Wohnungen. „Aber ohne Zettel vom Amt bekomme ich nichts.“

Und Theo? Er geht unterdessen in die Schule, bekommt dort Frühstück und Mittagessen und Snacks zum Nachmittag. Lehrer und Eltern helfen, wo sie können.

„Weißt du, was das Verrückteste ist?“, fragt mich Leah. „Laut offiziellem Zensus gibt es in Berkeley keine obdachlosen Familien. Wurde gerade wieder veröffentlicht. Aber ich bin doch hier mit Theo! Und sie kennen mich!“

Leah kämpft. Und sie ist realistisch. Im vergangenen Jahr hatten sie und Theo schon 2x Lungenentzündung, einmal im Februar, einmal im Juli. „Wenn wir nicht bald eine Wohnung bekommen, stirbt mir mein Sohn.“

Überlandfahrt

Ich mache eine Fortbildung in Krankenhausseelsorge. Mit dem Auto ist das Krankenhaus 45-60 Minuten entfernt, je nach Verkehrslage. Mit Öffentlichen brauche ich sage und schreibe 3 Stunden und 15 Minuten.

Also machte ich mich an einem sonnigen Mittwoch auf den Weg. 15.00 begann der Kurs, 14.30 sollte ich da sein. 10.45 Uhr verließ ich die Wohnung. Nicht wissend, ob ich nachts überhaupt noch zurück käme.

3 Stationen mit der S-Bahn sagte Google Maps, dann umsteigen in R-Nord. Ich dachte, das sei ein Zug. Stellte sich aber als Bus heraus. Niemand, nicht mal der Busfahrer konnte jedoch mit dem Namen was anfangen. R steht für Rote Linie, lernte ich nach 1,5 Stunden. Die kennt jeder.

Ich stieg also in einen Bus, der in die richtige Richtung ging Wie weit er fahre, wisse er noch nicht, sagt der Busfahrer. Ein Passagier hinter mir erklärte mir, wo ich aussteigen solle (nicht, was mir Google Maps vorgeschlagen hatte). Schnell kamen wir miteinander ins Gespräch. Denn wir alle teilten eine Grunderfahrung: Leben ohne Auto in den USA. Das schweißt zusammen. Wir unterhielten uns über schlechte Verbindungen, teure Lebensmittel, nette Nachbarn, die uns mit zum Costco zum Großeinkauf nehmen und Freunde, die uns mal ihr Auto leihen. Außer mir waren alle anderen schwarz.

Ein Mann erzählte mir von seinem schlechtesten Deal. Er habe einen Wagen für $500 gekauft, ihn aufgemotzt, sei ihn gefahren. Dann wollte er ihn einem Freund für $900 verkaufen. Aber sein Sohn bat ihn, er möge ihm das Auto geben. Er habe zwar nur $200, aber er brauche dringend einen Wagen. Der Vater gab nach. 2 Wochen später sah er seinen Sohn aus einem Bus steigen. „Was ist mit deinem Auto?“ – „Ich habe es für $1000 verkauft.“ – „Da“, sagt der Mann, „hätte ich meinen Sohn umbringen können. Obwohl er mein Lieblingssohn ist. Er ist ja auch mein einziger Sohn.“

Er gab mir noch wertvolle Tipps zum Gebrauchtwagenkauf: Toyota, Honda, Nissan, Volkswagen, das seien gute Wagen. Und auf jeden Fall meinen Mann hinschicken. Frauen würden abgezockt. Hab ich inzwischen schon so oft gehört, dass ich es glaube.

Nach knapp 2 Stunden war ich in Fairfield. Und kam mir vor wie in einem anderen Land. Weit und breit nur riesige Straßen, riesige Einkaufscenter, riesige Kirchen, kaum Leute. 50 Minuten musste ich auf meinen Anschlussbus warten. Also betrat ich das 1. Mal in meinem Leben einen Walmart. Was soll ich sagen? Riesig. Günstig. Gute Auswahl. Wüsste ich nicht, dass die Mitarbeiter katastrophal behandelt werden, wäre das eine tolle Einkaufsgelegenheit. (Eine Donut-Kalorienbombe musste ich mir trotzdem gönnen für 58 Cent. Dafür kriegt man sonst – nichts.)

Schriftliche Führerscheinprüfung: Der Test

Mit einem kleinen Zettel in der Hand laufe ich einmal durch den riesigen Raum zur tatsächlichen Prüfung. 24 Schalter sind hier in 3 Kreisen angeordnet, jeweils durch halbhohe Sichtwände getrennt. Die Lautstärke ist enorm. Alle paar Minuten wird die nächste Nummer aufgerufen. Ein Held, wer sich hier konzentrieren kann.

Bevor ich den Test machen darf, muss ich zum 3. Mal meinen Daumenabdruck geben und ein Foto schießen lassen. Dann ist der Weg zum Test frei.

Auf riesigen Bildschirmen wird damit geworben, dass der Test in 52 Sprachen angeboten werde. Die Sprachen werden in ihrer Sprache aufgezählt. Statt „Deutsch“ steht da „Deutschen“. Ich probiere lieber nicht, einen Test in Google-Translate-Deutsch zu bestehen. Schon damals in Rumänien war der rumänische Test leichter als die Google-Variante.

20 Computer stehen nebeneinander. Abgetrennt durch kleine Wände. Computer 18 wird mir zugeteilt. Der Lärm der 24 Schalter dringt herüber. Konkret höre ich die Dame mit den Kunden reden, die ihren Test gerade bestanden haben oder eben nicht.

„Konzentration!“, ermahne ich mich selbst. Los geht’s. 36 Fragen sind zu beantworten. Falsche Antworten werden sofort anzeigt und korrigiert samt Seitenangabe im Autohandbuch. Die 3. Frage lese ich falsch. 1. Fehler. Der Adrenalinpegel steigt. Wie viele Fragen noch zu beantworten sind, wird nicht angezeigt. Noch eine Frage falsch beantwortet. Mist. Ich habe keine Ahnung, wie viele Fehler überhaupt erlaubt sind? Zwischendurch halte ich mir die Ohren zu und lese mir die Fragen langsam halblaut vor. Bloß nicht die Fassung verlieren. Bloß keine Lese-Flüchtigkeitsfehler.

Es kommen erstaunlich viele Fragen zum Thema „Strafen“. Die hatte ich unter „ferner liefen“ abgespeichert, also nur oberflächlich. Grundsätzlich gilt aber den USA: im Zweifel immer die höchste Strafe anklicken. Damit komme ich durch. Puh!

Anschließend heißt es wieder: Anstellen. Ich komme mir vor wie in Anekdoten aus der DDR. „Haben sie einen Führerschein aus einem anderen Staat?“ Ich frage nach, was sie genau meine. „Aus einem anderen Bundesstaat.“ Das kann ich guten Gewissens verneinen. Auf die Idee, mich nach internationalen Führerscheinen zu fragen, kommt sie nicht. Obwohl ich meinen deutschen pflichtschuldig bei der Onlineanmeldung angegeben habe.

Offiziell soll man in Kalifornien alle anderen Führerscheine abgeben, wenn man den kalifornischen bekommt. Keiner meiner deutschen Freunde hat das bisher gemacht. Aber die Geschichten, wie man es anstellt, variieren. Manche wurden aufgefordert und hatten ihn dann nicht dabei. Andere wurden nie gefragt. Und ich bin glücklicherweise an eine Frau geraten, für die Amerika die Welt ist. Glück gehabt.

Nun fehlt nur noch die Fahrprüfung. Der nächste freie Termin war in 2 1/2 Monaten… Kommen muss man im eigenen/ geliehenen Auto, begleitet von einem Fahrer mit kalifornischem Führerschein. Warum auch immer… so ist es hier.

Schriftliche Führerscheinprüfung: Die Anmeldung

Das Auto-Handbuch hatte ich einmal durchgelesen. Die wichtigsten Zahlen (Wie viele Inch darf das Auto maximal von der Bordsteinkante weg stehen? 18!) auf 3 Seiten exzerpiert. Einige Fragebögen online durchgeklickt. War also bestens vorbereitet.

Zur Führerscheinanmeldung benötigt man: einen Pass, zwei Wohnsitznachweise in Form von Internet-/ Telefon-/ Stromrechnungen auf den eigenen Namen. Habe ich nicht. Ist alles auf Philipps Namen. Wie sich das für eine gute Ehefrau gehört… In dem Falle müsse die Eheurkunde mitgebracht werden. Kein Problem. Haben wir natürlich eingescannt und in beglaubigter Übersetzung dabei. Unseren Mietvertrag, auf dem wir beide mit (falschem) Namen und 10 Jahre jünger draufstehen, packte ich vorsichtshalber auch ein.

Dazu kommen noch die Sozialversicherungsnummer, ein Online-Einreisebeleg (die USA sammeln wirklich alle Daten) und $36. Um das Ganze zu beschleunigen, hatte ich auch schon online die Anmeldung abgeschlossen und alle meine Daten eingetippt. War völlig umsonst. Es musste alles nochmal eingegeben werden.

Nachmittags hatte ich offiziell einen Termin. Eine Freundin riet mir, gleich morgens aufs Amt zu gehen. Ich stellte mich in die kürzere Reihe für Terminkunden. „Oh, Sie sind ja viel zu früh.“ Ich: „Ja, mir wurde gesagt, ich solle früher kommen.“ – „Früher heißt 10 Minuten vor dem Termin.“ – Ich: „Oh.“ – „Wollen Sie dann ohne Termin drankommen?“ – Ich: „Ja, bitte.“ – „Gut, dann gehen Sie durch.“ Mit „echtem“ Termin wäre es auch nicht schneller gegangen.

Dann ging das Warten erst los. Ein Mann kontrollierte in Seelenruhe, ob jeder alle erforderlichen Unterlagen dabei hatte. 20 Minuten später durfte ich Platz nehmen. Warten. Meine Nummer wurde aufgerufen. Ab zum Schalter. Dahinter eine genervte Dame. Hätte auch nach Berlin gepasst.

Ich legte ihr meine Dokumente vor. Wer das sei, wollte sie beim Anblick von Philipps Namen wissen. „Mein Mann“, erklärte ich und legte pflichtbewusst die Kopie der Eheurkunde vor. Damit könne sie nichts anfangen. Sie bräuchte das Original. „Die haben wir nicht aus Deutschland mitgebracht“, sagte ich etwas ungeduldiger. „Tut mir leid.“ Mich zurückzuschicken, um sie zu holen war damit ausgeschlossen. „Ich habe unseren Mietvertrag mit.“, bot ich versöhnlich an. Ok, das ginge auch. Interessant, denn im Internet wurde dieser ausdrücklich als Nachweis nicht genannt.

Nächster Schritt: Ich präsentiere meinen Reisepass. Was das sei? Ein Pass. Woher? Deutschland. Aha. Sie blättert hin und her, ist verwirrt vom Visum, dreht ihn um, liest wieder. Dann gibt sie auf und akzeptiert ihn.

Nun kommt der Sehtest. Einige Meter entfernt hängen drei Tafeln mit Buchstaben. Alle sind gleich groß. Ich hatte inzwischen knapp 10 Minuten, um sie ausgiebig zu studieren. Theoretisch hätte ich sie auswendig lernen können. Ein Zettel wird mir gereicht. Ich soll ihn mir abwechselnd vors rechte und linke Auge halten und Buchstaben vorlesen. Bestanden. Das kann 2 Dinge bedeuten: 1. Ich sehe gut genug für den Straßenverkehr. 2. Ich sehe zwar nichts, aber kann mir Dinge fotografisch merken. Keine Ahnung, wie viel das beim Fahren bringt.

Als sie alle meine Unterlagen hatte, verschwand sie. Und kam 10 lange Minuten nicht wieder. Ich wurde langsam nervös. Stimmte was nicht. Sie hatte meinen Reisepass. Würde ich ihn wiederbekommen? Mein grundsätzlicher Verdacht gegenüber Staatsangestellten und Polizisten wird in den USA definitiv nicht kleiner. Dann tauchte sie wieder auf. Das Einlesen meines Passes sei sehr schwer gewesen. Und ich denke: Hä? Ich bin ungefähr die 70.000ste Deutsche in der Bay Area, die durch dieses Verfahren geht.

„Menschen radeln, weil es gesund ist und die Umwelt schont.“ – Lernen für die schriftliche Fahrprüfung

Wer länger in Kalifornien lebt, braucht einen hiesigen Führerschein. Das gilt für Amerikaner anderer Bundesstaaten wie für Ausländer. Wir als „non-residential aliens“ sind da in einer Grauzone rechtlich. Nur Militärangehörige und Diplomaten sind ausgenommen.

Führerscheine können prinzipiell nicht umgeschrieben werden. Also müssen Tausende hier für insgesamt $36 die schriftliche und praktische Prüfung bestehen. Pro Prüfung hat man 3 Versuche. Zur Fahrschule muss man nicht.

Also lud ich mir das „Driver’s Handbook“ runter. Es liest sich wie ein erstaunlich amüsanter Groschenroman.

Was man alles nicht darf: Gaffen, auffahren, unaufmerksam sein und kein fahruntüchtiges Auto fahren.

Wenn man während des Berufsverkehrs eine Panne hat, dann kommt ein kostenloser Autodienst und: gibt Starthilfe, bringt Kühlwasser, repariert Schläuche, wechselt einen Reifen oder gibt einem knapp 4l (1 Gallon) Benzin. Nicht schlecht! Ich frage mich, wie oft sie das beim selben Fahrer machen? Mit 4l kommt man evtl. schon zur Arbeit und auf dem Rückweg lässt man sich nochmal den Tank auffüllen… wäre doch ne Idee.

Beim Reifenprofil prüfen hilft Abraham Lincoln höchstpersönlich. Bz sein Konterfei auf dem Penny. Ist Lincolns Kopf ganz zu sehen, wenn man den Penny zwischen die Reifenrillen schiebt, braucht man neue Reifen. Ganz einfach.

Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen „abgelenkten“ Menschen wie Postboten, Arbeitern oder Kindern. Und „verwirrten“ Leuten wie Touristen. Beide Gruppen sind ziemlich unzurechnungsfähig im Straßenverkehr.

Bei Dunkelheit darf das Fernlicht natürlich nur verwendet werden, wenn es niemanden blendet. Klar. Was aber tun, wenn ein entgegenkommender Fahrer sich nicht daran hält? Das Handbuch rät: Nicht direkt ins Licht schauen. Und sich vor allem nicht rächen mit Gegenlicht. Wer hätte das gedacht.

Wie nun umgehen mit wütenden Fahrern? 1. Keinen Augenkontakt machen. 2. Abstand lassen. Wie ich einen wütenden Fahrer identifiziere, steht leider nicht genau dabei.

Wenn einen die Polizei anhält, müssen alle Autoinsassen ihre Hände gut sichtbar hinlegen. Denn, „kann ein Polizist nicht alle Hände sehen, erhöht dies seinen Stresspegel. Die meisten Gewaltakte gegen Polizisten geschehen durch den Gebrauch von Händen mittels Schusswaffen oder spitzer Gegenstände.“ Irgendwie köstlich, wie hier Hände kriminalisiert und objektiviert werden, als hätten sie keinen Bezug zur Person.

Der wichtigste Fahrtipp zum Schluss: Seien Sie zu jeder Zeit höflich. Hielten sich alle daran, wären die meisten anderen Hinweise tatsächlich obsolet.

Meine Highlights:

Englisch lernen leicht gemacht

Und wie geht das nun mit dem Englischunterricht in der Schule?

Mit Schuleintritt werden alle Kinder auf ihre Englischkenntnisse hin getestet. Egal, wann das ist, ob Vorschule, 3. oder 7 Klasse. Den auf diese Weise herausgefilterten „Englischlernern“ stehen laut kalifornischem Gesetz pro Woche 150 Minuten Unterricht zu. 90 Minuten davon erteilt eine eigens geschulte Lehrerin 3x die Woche in Kleingruppen. Der Rest geschieht im Unterricht „nebenbei“.

Ms Snyder an unserer Grundschule geht da ganz spielerisch und praktisch ran. Zuerst bringe sie den Kindern „Notfall-Englisch“ bei. „Denn wir wissen, dass Konflikte schnell eskalieren, wenn die Worte fehlen.“ Also lernen die Kinder Dinge wie „Ich mag das nicht.“ und „Hör auf damit.“ und „Darf ich mit dir spielen?“ und „Ich muss zur Toilette.“

Die nächsten Wochen verbringt die Lehrerin dann damit, mit den Kindern Schule und Hof verbal zu erkunden. Alles wird benannt und ertastet oder bespielt. Um die Kinder überhaupt zum Sprechen anzuregen, spielt sie mit ihnen ein Spiel: Sie nennt Dinge bei ihrem englischen Namen. Die Kinder antworten in ihrer Muttersprache. „Das hier ist anfangs oft der einzige ganz sichere Ort für die Kinder. Hier dürfen sie sprechen wie sie wollen und niemand lacht oder guckt komisch.“

Interkulturalität normalisieren ist das Motto. Dazu gehört es in der gesamten Schule, dass gerade nicht darauf bestanden wird, dass die Kinder alle ausschließlich Englisch miteinander sprechen. Weder im Klassenzimmer, noch auf dem Hof. Weil keine Sprache grundsätzlich besser ist als eine andere.

Während in Deutschland noch immer die Angst vorherrscht, die Kinder würden bei so laxer Sprachhandhabe die Landessprache nicht lernen, ist hier das Gegenteil der Fall. Die Kinder sprechen innerhalb kürzester Zeit Englisch. Ohne Druck.

Im Englischförderunterricht verbleiben die meisten Kinder 3-4 Jahre. Solange dauert es statistisch, bis ein Kind als „Muttersprachler“ eingestuft wird. Auf dem Weg dahin werden sie intensiv in Grammatik, Lesen und Rechtschreibung geschult. „Am Ende sind diese Kinder oft besser im Lese- und Hörverständnis und schreiben komplexere Aufsätze.“, erzählt die ESL-Lehrerin stolz. Was für ein Glück für alle Einwanderer!

Englisch als Fremdsprache

Endlich habe ich die ESL (Englisch as a Second Language) Lehrerin meiner Kinder kennengelernt. Endlich, weil sie ja schon seit Januar mit Toni arbeitet. Ich aber irgendwie nie zum Email-Verteiler hinzugefügt wurde.

Es war mal wieder einer dieser Momente, in denen mir die Tränen in die Augen stiegen (und ich sie mit einem Becher Orangensaft und von der Lehrerin selbst gebackenen Scones verarbeitete). Denn an allererster Stelle stand die Wertschätzung von dem, was wir alle mitbringen. Wir, das sind Familien aus Norwegen und Spanien, China und Mexiko, Deutschland und Frankreich und viele andere, die ich noch nicht kennengelernt habe.

„Sprecht eure Muttersprache mit euren Kinder! Lest ihnen in eurer Sprache vor, bringt ihnen Lesen und Schreiben bei.“ Ungläubiges Staunen in vielen elterlichen Gesichtern. „Studien haben eindeutig ergeben: Wer in seiner Muttersprache nicht fließend ist, hat viel größere Probleme, Fremdsprachen zu lernen. Englisch lernen die Kinder von uns, in der Klasse, auf dem Schulhof. Da machen Sie sich mal keine Sorgen.“

Hier muss ich mich nirgends dafür rechtfertigen, mit meinen Kindern Deutsch zu sprechen. Niemand wirft mir deshalb Integrationsunwillen vor. Niemand behauptet, ich würde meine Kinder auf diese Weise von der Gesellschaft abschotten wollen. Stattdessen hören wir: „Ach, haben die es gut, zweisprachig aufzuwachsen. Ich wünschte, ich könnte mehr als eine Sprache.“

Oder, wie die Englischlehrerin lächelnd sagte: „Und wenn die Kinder erst perfekt Englisch sprechen, dann am besten gleich weitermachen mit Spanisch. Je mehr Sprachen, desto besser.“

Wann kommen diese Studienergebnisse endlich bei uns in Deutschland an? Wann beginnen wir, familiäre und kulturelle Vielfalt nicht nur zu akzeptieren, sondern zu fördern? Weil sie uns nichts wegnimmt. Sondern uns reicher macht als Menschen und als Gesellschaft.

Elternabend

Das war also der 1. Schulelternabend unseres Lebens. Leider sehr kurz und der einzige im ganzen Schuljahr. Aber lang genug, damit ich (natürlich) Elternsprecherin wurde. Hab mich wirklich zurückgehalten. Dann kam eine andere Mutter auf mich zu aus Tonis neues Klasse (mit offensichtlich dem richtigen Riecher) und fragte: „Willst du Elternsprecherin sein?“ Ich: Schweigen. Sie: „Wollen wir es zusammen machen?“ Da war ich auch schon überzeugt!

Tonis neue Lehrerin ist der Hammer. So stelle ich mir die Lehrerinnen in Astrid Lindgrens Büchern vor: Sie ist die personifizierte positive Ausstrahlung. Über ihre neu zusammengewürfelte Klasse sagt sie: „Das ist die beste Klasse. Die Kinder sind fantastisch. Alle.“ Bestrafungen gibt es nicht, nur Belohnungen. Für individuelle Leistungen gibt’s eine Murmel. Der Unterschied zum „Murmelsystem“ wie ich es in Hamburg kennengelernt habe: 1. die ganze Klasse sammelt gemeinsam. Nicht ein Tisch gegen den anderen. 2. Man kann einmal gewonnene Murmeln nicht wieder verlieren. ist die Murmeldose voll, gibt’s eine 20-minütige Klassenparty. Die Kinder dürfen entscheiden, was gemacht wird. Tanzen oder Wasserschlacht, Vorlesen oder Film schauen, freies Spielen oder Wattebällchenschlacht – die Lehrerin ist für so gut wie alles zu haben!

Hat ein Kind Geburtstag, wird ebenfalls 20 Minuten lang gefeiert, was das jeweilige Kind möchte. „Auf diese Art feiern wir fast jede Woche“, sagt sie lachend. „Das Leben soll ja Spaß machen.“

Es gebe auch ein großes rotes Buch für schwere Fehler, sagt sie schelmisch grinsend. „Das finde ich so gut wie nie. Und am Ende des Schuljahres steht da immer nur mein Name drin.“ Wenn sie sich verspricht oder ein Kind beim falschen Namen nennt, dann dürfen die Kinder ihr das sagen. Und bekommen sogar eine Murmel dafür. „Ich will ihnen zeigen, dass es ok ist, Fehler zu machen und dazu zu stehen.“

Thema Hausaufgaben: Manche Eltern fragen, wie viel Druck sie machen müssen, wie viele Bücher gelesen werden sollten und überhaupt, wie sie ihre Kinder fördern können. Frau O bleibt gelassen. Ihre 1. Regel lautet: „Kein Druck! Es muss ihren Kindern Freude machen.“ Da möchte ich am liebsten nach vorne rennen und sie umarmen. Aber von diesen Ministühlen muss man erstmal wieder hochkommen… Über die monatlichen Hausaufgabenzettel sagt sie: „Es gibt keine Strafe, wenn sie nicht gemacht werden. Es gibt auch keine große Belohnung, wenn sie gemacht werden. Hausaufgaben sind vor allem eine Möglichkeit, dass sie als Eltern mit ihren Kindern über das Gelernte ins Gespräch kommen.“ An der Stelle bin ich kurz vorm Weinen.

Woher rührt meine Emotionalität? Vor einigen Wochen habe ich einen fantastischen Film gesehen. „The art of possibility“ (auf Youtube, unbedingt gucken). Der Dirigent Benjamin Zanders erzählt darin, dass er grundsätzlich allen seinen Studis am Anfang des Semesters ihre Endnote mitteilt. Eine glatte 1. Dann lässt er seine Studis aufschreiben, warum sie diese 1 verdient haben. Die Briefe sammelt er ein und gibt sie ihnen am Ende des Semesters wieder. Seine Beobachtung: Die Studis verlieren alle Angst und wachsen in den Monaten über sich hinaus. Revolutionär. Der Film ist schon 15 Jahr alt. Und ich frage mich, warum unterrichten die allermeisten immer noch nicht auf diese Weise? Warum denken wir immer noch, dass Kinder am besten unter Druck lernen? Warum haben wir Angst vor einer pauschalen Anerkennung, dass wirklich alle Menschen wunderbar gemacht sind?

Und da sitze ich auf Ministühlen und erfahre, dass meine Tochter eine Lehrerin hat, die genauso unterrichtet.

Und das merken die Kinder. Toni liebt die Schule. Jeden Tag kann sie neue Lieder, erzählt neue Anekdoten. Sie findet die 1. Klasse viiiiel leichter als die Vorschule. „Weil, Mama, Ms O sagt, dass wir richtig gut sind. Und so schnell lernen, wie kein anderer.“

Arztbesuch

Für meine Fortbildung als Krankenhausseelsorgerin brauche ich einen Tuberkulose-Test. Also einen Nachweis, dass ich keine Tb habe. Diese Krankheit, von der ich bisher immer dachte, nur Opernfiguren hätten sie.

Also vereinbare ich einen Termin bei der mir zugewiesenen Hausärztin. Stellt sich heraus, sie spricht deutsch, hat 2 Jahre in München gelebt mit Mann und Kindern. Guter Start.

Ein Stapel Formulare wird mir gereicht mit Infos über meine Krankheitsgeschichte, ziemlich detailliert. Ahnen werden bis zu den Großeltern abgefragt. Eine Patientenverordnung gibt’s ungefragt gleich dazu. „Bitte ausfüllen so bald es geht und unter Zeugen unterschreiben.“ Ich habe mal wieder das Gefühl, dass sich in Amerika eine ziemlich bevormundende Fürsorge mit der totalen Freiheit, diese komplett zu verweigern, mischt.

Ärztin: „Wann hatten Sie denn ihren letzten Gesundheitscheck?“

Ich: „Hm, das macht man in Deutschland erst ab 35. Davor geht man zum Arzt, wenn man krank ist.“

Ärztin: „Oh (denkt sich wahrscheinlich wie hinterwäldlerisch Deutschland ist). Dann machen wir das gleich mal.“

Ich werde also von Kopf bis Fuß untersucht, mein Impfpass wird studiert (einiges fehlt, wird gleich mal aufgefrischt) und dann werde ich ins Labor geschickt. Großes Blutbild machen lassen. Denn: „Sie sehen zwar soweit gesund aus, aber ich kann ja nicht in Sie hineingucken.“ Stimmt eigentlich.

Als Kind hatte ich eine regelrechte Nadelphobie. Habe bei ihrem Anblick gebrüllt bis ich Herpes bekam, habe Nadeln verbogen und mich weggewunden. Dank der Schwangerschaften benehme ich mich inzwischen „erwachsen“. Hasse es aber immer noch. Bis jetzt. Denn die Schwestern hier im Labor sind echte Nadelfeen. Sie machen den lieben langen Tag nichts anderes als Blut abnehmen. Und das merkt man. Bzw. merkt es eben nicht. Weder den Einstich, noch das häufig ruppige Rausziehen. Kein blauer Arm danach, kein Bluterguss. Hier geh ich gern wieder hin!

Begeistert bin ich auch vom Prinzip „Ärzthaus“ hier. Es ist kein Gebäude, in dem zufällig viele Ärzte ihre Praxen haben. Nein, der ganze Komplex ist eine logistische Einheit. Die Daten aller Patienten sind für die behandelnden Ärzte und Schwestern überall zugänglich. Hausärzte, Fachärzte und Notaufnahme sind unter einem Dach.

Am Willkommenstresen meldet man sich an und zahlt die Praxisgebühr. Hier kann man sich Arztbriefe ausdrucken lassen und Gesundheitsinfos. Für Impfungen und Blutwerte geht’s direkt zur Schwester. Zu Ärzten geht man ausschließlich mit Termin. Wartezeiten von 15 Minuten sind schon unverschämt lang… Arztbesuche können soooo angenehm sein!

Achso, mit dem Rad brauche ich 8 Minuten dahin.

Summer Camps: Super! Teuer!

11 Wochen Sommerferien hatte Toni dieses Jahr. Das ist schön, aber irre. Denn, wer hat schon so lange frei als Eltern? Richtig. Also gibt es Tagesferienlager. Die Kinder werden von morgens bis abends bespaßt und sollen dabei auch noch was lernen. Also wie in der Schule. Nur kostet das im Schnitt pro Woche $400-500. Pro Kind.

Zum Glück gab es einige freundliche Camps, die Vergünstigungen für einkommensschwache Haushalte anbieten. Und auch für Haushalte wie uns, die wir offiziell gar nicht arm genug dafür sind. So kamen wir auf „nur noch“ $250 pro Woche im Schnitt, ein echtes Schnäppchen.

Aber die Kinder haben ihre Camps geliebt. Theo durfte eine Woche lang Fußball spielen. Toni hatte 3 spannende Wochen, in denen sie tanzte, badete und bastelte, „Um-die-Ecke-guck-Fernrohre“ entwickelte und echte Kunstwerke druckte.

Beim Thema Kinderbetreuung bin ich hier wirklich hin- und hergerissen. Kann man sie sich leisten, ist sie oftmals hervorragend. Kleine Gruppen, viele Trainer/ Lehrer/ Betreuer, super Anleitung mit großem Lerneffekt samt Spaß. Wirklich ideal.

Wenn es eben nicht so teuer wäre und damit letztlich nur für ca. 50% der Kinder zugänglich.

Das ist irgendwie das generelle Problem in Amerika. Die Privatisierung aller Dienstleistungen führt für die Wohlhabenden zu einem hervorragenden Service. Schnell, kompetent, freundlich. In allen Bereichen. Wo es staatlich ist wie bei der Post oder beim Schulamt oder beim Schulbus, da ist dann sofort das Gegenteil der Fall: Langsam, inkompetent, unfreundlich. Total nervig. Und nochmal auffälliger als in Deutschland, weil man ja den Kontrast hat.

Diese Erfahrungen führen bei vielen, auch liberalen Amerikanern, zu einer generellen Angst vor einem Sozialstaat für alle. Denn das hieße evtl. auch ein Verlust von Privilegien. Vielleicht auch nicht. Aber das Risiko mag kaum jemand eingehen. Zu groß ist die Angst, dann auch zu den anderen 50% zu gehören – ohne Aufstiegs- oder Ausstiegsmöglichkeit.