Weihnachtsfeier echt amerikanisch

Meine Seelsorgeausbilderin lud unsere Gruppe Anfang Dezember zur Weihnachtsfeier zu sich nach Hause ein. Ein kleines Häuschen in einer typischen Wohngegend. Alles war festlich geschmückt, jeder Winkel dekoriert. Am Plasteweihnachtsbaum hingen gekaufte und selbstgebastelte Dekoelemente der letzten 35 Jahre. Das Propanfeuer loderte, der Hund lag auf der Couch, es war wie im Hallmark-Film.

Jeder von uns hatte ein kleines Geschenk mitgebracht und etwas zu Essen. Keine Party ohne Potluck = jeder bringt was mit. (Amerikaner sind deshalb immer etwas zurückhaltend damit, zu einer Party zuzusagen. Erst müssen sie herausbekommen, wieviel Aufwand das wirklich für sie bedeutet. Der Klassiker hier: Ach, könntet ihr bitte das Dessert mitbringen?)

Mein kulinarischer Beitrag: Kürbis-Pie mit Schlagsahne. Die wollte ich natürlich frisch schlagen. Joanne hatte aber kein Rührgerät. Weil sie nicht kocht. „Ich hab 20 Jahre lang täglich gekocht für meine Kinder, damit ist nur Schluss.“ Was tun?

Ob wir nicht ihre Nachbarn fragen könnten, ob sie uns einen Mixer leihen würden? 6 Augenpaare starrten mich an. Das mache man hier nicht. Wie ich denn auf die Idee käme? Ich erklärte, dass das in Berkeley ganz normal sei, dass ich mir so gut wie alles von Nachbarn ausleihen würde. Die Augen wurden immer grösser. Das sei dann WIRKLICH typisch Berkeley, aber nicht normal in Amerika. Sie kenne ihre Nachbarn nicht einmal. Obwohl sie seit 5 Jahren hier lebe. Bin ich froh, dass ich in Berkeley wohne.

Die Feier war trotzdem nett und das Essen gut. Auch ohne Sahne. Dafür mit heissem Apfelsaft aus echt deutschen Weihnachtsmarktglühweinpötten. Meine Supervisorin war nämlich mal 3 Jahre in Deutschland stationiert und reist seitdem mindestens 1x im Jahr zur Adventszeit nach Deutschland. Weihnachtsstimmung schnuppern und Glühwein trinken.

Aschermittwoch – wer trägt sein Kreuz?

„Danke, dass Sie ihre Kinder mitgebracht haben“, begrüsst mich die Dame am Eingang der Kirche und drückt mir das Programmheft in die Hand. In wenigen Minuten beginnt der abendliche Gottesdienst am Aschermittwoch. Mit Lesungen, Predigt, Aschekreuzsegen und Abendmahl. Das volle Programm abends um halb acht ohne Kindergottesdienst. Und die Dame freut sich über Theo und Toni. Erstaunlich.

Wir sind zu Besuch bei einer epsikopalen Gemeinde, zu der auch Freunde von uns gehen. Und sie machen alles richtig, was man sich wünscht. Sie können Liturgie und singen, sie predigen anregend, sie fördern Gemeinschaft und sind sozial engagiert. Und sie mögen Kinder. Nicht nur auf der Website. Sondern in echt.

Im hinteren Teil der Kirche liegen Teppiche und Spielsachen bereit (= Theos Aufenthaltsort). Es gibt eine Kinderbücherbibliothek (Tonis Platz). Während der Predigt gehen die Kinder zum Kindergottesdienst und kehren zum Abendmahl zurück. Ach, es könnte so einfach sein, wenn es einfach überall so wäre. Auf meine Frage an die Lehrerin, wie Theo sich benommen habe, antwortet sie: „Wunderbar. Alle unsere Kinder sind wunderbar.“ Da möchte ich sie spontan umarmen.

Aschermittwoch ist hier in den USA ein ganz normaler Mittwoch. Kein Feiertag. Und trotzdem bieten viele Kirchen bis zu 3 Gottesdienste an. Katholiken, Episcopale, Lutheraner, Methodisten, Reformierte, Presbyterier – alle machen mit. Und die Leute gehen hin.

Die Uhrzeiten sind arbeitsfreundlich und die Kirchen voll. Man hat die Wahl zwischen Gottesdiensten morgens 7.00, mittags, am späten Nachmittag und gegen 19.30. Alle Gottesdienste eint: die Gläubigen bekommen ein Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet. Das trägt man dann gut sichtbar bis zum nächsten Duschen.

Und plötzlich werden Christen für wenige Stunden individuell sichtbar, in der S-Bahn und in der Stadt. Toni und Theo liebten ihre Segnung. Als es im Gottesdienst endlich soweit war, rannte Toni förmlich nach vorne. „Ich fühle mich jetzt richtig gesegnet und besonders“, sagte sie. Was für ein wunderbarer Start in die Fastenzeit.

Valentinstag für alle! Teil 2

Insgesamt 10 Menschen lernten wir innerhalb einer knappen Stunde kennen. 4 Frauen und 6 Männer. Ein Mann las gerade einen Roman, neben ihm lag ein Sandwich. Über einen Muffinnachtisch freute er sich trotzdem. Während wir mit ihm redeten, kam ein junger Mann auf uns zu, höchstens Anfang 20, gut gekleidet. „Das ist total toll, was ihr macht. Das wollte ich euch nur sagen. Gott segne euch.“

Ein Mann betete gerade sein Stundengebet mit dem Koran in der Hand. Er unterbrach kurz, ja, er esse Fleisch. „Gott segne Sie“, verabschiedete ich mich. „Gott segne Sie.“, antwortete er. Wir legten ihm sein Essen auf die Bank.

Ein alter Mann hockte auf dem Boden und hielt liebevoll die Hand seiner Partnerin. Sie sass im Rollstuhl mit müdem Gesicht. „Fröhlichen Valentinstag!“, wünschte ich und die beiden lächelten einander überrascht an. „Ist das wirklich heute?“, fragte der Mann. Ich nickte. Beide freuten sich über Brote und Muffin. Äpfel konnten die beiden nicht kauen. Wir kamen ins Gespräch. Er sei aus dem Mittleren Westen. Bevor er obdachlos geworden sein, hätte er sich nicht träumen lassen, wie gleichgültig Menschen sein könnten. „Es ist so wichtig, was Sie machen. Und dass sie ihre Kinder mitnehmen.“ Ich fühlte mich durchschaut. Na klar, das war auch eine Bildungschance für die Kinder. Vielleicht sogar vornehmlich. Jedenfalls hatte ich das geglaubt. Er erzählte, dass er für seine Freundin Schuhe kaufen wollte und sich der Verkäufer in Berkeley weigerte, sie ihm zu geben. „Ich hatte doch Geld!“, sah er mich traurig an. Er erzählte, dass er 8 Monate lang nicht wusste, wo seine Freundin war. Einfach weg sei sie gewesen und niemand habe ihm Auskunft gegeben. „Sie war in einem Heim und ich dachte schon, sie sei tot. Irgendwann kam sie wieder. Nun sind wir wieder zusammen. Gott sei Dank.“

Weiter liefen wir die Strasse hinunter. An zwei Frauen vorbei. Sie sassen mit einem Kaffee in der Hand in einem Hauseingang. Waren sie obdachlos? Ich wusste es nicht und fragte sie vorsichtshalber nicht. Wollte ja niemandem zu nahe treten. Einige Meter weiter mussten wir an der Ampel warten. Da rief die ältere der beiden: „Entschuldigung, verteilen Sie etwas?“ – „Ja, Brote.“ – „Dürften wir auch eins bekommen bitte?“ Wir drehten um und lernten Li und ihre Tochter 18-jährige Tochter Amy kennen. Li ist vor 25 Jahren aus Hongkong gekommen, hat hier gearbeitet, bis sie erst ihren Job verlor und dann vor einigen Wochen die Wohnung. Seitdem haben sie ihr Hab und Gut in 2 Kinderwagen geladen und leben auf der Strasse. Verwandte haben sie keine hier, die helfen würden. Stolz erzählt Li: „Amy will aufs City College gehen, sie hat letztes Jahr Abi gemacht.“ Und Amy lächelt schüchtern und sagt: „Heute wollte ich mich anmelden, aber ich war so fürchterlich müde.“ Ich nicke. Kann mir gar nicht vorstellen, wie man fit sein soll für eine Unibewerbung nach Nächten draussen, die auch hier kalt sind, um die 10 Grad. „Ich bewundere dich, Amy. Du musst unglaublich willensstark sein, in dieser Situation weiterzumachen und studieren zu wollen.“

Auf dem Rückweg laufen wir nochmal durch den Park. 2 Männer schlafen, einer redet mit dem Himmel und starrt in die Luft. Auf einer kleinen Mauer sitzen einige Leute, reden, lachen, hören Musik. Wir gehen auf das Grüppchen zu und bieten ihnen unsere Brote und Muffins an. Ein älterer Mann, Ray, nimmt etwas, betonend, dass er nicht mehr obdachlos sei. Er war es, viele Jahre. Aber seit 10 Jahren habe er eine kleine Wohnung. In den Park komme er, um anderen Mut zu machen. „Ich habe es geschafft, sie können es auch schaffen.“

Sein Kumpel hat noch keine feste Bleibe gefunden. Als er unsere Muffins sieht, strahlt er übers ganze Gesicht. „Oh, das ist mein Lieblingsessen. Darf ich 2 nehmen?“ – „Klar, gerne auch 3 oder 4.“, lache ich. „Danke, aber eigentlich darf ich keinen Zucker essen. Aber wann krieg ich schon mal frisch gebackene Muffins.“ Vorsichtig nimmt er sich die warmen Muffins aus der Dose und legt sie wie einen kleinen Schatz vor sich hin. Und dann erzählt er: Davon, wie fröhlich er als kleiner Junge war. Dass seine Mutter ihm kochen beigebracht hat und wie gern er bei ihr in der Küche stand. Dass er mit seinem Vater auf dem Bau und im Abriss und beim Abschleppdienst gearbeitet hat. Ich sehe ihn förmlich vor mir. Einen kleinen Jungen mit mitreissendem Lächeln. Einen jungen Mann voller Tatendrang. Ein Leben voller Hoffnungen. Was dann passiert ist? Ich weiss es nicht. Aber ich sehe nicht mehr einen anonymen Mann ohne obere Zahnreihe und in Lumpen, der eine Bierflasche in einer Papiertüte versteckt. Sondern einen Nachbarn, dem das Leben übel mitgespielt hat. Während unserer Unterhaltung beobachte ich aus den Augenwinkeln, wie Theo mit Ray redet.

Bevor wir gehen wollen, holt Ray plötzlich sein Portemonnaie hervor. Er möchte uns was geben fürs essen. Ich wehre ab, nein, das sein ein Valentinsgeschenk. Doch er insistiert. Fischt einen $5-Schein hervor und gibt ihn Theo. „Bitte, nehmt das. Ich hatte Glück. Ich durfte ein Rehabilitationsprogramm absolvieren und habe eine Wohnung bekommen. Jetzt möchte ich zurückgeben.“ Da gebe ich auf und wir nehmen das Geld dankend an. Weil ich das Gefühl habe, dass es nicht richtig wäre, Ray diese Freude zu verwehren. Auf dem Nachhauseweg überlegen wir, was wir mit dem Geld machen können. Wie wir damit mehr Menschen Gutes tun können. „Kinder, ich gebe euch noch $5 dazu, lasst euch was einfallen.“, sage ich. Noch überlegen die beiden. Mal sehen, was passiert.

Am Ende des Vormittags habe ich das Gefühl, die eigentlich Beschenkte zu sein. Die Kinder ekeln sich jetzt nicht mehr vor Obdachlosen. Die Geschichten haben sie berührt und beschäftigen sie weiter. Wir wurden mit Geschichten beschenkt. Wir wurden gesegnet. Mit mehr Segenswünschen als ich jemals in Berkeley gehört habe.

Gott segne unsere obdachlosen Nachbarn. Und gebe uns Augen und Ohren für ihre Leben und Geschichten. Damit wir nicht in ohnmächtiges Wegsehen verfallen. Damit wir in ihnen sehen, was sie sind: liebenswerte Menschen und Nachbarn.

Valentinstag für alle! Teil 1

Ich habe den Valentinstag hier wirklich lieben gelernt. Die Kinder bastelten für alle Klassenkameraden kleine Kärtchen und überlegten, was sie an dem oder derjenigen mögen. Und sie bekamen jeder 20 Karten von ihren Mitschülern, teils wirklich rührende Freundschaftserklärungen mit Liebe gekritzelt und geklebt.

Seit vielen Monaten ist bei uns die bedrückende und allgegenwärtige Obdachlosigkeit Thema. Anfangs waren die Kinder noch erschüttert, wenn sie Menschen auf der Strasse liegen sahen. Nach und nach wandelte sich dies in Ekel und Gleichmut. Ich war erst überrascht, dann traurig und konnte mir nicht erklären, was passiert ist. Zu Hause reden wir nie schlecht über wohnungslose Nachbarn. Die Kinder kennen Leah und Theo, die Familie, die wir unterstützen. Ich gucke niemanden komisch an auf der Strasse (glaub ich jedenfalls). Und trotzdem: Ekel und Gleichmut.

Eine befreundete Psychologin erklärte es mir: „Das ist völlig normal. Die Kinder sehen sich dem Elend ohnmächtig ausgeliefert. Sie halten es nicht aus und haben das Gefühl, nichts tun zu können. Also stumpfen sie ab. Und rationalisieren das Gefühl als Ekel.“ Was tun? Ich solle den Kindern zeigen, dass sie einen Unterschied machen können. „Vielleicht könnt ihr immer was Kleines in der Tasche haben zum Verschenken?“

Soweit sind wir noch nicht. Auch wenn wir schon Ideen gesponnen haben, was nützlich sein könnte. Zahnbürsten und Zahnpasta vielleicht. Oder Süssigkeiten fürs Herze.

Am 14. Februar selbst hatten die Kinder schulfrei. Eine Freundin kam morgens zu uns und das Kinderferientagscamp war komplett. Ideal, um endlich den Wunsch in die Tat umzusetzen. Wir buken Schokomuffins, die Kinder schmierten oberleckere, dick belegte Sandwiche. Dazu packten wir Äpfel und Süssigkeiten ein und gingen 7 Minuten gen Innenstadt. Dort ist ein kleiner Park, Anlaufpunkt für viele Obdachlose und Arme.

Eine kurze Unsicherheit überkam mich. Wie würden die Menschen es aufnehmen, wenn wir ihnen Essen anbieten? Ich wollte ja niemandem zu nahe treten, niemanden beleidigen. Eine Frau sass auf der ersten Bank. Sie schimpfte laut in Richtung einiger Männer. Ihr Oberkörper war halb entblösst.

Ich ging lächelnd auf sie zu: „Fröhlichen Valentinstag wünsche ich ihnen.“

Sie drehte sich zu mir um, lächelte überrascht. „Danke, das ist lieb. Ihnen auch.“

„Die Kinder und ich haben Brote gestrichen und frische Schokomuffins gebacken. Sie sind noch warm. Dürfen wir ihnen welche anbieten? Aber wirklich nur, wenn sie mögen.“, fragte ich vorsichtig.

„Gerne! Sehr gerne. Das ist wunderbar.“ Ich reichte ihr beides. Da fragte Theo schüchtern: „Wir haben auch Äpfel, mögen sie einen?“ Das Strahlen der Frau wurde noch breiter und Theo reichte ihr einen.

Da traute sich auch Toni. „Ich habe kleine Tüten mit Süssigkeiten gefüllt, bitteschön.“ Die Frau guckte die Kinder an, ungläubig fast ob der Freundlichkeit. Dann bedankte sie sich.

„Wie heissen sie?“, fragte ich und sie sagte es mir. „Lisa, ich bin Tia. Es ist mir eine Ehre, sie getroffen zu haben.“ – „Mir auch. Gott segne euch.“, antwortete sie. „Gott segne sie!“, verabschiedeten wir uns. Meine Angst war verflogen. Es war richtig, was wir hier machten.

Vorfreude auf Deutschland

Wir fliegen nach Deutschland. Danke liebe EKD. Denn sie zahlt den Kindern und mir einen Rückflug innerhalb von 12 Monaten und den konnte ich nicht verfallen lassen. Gott sei Dank.

Pünktlich zur Adventszeit bekam Toni nämlich wieder Heimweh. Es begann ganz harmlos mit der Frage: „Kommt Grossmama Weihnachten zu uns?“ – „Nein.“, sagte ich wahrheitsgemäss. – „Kommt Jannschi?“ – „Nein.“ – „Kommt Chrischi?“ – „Nein.“ – „Kommt überhaupt irgendwer aus Deutschland?“ – „Nein.“

Und dann brach es aus Toni heraus: „Ich will nach Deutschland zurück. Ich will, dass es so ist wie immer. Dass wir alle zusammen Weihnachten feiern bei Grossmama in Rostock. Wie immer.“ Toni weinte bitterlich und ich beschloss, das Geheimnis zu lüften. Leise flüsterte ich ihr unsere Reisepläne ins Ohr. Sie lächelte, die Krise war überstanden.

Einige Tage später begann Theo mit denselben Fragen und Toni erzählte es ihm. Seitdem zählen die Kinder doppelt: Einmal klassisch bis Weihnachten. Und dann addieren sie 2 Tage dazu bis zum Abflug. Heute haben wir Geschenke eingepackt (halber Koffer) und unsere Klamotten. Am 26. fahren wir nach dem Frühstück zum Flughafen.

9 Stunden Direktflug allein mit 2 Kindern. Sollte kein Problem sein dank Filmangebot. Allerdings landen wir in Deutschland, wenn es nach amerikanischer Zeit Mitternacht ist. Irgendwie muss ich die beiden also zum Einschlafen bringen. Na, wird schon.

Ich bin langsam genauso aufgeregt wie die Kinder, noch 1x schlafen bis Weihnachten und 3x schlafen bis Deutschland. Hurra!

Eislaufen im T-Shirt

Die Kinder lieben Eislaufen. Letzten Winter waren sie ganz traurig, dass es hier keine gefrorenen Seen gab. Dass man dennoch Eis laufen könne, war uns nicht in den Sinn gekommen.

Natürlich kann man. Wir sind schliesslich in Amerika. Da kann man alles. Am Eröffnungswochende war es sogar erschwinglich.

Auf einer Minieisbahn zogen wir unsere Runden im T-Shirt bei 20 Grad zu Weihnachtsschlagern. Um Winterzauber zu verbreiten, hatte man Plastebäume mit Plasteschnee aufgebaut und sie kunterbunt erleuchtet.

Es wäre nicht Amerika, gäbe es keine Regeln und vor allem keine zahlreichen Aufpasser, die für deren Einhaltung sorgen. Wichtigste Regel: Nur im Uhrzeigersinn laufen. Die Kinder verstanden schnell, dass die Richtungsinterpretation variabler wird, je näher sie am Zentrum liefen. Zum Ärger der Aufsicht, die nicht genau wussten, wann sie ermahnen durften.

Während Toni dank eisernen Übens inzwischen sehr gut allein fährt, geht es Theo nur um Tempo. Egal, ob an meiner oder Philipps Hand oder mit Eislaufhilfe. Er sieht gar keinen Wert im eigenständigen Schlittern. Man ist langsam und fällt hin. Will er nicht.

Leider sind die Eislaufhilfen hier hochnot altmodisch und sehen aus wie ein Plasterollator. Für läppische $5 bekommt man sie auch schon. Für ganze 30 Minuten. Armer Theo? Nee. Arme Eltern, die stundenlang mit Kind an der Hand herumdüsen durften. Hat trotzdem Spass gemacht.

Sommergeburtstag im November

Toni ist unser Novemberkind und hat darunter bisher immer etwas gelitten. Zu gern wollte sie draussen feiern mit Erdbeertorte. Tataaa – Kalifornien macht es möglich. Mitte November herrschten immer noch 25 Grad, im Laden gab es frische, lokale Erdbeeren und weissen Spargel für unsere Feinschmeckerin.

Bei Theos Geburtstag hatte ich mich noch ziemlich gestresst mit verschiedenen Kuchen und 100 Spielen und Preisen. Diesmal wusste ich schon, worauf es ankommt:

  1. Viele Gäste: Toni lud ihre gesamte Klasse ein samt Geschwistern. 30 Kinder kamen mit ihren Eltern.
  2. Eine Geburtstagstorte: Sie qualifiziert sich durch Kerzen, die sofort ausgepustet werden. Toni wollte auf keinen Fall eine bunte, gekaufte. „Je selbstgebackener, desto besser“, erklärte sie uns und wünschte sich eine Erdbeersahnetorte.
  3. Chips, Gemüse und Dips für die Eltern. So haben sie die Möglichkeit, ihre Kinder daran zu erinnern, ihre „greens“ oder „veggies“ zu essen und zeigen den anderen Eltern, wieviel Wert sie auf gesundes Essen legen. Selbst bei Parties.
  4. Nicht zu viel Kaffee und Kuchen. Die meisten kommen vom Brunch/ Mittag und gehen danach noch zur nächsten Party.
  5. Pinata!!!

Grundsätzlich gehen die meisten Parties hier 2 Stunden offiziell. Faktisch gibt es ein knapp einstündiges Zeitfenster, in dem alle Gäste da sind. Da müssen Torte und Pinata stattfinden. Die Pinata läutet dann gleichzeitig den dramatischen Höhepunkt (ein Kind schreit immer) und das Ende der Feierei ein.

Natürlich konnte ich dann doch nicht anders und spielte mit den Kindern Eier laufen und Topf schlagen. Aber der absolute Hit war das Seil, an dem die (von Philipp und den Kindern selbstgebaute) Pinata hing. 20 Minuten droschen die Kinder auf das Einhorn ein, dann fiel es endlich und die Party hätte zu Ende sein sollen. Wäre nicht ein Papa (nicht Philipp) auf die Idee gekommen, Kinder an dem Seil hoch zu ziehen und schaukeln zu lassen. Dauerte ne Weile und kostete viele Eltern sicher grosse Überwindung. Aber keiner beschwerte sich ob der Lebensgefahr nach amerikanischen Standards.

Und dann begann das Tauziehen. Keine Ahnung, wie das anfing. Aber plötzlich hingen knapp 30 Kinder in 2 Gruppen an einem Seil und zogen und schleiften sich gegenseitig über den Rasen. Väter und Mütter konnten nicht widerstehen und traten den Lagern bei. Es wurde ein regelrechter Kampf mit Geschrei, Geschwitze, Tränen und Jubel. Und niemand wurde müde. Es war, als ob der Geist der Geburtstagsfeiern vorheriger Generationen auf uns lag. Niemand wollte gehen, Eltern schrieben mir später, was für eine besondere Feier dies gewesen sei.

Es war ein Tag, an dem wir alle gemerkt haben: Wir sind hier angekommen. Die Klassenkameraden der Kinder sind nicht nur Kameraden, sondern Freunde. Ich kenne fast alle Eltern, viele davon gut, mit einigen bin ich befreundet. Wir haben uns hier ein Leben aufgebaut und geniessen es!

Das Auspacken der Geschenke war dann doch ein kleiner Schock. In der Einladung hatten wir extra betont, dass es um das gemeinsame Feiern ginge und Geschenke nebensächlich seien. Trotzdem wurde Toni geradezu überhäuft. Zum Glück habe ich mir das „Auge-um-Auge-Schenken“ schon lange abgewöhnt.

Wetterfühlig

3 Tage vor dem 1. Advent lag ich noch am kalifornischen Strand, während Theo mit den Füssen badete. Dann brach mit einem Mal die Regenzeit an. Und nun herrscht schönstes Hamburger Frühsommerwetter: Heftige Regenfälle wechseln sich ab mit Wind und strahlendem Sonnenschein. Morgens ist es kalt, mittags warm, abends kühl, nachts richtig kalt. Naja, 10 Grad eben (gefült). In echt behauptet mein Handy seien es immer noch 14. Nach 7 Monaten Sommer hatte ich mich an ein regenfreies Leben gewöhnt. Nach 2 Wochen reicht es mir ehrlich gesagt auch schon mit dem Regen. (Wir hatten Glück dieses Jahr und nur ein wirklich verheerendes Wildfeuer in unserer Gegend, 50 km entfernt.)

In der Schule haben die Kinder gelernt, bei wieviel Fahrenheit es kalt und warm ist. Ergebnis: 70 F (20 Grad) ist kalt. Das dazugehörige Tier ist der Pinguin. 100 F (40 Grad) ist heiss. Da leidet auch der Löwe.

Als gute Kalifornier frieren meine beiden Nordlichter nun bei allem unter 15 Grad und tragen Wintermäntel, Handschuhe und gefütterte Schuhe. Ich würde über sie lachen, wenn ich es nicht genauso handhabte.

Theo hat sich kleidungstechnisch schon komplett angepasst: Handschuhe und Winterstiefel hindern ihn nicht daran, kurze Hosen zu tragen. Tagein und tagaus. Bei Regen und Sonne. Wir werden fürchterlich bibbern und zittern in Deutschland und uns nach kalifornischer Sonne sehnen. Es sei denn, es gibt immer genug Glühwein für mich zum Aufwärmen. Und Würstchen für Theo. Er findet die Hot Dog Würstchen hier widerlich. Sind sie auch. Eeekelhaft. Selbst bei strahlendem Sonnenschein.

Weihnachtsstimmung?

Es ist Adventszeit, nur noch 12 Tage bis Weihnachten. Normalerweise kann ich um die Zeit schon keine Weihnachtslieder mehr hören und bin völlig überzuckert und -glühweinalkoholisiert.

Dieses Jahr ist alles anders. Adventlich fühlt es sich eigentlich nur in der Kirche an. Da duftet es nach frischem Tannengrün und einem riesigen Weihnachtsbaum. Ansonsten ist alles wie immer. Nix mit amerikanischem Dekowahn in Berkeley. Zu Halloween waren die Häuser aufwendiger geschmückt als im Moment. Natürlich gibt es in San Francisco riesige Weihnachtsbäume vor dem Rathaus. Aber da waren wir noch nicht. Natürlich dudelt Weihnachtsmusik in den Läden. Aber ich geh so gut wie nie einkaufen, mal abgesehen von Lebensmitteln. Und da hält man sich mit Weihnachtsliedern zurück. Schliesslich ist ja auch Chanukka demnächst. Und da spielen Weihnachtsmann und Christkind sicher keine Rolle.

Also habe ich auf ein altbewährtes Mittel zurückgegriffen: Bachs Weihnachtsoratorium funktioniert immer. Mit den Kindern höre ich rauf und runter Weihnachtslieder auf Youtube, auch die schlimm kitschigen, weltlichen. ist schon alles egal. Hauptsache, es hilft, in Stimmung zu kommen.

Was noch? Am 1. Advent bastelten die Kinder im Kindergottesdienst Gott sei Dank Adventskränze. Amerikanisch praktisch mit Steckmasse. Eine Lichterkette fand ich auf der Strasse. Die hüllt unsere Küche nun in warmes Licht. Und heute brachte eine Nachbarin uns ihren 3-Jahre alten Plastebaum vorbei. Schon aufgebaut. Mit Lichtern. In Deutschland hätte ich mich gegruselt. Hier kostet ein mickriger 1,20m Baum schon $50. Für 2 Tage lohnt sich das nicht. Denn am 26. fliegen die Kinder und ich nach Deutschland. Echte Bäume gucken und Weihnachtsstimmung inhalieren. Ich werde mich soooo an Stolle und Marzipankartoffeln und Dominosteinen überfressen. Legt Vorräte an!

Lebkuchen gibt’s hier natürlich auch nicht. Ganz zu schweigen von Glühwein. Den setze ich übermorgen selbst an, wenn ich Nelken gekauft habe. Das Rezept dafür hat mir eine unserer Damen aus der Kirche verraten. Kosten durfte ich ihr Gebräu auch. War oberlecker! Der Trick: Wasser mit Gewürzen und Orangen und Zitronen stundenlang sieden lassen und erst zum Schluss mit Wein auffüllen.

Was mich überrascht hat: überall werden Adventskalender verkauft. In Kanada musste ich die damals noch selbst basteln. Und Trader Joe’s verkauft echte, deutsche Lebkuchenhäuser zum Selberbauen. Immerhin.

Herbstfest an der Schule: Spass für die Kinder, Stress für die Eltern

Die meisten Schulveranstaltungen hier sind Fundraiser. $120.000 müssen wir Eltern zusammenkriegen dieses Jahr, um die Schule mitzufinanzieren. Das Herbstfest war anders. Da ging es wirklich mal nur um Spass und Gemeinschaft.

Ist aber nicht weniger stressig in der Organisation. Als Elternsprecherin war ich für 150 Preise verantworlich für die gesamte Schule. Hat mich kurzzeitig etwas überfordert. Aber dann habe ich mein Facebook Netzwerk „Buy nothing“ aktiviert und 4 Tüten Kuscheltiere und Spielzeug abgeholt. Und alle waren glücklich. Die Gewinner und die grosszügigen Geber (denn sie waren den riesigen blauen Elefanten und das Monstereinhorn los). Nur die Eltern der Gewinner trugen süsssaure Mienen zum lustigen Spiel. Yeah, ein Kuscheltier mehr im Kinderzimmer!

Theo entschied zich netterweise für ein Fernglas mit eingebautem Kompass. Toni nahm eine kleine Figur.

Andere Elternvertreter hatten noch aufwendigere Stände gezogen. Eine antike Apfelpresse zum Beispiel, für die die entsprechende Mutter 30kg Äpfel organisieren musste. Oder eine Hüpfburg zum selbst aufpusten (mit Motor, aber trotzdem). Zum Glück müssen Bachelor-Studenten hier jedes Semester einige Stunden lokales Ehrenamtsengagement nachweisen. Also hatten wir 30 kräftige Helfer.

Keine Veranstaltung ohne Kulturbeitrag. Ein etwa 5-jähriger Frontsänger rappte die Bühne mit allerlei „typisch männlichen“ Bewegungen (z.B. Hüftschwung vor- zurück, dabei seine Hoden mit der Hand verdeckend). Unterstützt von seinen etwa 8-jährigen „girls“. Es war zum Schreien: Witzig, komisch, musikalisch erstaunlich gut. Und irgendwie fehl am Platz an einer Schule, an der diverse Genderkonzepte gleichberechtigt gelebt und gelehrt werden. Nach der Vorstellung verteilte der Frontsänger Lollis mit Emblem des kleinen Stars für die Fans. Leider bekam nur jedes 10. Kind eins zugeworfen. Toni war leider eines davon. Leider bekam Theo daraufhin einen Wutschreianfall. Leider, leider war das Fest damit für uns zu Ende.