Exploratorium: STEM für alle!

Einige Male im Jahr öffnet das Exploratorium in San Francisco seine Türen für „zahl soviel du kannst“. Die Tage sind bei mir im Kalender markiert, denn sonst kostet ein Ticket $30. Das ist dieses Museum auch wert (wenn man das Geld hat). Eine riesige Halle voller Experimente. Wie TechniQuest in Cardiff, Wales. Bei mir hat die kindliche Prägung zwar zur Technikbegeisterung, aber leider nicht zu mehr Technikverständnis geführt. Vielleicht ist das ja bei T&T dank genetischer Vorbelastung anders?

Bewegte Bilder wie anno dazumal.

Irgendwie muss ich an den freien Museumstagen immer arbeiten. Und so bekam ich auch diesmal nur einen minimalen Einblick. Denn als ich kam, drehte Theo schon am Rad und Philipp war fix und alle.

Austoben gegen das Durchdrehen!

Also sah ich nur ein paar schockierende Highlights und erweiterte mein „Ich weiß was, was du nicht weißt“-Repertoire. Ein paar Auszüge:

In einem Terrarium lagen 5 tote Ratten in unterschiedlichen Verwesungsstadien (1 Woche bis 6 Wochen), die von Würmern aufgefuttert wurden. Bilder fürs Leben.

Reiner Kompost stinkt nicht und entwickelt eine Hitze, die man zum Heizen nutzen könnte.

Ich höre Töne erst ab 45 Hz und auch nur bis knapp 14.000. Wahrscheinlich bin ich irgendwann taub.

Man kann mit den Zähnen hören. Mit zugehaltenen Ohren. Weil Knochen Geräusche übertragen. Ziemlich irre.

Nebelschwaden fühlen sich an wie weiches Nichts.

Im September ist irgendwann an einem Donnerstag der nächste freie Mueseumstag. Da geh ich dann nur mit Erwachsenen ins Exploratorium! Oder allein. Hauptsache, ohne Kinder.

Hoch leben die Mütter

In Amerika ist alles ein bisschen größer. Entsprechend ließ ich mich einige Tage lang als Mutter feiern. Auch mal schön.

In Schule und Kita sollten die Kinder Karten schreiben und basteln. Also krickelte Theo erstaunlich ordentlich „Happy Mother’s Day“ und „I love you“ und „Theo“ auf seine Karte. Und diktierte zusätzlich „because you make cookies for me“. Ich fühlte mich geschmeichelt, meine Backkünste waren schon lang nicht mehr bewundert worden. Bis die Wahrheit zuschlug: Er meinte die Schokokekse der vergangenen Woche. Übriggeblieben in der Kirche. Erworben beim Großmarkt Costco. Fazit: Liebe ist eben doch käuflich.

Am Freitag lud die Kita alle Mütter und Großmütter zum „Mother’s Tea“ ein. Es gab Früchtetee aus Porzellantassen, Madeleines (Theo aß seine und meine), Blaubeeren, Erdbeeren und natürlich Cracker’n Cheese. Sonst wäre es ja keine amerikanische Teezeit. Jedes Kind hatte seiner Mutter Blumen gebastelt. Außer Theo. Seine Erzieherin erklärte mir: „Ich hab wirklich alles probiert, aber er wollte partout nichts basteln.“ Daraufhin ich: „Ich hab auch alles probiert, aber er wollte dir auch keine Karte basteln.“ Wir nickten verständnisvoll. An meinem Tisch standen stattdessen die von Theo am Morgen für seine Erzieherin gepflückten Blümchen vom Wegesrand. Schlauer Junge. Ein Strauß, zwei glückliche Frauen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Neben uns saß die Familie von Theos Freundin Kaylee-Jane. Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Kaylee und ihre Schwester in pompösen Tüllkleidern mit Fascinatern auf dem Kopf. Die Mama im Etuikleid, die Großmutter im pinken Traum samt Hütchen. Es herrschten Zucht und Ordnung. „Bei einer Teaparty muss man sich benehmen“, erklärte die ältere Dame. Ihrer Tochter waren so viele Manieren sichtlich unangenehm. Irgendwie verständlich inmitten einer Horde von Kitakindern. Die Familie ist im Herbst aus Texas hergezogen samt Oma. Für drei Jahre. Solange unterrichtet der Vater an der Uni angehende Offiziere. Texanische Militärangestellte also. Konservativer geht nimmer. Wie Kinder doch ihre Freunde ganz nach dem Geschmack der Eltern auswählen… Falls sie ihre Abendessenseinladung wahr machen, muss Theo krank sein oder sonstwie verhindert oder irgendwie ruhig gestellt.

Am Muttertag selbst übertrafen sich hier alle selbst. Um 8.00 bekam ich frischgebackene Pfannkuchen serviert, bevor ich 8.15 das Haus verließ (normalerweise esse ich Sonntags immer allein mein Brötchen, maximal von einer schläfrigen Toni Gesellschaft erhaltend). In der Kirche gab es Rosen für alle Damen (und für die Pastorin gleich 3, ist definitiv der beste Job der Welt). Der beste Ehemann der Welt buk mir eine Erdbeertorte, Toni malte Bilder (und sorgte dafür, dass Theo sich ausmalend beteiligte) und bastelte Papierblumen.

Nun muss ich nur fix die Weinflasche leeren, um eine angemessene Vase zu haben. Was tut man nicht alles.

Am 3. Sonntag im Juni ist Vatertag…

Deutsche in Amerika: lustig ist das Vereinsleben

Gerade bekam ich per WhatsApp eine Einladung zum Maifest der Naturfreunde in Oakland. Auf dem Programm stehen Tanz um den Maibaum, Schuhplattlern, Jodelwettbewerb und Schnitzeljagd. Alles bei Brezen, Bier und Würstchen. Mehr Klischee geht nicht. Mehr bairische Heimatverbundenheit auch nicht. Gut, dass ich Tonis und mein Dirndl eingepackt hab. (Toni trägt ihres eh ständig, sie liebt es so.)

Deutsche Vereine gibt’s hier seit es hier Deutsche gibt. Also seit dem Goldrausch ab 1848. Um 1900 waren 25% der Bevölkerung hier Deutsche. In San Francisco bildeten sie entsprechend große, sozial und politisch einflussreiche Vereinigungen. Ihre wichtigste Aufgabe: die gegenseitige Unterstützung im Notfall. Außerdem: Pflege von Tradition, Kultur und Sprache.

Dank der zwei großen Einwanderungswellen nach dem 1. und 2. Weltkrieg haben die Vereine immer noch viele deutsche Mitglieder. Die meisten Aktiven sind 80 und älter, also genauso wie in unserer Gemeinde.

Ihre Kinder haben teilweise die Leitung der Vereine übernommen. Sie sind heute um die 50-jährige Amerikaner. Deutsch verstehen sie teilweise noch, sprechen es kaum. Kulturell sind sie Amerikaner durch und durch. Sie kleiden und schminken sich entsprechend. Sie können stundenlang über Essen und Restaurants reden. Sie sind perfekt im Smalltalk. Nur eins verrät ihre elterliche Herkunft: Sie essen mit Messer und Gabel. Gleichzeitig. Amerikaner schneiden erst alles klein, legen das Messer weg, nehmen die Gabel in die rechte Hand und essen.

Beim festlichen Banquet des Schwabenvereins spielte eine urige 2-Mann-Band amerikanische Standards der 1950er. Also aus der Jugendzeit der meisten Mitglieder. Man schwofte herrlich im Paartanz, auch Philipp und ich versuchten uns. Da ich die Kurzandacht vor dem Essen hielt, waren wir geladene Gäste.

Sonst ist der Zugang zu den Vereinen teilweise exklusiv. Im Schwabenverein kann nur Mitglied sein, wer männlich ist UND einen schwäbischen Vater vorzuweisen hat. (Quasi wie bei den Muslimen. Den Vergleich fanden sie jedoch nicht so witzig…) Die Damen und Töchter haben ihren eigenen Verein. Söhne schwäbischer Mütter haben Pech.

Was ist hier Deutsch? Nicht das Essen. Nicht die Musik. Teilweise die Sprache. Vor allem wohl das Gefühl, zusammenzugehören, eine bestimmte Immigrationsgeschichte zu teilen: das Sich-Hoch-Arbeiten, die harten Kämpfe mit der englischen Sprache, der Umgang mit den Vorurteilen gegen Deutsche im Amerika der 1950er und 60er, das Gefühl „Ich habe es geschafft“. Dazu die Erinnerung an die Erinnerung an Kindheit/ Jugend/ erste erwachsene Jahre in Deutschland vor der Ausreise.

Das gleiche Bild beim Stammtisch der altehrwürdigen deutschen Unternehmer. Einmal im Monat treffen sie sich (im gleichen baskischen Restaurant wie der Schwabenverein). Man tauscht sich aus, der Präsident hält eine kurze Rede, der kürzlich Verstorbenen wird gedacht. Dann kommt das Highlight des Essens: Der „Kulturmops“ hält einen Vortrag, gespickt mit schmutzigen Witzen. Die „kalifornische Staatszeitung“ wird herumgereicht. Ein Wochenblatt, das leider oftmals so spät geliefert wird, dass alle Neuigkeiten veraltet sind. Aber in der Märzausgabe war ein Foto von Philipp und mir drin vom Schwabenvereintanz. Gutes Blatt!!!!

Den Alten bieten die Vereine Heimat und Großfamilienersatz. Die Jüngeren lieben die Folklore. Den meisten in den letzten 20 Jahren eingewanderten Deutschen hingegen bleiben die Vereine suspekt. Und so geht es den Vereinen wie unserer Kirche: Der Nachwuchs fehlt. Aber die Stimmung ist super! Ich freu mich schon aufs Sommerfest des Schwabenvereins!

Yoga im Garten, Kerzen auf der Treppe

Berkeley ist die Stadt der nachbarschaftlichen Vernetzung. Ob per „Nextdoor“ oder „Olio“-App oder auf der Facebookseite „Buy Nothing“, man hat das Gefühl, die Menschen breiteten ein großes Netz untereinander aus. Jedenfalls, solange man Internetzugang hat. Verschenkt oder verliehen wird alles Mögliche.

Vorletzte Woche z.B. schenkte mir jemand per App nagelneue Bluetooth-Kopfhörer. Sowas hatte ich noch nie. Weder mit noch ohne Bluetooth. Jetzt kann ich beim Zugfahren endlich Podcasts und Hörbücher hören, dank meiner Bibliothekskarte sogar kostenlos. (Nein, ich kann nicht einfach lesen in der Zeit. Ich muss nämlich zugleich mich und mein Rad festhalten.) Ein anderes Mal bekam ich eine Tüte mit Kerzen und Tee.

Manchmal treffe ich die Geberinnen, meist steht eine Tüte mit meinem Namen auf der Veranda oder im Vorgarten. Und da in Berkeley der Trend zum Ausmisten geht, verteilen die Leute Schätze ohne Ende. Für Theos Gabentisch brauchten wir lediglich ein Dinoskelettbastelset und ein Fahrrad (gebraucht) zu kaufen. Alles andere fand ich per App oder beim Vorbeifahren auf der Straße.

Letzte Woche wiederum erlebte ich meine erste Yogastunde (Mal abgesehen vom Schwangerschaftsyoga mit Wibi kurz vor Theos Geburt, bei dem ich nach wenigen Minuten Wibis Rückenmassage allen weiteren Übungen vorzog.) Bei Vogelgezwitscher lagen, standen, dehnten wir uns im Garten von Sher. Sie sei keine ausgebildete Lehrerin, aber praktiziere sowieso regelmäßig Yoga. Da bot sie einfach ihren Nachbarn an, mitzumachen. Die ganze Stunde war wie der Entspannungsteil nach getaner Arbeit beim Workout im Fitnessstudio in Hamburg. (Und das war der eigentliche Grund für meine Teilnahme).

Beim Yoga kann ich gleich mit dem Angenehmen beginnen. Die Gedanken kreisen lassen. Das Nachdenken sein lassen. Spüren. Beten. Sehen, wie fürchterlich steif ich bin. Und dann merken, dass mir das im Grunde genommen total egal ist. Beim nächsten Mal bin ich wieder dabei.

Studentenchöre: Grund, in Berkeley zu leben

Nichts gegen meinen wirklich guten Unichor in München. Er ist wirklich gut. Aber die studentischen Kammerchöre hier sind fantastisch. Fast schon ein Grund, hier zu studieren.

8 Laien-Formationen proben 1-2x die Woche. Unter ihnen eine A-capella-Gruppe a la Comedian Harmonist. Dazu das Damen-Pendant. Eine Rennaissancegruppe. Eine Musicalgruppe (da wäre ich definitiv drin gewesen). Eine Jazzformation. Am letzten Probenmontag meines Uni-Alumni-Chores gaben die Studis ein exklusives Minikonzert für uns. Wir stellten das Essen. Jede Gruppe sang ein Highlight aus ihrem Programm. Danach wurden die Graduates geehrte und Preise verteilt.

Auszeichnungen gibt es hier ja vielfach. Ein Foto der „Kassiererin des Monats“ hängt gleich am Eingang des Supermarkts. „Mitarbeiter des Jahres“ zu werden ist ein echtes Ziel.

Am Ende des Abends sangen wir für die Studis. Nach der gehörten Perfektion leider eher peinlich. Unser Chor hat zwar eine anspruchsvolle Aufnahmeprüfung, aber wer einmal drin ist, kann bleiben bis er stirbt.

Leider nähert sich das Semester seinem Ende entgegen. Lediglich einen Musicalabend erwische ich noch. Zwischen Juni und September werden die meisten Studis die Stadt verlassen (ein bisschen wie in Cluj im Sommer), es gibt so gut wie keine Uniangebote. Aber im kommenden Herbst werde ich die (kostenlosen) Konzerte der Studis besuchen. Weil sie wunderbar sind.

Theo, Held der Phrasen

Jeder lernt Sprachen auf seine eigene Weise. Das gilt anscheinend schon für Kinder.

Toni scheint eher der visuelle Typ zu sein. Am schnellsten lernt sie, was sie einmal geschrieben hat. Schreiben ist inzwischen zu ihrem Lieblingsfach in der Schule avanciert. In den Spielstunden schreibt sie freiwillig Texte ab. Auf diese Weise lernt sie peu a peu Schreiben, Lesen und Englisch. Jeden Tag 2-4, zum Teil selbst konstruierte, Sätze.

Was Toni nur hört, kommt teilweise in lustigen Variationen zu Hause an. „Mama, good leg!“, ruft sie und streichelt ihr Bein. Ich bin irritiert, erkläre, dass es „Good luck“ heißt. Wir diskutieren eine Weile, Toni bleibt stur und einigen uns schließlich darauf, dass beides geht. Eben in unterschiedlichen Situationen.

Theo hingegen ist eine wandelnde Phrasenbox. Er baut im Gegensatz zu seiner Schwester kaum eigenständig Sätze bisher. Aber er wirft mit Sätzen um sich, wann immer es geht. „I can fix that.“, sagt er ruhig während ich koche. Ich schaue ihn fragend an. „Weißt du, was das bedeutet?“ – Kopfschütteln. „Come on everybody, let’s go.“ „What are you doing/ making?“ „Line up.“ „It’s my turn.“ „Here we go.“ „Stay here.“ „You can do it. Way to go.“ Sein Kindergartenalltag spiegelt sich in der Sprache.

Nur einmal hat er uns explizit nach Vokabeln gefragt. „Mama, was heißt kneifen auf Englisch?“ – „Pinch“. „Und hauen und treten und beißen und schlagen und schubsen und spucken?“ – „Theo, wofür brauchst du all diese Worte?“ – „Na, ich muss doch genau sagen können, was passiert ist, wenn mich jemand ärgert.“ Stimmt.

Ostern bei den Episkopalen

Orthodoxe Liturgie und lutherische Theologie = die episkopale Kirche. Wäre ich hier aufgewachsen, das wäre wohl die Konfession meiner Wahl gewesen.

Zur Osternacht besuchte ich einen Gottesdienst in der St. Marks Kirche in Berkeley. Freunde von mir singen dort im Chor, also würde ich nicht ganz allein sein. Natürlich kam ich etwas zu spät – und fand die Kirche leer vor. Mist, falsche Kirche, dachte ich. Oder eine nicht upgedatete Website. Da sprach mich eine Dame an. Der Gottesdienst beginne im Innenhof. Und dort standen sie alle, mit Kerzen in den Händen und einem Lied auf den Lippen. Ich ließ mich fallen in die Atmosphäre und folgte der Menge in die Kirche. Ein Blick ins Programmheft ließ mich kurz erschaudern. 16 voll bedruckte Seiten und ich hatte noch kein Abendbrot gegessen.

Die Schönheit der Musik und Texte, dazu der Duft nach Weihrauch und Kerzen ließen mich Raum und Zeit vergessen. Es war wie im orthodoxen Gottesdienst, nur ohne Rückenschmerzen, weil mit bequemen Kirchenbänken. Und mit ordinierten Frauen im Altarraum. Gekleidet in goldene Brokatgewänder. Selbst das Evangelium wurde gesungen. Traumhaft.

Dann wurde eine erwachsene Frau getauft. 3 Seiten Namen von Heiligen im Programm. Gesungen von einem wunderbaren Bariton. Dabei prozessierte die gesamte Gruppe samt Kreuz durch die Kirche. Bis sie just beim letzten Namen beim Taufbecken ankam. Die ersten 20 Namen lang überlegte ich, was ich theologisch davon halten sollte. Die nächsten 20 Namen lang las ich mir alle durch, aus reinem Interesse. Weitere 20 Namen lang beobachtete ich alles ganz genau. Bis ich schließlich einstimmte in den Ruf „Bete für uns“.

Bei der Taufe wird ein Mensch an Gott gebunden und damit Teil einer Gemeinschaft von lebenden, verstorbenen und zukünftigen Christen. Er hat Anteil am Heiligen und wird damit selbst heilig. Nicht perfekt, nicht besser als andere, sondern heilig. Das betone ich bei jeder Taufe. Hier wurde es sinnbildlich vor Augen geführt. Die aufgezählten Heiligen sind für mich keine abgeschlossene Liste der „besten“ Christen. Sie stehen stellvertretend für alle Heiligen dieser Welt. Für alle, die mit Christus in der Taufe gestorben und auferstanden sind.

Und dann kam das Beste! Die Auferstehungsfreude in Form eines meiner orthodoxen Lieblingslieder. Ich kannte es bisher nur auf Rumänisch: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“ Mein persönlicher Osterschlager.

Hier saß ich, hungrig und müde nach über 2 Stunden Gottesdienst. Als plötzlich das Lied auf Englisch erklang. Aus allen Ecken bewegte sich der Chor gen Altar und sang in zigfachen Wiederholungen von Christi Sieg. Zwei Reihen vor mir begann eine Frau rythmisch zu stampfen. Dann der Mann hinter ihr, dann noch wer, schließlich sang und stampfte die ganze Kirche: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“

Mama ante portas – Einkauf bei Berkeley Bowl

Einige Leute seien nur nach Berkeley gezogen wegen Berkeley Bowl, raunt man sich hier zu. Berkeley Bowl ist lokale Lebensmittelmarkt hier. Eine Mischung aus Bauernmarkt und Feinkost und damit der Inbegriff für Berkeley: Man isst lokal und regional und bio in höchster Qualität UND international UND gibt dafür Geld aus ohne Ende. So kann man seine Bodenständigkeit und Weltläufigkeit zugleich demonstrieren. Hier gibt es alles in allen Variationen: vegan, glutenfrei, laktosefrei, koscher, wenig halal.

Eigentlich betrat ich den Laden nur aus Interesse. Ich war mir sicher, er wäre sowieso viel zu teuer für uns. Ist er auch. Bis auf die Obst- und Gemüseabteilung. Die ist gigantisch und hat teilweise die besten Angebote! Für $30 kann ich hier Obst und Gemüse für 10 Tage einkaufen. Und das bei 4 verfressenen Mäulern. Einziges Problem ist der Transport. Oft sind meine Augen größer als meine Fahrradtaschen und außerdem sind die Äpfel und Melonen gerade so unverschämt günstig, ah und die Orangen auch, und, wow, 1kg Spargel für $3, da kann nicht nicht widerstehen. Morgen sind sie sicher weg, vielleicht schon in 2 Stunden. Mein Kaufrausch beginnt.

Im Obst-und-Gemüse-Himmel!

Neben den täglichen Angeboten gibt es eine besondere Ecke mit nicht mehr ganz frischem Obst und Gemüse. Da finden sich 3 Mangos für 99 Cent, eine duftende Honigmelone für 69 Cent, 2kg Bananen für 99 Cent. Mein Paradies. Weil mir ja Aussehen von Obst und Gemüse herzlich wurscht ist, solange es schmeckt. Also schnüffelte ich mich durch die Melonen und war so versunken, dass ich meinen Fanclub gar nicht bemerkte. Nachdem ich mich fachfrauisch entschieden hatte, bat mich plötzlich ein Mann, ihm bei der Wahl zu helfen. Danach noch eine Frau, dann noch ein Mann, dann ging ich schnell weiter. An der Kasse schließlich brachte mir der erste Mann eine Tüte mit Mangos, als Dank für meine Hilfe.

Das Beste am Laden sind aber die Kassierer. Sie kennen alle Preise. Auswendig. Letztes mal fasste ich mir ein Herz und fragte nach dem üblichen Smalltalk: „Wie machen sie das?“ Die Antwort: „Vor Schichtbeginn bekommen wir 15 Minuten dafür bezahlt, durch den Laden zu gehen und die Preise zu lernen.“

Letzte Woche musste ich mir aus einer Obstkiste eine Gepäckkiste bauen, um meine Schätze heimzubringen. Die Kiste war so sperrig und schwer, dass ich eine Dame um Hilfe bitten musste, nur um sie aufzuladen. Aber dann fand ich mich super clever, die Best-Deal-Shopping-Glückshormone ließen mich lächeln.

Bis ich plötzlich eine Gewichtsverlagerung bemerkte. Noch bevor ich reagieren konnte, krachte die ganze Last auf die Straße. Bevor ich auch nur an Schadensbegrenzung denken konnte, musste ich erstmal mein immer noch schwer mit Fahrradtaschen beladenes Rad abstellen. Ein Auto hielt dicht hinter mir, eine besorgte Dame fragte, ob ich Hilfe bräuchte. Kurz überlegte ich, sie zu bitten, mir meine Einkäufe heim zu fahren (es waren nur noch wenige Straßen). Dann siegte die Scham und ich lehnte dankend ab.

Um nur 1 Minute später zugeben zu müssen, dass ich hier allein nicht viel erreichen würde. Die Kiste war aufgeplatzt, ich konnte sie so unmöglich transportieren. Ein Bauarbeiter bat mir seine Hilfe an und diesmal nahm ich dankend an. Mit Gummibändern schnürte er mir die Kiste aufs Rad und langsam eiernd radelte ich heim. Die zuckersüßen Melonen waren das Drama definitiv wert.

Mama ante portas – Einkauf bei Costco

Seit kurzem sind wir stolze Mitglieder von Costco, dem amerikanischen Metro für alle. Für $60 im Jahr darf ich nun Großpackungen shoppen und Geld sparen. Mein Traum!

Ein Besuch bei Costco ist ein so amerikanisches Erlebnis, es sollte auf der „To-do-Liste“ aller Touristen stehen. Eine riesige Halle mit allem, was man zum Überleben in den USA braucht: Campingstühle und Grills, Pools und Matratzen, Betten und Waschmaschinen. Dazu marinierte Rippchen in 6kg-Packungen, 60 Eier gestapelt in 2 Etagen, Joghurt in Eimern, Reis und Mehl in 10kg Säcken. Und all unsere Drogen: Tonis und Theos Oreo-Cookies, Philipps Frühstücksbacon, meine 3kg Schokocappucino. 2 l Sahne kosten hier soviel wie sonst 1/2 Liter im normalen Supermark. (Was tun mit 2l Sahne? Flüssig und geschlagen einfrieren.)

Costco ist wie ein überdimensionaler Aldi von früher (bevor Aldi anfing, Lidl nachzuahmen): Alles gibt’s genau 1x. Keine mich grenzenlos überfordernde Produktauswahl.

Beim 1. Besuch brauchte ich 2 Stunden, um mich zurechtzufinden und alles in den Wagen zu hieven. Dann der peinlichste Moment meines Berkeley-Lebens: Ich stehe mit übervollem Wagen an der Kasse, alles wurde von 2 freundlichen Männern gescannt und gestapelt – und meine Visacard funktioniert nicht. War einfach nicht genügend Geld drauf.

Panisch rief ich Philipp an, in der Hoffnung auf ein technisches Wunder. Dann die Erkenntnis: In Deutschland war es nach 18.00, jegliche Transaktion würde erst in 14 Stunden stattfinden. „Gibt’s eine andere Zahlmöglichkeit?“ – „Ja, Samsung-Pay.“ Kurzes Aufatmen, dann 2. Erkenntnis: mein deutsches Samsunghandy unterstützt diese App nicht. Und ich dachte, Technik wäre international. Also sah ich das Unabänderliche ein und ließ den Wagen unter 1000 Entschuldigungen stehen. Erstaunlicherweise wurde kein einziger Mitarbeiter wütend auf mich oder machte mir Vorwürfe. Stattdessen versuchten sie, mich zu trösten: „Das passiert jedem irgendwann mal. Kein Problem. Wir sind hier, um ihnen zu helfen. Machen sie sich keine Vorwürfe.“

3 Tage später mein 2. Versuch. Innerhalb von 45 Minuten hatte ich alles eingekauft, die Karte funktionierte (diesmal hatte ich mehrere mit zur Sicherheit). Und die Kinder stürtzen sich auf das Grillhühnchen und die 3kg Weintrauben.

Zu Hause füllte ich unser geräumiges Gefrierfach bis auf den letzten Platz mit Käse, Fleisch, Fisch und Guacamole, Hummus und Butter. Was man nicht alles einfrieren kann! Und mein hortendes Vorratsherz schlägt höher beim Blick in den Kühlschrank.

Für die nächsten 3 Monate brauchen wir nur Obst und Gemüse, Milch und Eier nachzukaufen. Und dann darf ich wieder zu Costco!

2020 kommt bestimmt! Was tun?

2020 ist eine Chiffre. Sie steht in Berkeley für Hoffnung und Angst. Hoffnung auf einen demokratischen Präsidenten und das Ende des Trumpschen Albtraums. Es wäre der Beweis, dass die Vernunft doch gewinnt. Dass Amerika doch das Land ihrer Träume ist. Dass die Mehrheit so denkt wie Berkeley: WEIRD = weiß, gebildet (educated), international, reich, demokratisch (nach einer Definition von Jonathan Haidt in seinem unbedingt empfehlenswerten Buch „The righteous mind: Why good people are divided by politics and religion“).

2020 steht für die Angst vor einem Schrecken ohne Ende. Was, wenn Trump wiedergewählt wird? Vielleicht diesmal sogar von der numerischen Mehrheit, nicht nur dank des uralten Wahlsystems und seiner Wahlmänner? Hier in Berkeley kann und will sich das niemand vorstellen. Gerade deshalb ist es denkbar. Weil hier niemand wirklich weiß, wie Republikaner ticken. 1. Gibt’s hier kaum welche. 2. Würden die sich nicht freiwillig outen. 3. Selbst wenn, würde man nicht mit dem Feind reden. Keine Sitzung in Schule, Chor oder Uni, bei der nicht irgendwann über Trump geflucht wird und alle nicken. Fühlt sich gut an. Hilft bloß nichts.

Was tun? Zahlreiche NGOs haben sich gegründet, um Menschen im Umgang mit Menschen anderer politischer Überzeugungen zu schulen. Im Idealfall werden Republikaner auf diese Weise missioniert und zu Demokraten. Eine davon ist „Smart Politics“ hier in Berkeley. Sie halten Web-Seminare ab und bieten Kommunikationstraining an.

Karen, die Leiterin, hat vor einigen Monaten einen politischen Buchclub ins Leben gerufen. Unweit entfernt von mir treffen wir uns monatlich im zeltähnlichen Loft einer pensionierten Anwältin. Es gibt Brot von „Acme Bread“ (die angesagteste Bäckerei in der Stadt), dazu Käse vom „Cheeseboard“ (hier gibt’s nichts was es nicht gibt) und Hummus (kein Treffen in Berkeley ohne Hummus!). Fast alle sind wir weiblich, alle mit Hochschulabschluss, fast alle weiß, alle weit gereist. Die einzige Diversität ist unsere Altersspanne von 33-75. Und, dass ich religiös bin. Denn Religion und liberale Politik geht in den Augen der meisten Menschen in Berkeley nur schwer zusammen. Während der 2 1/2 stündigen Treffen fühle ich mich auf Mission: den anderen zu helfen, ihre Vorurteile gegenüber Christen abzubauen!

Unser gemeinsames Ziel: Verstehen, warum die USA (bzw. die westliche Welt) so sehr gespalten ist in Links und Rechts und was Menschen nach Rechts zieht. Anerkennen, dass Menschen unterschiedliche politische Ideen haben, ohne gleich von Grund auf böse zu sein. Miteinander reden lernen (gar nicht so einfach, denn natürlich ist keines der Clubmitglieder Republikaner).

Aber es gibt andere Themen, die sich zu Übungszwecken mit ebenfalls demokratischen Nachbarn und Bekannten wunderbar eignen. Denn demokratisch bedeutet seeehr viel in Amerika. Alles von sozialistisch über sozial bis hin zu liberal-ohne-sozial ist zu finden. Wollte man die deutschen Parteien in den USA verorten, wären alle, abgesehen von AfD und NPD, unter den „Demokraten“. Allein schon aufgrund unserer sozialen Marktwirtschaft, der allgemeinen Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und selbst dank Hartz IV.

So einig sich die Demokraten in der Ablehnung von Trump sind, was sie wollen, steht auf einem anderen Blatt. Inzwischen bewerben sich 21 Politiker um das Amt des Präsidentschaftskandidates. Manche sind Sozialisten (ein Unwort selbst für viele Demokraten). Andere wollen ein bisschen mehr Gerechtigkeit für die Armen, aber natürlich keine Freiheiten dafür beschneiden. Manche werben für eine echte Einwanderungspolitik und gegen strukturellen Alltagsrassismus. Andere lassen diese Tretminen lieber aus.

Kurz: Beim Thema Einwanderung vertreten auch Demokraten plötzlich durchaus Trumpsche Parolen. Da können die Bürger Berkeleys ihre Kommunikationsstrategien aneinander üben. Ohne Sorge, dass ein schlechtes Gespräch gleich zur Wahl von Trump führt. Der bleibt hier der größte Feind, Einwanderung hin oder her.