Ich war bei meinem ersten Chorwochenende. Es war traumhaft. Eine Jugendherbere direkt am Pazifik, nette Leute, abends Wein- und Schokoladengelage samt Spielen.
Irgendwann wankte ich ins Bett, noch immer glücklich. Und überlegte noch, wo ich meine Brille am besten hinlegen sollte. Entschied mich gegen meinen Rucksack. Die über mir Nächtigende könnte ja aus Versehen am falschen Ende runterkrabbeln und versehentlich draufsteigen. Letztlich legte ich die Brille so hoch wie möglich auf einen Sachenstapel. Wenn alles fällt, fällt die Brille sanft. Dachte ich, legte mich und schlief.
Wachte am nächsten Morgen auf. Fand meine Brille nicht. Also tappte ich umher und fragte schliesslich in den Raum. Wie von der Tarantel gestochen, öffnete daraufhin ein Mädchen das Fenster und sprang hinaus. Zurück kletterte sie mit meiner Brille in der Hand. Ein Glas war zersprungen, der Rahmen in der Mitte angeknackst, alles verbogen.
Ich stand unter Schock. Hatte keine Kontaktlinsen dabei. Musste eine Geburtstagseinladung absagen und konnte keine Robben bewundern. Was war passiert? Dem Mädel war nachts kalt geworden. Ohne auf den Sachenhaufen zu achten, hatte sie einfach das Festern zugezogen, von oben nach unten. Komischerweise waren die Klamotten ins Zimmer gefallen, meine Brille aus dem Fenster. Leider offensichtlich nicht sofort, denn den Sturz aus dem Erdgeschoss hätte sie überlebt. Stattdessen muss erst noch das Fenster auf sie raufgerumst sein.
Also verbrachte ich den Sonntag halbblind mit geliehenen Brillen von Chormitgliedern, die entweder zu stark oder zu schwach waren. Zu Hause angekommen fiel mir ein: Hey, du bist ja in Amerika. Nix mit Sonntagsruhe. Also ab zum Optiker, Brille aussuchen. Termin für den Augenarzt am nächsten Tag ausgemacht, Kontaktlinsen geholt. Von einer Nachbarin eine Brille mit fast meiner Stärke bekommen für morgens und abends. Sehr süss war meine Nachbarin Alice. Sie gab mir auch eine ihrer Brillen. Obgleich sie weitsichtig ist. Aber die Geste war so rührend, dass ich nicht ablehnen konnte.
Alles schien einfach und perfekt, bis meine Brille ankam. Ich konnte nicht wirklich mit ihr gucken. Alter Brillenprofi wie ich bin, hab ich mir erstmal nichts weiter dabei gedacht. Man muss sich ja immer erst gewöhnen. Nach 5 Tagen reichte es mir. Also wieder zum Optiker. Der mass nach. Alles so wie es sein soll. Passte den Rahmen besser an. Nochmal 3 Tage gewartet, dann ab zum Augenarzt. Der stellte fest: Die Brille hat 0,25 Dioptrien weniger als das Rezept. Allerdings hatte die Ärztin auch meinen Astigmatismus nicht richtig gemessen.
Nun hab ich ein neues Rezept und muss mich mit dem Optiker herumschlagen, wer die Rechnung übernimmt. Ich jedenfalls nicht. Und bis dahin seh ich nur so mittel scharf. Nehmt euch in Acht, liebe Mitbewohner!