Den schwärzesten Tag der Christenheit teilte unsere St. Matthäusgemeinde mit unseren spanisch sprechenden Schwestern und Brüdern. Nachdem wir am Aschermittwoch in ihrer knallbunten Kirche fürstlich schmausten, waren nun wir die Gastgeber. Und tischten deutsche Brotzeit auf mit Bagels im echten New-York-Style (schwer, fest, ölig, mit Suchtpotential). Dazu Wurst-, Lachs- und Schinkenbrote (Toni aß vermutlich die Hälfte davon allein auf), Guglhupf und Brownie. Der Leib sollte nicht darben, wenngleich die Seele traurig war.
Der Gottesdienst vereinte unsere Kulturen und unseren Glauben auf wunderschöne Weise. Gut lutherisch versammelten wir uns um das biblische Wort und ließen die 7 letzten Worte Jesu für sich sprechen. Auf Englisch, Deutsch und Spanisch. Von meditativen Klängen unterlegt und manifestiert. Nach jedem Satz wurden 2 Kerzen gelöscht und ein Gegenstand vom Altar abgeräumt. Bis alles kahl war, bis die Todeskälte uns ergriff und übermannte.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einem Karfreitagsgottesdienst geweint zu haben. Diesmal konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Soviel kam zusammen: Die Klarheit und der Schmerz der biblischen Worte. Die gelebte Einheit im Glauben von uns drei Pastorinnen und die getrennte Sitzordnung der Gemeinde. Die geteilte Trauer und Hoffnung, die geteilten menschlichen Erfahrungen. Die Sprachbarrieren, trotz allem. Und während ich so dasaß und mir die Tränen die Wangen hinunterkullterten, spürte ich plötzlich Tonis Hand auf meinem Arm. Sie saß in der Reihe hinter mir und streichelte mich sanft. Bis ich wieder ruhig war und weiterlesen konnte.
Am Ende sang der Afro-Amerikaner Aven den Spiritual „Where you there when they crucified my Lord“. Nein, er gab keine Vorführung. Auch, wenn er sich ein Tuch um Kopf und Hals gebunden hatte und in die Rolle Marias hineinschlüpfte. Er lebte dieses Lied. Er flüsterte, bebte, klagte, litt, weinte, hoffte, betete für uns alle. Für unsere zerstrittene Welt. Für unsere geplagte Erde. Für mich war er in dem Moment Christus selbst, der mitten im Leid steht und mitleidet und mich trägt. Und er war Maria, die um ihren Sohn trauert und Gott und die Menschen anklagt, all dies Leid zuzulassen. Und er war Gott, der vor keinem Schmerz der Welt wegläuft.
Schweigend verließen wir die Kirche, gerührt umarmten sich Freunde und Fremde vor der Kirchentür. Es könnte so schön und einfach sein.
Bis fast alle gegangen waren und eine deutsche Dame plötzlich ihre Platiktasche mit einigen Leckereien nicht mehr finden konnte. Da vermutete ihre Bekannte ganz selbstverständlich: „Oder waren das diese mexikanischen Frauen? Haben die die mitgenommen?“ Ich starrte sie entgeistert an und sagte dann in meinem allerautoritärsten Tonfall: „Nein, ganz sicher nicht. Ich helfe euch suchen.“ Natürlich fand sich die Tasche wieder an… Mein Schock blieb.
Es ist noch viel zu tun, bis sich Christen (in diesem Fall Lutheraner ein und derselben Landeskirche) verschiedener Nationalitäten als echte Brüder und Schwestern wahrnehmen. Hoffentlich können wir im Advent wieder gemeinsam Gottesdienst feiern.