Letzte Woche gewann ich Tickets zu einer Veranstaltung der New York Times. Es ging um Immigration in die USA. Auf dem Podium saßen 2 Journalisten, 1 Anwältin für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge und 1 Frau, die sich mit ihrer NGO um „illegale Bürger“ in den USA kümmert.
Das Ziel des Abends: Immigranten eine Geschichte geben, über Schwierigkeiten der Einwanderung und rechtliche Schritte aufklären.
Die USA erleben seit Jahren illegale Einwanderung aus Mittel- und Südamerika. Trumps Lösung ist die berühmt-berüchtigte Mauer, derentwegen wir hier z.Z. im nationalen Notstand leben. Kamen bisher zumeist junge, arbeitssuchende Männer, machen sich nun immer mehr Familien auf die gefährliche Reise und bilden große Karawanen.
Aber was passiert eigentlich mit den Menschen, die an der Grenze oder in den USA illegal aufgegriffen werden? Manche werden direkt abgeschoben, viele beantragen Asyl, werden abgelehnt und dann abgeschoben. Andere tauchen zwischendurch unter. Am schlimmsten ist es für die unbegleiteten Kinder. Für sie gibt es ein vierstufiges System: Zuerst landen sie in einigermaßen gut organisierten Heimen. Ohne Psychotherapie für die oft mehrfach traumatisierten Kinder. Wer sich daneben benimmt, kommt in ein strengeres Heim. Wer nochmals Regeln bricht, landet im Jugendgefängnis. Hier sind die Kinder bis zu 23 Stunden am Tag in ihren Zellen. Elektroschocks und Einzelhaft sind übliche Sanktionen. „Das ist für viele genauso traumatisierend wie all das Schlimme, vor dem sie geflohen sind.“, erklärt die Anwältin. „Die psychischen Schäden, die unser Rechtssystem diesen Menschen zufügt, sind irreparabel!“
In Amerika ist man mit 13 strafmündig. Theoretisch haben die Kinder das Recht auf Anwälte, praktisch stehen die meisten irgendwann allein vor dem Richter. Denn der Staat stellt keine Pflichtverteidiger, die NGOs sind mit der Zahl der Fälle heillos überfordert. Aufgrund der hohen Zahl werden inzwischen Militärbasen umgenutzt als Auffanglager für Minderjährige.
Das System soll abschrecken. Tut es das? Ein Journalist begleitete eine der riesigen Karawanen über Monate. Er erzählt: „Die Leute wissen, was sie erwartet. Aber sie können es sich nicht vorstellen.“ Viele hofften, dass ihr Wunsch, in Amerika hart zu arbeiten, die Herzen der Grenzbeamten erweichen würden.
Wer es unbemerkt über die Grenze schafft, lebt fortan illegal in den USA. Und das teilweise ein ganzes Leben lang. Denn es gibt keinen legalen Weg, vom illegalen zum rechtmäßigen Bürger dieses Landes zu werden. Oder, wie es die Anwältin formulierte: „Mein Großvater kam mit dem Schiff aus Russland, schrieb seinen Namen auf ein offizielles Stück Papier und war Amerikaner. Diese Möglichkeit besteht heute nicht mehr.“
Die ca. 11 Millionen „illegalen US-Bürger“ leben, studieren, arbeiten hier. Besonders hart trifft es all diejenigen, die als Kinder illegal in die USA kamen. „Dreamer“ werden sie genannt. Sie kennen keine andere Heimat als die USA, das Land ihrer Staatsbürgerschaft haben sie nie wieder besucht. Von ihnen berichtete die NGO-Leiterin.
Interessant war, welche Geschichten sie wählte.
- Die Geschichte von Mary. Als Kind in die USA gekommen mit ihren Eltern. Nach der Highschool fing sie an zu studieren. Ein finanzieller Notfall in der Familie zwang sie zur Entscheidung: der Familie helfen oder studieren? Sie wählte die Familie. Jetzt ist sie 35 und will ihren Traum, Mathelehrerin zu werden, wahr werden lassen. Dafür studiert sie an der Abenduni, arbeitet 40 Stunden pro Woche für den Lebensunterhalt von sich und ihren beiden Kindern. Manchmal sei sie der Verzweiflung nahe. „Aber dann sagt sie sich: Ich muss es schaffen. Ich muss meinen Kindern zeigen, dass es nie zu spät ist für einen Neuanfang.“
- Die Geschichte von einem Studenten, der Biochemie in Stanford studierte und mit Bestnote abschloss. Als Illegaler darf er jedoch nicht in seiner Profession arbeiten und muss weiterhin Teller waschen und kellnern. Er bekam ein Promotionsstipendium aus Oxford und lebt nun seit 2 Jahren dort, hat inzwischen die britische Staatsbürgerschaft. In die USA darf er nie wieder einreisen. Seine Eltern wird er also erst wiedersehen, wenn sie endgültig zurück nach Mexiko gehen.
Die 1. Geschichte berührte emotional, die 2. Geschichte führte im Publikum zu merklicher Unruhe. Beides sind Geschichten des amerikanischen Traumes. Geschichten von hart erarbeitetem Aufstieg an deren Ende der Erfolg stehen sollte. Abschlüsse und Geld – das zählt hier. Und zu hören, dass einem Menschen trotz bester Ausbildung die Türen verschlossen bleiben, rüttelt an den Grundfesten dieses Landes.