Pastorin Kerstin und ich laufen durch San Francisco. Ein vielleicht 20-minütiger Fußweg zur Bahn im Zentrum der Stadt. Am hellerlichten Sonntag. Wir biegen um eine Kurve und sind mitten im Slum. Auf den Fußwegen liegen, sitzen, stehen Obdachlose. Einige bieten uns Marihuana zum Verkauf an (obwohl Kerstin im Colarhemd eindeutig als Klerikerin erkennbar ist.) Die Glücklichsten haben ein Zelt. Die meisten vegetieren vor sich hin.
Plötzlich kniet vor mir eine alte Frau. Sie klaubt mit den Fingern Nudeln vom Boden, die irgendwer im Vorbeigehen fallen ließ. Sie isst die Nudeln, so dreckig wie sie sind. Ich bekomme eine Gänsehaut, so erschüttert bin ich.
Es gibt in der Bibel bei Markus eine Geschichte von der syrophönizischen Frau. Sie trifft Jesus und bittet ihn, ihre Tochter zu heilen. Jesus weigert sich mit der Begründung, sie sei keine Jüdin, kein Kind Gottes: „Laßt zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Und die Frau antwortet ihm: „Du hast Recht, Herr, aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen.“ Diese Geschichte hat mich schon immer geärgert. Wie Jesus mit dieser Mutter umgeht. Wie sehr sie sich erniedrigen muss, um seine Hilfe zu bekommen. Zugleich ist es eine wunderbare Geschichte, die zeigt: Jesus musste erst lernen, dass er zu allen Menschen gesandt ist. Nicht nur zu Juden, nicht nur zur Christen. Und Jesus hat es gelernt, nicht zuletzt dank der Syrophönizierin, die für ihre Tochter alles getan hätte. Sogar vom Boden gegessen. Jetzt habe ich ein Bild zu der Geschichte. Und es treibt mir die Tränen in die Augen.