Ich habe den Valentinstag hier wirklich lieben gelernt. Die Kinder bastelten für alle Klassenkameraden kleine Kärtchen und überlegten, was sie an dem oder derjenigen mögen. Und sie bekamen jeder 20 Karten von ihren Mitschülern, teils wirklich rührende Freundschaftserklärungen mit Liebe gekritzelt und geklebt.
Seit vielen Monaten ist bei uns die bedrückende und allgegenwärtige Obdachlosigkeit Thema. Anfangs waren die Kinder noch erschüttert, wenn sie Menschen auf der Strasse liegen sahen. Nach und nach wandelte sich dies in Ekel und Gleichmut. Ich war erst überrascht, dann traurig und konnte mir nicht erklären, was passiert ist. Zu Hause reden wir nie schlecht über wohnungslose Nachbarn. Die Kinder kennen Leah und Theo, die Familie, die wir unterstützen. Ich gucke niemanden komisch an auf der Strasse (glaub ich jedenfalls). Und trotzdem: Ekel und Gleichmut.
Eine befreundete Psychologin erklärte es mir: „Das ist völlig normal. Die Kinder sehen sich dem Elend ohnmächtig ausgeliefert. Sie halten es nicht aus und haben das Gefühl, nichts tun zu können. Also stumpfen sie ab. Und rationalisieren das Gefühl als Ekel.“ Was tun? Ich solle den Kindern zeigen, dass sie einen Unterschied machen können. „Vielleicht könnt ihr immer was Kleines in der Tasche haben zum Verschenken?“
Soweit sind wir noch nicht. Auch wenn wir schon Ideen gesponnen haben, was nützlich sein könnte. Zahnbürsten und Zahnpasta vielleicht. Oder Süssigkeiten fürs Herze.
Am 14. Februar selbst hatten die Kinder schulfrei. Eine Freundin kam morgens zu uns und das Kinderferientagscamp war komplett. Ideal, um endlich den Wunsch in die Tat umzusetzen. Wir buken Schokomuffins, die Kinder schmierten oberleckere, dick belegte Sandwiche. Dazu packten wir Äpfel und Süssigkeiten ein und gingen 7 Minuten gen Innenstadt. Dort ist ein kleiner Park, Anlaufpunkt für viele Obdachlose und Arme.
Eine kurze Unsicherheit überkam mich. Wie würden die Menschen es aufnehmen, wenn wir ihnen Essen anbieten? Ich wollte ja niemandem zu nahe treten, niemanden beleidigen. Eine Frau sass auf der ersten Bank. Sie schimpfte laut in Richtung einiger Männer. Ihr Oberkörper war halb entblösst.
Ich ging lächelnd auf sie zu: „Fröhlichen Valentinstag wünsche ich ihnen.“
Sie drehte sich zu mir um, lächelte überrascht. „Danke, das ist lieb. Ihnen auch.“
„Die Kinder und ich haben Brote gestrichen und frische Schokomuffins gebacken. Sie sind noch warm. Dürfen wir ihnen welche anbieten? Aber wirklich nur, wenn sie mögen.“, fragte ich vorsichtig.
„Gerne! Sehr gerne. Das ist wunderbar.“ Ich reichte ihr beides. Da fragte Theo schüchtern: „Wir haben auch Äpfel, mögen sie einen?“ Das Strahlen der Frau wurde noch breiter und Theo reichte ihr einen.
Da traute sich auch Toni. „Ich habe kleine Tüten mit Süssigkeiten gefüllt, bitteschön.“ Die Frau guckte die Kinder an, ungläubig fast ob der Freundlichkeit. Dann bedankte sie sich.
„Wie heissen sie?“, fragte ich und sie sagte es mir. „Lisa, ich bin Tia. Es ist mir eine Ehre, sie getroffen zu haben.“ – „Mir auch. Gott segne euch.“, antwortete sie. „Gott segne sie!“, verabschiedeten wir uns. Meine Angst war verflogen. Es war richtig, was wir hier machten.