So, jetzt ist es soweit. Ich schreibe über ein Thema, mit dem ich mich intensiv beschäftige. Seit Februar schon. Aber irgendwie wusste ich nicht, wie ich das auf Deutsch sagen soll. Für deutsche Leser.
Rassismus in Amerika ist noch immer alltäglich. Er basiert vor allem auf der Hautfarbe. Ethnische Unterschiede fallen kaum ins Gewicht. Rassismus ist in Berkeley nicht so offensichtlich. Aber auch hier schneiden die schwarzen Kinder in der Schule am schlechtesten ab. Dich gefolgt von den lateinamerikanischen. Das System fördert weisse Kultur. In vielerlei Hinsicht.
Deshalb bot Tonis Schule im letzten Jahr einen 6-wöchigen Kurs an mit dem Titel „racial equity“, ziemlich unübersetzbar, ohne dass es völlig schräg klingt. Es geht um gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen für Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten.
Ein schönes Bild dafür kam auf: Gleichheit bedeutet, allen Kindern Schuhe in derselben Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen bedeutet, allen Kindern Schuhe in ihrer Grösse zu kaufen. Gleiche Chancen unter verschiedenen Bedingungen bedeutet, allen Kindern Schuhe zu kaufen, die ihnen passen und ihren Bedürfnissen entsprechen. Manche brauchen dann vielleicht orthopädische Schuhe gegen das zu lange Humpeln, andere brauchen Fussbäder und weiche Stiefel, um die Blasen zu heilen.
Gestern begann eine neue Runde zum Thema. Es ging um die Frage, wie wir mit unseren Kindern über Rassismus und unterschiedliches Aussehen sprechen. Eine wissenschaftliche Definition von systemischem Rassismus wurde projeziert. Unsere Aufgabe in Kleingruppen: Diese Erklärung in kindgerechte Sprache verpacken.
Meine Gruppe bestand aus einer Mutter aus China, einer aus Norwegen, einer aus Alabama, einer aus Kalifornien (verheiratet mit unserem schwarzen Elternvertreterpräsidenten) und mir.
Schnell einigten wir uns auf: „Eine Art und Weise, Menschen in Gruppen aufzuteilen. Meistens nach ihrer Haut- oder Haarfarbe. Eine Gruppe fühlt sich anderen überlegen und behandelt die anderen schlecht. Das ist niemals in Ordnung.“ Mein Zusatz, dass wir noch über die Geschichte der Sklaverei reden müssten, wurde als zu schweres Thema zurückgewiesen. Interessant, weil ich darüber mit T&T offen rede. Aber, wir sind auch keine Amerikaner. Über die amerikanische Geschichte der Sklaverei zu sprechen, lässt keine Fragen darüber aufkommen, wie unsere Vorfahren verstrickt waren.
Dann die Präsentation. Bei der die Leiterin uns daran erinnerte, dass der heutige Rassismus eben nicht ohne die Geschichte zu verstehen ist. Und dass wir die Machtfrage erklären müssen. Dass nämlich die Gruppe, die andere schlecht behandelt, davon profitiert. Und das deshalb nicht wirklich ändern will. Denn das hiesse Teilen. Da sah mich die kalifornische Mutter an und sagte: „Ja, du hast Recht. Es ist mein weisses, schlechtes Gewissen. Deshalb traue ich mich nicht an das Thema ran. Aber jetzt geh ich es an.“
Und ich überlegte, dass ich mit T&T zwar schon ab und an über den 2. Weltkrieg gesprochen habe. Aber auch noch nie explizit über den Holocaust. Zu jung? Ich glaube nicht. Sie haben hier viele jüdische Freunde und Klassenkameraden. Von einigen weiss ich, dass die Grosseltern aus Deutschland geflohen sind. Andere haben Verwandte und Freunde in den KZs verloren. Irgendwann kommt das Thema auf. Da sollten sie Bescheid wissen. So hat jedes Kind hier seine eigenen Schuldverstrickungen zu tragen. Und wir Eltern stammeln und ringen nach Worten. Zum Glück. Anders geht’s nicht.
In 4 Wochen geht’s weiter mit dem Workshop.