Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) auf Amerikanisch

Seelsorge. Ich liebe diese Arbeit, ich hoere Menschen gern zu. Im Vikariat bekamen wir alle eine 6-woechige Grundausbildung in Gemeinde und Krankenhaus. Intensive Wochen mit wunderbaren Gespraechen. Nur die Supervision war teilweise anstrengend bis ernuechternd oder gar entmutigend.

Deshalb ist es ein Wunder, dass ich mich freiwillig zum KSA-Kurs eingeschrieben habe. Er fiel mir einfach vor die Fuesse. Auf einer anderen Fortblldung im Sommer lernte ich die Supervisorin kennen und fragte sie eigentlich nur prinzipiell ueber Jobmoeglichkeiten in der Seelsorge aus. Irgendwovon muss der Mensch ja leben und ich brauche einen neuen Job ab Januar. Fazit des Gespraechs: Meine 6 Wochen Seelsorgeausbildung wird mir hier niemand anerkennen. Um als Chaplain arbeiten zu koennen, brauche ich mind. einen KSA-Kurs. „Ich habe noch einen Platz frei in meinem Kurs“, sagte sie. „Ueberleg es dir.“ Einige Tage spaeter schrieb ich ihr eine Mail mit der Frage, was sie von mir fuer die Bewerbung brauche? „Ich hab dich schon ins Programm aufgenommen. Alles gut.“, schrieb sie mir zurueck.

Der Kurs geht berufsbegleitend ueber 9 Monate. In dieser Zeit muss ich 150 Stunden Seelsorge in der Gemeinde nachweisen, 150 Stunden im Krankenhaus und an 100 Supervisions- und Unterrichtsstunden teilnehmen. Das sind im Schnitt je 5 Stunden Seelsorge pro Woche. Jeden Donnerstag haben wir Unterricht und Supervision von 15 bis 20 Uhr. 2-3 pro Monat muss ich Nachrschichten uebernehmen von 19.30 bis 7.30 Uhr. Noch gibt es kein Zimmer fuer uns, deshalb haben wir im Okobter noch Schonfrist. Puh.

Alles halb so schlimm. Waere es nicht in Fairfield. Mit dem Auto eine Stunde von Berkeley entfernt. Leider haben wir noch keins. Mit den Oeffentlichen brauche ich 3,5 Stunden. Zum Glueck sind andere noch verrueckter und reisen aus Mountain View (2 Stunden Fahrtzeit) und Santan Cruz (2,5 Stunden) an. Meistens koennen sie mich in Walnut Creek einsammeln und da brauche ich nur 45 Minuten hin…

Warum mache ich mir den Stress trotzdem? Weil es 1. weit und breit das einzige berufsbegleitende Model ist. Und weil es 2. in einem Militaerkrankenhaus stattfindet. Das bedeutet 3., dass 5 von 7 Teilnehmern ebenfalls aktive oder ehemalige Militaerangehoerige sind. Ich lerne eine voellig neue Welt kennen. Eine Welt, in der es um Raenge geht, nicht um Herkunft und Hautfarbe. Eine Welt, in der man sich mit „SIr“ und „Mam“ anredet. Eine Welt, in der einer der offiziellen Seelsorger ein ehemaliger Offizier und Anti-Atomkraft-Aktivist ist.

Unsere Gruppe ist so gemischt, wie man es sich nur wuenschen kann. Einer von den Philippinen, eine aus Ghana, einer aus Nigeria, Leute aus Texas und Alabama und Utah und Kalifornien. 2 Evangelikale, deren Frauen auch Pastorinnen sind und die deshalb auvon der Southern Baptist Church rausgeschmissen wurden und ihre eigene Kirche gruendeten. 1 Pfingstlerin, die alle Menschen wirklich liebt, aber niemals eine homosxuelle Trauung besuchen wuerde. Selbst von ihren Freunden nicht. 2 Reformierte, die radkal liberal sind, 1 Episkopaler mit Hang zu charismatischen Gemeinden, 1 Mormonin, die Ramadan haelt und den Hinsuismus liebt. Und dazwischen ich. Es verspricht, eine grandiose Zeit zu werden.

Die Grundhaltung lautet: Wir akzeptireren einander in unserer Verschiedenheit. Wir begegnen allen Menschen mit Liebe und Respekt. Und wir kennen unsere persoenlichen Grenzen. Wer mit einem Homosexuellen nicht ueber dessen Eheleben reden kann aus konfessionellen oder persoenlichen Gruenden, muss das nicht. Wer mit Ehebrechern nicht reden kann, muss das nicht. Wer mit Moerdern, Vergewaltigern usw.nicht reden kann, muss das nicht. Was wir alle tun muessen, ist fuer alle solange da zu sein, bis ein Kollege den Fall uebernehmen kann.

in unserer Supervisorin haben wir eine echte Spezialistin. Sie ist seit 30 Jahren Seelsorgerin, war im Irak und am Ground Zero, hat mit schwerst traumatisierten Frauen aus Ruanda gearbeitet und leitet nebenbei noch eine kleine Gemeinde. Es gibt wahrscheinlich nichts an menschlichem Elend, was sie nicht schon erlebt und begleitet hat. Was fuer eine riesige Chance fuer mich.

Walk and Roll to School

Am 2. Oktober war der nationale „walk and roll to school“ Tag in Amerika. Eltern sollen auf diese Weise motiviert werden, ihre Kinder nicht mit dem Auto bis vor die Schultuer zu fahren. Gute Sache.

Matt und ich vom GreenTeam unserer Schule planten also eine Aktion. Mit Stickern und Fotos und Donuts und Kaffee fuer die mueden Eltern. Alle sollten sich in einem Park in der Naehe der Schule treffen und dann gemeinsam zur Schule laufen.

Allerdings gibt es ein Problem. Da ja in Berkeley die Kinder aus der ganzen Stadt zur Schule kommen, wohnen viele zu weit weg zum Laufen oder Radeln, sehr viele Kinder nehmen den Schulbus. Unsere gutgemeinte Aktion schloss also die meisten Kinder aus. Naemlich all jene, die zu weit weg wohnen und deren Eltern morgens keine Zeit haben, mit ihnen 30-45 Minuten durch Berkeley zu radeln. Sprich, viele Kinder aus aermeren Haushalten.

Um dem wenigstens minimal entgegenzuwirken, bot ich eine Radtour von Downtown Berkeley an. Eine befreundete Familie schloss sich an. Auch Fahrrad fahren ist ein Luxus fuer viele. Die meisten Kinder in Theos und Tonis Alter haben kaum Fahrpraxis.

Mein Lerneffekt: Inklusion ist eine verzwickte Sache. Fuer naechstes Jahr hatte meine Freundin Sandy aber schon eine wunderbare Idee: Wir werden einfach allen Kindern, die taeglich mit dem Schulbus fahren, Donuts schenken. Einfach dafuer, dass sie den langen Schulweg auf sich nehmen. Und dafuer, dass ihre Eltern taeglich die Umwelt schonen und ihre Kinder nicht herumkutschieren.

Und trotzdem gab es einen positiven Effekt: Einige der in der naeheren Umgebung lebenden Eltern trafen auf andere Eltern aus ihrer Nachbarschaft. Zaghafte Gespraeche entwickelten sich. „Oh, ihr wohnt ja gleich bei uns um die Ecke.“ – „Ja, das war mir auch nicht klar.“ – „Lauf ihr morgens zur Schule?“ – „Ja, manchmal.“ – „Vielleicht koennen wir mal zusammen gehen?“ – „Gute Idee!“ Und ich denke mir: Super Anfang. Irgendwann kommt ihr dann auch noch auf die Idee, dass sich die Eltern ja abwechseln koennten bei der Begleitung. Und in einigen Monaten/ Jahren lasst ihr eure Kinder auch mal alleine laufen. Das waere fast schon revolutionaer in Berkeley!

Nun bin ich was wert, denn die nehm’n ja nicht jeden.

Und dann kam der 22. September. Der Tag, auf den wir seit Monaten hingearbeitet und gefiebert hatten. Zuletzt dann auch gebibbert.

Eine meiner groessten Sorgen war mein Make-up. Nicht (nur) aus Eitelkeit. Sondern weil wir spaetestens seit Trump alle wissen, wie orange man bei HD Qualitaet im Fernsehen wirken kann. Bei der Gelegenheit holte ich mir Tipps von anderen Frauen und lernte: die Foundation sollte etwas heller sein als der eigene Hauttyp. (Gut, dass ich den richtigen Ton auf der Strasse gefunden hatte.) Puder sollte ebenfalls hell sein und sparsam aufgetragen werden. Ein etwas dunklerer Lidschatten im selben Farbspektrum betont die Augen auf natuerliche Weise. Und am Ende alles mit Make-up Spray befestigen, damit es nicht unter der Hitze der Scheinwerfer zerlaeuft. Hab es genauso gemacht und war zufrieden mit dem Ergebnis offline und online.

Ansonsten stehe ich seit einigen Tagen unter Schock. Genauer, seit ich mir den Gottesdienst mit Freunden in der ZDF Mediathek angesehen habe. So wirke ich also als Pastorin. Aha. Daran muss ich mich erstmal gewoehnen. Meine selbstverschriebene Therapie lautet: den Beitrag immer wieder gucken. Denn beim ersten Mal hielt ich kaum meine eigene Stimme aus, an Hinschauen war deshalb kaum zu denken. Dass wir dabei Pizza futterten und Bier tranken machte die ganze Situation noch absurder. Von weitem ist ein Gottesdienst schon eine fremde Welt.

Klassischer Fall von Perspektivwechsel, ich weiss. Meine Innenperspektive wurde um die Aussenperspektive erweitert. Um eine mir bis dato fremde Tia. Meine erste Reaktion war: „O je, ich seh aus wie ne echte Pastorin.“ Bin ich ja auch. Meine zweite: „Hilfe, bin ich pastoral.“ Ok, es waren auch 4 Kameras auf mich gerichtet, da war ich definitiv weniger locker als sonst. Aber trotzdem. Ein heilsamer Schock. Danke, ZDF!

Der Gottesdienst selbst machte Spass. Die Kirche war gefuellt wie sonst zu Ostern und Weihnachten. Viele unserer Familien waren da und mutig genug, ihre Kinder mitzubringen. Im Gegensatz zu Philipp und mir. Nicht, weil ich Angst hatte, dass sich Toni und Theo nicht benehmen koennten. Sondern aus Sorge, dass ich aus meiner pastoralen Rolle fallen wuerde, wenn ich die beiden sehe. Nun hab ich ihnen den Weg zum Fernsehruhm vorerst verbaut. Arme Pastorenkinder.

Ein Hingucker auch der Chor des Oakland Turnvereins. Damen und Herren in Tracht fuellten einige Kirchenreihen. (Der Deal lautete: Ihr kommt, dafuer duerft ihr NACH dem Gottesdienst noch fuer uns alle singen.) Falls unsere deutschen Zuschauer jetzt glauben, unsere Gemeindeglieder kaemen immer so in die Kirche. Dem ist nicht so. Sie haben sich extra schick gemacht fuers Fernsehen.

Der Gottesdienst lief super, keine groesseren Fehler, keine lustigen Versprecher. Dafuer gab es technische Schwierigkeiten. Direkt nach dem Schlussakkord rannte der Aufnahmeleiter nach vorn und sagte: „Danke! Wir muessen zwei Szenen nochmal nachdrehen. Das (ewig lange 3-strophige) Abschlusslied (bei dem Kerstin und ich mit Blick zur Gemeinde singen und schunkeln sollten) und ein kleines Zwischenspiel.“ Also nochmal 4 Minuten singen und bewegen mit fettem Grinsen im Gesicht vor Erleichterung. Damit die Kameras all die suessen Kinder filmen konnten. Und eines unserer Gemeindeglieder, die offensichtlich eine Geschichte im Show-Business hat. Ca. bei Minute 43 schaut sie in die Kamera und blinzelt dann cool und verschwoererisch. Fuer mich ist sie der Star des Tages.

Und hier ist der Link zum Gottesdienst: https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-tv/zdf-gottesdienst/du-erforschst-mich-und-kennst-mich-10573

Ich bin im Fernsehen aufgetreten…

Das sang Gerhard Schoene in den 1980ern schon mit einem Augenzwinkern: „Ich bin im Fernsehen aufgetreten. Nun bin ich was wert, denn die nehm’n ja nicht jeden.“ ALSO nochmal zum feierlichen Mitschreiben: Ich bin im Fernsehen aufgetreten, im ZDF Fernsehgottesdienst. Jetzt kann ich eigentlich in den Ruhestand gehen. Lebensziel einer Pastorin erreicht. Zur Prime-time flimmerte mein Gesicht ueber die Bildschirme von 1 Million Zuschauern/ Gottesdienstbesuchern. Kann ich mir ehrlich gesagt immer noch nicht wirklich vorstellen.

Was wie ein ganz normaler Gottesdienst wirkte, war auch einer. Weil wir wirklich mit unserer Gemeinde Gott lobten und beteten und sangen. Zugleich war es eine von vorne bis hinten durchgetaktete und geprobte Veranstaltung. Wollte gerade „Show“schreiben, aber das trifft es nicht richtig.

Das Thema wurde uns vorgegeben. „Kuenstliche Intelligenz“, wo wir schon mal im Silicon Valley sind.

Meine Kollegin Kerstin flog vor einem Jahr nach Deutschland und wurde dort fuer ihren Fernsehauftritt eine Woche lang geschult. Im Mai kam das ZDF Team dann samt EKD-Medienbeauftragtem und EKD-Pastor zu uns nach San Francisco zur Ortsbegehung und 1. Besprechung. Nicht das schlechteste Ziel fuer eine Dienstreise.

Ich traeumte von einem Psalm, den wir mit Anfragen an Gott und KI kunstvoll verwoben. Ich traeumte von kurzen Fuerbitten, die Raum zum Nachdenken und Beten lassen. Ich traeumte.

Die Realitaet war nuechterner. 43,5 Minuten darf ein ZDF Gottesdienst dauern, 45 Minuten inklusive Vorfilm und Abspann. Schnelle Uebergaenge muessen es sein, keine intendierten Pausen. Wichtige Menschen wie der Bischof und der Generalkonsul sollten zu Wort kommen, wuenschte man sich. KI sollte kurz erklaert werden fuer all unsere Zuschauer, die sich darunter nichts vorstellen konnten. (Und fuer mich!) Fernsehtauglich und kamerfreundlich sollten wir uns bewegen und platzieren. Am Hochaltar zum Gebet stehen war da nicht drin.

Stundenlang traf ich mich mit zwei unserer Gemeindeglieder, um gemeinsam die Liturgie vorzubereiten. Thematisch musste es ja um KI/ Digitalisierung gehen und wir rangen um Worte. Robert und Christopher kennen sich da aus. Wollten einerseits die Chancen nicht verdammen und andererseits keine blinde Technikbegeisterung an den Tag legen. Arbeiteten 4 Stunden lang am Psalm 139. Vorwarnung: Davon ist sehr wenig im Gottesdienst gelandet.

Vier Tage vor Aufzeichnung der Sendung rueckte ein ca. 12-koepfiges Team aus Deutschland an. Kameras, Beleuchtung, Sound-System, es sah aus wie im Filmstudio. Ein Wachtmann schlief nachts in der Kirche.

Freitag wurde der Vorfilm aufgenommen. Stundenlange Drehs fuer wenige Minuten. Beim letzten Teil stand ich neben Kerstin vor unserer Kirche. Eigentlich kein Problem. Aber es war mitten im Berufsverkehr und immer in meinem letzten Satz raste ein Bus durchs Bild und verschluckte meine Worte. Schliesslich mussten wir den Text kuerzen, um zwischen 2 Bussen filmen zu koennen.

Freitag Abend dann die erste Drehbuchbesprechung im gesamten Team mit ersten Stellanweisungen. Da wurde es langsam ernst. Samstag Mittag eine erste Stellprobe, noch mit Double fuer Bischof und Konsul. Fuer meine Mittelgangposition klebten wir einen kleinen Aufkleber auf den Teppich. Alle anderen Positionen war leicht zu merken dank der diversen Flecken unseres Teppichs: Jeder Sprecher bekam seinen eigenen Fleck zur Orientierung.

Danach Durchlauf mit Chor und Musikern. Gottesdienst auf Probe feiern vor leerer Kirche. Definitiv eine Erfahrung. So skuril das ist, es macht locker. Beim eigentlichen Gottesdienst hatte ich das Gefuehl, alles schon mal gesagt und gemacht zu haben. Stimmte ja auch. Das nahm viel von der Aufregung. Dass unser Gottesdienst, im Gegensatz zu den sonst aus Deutschland uebertragenen, nicht live ausgestrahlt wurde, entspannte mich zusaetzlich. Der GROSSE SONNTAG konnte kommen.