Gerade bekam ich per WhatsApp eine Einladung zum Maifest der Naturfreunde in Oakland. Auf dem Programm stehen Tanz um den Maibaum, Schuhplattlern, Jodelwettbewerb und Schnitzeljagd. Alles bei Brezen, Bier und Würstchen. Mehr Klischee geht nicht. Mehr bairische Heimatverbundenheit auch nicht. Gut, dass ich Tonis und mein Dirndl eingepackt hab. (Toni trägt ihres eh ständig, sie liebt es so.)
Deutsche Vereine gibt’s hier seit es hier Deutsche gibt. Also seit dem Goldrausch ab 1848. Um 1900 waren 25% der Bevölkerung hier Deutsche. In San Francisco bildeten sie entsprechend große, sozial und politisch einflussreiche Vereinigungen. Ihre wichtigste Aufgabe: die gegenseitige Unterstützung im Notfall. Außerdem: Pflege von Tradition, Kultur und Sprache.
Dank der zwei großen Einwanderungswellen nach dem 1. und 2. Weltkrieg haben die Vereine immer noch viele deutsche Mitglieder. Die meisten Aktiven sind 80 und älter, also genauso wie in unserer Gemeinde.
Ihre Kinder haben teilweise die Leitung der Vereine übernommen. Sie sind heute um die 50-jährige Amerikaner. Deutsch verstehen sie teilweise noch, sprechen es kaum. Kulturell sind sie Amerikaner durch und durch. Sie kleiden und schminken sich entsprechend. Sie können stundenlang über Essen und Restaurants reden. Sie sind perfekt im Smalltalk. Nur eins verrät ihre elterliche Herkunft: Sie essen mit Messer und Gabel. Gleichzeitig. Amerikaner schneiden erst alles klein, legen das Messer weg, nehmen die Gabel in die rechte Hand und essen.
Beim festlichen Banquet des Schwabenvereins spielte eine urige 2-Mann-Band amerikanische Standards der 1950er. Also aus der Jugendzeit der meisten Mitglieder. Man schwofte herrlich im Paartanz, auch Philipp und ich versuchten uns. Da ich die Kurzandacht vor dem Essen hielt, waren wir geladene Gäste.
Sonst ist der Zugang zu den Vereinen teilweise exklusiv. Im Schwabenverein kann nur Mitglied sein, wer männlich ist UND einen schwäbischen Vater vorzuweisen hat. (Quasi wie bei den Muslimen. Den Vergleich fanden sie jedoch nicht so witzig…) Die Damen und Töchter haben ihren eigenen Verein. Söhne schwäbischer Mütter haben Pech.
Was ist hier Deutsch? Nicht das Essen. Nicht die Musik. Teilweise die Sprache. Vor allem wohl das Gefühl, zusammenzugehören, eine bestimmte Immigrationsgeschichte zu teilen: das Sich-Hoch-Arbeiten, die harten Kämpfe mit der englischen Sprache, der Umgang mit den Vorurteilen gegen Deutsche im Amerika der 1950er und 60er, das Gefühl „Ich habe es geschafft“. Dazu die Erinnerung an die Erinnerung an Kindheit/ Jugend/ erste erwachsene Jahre in Deutschland vor der Ausreise.
Das gleiche Bild beim Stammtisch der altehrwürdigen deutschen Unternehmer. Einmal im Monat treffen sie sich (im gleichen baskischen Restaurant wie der Schwabenverein). Man tauscht sich aus, der Präsident hält eine kurze Rede, der kürzlich Verstorbenen wird gedacht. Dann kommt das Highlight des Essens: Der „Kulturmops“ hält einen Vortrag, gespickt mit schmutzigen Witzen. Die „kalifornische Staatszeitung“ wird herumgereicht. Ein Wochenblatt, das leider oftmals so spät geliefert wird, dass alle Neuigkeiten veraltet sind. Aber in der Märzausgabe war ein Foto von Philipp und mir drin vom Schwabenvereintanz. Gutes Blatt!!!!
Den Alten bieten die Vereine Heimat und Großfamilienersatz. Die Jüngeren lieben die Folklore. Den meisten in den letzten 20 Jahren eingewanderten Deutschen hingegen bleiben die Vereine suspekt. Und so geht es den Vereinen wie unserer Kirche: Der Nachwuchs fehlt. Aber die Stimmung ist super! Ich freu mich schon aufs Sommerfest des Schwabenvereins!