Das war also der 1. Schulelternabend unseres Lebens. Leider sehr kurz und der einzige im ganzen Schuljahr. Aber lang genug, damit ich (natürlich) Elternsprecherin wurde. Hab mich wirklich zurückgehalten. Dann kam eine andere Mutter auf mich zu aus Tonis neues Klasse (mit offensichtlich dem richtigen Riecher) und fragte: „Willst du Elternsprecherin sein?“ Ich: Schweigen. Sie: „Wollen wir es zusammen machen?“ Da war ich auch schon überzeugt!
Tonis neue Lehrerin ist der Hammer. So stelle ich mir die Lehrerinnen in Astrid Lindgrens Büchern vor: Sie ist die personifizierte positive Ausstrahlung. Über ihre neu zusammengewürfelte Klasse sagt sie: „Das ist die beste Klasse. Die Kinder sind fantastisch. Alle.“ Bestrafungen gibt es nicht, nur Belohnungen. Für individuelle Leistungen gibt’s eine Murmel. Der Unterschied zum „Murmelsystem“ wie ich es in Hamburg kennengelernt habe: 1. die ganze Klasse sammelt gemeinsam. Nicht ein Tisch gegen den anderen. 2. Man kann einmal gewonnene Murmeln nicht wieder verlieren. ist die Murmeldose voll, gibt’s eine 20-minütige Klassenparty. Die Kinder dürfen entscheiden, was gemacht wird. Tanzen oder Wasserschlacht, Vorlesen oder Film schauen, freies Spielen oder Wattebällchenschlacht – die Lehrerin ist für so gut wie alles zu haben!
Hat ein Kind Geburtstag, wird ebenfalls 20 Minuten lang gefeiert, was das jeweilige Kind möchte. „Auf diese Art feiern wir fast jede Woche“, sagt sie lachend. „Das Leben soll ja Spaß machen.“
Es gebe auch ein großes rotes Buch für schwere Fehler, sagt sie schelmisch grinsend. „Das finde ich so gut wie nie. Und am Ende des Schuljahres steht da immer nur mein Name drin.“ Wenn sie sich verspricht oder ein Kind beim falschen Namen nennt, dann dürfen die Kinder ihr das sagen. Und bekommen sogar eine Murmel dafür. „Ich will ihnen zeigen, dass es ok ist, Fehler zu machen und dazu zu stehen.“
Thema Hausaufgaben: Manche Eltern fragen, wie viel Druck sie machen müssen, wie viele Bücher gelesen werden sollten und überhaupt, wie sie ihre Kinder fördern können. Frau O bleibt gelassen. Ihre 1. Regel lautet: „Kein Druck! Es muss ihren Kindern Freude machen.“ Da möchte ich am liebsten nach vorne rennen und sie umarmen. Aber von diesen Ministühlen muss man erstmal wieder hochkommen… Über die monatlichen Hausaufgabenzettel sagt sie: „Es gibt keine Strafe, wenn sie nicht gemacht werden. Es gibt auch keine große Belohnung, wenn sie gemacht werden. Hausaufgaben sind vor allem eine Möglichkeit, dass sie als Eltern mit ihren Kindern über das Gelernte ins Gespräch kommen.“ An der Stelle bin ich kurz vorm Weinen.
Woher rührt meine Emotionalität? Vor einigen Wochen habe ich einen fantastischen Film gesehen. „The art of possibility“ (auf Youtube, unbedingt gucken). Der Dirigent Benjamin Zanders erzählt darin, dass er grundsätzlich allen seinen Studis am Anfang des Semesters ihre Endnote mitteilt. Eine glatte 1. Dann lässt er seine Studis aufschreiben, warum sie diese 1 verdient haben. Die Briefe sammelt er ein und gibt sie ihnen am Ende des Semesters wieder. Seine Beobachtung: Die Studis verlieren alle Angst und wachsen in den Monaten über sich hinaus. Revolutionär. Der Film ist schon 15 Jahr alt. Und ich frage mich, warum unterrichten die allermeisten immer noch nicht auf diese Weise? Warum denken wir immer noch, dass Kinder am besten unter Druck lernen? Warum haben wir Angst vor einer pauschalen Anerkennung, dass wirklich alle Menschen wunderbar gemacht sind?
Und da sitze ich auf Ministühlen und erfahre, dass meine Tochter eine Lehrerin hat, die genauso unterrichtet.
Und das merken die Kinder. Toni liebt die Schule. Jeden Tag kann sie neue Lieder, erzählt neue Anekdoten. Sie findet die 1. Klasse viiiiel leichter als die Vorschule. „Weil, Mama, Ms O sagt, dass wir richtig gut sind. Und so schnell lernen, wie kein anderer.“