2020 ist eine Chiffre. Sie steht in Berkeley für Hoffnung und Angst. Hoffnung auf einen demokratischen Präsidenten und das Ende des Trumpschen Albtraums. Es wäre der Beweis, dass die Vernunft doch gewinnt. Dass Amerika doch das Land ihrer Träume ist. Dass die Mehrheit so denkt wie Berkeley: WEIRD = weiß, gebildet (educated), international, reich, demokratisch (nach einer Definition von Jonathan Haidt in seinem unbedingt empfehlenswerten Buch „The righteous mind: Why good people are divided by politics and religion“).
2020 steht für die Angst vor einem Schrecken ohne Ende. Was, wenn Trump wiedergewählt wird? Vielleicht diesmal sogar von der numerischen Mehrheit, nicht nur dank des uralten Wahlsystems und seiner Wahlmänner? Hier in Berkeley kann und will sich das niemand vorstellen. Gerade deshalb ist es denkbar. Weil hier niemand wirklich weiß, wie Republikaner ticken. 1. Gibt’s hier kaum welche. 2. Würden die sich nicht freiwillig outen. 3. Selbst wenn, würde man nicht mit dem Feind reden. Keine Sitzung in Schule, Chor oder Uni, bei der nicht irgendwann über Trump geflucht wird und alle nicken. Fühlt sich gut an. Hilft bloß nichts.
Was tun? Zahlreiche NGOs haben sich gegründet, um Menschen im Umgang mit Menschen anderer politischer Überzeugungen zu schulen. Im Idealfall werden Republikaner auf diese Weise missioniert und zu Demokraten. Eine davon ist „Smart Politics“ hier in Berkeley. Sie halten Web-Seminare ab und bieten Kommunikationstraining an.
Karen, die Leiterin, hat vor einigen Monaten einen politischen Buchclub ins Leben gerufen. Unweit entfernt von mir treffen wir uns monatlich im zeltähnlichen Loft einer pensionierten Anwältin. Es gibt Brot von „Acme Bread“ (die angesagteste Bäckerei in der Stadt), dazu Käse vom „Cheeseboard“ (hier gibt’s nichts was es nicht gibt) und Hummus (kein Treffen in Berkeley ohne Hummus!). Fast alle sind wir weiblich, alle mit Hochschulabschluss, fast alle weiß, alle weit gereist. Die einzige Diversität ist unsere Altersspanne von 33-75. Und, dass ich religiös bin. Denn Religion und liberale Politik geht in den Augen der meisten Menschen in Berkeley nur schwer zusammen. Während der 2 1/2 stündigen Treffen fühle ich mich auf Mission: den anderen zu helfen, ihre Vorurteile gegenüber Christen abzubauen!
Unser gemeinsames Ziel: Verstehen, warum die USA (bzw. die westliche Welt) so sehr gespalten ist in Links und Rechts und was Menschen nach Rechts zieht. Anerkennen, dass Menschen unterschiedliche politische Ideen haben, ohne gleich von Grund auf böse zu sein. Miteinander reden lernen (gar nicht so einfach, denn natürlich ist keines der Clubmitglieder Republikaner).
Aber es gibt andere Themen, die sich zu Übungszwecken mit ebenfalls demokratischen Nachbarn und Bekannten wunderbar eignen. Denn demokratisch bedeutet seeehr viel in Amerika. Alles von sozialistisch über sozial bis hin zu liberal-ohne-sozial ist zu finden. Wollte man die deutschen Parteien in den USA verorten, wären alle, abgesehen von AfD und NPD, unter den „Demokraten“. Allein schon aufgrund unserer sozialen Marktwirtschaft, der allgemeinen Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und selbst dank Hartz IV.
So einig sich die Demokraten in der Ablehnung von Trump sind, was sie wollen, steht auf einem anderen Blatt. Inzwischen bewerben sich 21 Politiker um das Amt des Präsidentschaftskandidates. Manche sind Sozialisten (ein Unwort selbst für viele Demokraten). Andere wollen ein bisschen mehr Gerechtigkeit für die Armen, aber natürlich keine Freiheiten dafür beschneiden. Manche werben für eine echte Einwanderungspolitik und gegen strukturellen Alltagsrassismus. Andere lassen diese Tretminen lieber aus.
Kurz: Beim Thema Einwanderung vertreten auch Demokraten plötzlich durchaus Trumpsche Parolen. Da können die Bürger Berkeleys ihre Kommunikationsstrategien aneinander üben. Ohne Sorge, dass ein schlechtes Gespräch gleich zur Wahl von Trump führt. Der bleibt hier der größte Feind, Einwanderung hin oder her.